Psychospielchen vor dem Tour-Finale

Niewiadoma vs. Vollering: Showdown in L´Alpe d´Huez

Von Felix Mattis aus Le Grand-Bornand

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Das Duell um Gelb? Katarzyna Niewiadoma (Canyon - SRAM) muss am Sonntag in Richtung L´Alpe d´Huez vor allem Titelverteidigerin Demi Vollering (SD Worx - Protime) fürchten. | Foto: Cor Vos

17.08.2024  |  (rsn) – Die Tour de France Femmes spitzt sich auf den großen Showdown am Schlusstag zu. Die erste Bergankunft in Le Grand-Bornand hat für keine Vorentscheidung in der Gesamtwertung gesorgt und so wird es beim großen Finale in L'Alpe d'Huez genau so spannend, wie man es sich bei Tour-Veranstalter A.S.O. schon für die Männer-Tour mit dem Abschluss-Zeitfahren in Nizza gewünscht hat: Demi Vollering (SD Worx - Protime) konnte auf der 7. Etappe lediglich vier Sekunden in Form der Zeitgutschrift für Etappenrang drei aufs Gelbe Trikot von Katarzyna Niewiadoma (Canyon – SRAM) gutmachen.

So startet die Polin noch immer mit 1:15 Minuten Vorsprung auf die letzten 149,9 Kilometer, die aber auch mit Abstand die schwersten der Woche werden: Es geht über den 19,7 Kilometer langen und im Schnitt 7,2% steilen Col du Glandon nach Bourg d'Oisans und dort die 21 berühmten Kehren nach L'Alpe d'Huez (13,8 km bei 8,1%) hinauf.

"Morgen das sind mehr echte Berge und hoffentlich ist das genug", sagte Vollering im Samstagsziel zum niederländischen Sender NOS, nachdem sie zuvor auf einen Angriff im Etappenfinale verzichtet hatte. "Es war okay, ein langer Tag. Aber der Berg war nicht schwer genug, nicht steil genug." Teamkollegin Niamh Fisher-Black gab zu: "Wir haben auf mehr gehofft, aber es war von Anfang an klar, dass das schwer werden würde an diesem Berg."

Zwar probierten es Évita Muzic (FDJ – Suez), Pauliena Rooijakkers (Fenix – Deceuninck), Gaia Realini und Lucinda Brand (Lidl – Trek) im sieben Kilometer langen Schlussanstieg der 7. Etappe jeweils mit einem Solo-Vorstoß, sie alle aber kamen nicht weg von der Favoritengruppe, die bis zum Schlusskilometer noch rund 20 Frauen umfasste und dann erst im Schlussspurt etwas auseinanderfiel.

So ist auch die Gesamtwertung weiterhin sehr eng. Nur 87 Sekunden trennen Niewiadoma in Gelb von Etappensiegerin Justine Ghekiere (AG Insurance – Soudal) auf Rang zehn. Titelverteidigerin Vollering ist Achte, die italienische Kletterspezialistin Gaia Realini (Lidl – Trek / + 1:49) liegt zwei Sekunden hinter Liane Lippert (Movistar) auf Platz zwölf.

"Es wird so viel nur von uns beiden gesprochen"

"Es wird so viel nur von uns beiden gesprochen, aber es sind so viele talentierte Fahrerinnen im Peloton. Auch Muzic und Realini haben heute versucht anzugreifen", sagte Niewiadoma. Wegfahren lassen dürfen die Favoritinnen am Sonntag sehr viele Fahrerinnen nicht.

Puck Pieterse (Fenix – Deceuninck), Cédrine Kerbaol (Ceratizit – WNT), Juliette Labous (dsm-firmenich – PostNL), Thalita De Jong (Lotto – Dstny), Shirin van Anrooij (Lidl – Trek), Rooijakkers, Vollering, Muzic, Ghekiere, Lippert, Realini, Brand – alle liegen sie nur maximal zwei Minuten hinter dem Maillot Jaune. Von weiter hinten drängen auch Mareille Meijering (Movistar), Erica Magnaldi (UAE Team ADQ) und Sarah Gigante (AG Insurance – Soudal) noch in Richtung Top 10.

Klein und leicht: Realini ist an langen und steilen Bergen stark

Doch ganz besonders im Fokus stehen eben Niewiadoma und Titelverteidigerin Vollering. Sie sind die großen Top-Favoritinnen auf den Tour-Sieg – bergauf waren sie bei dieser Tour bislang die Stärksten. Pieterse hielt in den Ardennen und im Jura mit, in Le Grand-Bornand aber war zunächst bei einer Tempoverschärfung Realini und im Ziel schließlich Muzic am nächsten dran.

Psychospielchen vor dem großen Finale

Und dass es sich eben doch vor allem um das polnisch-niederländische Duell dreht, wurde nach dem Rennen dann auch in den Interviews deutlich. Vor dem großen Finale begannen in den Alpen die verbalen Psychospielchen.

"Ich habe versucht alle im Blick zu behalten, denn ich hatte das Gefühl, dass Demi sowieso die meiste Zeit nur mir gefolgt ist", sagte Niewiadoma im Ziel. "Ich habe versucht vorne im Feld zu bleiben, wo ich immer noch etwas Windschatten bekommen konnte, aber auch in der Lage war schnell zu reagieren. Aber wenn sie nur an meinem Rad fahren wollte, c'est la vie."

Verstehen sich eigentlich gut: Vollering (links) und Niewiadoma vor der 6. Etappe. | Foto: Cor Vos

Vollering wiederum bestätigte die von ihrer Gegnerin vermutete Herangehensweise und sagte, sie habe Niewiadoma damit unter Druck setzen wollen. "Wenn Du an diesem Berg an der Spitze fährst, machst Du viel Arbeit für die Anderen. Das habe ich heute versucht, nicht zu tun. Ich wollte, dass Kasia es tut und sie etwas nervös machen. Das ist mir gelungen, denke ich", grinste Vollering in die NOS-Kamera. "Sie hat sich immer wieder umgedreht und hatte wohl Angst, dass ich angreife. Das war ein gutes Gefühl – und natürlich hat sich der Sprint auch gut angefühlt."

Beide betonen vehement ihre Stärke

Im Endspurt zum Zielstrich zog Vollering an Niewiadoma vorbei und brachte auch zwei, drei Meter Luft zwischen sich und die Frau in Gelb. Vier Sekunden Zeitgutschrift machte sie dadurch gut. Doch Niewiadoma ließ das kalt. "Vier Sekunden sind nichts. Morgen in L'Alpe d'Huez wird die wahre Schlacht beginnen", sagte sie.

Schwäche jedenfalls zeigte in Le Grand-Bornand keine der beiden großen Favoritinnen und beide betonten anschließend auch, dass sie sich gut gefühlt hätten. Vollering betonte, dass es ihrem Körper zwei Tage nach dem Sturz in Amnéville wieder gut gehe und Niewiadoma legte Wert darauf, zu erwähnen, dass sich ihr Ausdauer-Training und die Arbeit an ihrer Widerstandsfähigkeit gelohnt habe. Die eine signalisiert, dass man sich keine Hoffnung auf etwaige Schwächen durch Verletzungen machen sollte, die andere, dass sie an langen Anstiegen im Vergleich zum Vorjahr deutlich besser geworden sei. Ob gut genug für Vollering, das wird man am Sonntag sehen.

Auf der 7. Etappe belauerten sich Vollering (rechts) und Niewiadoma (Mitte) mehr, als dass sie sich attackierten. | Foto: Cor Vos

Ein taktischer Vorteil für Vollering deutete sich am Samstag an: Während Niewiadoma in der 20-köpfigen Favoritinnengruppe allein war und Neve Bradbury relativ früh abreißen ließ, hatte Vollering bis zum Schluss Fisher-Black an ihrer Seite. Und die Neuseeländerin erklärte radsport-news.com dann im Ziel, dass man das am Sonntag nutzen wolle:

Wird schon am Col du Glandon attackiert?

"Ich denke es gibt schon am Glandon ein Feuerwerk, wenn man sieht, wie steil es dort ist. Wir haben ein starkes Team und am Berg hat man heute gesehen, dass Canyon isoliert war am Schlussanstieg. Deshalb denke ich, dass einige Teams und auch wir keine Angst haben werden, es früh zu eröffnen", sagte sie und auch Muzic erwartet eine harte Selektion am vorletzten Berg dieser Tour. "Ich denke, dass da oben nur noch reine Bergfahrerinnen noch dabei sind und die Gruppe sehr klein wird", so die Französin.

Der Glandon ist auf den letzten zwei Kilometern im Schnitt elf Prozent steil. Dort könnte die Favoritinnengruppe völlig explodieren bevor es in die lange Abfahrt geht, die am Anfang viel geradeaus führt und sehr schnell ist, dann durch eine rund 1,5 Kilometer lange Gegenrampe unterbrochen wird und anschließend kurviger und technisch anspruchsvoller durch den Wald führt. Bergab gilt Niewiadoma als die klar Bessere, doch eine Anspielung darauf wischte sie in der Mixed Zone am Samstagnachmittag zur Seite. "In der Abfahrt ist diese sehr steile, kleine Gegensteigung, auf die ich mich ganz sicher nicht freue", grinste sie.

Das Profil der Schlussetappe bei der Tour de France Femmes. | Grafik: A.S.O.

An die Glandon-Abfahrt schließen sich dann noch zehn flache Kilometer an bevor in Bourg d'Oisans der Schlussanstieg beginnt – auch das könnte taktisch aufgrund der engen Abstände in der Gesamtwertung unter den Top 10 sehr interessant werden. Und dann folgt die brutale Schlacht durch 21 Kehren über 13,8 Kilometer hinauf zur wohl berühmtesten Bergankunft der Tour-Geschichte.

Es ist angerichtet. Epischer könnte der finale Kampf um Gelb bei der 3. Tour de France Femmes kaum sein. Die A.S.O. und alle Fans bekommen endlich den großen Krimi ums Maillot Jaune, den die Tour der Männer nicht bieten konnte.

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