Fazit nach Nizza und Tirreno

Zuerst kommt Pogacar und dann eine ganze Weile nichts

Von Felix Mattis

Foto zu dem Text "Zuerst kommt Pogacar und dann eine ganze Weile nichts"
Zeus oder Neptun? Nein, Zadej Pogacar, der zurzeit den Radsport beherrscht | Foto: Cor Vos

14.03.2022  |  (rsn) – Der erste Wasserstand ist genommen, die ersten Kräftemessen der meisten Kandidaten auf den Gesamtsieg bei großen Rundfahrten im Jahr 2022 sind geschafft: Paris-Nizza und Tirreno-Adriatico haben in der vergangenen Woche offenbart, was viele ohnehin erwartet hatten. Doch neben der Erkenntnis, dass die slowenische Dominanz in Sachen Rundfahrten auch in diesem Jahr weiterzugehen scheint, gab es trotzdem auch einige weitere interessante Offenbarungen.

Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) und Primoz Roglic (Jumbo – Visma) haben in San Benedetto del Tronto und Nizza ganz oben auf dem Podium gestanden und ihre Favoritenrollen damit bestätigt. Doch während sich Pogacar in Italien absolut souverän und überlegen durchsetzte, musste sein Landsmann in Frankreich bis zum Zielstrich zittern.

Am Ende gewann er Paris-Nizza mit nur 29 Sekunden Vorsprung auf den Briten Simon Yates (BikeExchange – Jayco), von denen er 28 schon auf der Auftaktetappe in Mantes-la-Ville herausholte, als Jumbo – Visma mit Christophe Laporte, Wout Van Aert und Roglic im Finale die Konkurrenz zu dritt abschüttelte. Am Berg und vor allem auf der wilden Schlussetappe rund um Nizza präsentierte er sich nicht besser, sondern eher schlechter als Yates. Und selbst im Zeitfahren von Montlucon war der Brite auf 13,4 Kilometern nur neun Sekunden langsamer als der Slowene.

Primoz Roglic (rechts) brauchte die Hilfe von "Motorrad" Van Aert (links), um das Gelbe Trikot bis nach Nizza zu verteidigen. | Foto: Cor Vos

Im Fernduell der beiden slowenischen Asse gab Pogacar, der Tirreno-Adriatico mit fast zwei Minuten Vorsprung auf Jonas Vingegaard (Jumbo – Visma) gewann und dabei bergauf gleich zweimal alle in den Schatten stellte, also die deutlich souveränere Figur ab. Der Tour de France-Sieger von 2020 und 2021 ist auch im März 2022 die klare Nummer eins unter den Rundfahrern.

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Roglic konnte Paris-Nizza gewinnen und Yates schlagen, brauchte dafür aber sein starkes Team mit Edelhelfer Van Aert: Erstens um auf der 1. Etappe 28 Sekunden herauszuholen, und zweitens auf der Schlussetappe, um am Col d'Eze halbwegs auf Tuchfühlung mit Yates bleiben zu können. Er ist daher zwar weiter die Nummer zwei, doch die Konkurrenz scheint näher an Roglic dran zu sein, als Roglic an Pogacar.

Und zwar nicht nur die Konkurrenz aus anderen Teams, wie etwa Simon Yates, sondern auch intern bei Jumbo – Visma. Denn der Tirreno-Zweite Jonas Vingegaard lag zwar deutlich hinter Pogacar, doch wo er im Vergleich mit den Paris-Nizza-Startern gelandet wäre, ist kaum zu prognostizieren. Fakt ist: Der Däne verlor im Auftaktzeitfahren von Lido di Camaiore bereits 39 der insgesamt 112 Sekunden gegenüber Pogacar, und Vingegaard sprach nach dem Kampf gegen die Uhr von einem schlechten Tag. Normalerweise gilt er schließlich auch als starker Zeitfahrer.

Jonas Vingegaard ist schon gut in Form, konnte Pogacar aber auch nicht halten. | Foto: Cor Vos

Vingegaard und Simon Yates sollten daher insgesamt beide momentan sehr nah an Roglic dran sein, bevor sich dann wohl eine Lücke auftut. Denn auch wenn Daniel Felipe Martinez (Ineos Grenadiers) und Nairo Quintana (Arkéa – Samsic) sowie Joao Almeida (UAE Team Emirates) am Col de Turini bei Paris-Nizza mit Roglic und Simon Yates mithalten konnten, sie alle ließen andernorts Federn: sei es im Zeitfahren, das noch nie Quintanas Stärke war, oder auf der Schlussetappe über den Col d'Eze.

Dasselbe war in Italien zu erkennen, wo sich vor allem Mikel Landa (Bahrain Victorious) und Ineos-Routinier Richie Porte oder auch Jai Hindley (Bora – hansgrohe) insgesamt gut präsentierten, Landa und Hindley aber ihre Zeitfahrschwäche und Porte seine fehlende Spritzigkeit nicht wettmachen konnten.

In Portes 'Windschatten' bot sich außerdem eine Reihe weiterer Mit-30er für die Top-10-Platzierungen bei großen Rundfahrten an, sie alle sind aber von den aktuell Besten doch ein ganzes Stück entfernt – zum Beispiel: Damiano Caruso (Bahrain Victorious), Thibaut Pinot (Groupama – FDJ) und Romain Bardet (Team DSM). Sie dürften aktuell ähnlich einzuschätzen sein, wie die einen Tick jüngeren Adam Yates (Ineos Grenadiers), Jack Haig (Bahrain Victorious) und Guillaume Martin (Cofidis) sowie Bora – hansgrohes Aleksandr Vlasov, die bei Paris-Nizza fuhren.

Simon Yates war bei seinem Etappensieg zum Abschluss von Paris-Nizza am Berg explosiver als Roglic. | Foto: Cor Vos

Letzterer bekam nach einigen starken Wochen im Februar am Col de Turini am Samstag seinen ersten kleinen Dämpfer, und tagsdrauf mit seinem Sturz auf dem Weg nach Nizza den zweiten größeren. Womit auch die Kategorie der Pechvögel aufgemacht wäre: Denn während man bei Paris-Nizza und Tirreno-Adriatico von den meisten Top-10-Fahrern der Grand Tours aus 2021 einen guten Eindruck bekommen konnte, fehlten andere entweder komplett oder waren krankheitsbedingt geschwächt.

Wo etwa die bei Tirreno-Adriatico ausgestiegenen Enric Mas (Movistar) und Richard Carapaz (Ineos Grenadiers) als Vuelta a Espana-Zweiter und Tour de France-Dritter des vergangenen Jahres momentan stehen, ist kaum einzuschätzen.

Eine der vielleicht wichtigsten und deutlichsten Erkenntnisse der Woche dagegen war, dass Remco Evenepoel (Quick-Step – Alpha Vinyl) es weiterhin schwer hat, bei Rundfahrten über mehrere schwere Anstiege hinweg an aufeinanderfolgenden Tagen mit den Besten mitzuhalten. So stark sich das belgische Kraftpaket im Zeitfahren von Lido di Camaiore präsentierte, so sehr bekam er bergauf wieder Probleme. Angesichts seines Körperbaus ist das keine riesige Enttäuschung, sondern irgendwo erwartbar: Auch das Wunderkind ist nur ein Mensch. Doch in Belgien dürfte langsam das Eingeständnis reifen, dass der Weg des 22-Jährigen zu einem Mann fürs Gesamtklassement bei den Grand Tours noch sehr weit ist.

Emanuel Buchmann (rechts) konnte bei Tirreno-Adriatico noch nicht überzeugen. | Foto: Cor Vos

Und aus deutscher Sicht? Bora – hansgrohe konnte in der vergangenen Woche leider alles andere als überzeugen. Vlasov scheint doch nicht ganz so nah an den Besten dran zu sein, wie er es im Februar in Spanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten andeutete, Hindley wusste bei Tirreno-Adriatico zu gefallen - aber eben auch eher in der dritten Reihe – und Wilco Kelderman sowie Emanuel Buchmann haben offensichtlich noch einen weiten Weg vor sich.

Gut für sie ist, dass der Weg zum Giro d'Italia und der Tour de France aber eben auch genau das noch ist: weit.

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