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14.12.2022 | (rsn) – “Lenny“ ist gut drauf. Das spürt man im Gespräch mit Lennard Kämna, wie der große Radsport-Liebling der deutschen Sportmedien mit richtigem Namen heißt, von Beginn an. "Generell geht es mir sehr gut", sagte er am Dienstagnachmittag bei einem Online-Pressetermin aus dem Iberostar-Hotel von Platja de Palma auf Mallorca.
Er habe eine entspannte Saisonpause hinter sich – eine Woche Irland-Urlaub, danach ein Trip mit dem Team nach San Francisco und einige Zeit in Fischerhude bei seinen Eltern sowie ein paar Tage in Österreich. Zeit für Familie und Freunde, das war es, was Kämna schon vor einem Jahr als besonders wichtig bezeichnet hatte, um aus seinem persönlichen Tief 2021 herauszukommen.
___STEADY_PAYWALL___Das hat der 26-Jährige offensichtlich auch nicht wieder vergessen, als er 2022 in die Erfolgsspur zurückkehrte und Erwartungshaltungen in der deutschen Öffentlichkeit wiedererweckte. In der Giro-Berichterstattung im Mai ließen die Eurosport-Experten und Bora-hansgrohe-Mitarbeiter Rolf Aldag und Bernhard Eisel immer wieder den Spitznamen “Lenny“ fallen, und schnell adaptierten das Fans wie Medienschaffende. Inzwischen wird er durch die Bank nur noch so angesprochen.
Schon früh beim Giro d’Italia zeigte sich Lennard Kämna in blendender Verfassung und feierte am Ätna einen grandios herausgefahrenen Etappensieg. | Foto: Cor Vos
"Es stört mich nicht. Es ist ein Spitzname, der im Team entstanden ist", erklärte Kämna. Ein Spitzname von innen also, nicht von außen, wie die Erwartungshaltungen, die nach seinem WM-Titel im Einzelzeitfahren der Junioren 2014 in Ponferrada entstanden waren.
Der deutsche Wunsch nach dem Ullrich-Nachfolger
Denn mit dem Name Lennard Kämna verband man in Deutschland seither die seit Jan Ullrichs Niedergang wabernde Hoffnung auf den nächsten großen, deutschen Rundfahrer – er wurde zum möglichen Tour-de-France-Sieger geschrieben und jeder Fortschritt des Hoffnungsträgers wurde mit Blick darauf gefeiert.
Kämna selbst, das betonte er nun noch einmal, sah sich in dieser Rolle aber längst nicht: "Ich habe mit 19 nicht gedacht, dass ich irgendwann die Tour gewinne. Auf gar keinen Fall. Ich bin damals ohne Tacho gefahren und hatte auch keine Ahnung, wie stark die sind, die bei der Tour Bergetappen gewinnen." Zweimal geriet er auf dem Weg von Ponferrada 2014 zum Giro-Etappensieg am Ätna 2022 körperlich ins Straucheln, weil er mental zu viel wollte, und legte mehrmonatige Pausen ein. Nun aber wirkt er gefestigt und souverän.
"Ich freue mich riesig auf 2023. Ich bin sehr optimistisch und hoffe auf eine gute Saison", blickte Kämna auf die Saison voraus, in der er diesem ewigen, öffentlichen Wunsch nach dem “Rundfahrer Kämna“ erstmals mit offenem Visier entgegentritt.
Auch bei der Tour de France zeigte sich Kämna angriffslustig und verpasste jeweils nur knapp einen Etappensieg sowie das Gelbe Trikot. | Foto: Cor Vos
"Ich glaube, es ist das richtige Jahr, es auszuprobieren", erklärte er am Dienstag, dass er beim Giro d'Italia im kommenden Mai den Co-Leader von Bora – hansgrohe geben und auch selbst versuchen werde, in der Gesamtwertung möglichst weit vorn zu landen. Mit gut geplanter und umgesetzter Ernährungs- und Erholungsstrategie traue er sich das nun zu. Die Hauptlast im als Titelverteidiger in den Giro startenden Team soll aber der Tour-de-France-Fünfte Aleksandr Vlasov tragen.
Vlasov soll Hindleys Titel verteidigen, Kämna sich ausprobieren
"Dass Aleks (Vlasov) die Kapitänsrolle hat, ist völlig klar – da gibt es keine Diskussionen und das möchte ich auch gar nicht ändern", betonte Kämna. "Wenn es dann bei mir nicht in Richtung GC läuft, kann ich immer noch den Plan ändern und versuchen, Etappen zu gewinnen. Ich denke das ist für uns taktisch sehr gut."
Doch die Herangehensweise wird am 6. Mai beim Grande Partenza am Rande der Abruzzen eine ganz andere sein als noch 2022. Damals attackierte Kämna bereits im ansteigenden Finale der 1. Etappe mit voller Kraft und verlor anschließend Zeit, um einige Tage später dann aber schon wieder in der Offensive zu sein und als Ausreißer die Bergankunft am Ätna zu gewinnen. Bewusst hingenommene Zeitverluste, um Freiheiten für die Etappenjagd zu bekommen, wird es diesmal zunächst nicht geben.
"Das Team und ich haben eine sehr offen-ehrliche Kommunikation. Wir haben immer wieder darüber gesprochen, ob das möglich ist. Und am Ende haben sowohl das Team als auch ich Bock darauf", schilderte Kämna den gedanklichen Weg in Richtung Gesamtwertungstest bei der ersten Grand Tour des Jahres. "Ich bin mittlerweile 26 und es kommt langsam die Zeit, in der man sagen muss: Entweder man probiert es oder eben nicht. Und ich will es auf jeden Fall versuchen."
Zeitfahren gaben den Ausschlag für den Giro-Start
Eine wichtige Rolle habe dabei auch der Parcours der Italien-Rundfahrt gespielt, gibt Kämna zu. Er sehe zwar noch eine Lücke zwischen sich und den besten zehn Kletterern der Welt, doch der Giro ist 2023 so zeitfahrlastig wie selten. "Die Zeitfahren spielen dabei eine sehr große Rolle. Wir haben nach den Strecken-Präsentationen angefangen, darüber zu sprechen und als die Tour-Strecke bekannt wurde, war mir relativ schnell klar: Okay, es geht Richtung Giro und nicht Richtung Tour." Wegen der drei geplanten Giro-Zeitfahren entschied sich der Deutsche Meister in dieser Disziplin für die Frankreich-Rundfahrt. | Foto: Cor Vos
Der Kampf gegen die Uhr ist schon immer Kämnas Stärke, auch wenn er ihn über die Jahre etwas aus den Augen verloren hatte. 2014 war er in dieser Disziplin Juniorenweltmeister, 2015 Dritter der U23 und 2016 Vierter. 2017 gehörte Kämna zum Weltmeister-Sextett von Sunweb im Mannschaftszeitfahren und wurde Vize-Weltmeister der U23 im Straßenrennen, rund zwei Wochen nach einem starken achten Rang im Einzelzeitfahren auf der 16. Etappe der Vuelta a Espana, der ersten Grand Tour seiner Karriere.
Doch nach seiner ersten Krise 2018 rückte das Zeitfahren in den Hintergrund. "Ich habe es teilweise etwas schleifen lassen und mich mehr aufs Klettern konzentriert. Aber dieses Jahr habe ich durch konstanteres Training auf dem Zeitfahrrad wieder Fortschritte gemacht und ich denke, dass ich diesen Weg auch 2023 wieder einschlage – wieder mehr Augenmerk auf Position und Stabi legen", so Kämna nun.
Keine Ardennenklassiker, keine Tour
Neben vermehrtem Zeitfahrtraining wird auch Höhentraining auf dem Weg zum Giro nicht zu kurz kommen. Die Saison beginnt für Kämna mit der Mallorca Challenge Ende Januar und der Valencia-Rundfahrt. Anschließend fliegt er gemeinsam mit sieben Teamkollegen im Februar nach Teneriffa ins Trainingslager am Vulkan Teide, bevor im März mit Tirreno - Adriatico das nächste Mehretappenrennen wartet. Der weitere Plan im März und April stehe noch nicht endgültig, so Kämna. Klar ist aber: Die Ardennenklassiker fährt er nicht; und die Tour de France auch nicht.
2022 hatte Bora - hansgrohe die Frankreich-Rundfahrt trotz sehr intensivem Giro d'Italia kurzfristig doch noch mit in Kämnas Programm gepackt. Er fuhr dort in der ersten Hälfte gewohnt attraktiv und offensiv und verpasste in Megeve sogar das Gelbe Trikot nur knapp, als die Kräfte ganz offensichtlich aber schon deutlich schwanden. Kämna verließ die Tour eine Woche später entkräftet und wurde krank.
Bei der kommenden Italien-Rundfahrt wird Kämna zwar die Gesamtwertung ins Visier nehmen, als Bora-Kapitän will aber Aleksandr Vlasov um das Rosa Trikot kämpfen, das 2022 ihr Teamkollege Jai Hindley erobert hatte. | Foto: Cor Vos
Doch mental hielt er dem Hype stand und bilanziert nun: "Ich würde das (den Tour-Start nach dem Giro, d. Red.) nicht als Fehler betrachten und auch nicht als viel zu viel. Aber mit dem Blick zurück auf 2021 (als Kämna lange pausierte, d. Red.) war es am Ende vielleicht schon ein Zacken zu viel. Das hat sich ja auch daran gezeigt, dass ich dann etwas krank wurde."
Trotzdem könne er sich in Zukunft vorstellen, beide Rundfahrten wieder in einem Jahr zu bestreiten, weil er 2022 einiges dabei gelernt habe, was er dann besser machen könne. Für 2023 aber sei es kein Thema, auch wenn das gerade als deutscher Fahrer wegen des medialen Fokus auf die Tour keine leichte Entscheidung gewesen sei. Der Gesamtwertungstest beim Giro steht aber über allem.
Über allem? Nicht ganz. Denn eines, wofür ihn die deutschen Fans in den vergangenen Jahren und besonders 2022 lieben lernten, will Kämna nicht ablegen: Den offensiven, angriffslustigen “Lenny“.
"Ich möchte weiter offensiv fahren. Das ist mein Stil. Wenn ich das komplett ad acta lege, werde ich nicht glücklich", erklärte er. "Ich hoffe deshalb, dass ich so stark werde, dass ich die Rennen auch in der Hauptgruppe offensiv gestalten kann. Das wäre für mich ein Riesenschritt. Aber ich weiß, dass das nicht einfach wird und ich gerade bei den ersten Rennen da noch geduldig sein muss, bis ich soweit bin."
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