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15.05.2023 | (rsn) - Das Verhältnis von Geraint Thomas (Ineos Grenadiers) zur Italien-Rundfahrt ist kompliziert. “Ja, ich liebe dieses Rennen. Und ich genieße es auch, dass die leidenschaftlichen italienischen Fans meinen Namen rufen“, sagte der Waliser am ersten Ruhetag des 106. Giro d’Italia. Aber er verhehlte auch nicht, dass die Beziehung nicht völlig ungetrübt ist.
Vier Mal hatte Thomas zuvor am Giro teilgenommen. Zwei Mal musste er vorzeitig aussteigen. Die anderen beiden Male landete er unter ferner fuhren: Platz 80, als 2012 der Kanadier Ryder Hesjedal überraschend gewann, sogar nur Platz 118, als ein gewisser Alberto Contador das Rennen dominierte.
___STEADY_PAYWALL___Jetzt kam er auf etwas schräge Art ins Rosa Trikot. “Es ist nicht schön, auf diese Art und Weise in die Führungsposition zu gelangen. Es ist sehr traurig, dass Remco wegen Corona ausscheiden musste. Ich habe mich schon sehr auf einen Kampf in den nächsten Wochen gefreut“, sagte er zum Aus des Weltmeisters. Das Trikot will er am Dienstag aber auf alle Fälle tragen. “Es ist gut, dass es im Peloton zu sehen ist“, meinte er.
Als Zweiter des Zeitfahrens von Cesena verbesserte sich Thomas auch auf den zweiten Gesamtrang des Giro d’Italia 2023. | Foto: Cor Vos
Aber der Schock, es wegen eines Coronafalls des vor ihm platzierten Belgiers übernehmen zu können, war Thomas doch anzumerken. “Remco hat mich informiert, bevor die Nachricht draußen war. Erst habe ich es für einen Scherz gehalten, nach der Geschichte um Roglic“, erzählte er auf der Online-Pressekonferenz. In den vergangenen Tagen kursierte das Gerücht, der Slowene sei positiv. Als bar jeder Grundlage qualifizierte es Roglics Sportlicher Leiter Marc Reef gegenüber radsport-news.com. Aber ganz aus der Welt zu bringen war die Geschichte nicht. Erst recht nicht, nachdem man sah, wie stark der bereits infizierte Evenepoel noch das Zeitfahren absolvieren konnte.
Der Ausstieg des Gesamtführenden katapultierte nun Thomas an die Spitze des Rennens. “Unsere Haltung wird das sicher nicht verändern. Aber die Dynamik über die nächsten zwei Wochen wird anders sein“, prognostizierte der Routinier. Als nächsten wichtigen Härtetest für die Klassementfahrer nannte Thomas die 13. Etappe nach Crans Montana.
Furcht hat er davor nicht, auch nicht vor seinen Rivalen. “Wir haben Respekt, das ja, aber keine Angst“, betonte er. Überhaupt wirkte er im gesetzten Rennfahreralter von fast 37 Jahren ziemlich gelassen. “Ich habe meine Vorbereitung etwas verändert, mehr auf Intensität gesetzt“, sagte er. Das konnte man auf der 8. Etappe bemerken. Da musste er Roglic zwar ziehen lassen, schaffte gemeinsam mit seinem Teamkollegen Tao Geoghegan Hart aber schnell den Anschluss. Für den Rest der Podiumsaspiranten war der Oldie zu dynamisch.
Da Weltmeister Remco Evenepoel nach einem positiven Coronatest den Giro verlassen muss, wird Thomas im Rosa Trikot in die 10. Etappe starten | Foto: Cor Vos
Auf die Zusammenarbeit mit seinem Landsmann Hart setzt er auch im weiteren Giro-Verlauf. “Ja, wir können uns davon inspirieren lassen, wie gut und ohne jede Form von Egoismus Roglic und Vingegaard bei der Tour de France 2022 gegen Pogacar zusammenarbeiteten. Die Situation war zwar etwas anders. Roglic war verletzt und stieg bald aus. Aber die Herangehensweise war gut“, sagte Thomas auf Nachfrage. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt schätzt er sich und den früheren Giro-Sieger Hart als gleich stark ein. “Wenn sich herausstellen sollte, dass Tao die besseren Chancen auf den Giro-Sieg hat, werde ich nicht zögern, ihn zu unterstützen. Und ich gehe davon aus, dass das auch umgekehrt der Fall sein wird“, betonte er.
Vor allem setzt Thomas auf die Stärke seines Teams: “Es sind ja nicht nur wir beide. Auch Pavel (Sivakov), Laurens (de Plus) und Thymen (Arensman) sind noch sehr gut positioniert. Wir haben viele Karten zu spielen.“ Ineos Grenadiers ist tatsächlich in einer perfekten Ausgangsposition mit den Plätzen 1, 3, 9, 12 und 13. Und Thomas machte den Eindruck, daraus aus auch etwas Exzellentes machen zu können.
Dabei unterschätzte er trotz der Ineos-Dominanz die Rivalen nicht. “Es ist ja nicht nur Roglic noch im Spiel. Auch (Joao) Almeida ist ein exzellenter Rennfahrer. Und noch ein paar andere gute Kletterer stecken in den Top 10“, gab er zu bedenken. Er wirkte auch befreit und gelassen wie selten in seiner Karriere. “Wenn sich deine Laufbahn dem Ende zuneigt, dann kannst du erst wirklich schätzen, was es bedeutet, die ganzen Rennen gefahren zu sein. Und du genießt die Rennen, die du fährst, noch ein bisschen mehr“, sagte Thomas.
Ineos Grenadiers ist mit fünf Fahrern unter den besten 13 das deutlich stärkste Team bei diesem Giro. | Foto: Cor Vos
Es deutet viel darauf hin, dass seine lange Zeit unerwiderte Liebe zum Giro in seinem momentan letzten Vertragsjahr doch noch erhört wird. Seine größte Sorge galt dem Faktor, der bereits Evenepoel aus dem Rennen warf: dem Virus. “Es ist gut, dass die Giro-Organisatoren jetzt wieder die Maskenpflicht für den Start- und Zielbereich einführen. Wir müssen uns daran erinnern, was wir 2020 und 2021 gemacht haben. Aber wenn man die vielen positiven Fälle sieht, kommen die Maßnahmen vielleicht auch zu spät. Wer weiß, wer sich schon alles angesteckt hat?“, meinte er.
Thomas selbst hat bislang noch keine Covid-Symptome an sich festgestellt. Die Sorge vor dem Virus fährt trotzdem wieder mit im Peloton.
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