Nach Horrorsturz von Rio geht der Blick nach Katar

Van Vleuten: Aus dem Livigno-Urlaub zum Traum-Comeback

Von Felix Mattis aus Nieuwpoort

Foto zu dem Text "Van Vleuten: Aus dem Livigno-Urlaub zum Traum-Comeback"
Annemiek Van Vleuten (Orica-BikeExchange) wird in Katar zu den Top-Favoritinnen im WM-Einzelzeitfahren gehören, wenn der niederländische Verband ihr einen der bislang nur zwei Startplätze gibt. | Foto: Cor Vos

07.09.2016  |  (rsn) - Bis um 17:22 Uhr war es eng - sehr eng. Der 4,4 Kilometer lange Prolog der Lotto Belgium Tour in Nieuwpoort wurde nicht nur zum Kampf um Sekunden, sondern sogar um Hundertstelsekunden. Um deren drei nämlich hatte Lisa Brennauer (Canyon-SRAM) vor wenigen Minuten die Bestzeit von Lucinda Brand (Rabo-Liv) unterboten, nur um selbst kurz darauf auf dem Boden liegend hören zu müssen, dass deren Teamkollegin Thalita De Jong nochmal weniger als eine Sekunde schneller war und sie an der Spitze des Klassements abgelöst hat.

Doch um 17:22 und 24 Sekunden wurden aus sieben Sekunden zwischen den Top 9 plötzlich sieben Sekunden zwischen Platz eins und zwei. Annemiek Van Vleuten (Nationalteam Niederlande) hatte zugeschlagen und ihrem Blitz-Comeback die Krone aufgesetzt: Die 33-Jährige gewann nur 30 Tage nach ihrem schrecklichen Sturz in der letzten Abfahrt des Olympischen Straßenrennens von Rio gleich ihr erstes Rennen.

"Ich habe eigentlich nichts erwartet. Normalerweise fühle ich vor einem Prolog immer etwas Druck, weil ich Prologe mag. Aber heute wollte ich einfach schauen, wie es geht. Es überrascht mich wirklich", sagte die Niederländerin nach der Siegerehrung. Sie habe sich nicht speziell vorbereitet und seit dem 7. August, dem Tag des Straßenrennens von Rio, nicht mehr hart trainiert.

Während Van Vleuten einen Prolog-Kurs sonst vorher intensiv inspiziert, so rollte sie diesmal nur einmal schnell drüber, kurz bevor das Rennen begann. "Ich war so abgelenkt durch all die Journalisten und anderen Leute, die mit mir sprechen wollten, dass ich plötzlich dachte: Oh, ich muss noch die Strecke abfahren", erzählte sie.

Einige niederländische Reporter, etwa NOS und das Algemeen Dagblad waren extra nach Nieuwpoort gekommen, um beim Comeback der tragischen Rio-Heldin ihres Landes dabei zu sein, nachdem die in den vergangenen Wochen aus ihrer Heimat geflüchtet war: zwei Wochen Urlaub mit ihrer Mutter in den italienischen Bergen, als die physisch und psychisch harten ersten Tage nach Rio überstanden waren.

"Ich durfte nichts machen, sollte mich nur ausruhen und hatte auch kein Ziel, weil der Arzt sagte, die WM in Katar sei unrealistisch", so Van Vleuten im Rückblick. "Deshalb dachte ich die ganze Zeit an Rio, die Niederlage auf dem Weg zu Gold und den Sturz. Das war sehr hart. Als ich begann mich besser zu fühlen, sind wir nach Italien gefahren, um alles in Holland zurückzulassen. Ich habe nur zu meiner Mutter gesagt: Wir fahren in Urlaub und ich nehme mein Rad mit." Lockere Ausfahrten mit vielen Kaffeestopps habe sie dort gemacht, aber sich auch viel ausgeruht, beim Wandern - und Instagram entlarvt: Immerhin hat sie sich im Urlaub auch auf den Mortirolo gequält.

In Livigno richtete Van Vleuten ihren Blick schließlich wieder nach vorne und nahm ein neues Ziel ins Visier: den Zeitfahr-WM-Titel im Oktober in Katar. "Ich habe schon vor heute das Gefühl gehabt, dass es realistisch wäre, dort in einer guten Form zu sein", so Van Vleuten nun in Nieuwpoort.

Nach dem Sieg ist sie sich nun sicher und sagt mit Blick auf ihre enorme Leistungssteigerung beim Klettern in den Anstiegen von Rio: "Rio hat mir im Nachhinein vor allem eines gezeigt: Wenn ich mich auf etwas konzentriere, dann kann ich etwas Besonderes schaffen." Diese Erkenntnis werde auch die Zielsetzungen für die kommenden Jahre beeinflussen. Nicht unmöglich, dass Van Vleuten sich in Zukunft auch beim Giro nicht nur um den Prolog sondern ums Gesamtklassement Gedanken macht.

Auf den Prolog der Lotto Belgium Tour aber hatte sie sich eben nicht konzentriert, und deshalb war sie von sich selbst überrascht. "Ich habe immer noch einen etwas steifen Rücken und konnte keine Intensitäten trainieren. Dass der Abstand so groß ist, konnte ich erst nicht glauben", erklärte Van Vleuten. "Ich dachte ich fahre in die Top Ten und habe gehofft vielleicht in die Top 5 - aber das...?"

Als die 33-Jährige durchs Ziel fuhr, nahm sie die Durchsage des Streckensprechers, der sie als Siegerin feierte, offenbar nicht wahr. Sie rollte anschließend über den Parkplatz und fragte radsport-news.com: "Wer ist Schnellste?" Die Antwort sorgte dann für die erste Jubelfaust auf dem Weg zum Materialwagen der Nationalmannschaft.

"Ich konnte es nicht glauben, als ich die Zeit hörte - dachte das ist nicht meine Zeit und jemand anderes war schneller", schilderte Van Vleuten die ersten Momente nach der Zieldurchfahrt später. Ihren Unglaube teilten auch die Kontrahentinnen.

"Ich wusste, dass Annemiek im Prolog stark ist und habe deshalb überlegt, ob sie mich noch schlägt. Sie war wieder schneller, und nicht nur um eine oder zwei Sekunden, sondern um sechs - eine wirklich starke Leistung", sagte Cross-Weltmeisterin De Jong, die bereits beim Giro Rosa im Juli Prolog-Zweite gewesen war. "Es ist unglaublich. Ich weiß nicht, wie sie das macht - speziell nach dem Sturz. Aber sie ist sehr stark und konzentriert sich schon das ganze Jahr aufs Zeitfahren."

Und auch Brennauer zog den Hut. "Es ist wirklich beeindruckend, wie sie zurückgekommen ist. Natürlich ist sie sehr, sehr motiviert, aber sie hatte eben auch einen schweren Sturz. Ich kann nur gratulieren zu so einer starken Fahrt", sagte die Allgäuerin und wird hoffen, dass sie das im Oktober in Katar nicht erneut tun muss.

Video-Zusammenfassung des Prologs mit allen Stimmen (Englisch):

Mehr Informationen zu diesem Thema

27.08.2025Gery nimmt mit drittem Etappensieg Riedmann Grün ab

(rsn) – Célia Gery hat in Val-Suran ihren dritten Etappensieg bei der Tour de l´Avenir Femmes (2.2U) gefeiert und damit auch der Deutschen Linda Riedmann das Grüne Trikot abgenommen. Gery setzte

27.08.2025Ferrand-Prévot will nun doch zur WM nach Ruanda reisen

(rsn) – Pauline Ferrand-Prévot (Visma – Lease a Bike) wird entgegen ihres bisherigen Plans nun doch an den Straßen-Weltmeisterschaften in Ruandas Hauptstadt Kigali an den Start gehen. Das teilte

27.08.2025Ceratizit Pro Cycling wird zum Jahresende aufgelöst

(rsn) – Bittere Neuigkeiten für den deutschen Frauen-Radsport: Das Women´s WorldTeam Ceratizit Pro Cycling wird im Jahr 2026 nicht mehr zum Profi-Peloton gehören. Wie der deutsche Rennstall am Di

27.08.2025USA ohne McNulty, Jorgenson, Powless und Faulkner zur WM nach Ruanda

(rsn) – Die USA haben ihre Aufgebote für die Straßen-Weltmeisterschaften vom 21. bis 28. September in Ruandas Hauptstadt Kigali bekanntgegeben. Dabei fällt auf: Einige der für den schweren Parco

23.08.2025Seixas schlägt Finn beim L´Avenir-Auftakt knapp, Schrettl Dritter

(rsn) – Die Kanadierin Isabella Holmgren und der Franzose Paul Seixas sind die Sieger des drei Kilometer langen Prolog-Bergzeitfahrens bei der 3. Tour de l´Avenir Femmes sowie der 61. Tour de l´Av

21.08.2025Jastrab sammelt Geld für WM-Starts des US-Nachwuchses

(rsn) – Die Beschickung der Straßen-Weltmeisterschaften vom 21. bis 28. September in der ruandischen Hauptstadt Kigali ist für alle Nationalverbände eine finanziell größere Herausforderung, als

17.08.2025Sekundenkrimi in der Romandie! Chabbey ringt Zigart nieder

(rsn) – Kata Blanka Vas (SD Worx – Protime) hat in Aigle die Schlussetappe der Tour de Romandie Féminin (2.WWT) gewonnen. Die Ungarin setzte sich im Sprint eines Trios nach 122,1 Kilometern und e

16.08.2025Gigante bricht sich Bein im Training

(rsn) - Sarah Gigante (AG Insurance - Soudal) hat sich bei einem Trainingssturz den Oberschenkelknochen gebrochen. Bei Instagram meldete sich die Australierin nach überstandener Operation aus dem Kr

15.08.2025Kool wechselt mit sofortiger Wirkung zu Fenix - Deceuninck

(rsn) – Charlotte Kool verlässt mit sofortiger Wirkung das Team Picnic – PostNL und schließt sich Fenix – Deceuninck an. Das bestätigten beide Rennställe am Freitag. Kool unterschrieb demnac

15.08.2025Blasi feiert überlegenen Sieg im Romandie-Bergzeitfahren

(rsn) – Paula Blasi ist im Auftakt-Bergzeitfahren der Tour de Romandie Féminin (2.WWT) in Villars-sur-Ollon mit deutlichem Vorsprung die Bestzeit gefahren und hat sich das Gelbe Trikot bei der drei

14.08.2025Machtdemonstration macht Consonni zur Siegerin der Polen-Rundfahrt

(rsn) – Dritter und letzter Tag bei der Tour de Pologne Women (2.1) und wiederum kam es bei der finalen Entscheidung zu einem Sprintfinale einer größeren Gruppe. Dabei hatte wie schon bei der Auf

13.08.2025Banks fordert Modernisierung der Anti-Doping-Regularien

(rsn) – Die Britin Elizabeth ´Lizzy´ Banks hat in einem rund 13.000 Wörter umfassenden Blogpost auf ihrer Website die Geschichte ihres vergeblichen Kampfes gegen eine zweijährige Dopingsperre au

Weitere Radsportnachrichten

27.08.2025Teamzeitfahr-Analyse: Drehender Wind sorgte für klare Unterschiede

(rsn) – Das Mannschaftszeitfahren von Figueres auf der 5. Etappe der Vuelta a Espana (2.UWT) ist mit dem erwarteten Duell zwischen den Teams UAE – Emirates – XRG und Visma – Lease a Bike zu En

27.08.2025Gaudu: “Nicht leicht, an meinen Teamkollegen dran zu bleiben“

(rsn) – UAE – Emirates – XRG hat das 24,1 Kilometer lange Mannschaftszeitfahren der 5. Vuelta-Etappe in Figueres gewonnen. Das Team um Joao Almeida und Juan Ayuso war acht Sekunden schneller als

27.08.2025Red Bull nach Platz 4 zwischen Sorgen und Stolz: “Einfach nur schade“

(rsn) – Wie schnell sich das Blatt wenden kann, hat Red Bull – Bora – hansgrohe auf der 5. Etappe der Vuelta a España (2.UWT) hautnah miterlebt. Nachdem die deutsche Equipe im Mannschaftszeitfa

27.08.2025Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir über die wic

27.08.2025Auf geht´s in die Pyrenäen: Bergankunft in Andorra

(rsn) - Viele Fahrer aus dem Feld werden große Teile der 6. Etappe der Vuelta a España aus ihrem Training kennen. Der Zwergstaat Andorra ist nicht nur Wohnort vieler WorldTour-Profis, sondern auch e

27.08.2025Visma verliert das Teamzeitfahren zu siebt nur im Mittelteil

(rsn) - Der vermutlich minutiös ausgearbeitete Plan von Visma – Lease a Bike für das Teamzeitfahren der Vuelta a Espana 2025 bedurfte in den letzten beiden Tagen schwerwiegender Anpassungen. Nach

27.08.2025UAE rauscht zum Sieg im Teamzeitfahren der Vuelta

(rsn) – Das Team UAE – Emirates – XRG hat in Figueres das 24,1 Kilometer lange Mannschaftszeitfahren auf der 5. Etappe der Vuelta a Espana (2.UWT) gewonnen. Der Rennstall aus den Vereinigten Ara

27.08.2025Demonstranten stoppen Israel - Premier Tech im Teamzeitfahren

(rsn) – Das Team Israel – Premier Tech ist im Mannschaftszeitfahren auf der 5. Etappe der Vuelta a Espana (2.UWT) von Demonstranten aufgehalten worden. Bereits wenige Minuten nach dem Start der Ma

27.08.2025Highlight-Video der 5. Etappe der Vuelta a Espana

(rsn) - Das Team UAE - Emirates - XRG hat das Mannschaftszeitfahren auf der 5. Etappe der Vuelta a Espana gewonnen. Die Truppe um Joao Almeida und Juan Ayuso sowie den Österreicher Felix Großschartn

27.08.2025Abrahamsen setzt seinen Traum-Sommer in Geraardsbergen fort

(rsn) – Jonas Abrahamsen (Uno-X Mobility) hat in Geraardsbergen den Muur Classic (1.1) gewonnen. Der Norweger setzte sich nach 177,8 Kilometern rund um die berühmt-berüchtigte "Kapelmuur" als Soli

27.08.2025Spanische Partei fordert im Kongress Israels Vuelta-Ausschluss

(rsn) – Die spanische Partei Izquierda Unida (Vereinigte Linke) hat in einer Pressemitteilung die spanische Regierung dazu aufgefordert, den Ausschluss des Teams Israel – Premier Tech von der Vuel

27.08.2025Alpecin verliert Vermeersch und Hermans an Red Bull und Q36.5

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • La Vuelta Ciclista a Espana (2.UWT, ESP)
  • Radrennen Männer

  • Tour Poitou - Charentes (2.1, FRA)