Von einer Spontan-Idee zum globalen Radsport-Event

Die Tour de San Luis in Argentinen beschreitet neue Wege

Von Tom Mustroph aus San Luis

Foto zu dem Text "Die Tour de San Luis in Argentinen beschreitet neue Wege"
Das Peloton der Tour de San Luis| Foto: hotelquintana.com

19.01.2016  |  (rsn) - Die Sonne brennt, der Asphalt flimmert, und der Mann, der aus seinem Handkarren eisgekühlte Getränke verkauft, findet reißenden Absatz. Bei der Tour de San Luis macht sich nicht nur des Sommerwetters wegen große Rundfahrtstimmung breit. Mitglieder lokaler Radvereine sind zum großen Kreisverkehr vor der Gemeinde El Durazno gekommen, um die Stars des Weltradsports von Nahem zu sehen.

Näher als sie kommt niemand ran; keine Absperrungen halten sie auf. Das Publikum wird nicht in VIP- und Weniger-Vip-Kategorien getrennt. Sogar aus Kolumbien sind ein paar Fans gekommen. Denn im Wettkampf können sie dort ihre Idole nicht mehr sehen. "Wer gut ist, geht sofort noch Europa, deshalb sind die Rennen in Kolumbien auch nicht von sonderlich guter Qualität", erzählt ein Radsportjournalist aus Bogota.

Die Tour de San Luis in Argentinien hat sich in den letzten Jahren zu einem Schaufenster des Weltradsports herausgeputzt. "Entstanden ist sie nach einer Idee des damaligen und aktuellen Gouverneurs, Alberto José Rodriguez Saá. Er war in Paris just zum letzten Tag einer Tour de France und war so fasziniert, dass er etwas ähnliches auch in seiner Heimat installieren wollte. Als Hommage an die Tour heißt sie auch Tour de San Luis und eben nicht auf gut spanisch Vuelta", erzählt Giovanni Lombardi, Koordinator für europäischen Teilnehmerteams der Rundfahrt.

Lombardi, Ex-Profi unter anderem bei Team Telekom und Agent von Weltmeister Peter Sagan, nahm 2006 an einem lokalen Rennen teil. "Es herrscht eine gute Atmosphäre hier. Die Autofahrer haben enorm viel Respekt vor Fahrradfahrern und überholen großräumig. Viele Einwohner aus Buenos Aires, denen es in ihrer Stadt zu gefährlich ist, kommen in den Sommermonaten Dezember und Januar hierher mit ihren Rädern", blickt er zurück.

Die Wertschätzung des Radsports ist noch gestiegen, seitdem Lokalmatador Alfredo "El Flaco" Lucero 2009 das Rennen unter anderem vor Ivan Basso gewann und im Jahr darauf erstmals ein Team mit Fahrern aus der Provinz teilnahm. "Für das nächste Jahr hat der Gouverneur auch angeregt, dass am Frauenrennen erstmals eine Sportlerin aus San Luis teilnimmt", erzählt die Sportstadträtin von San Luis, Claudia Amura.

Um eine größere Breite an Talenten zu fördern, werden an die Kinder Räder verteilt. Die Radinitiative spiegelt das ambitionierte Programm der Provinz wider, jedem Kind einen Computer zur Verfügung zu stellen. "San Luis ist Digital City. Wir haben freies Wlan in der Stadt und in weiten Teilen der Provinz. Wir wollen unseren Einwohnern gute Chancen offerieren", meint Amura. Und wer derzeit aus Buenos Aires die 900 Kilometer nach Westen kommt, ist auch angenehm überrascht darüber, sich auf den Straßen dieser kultivierten Digital City niemals bedroht zu fühlen.

Die Rundfahrt fügt sich bestens in ein größeres Entwicklungsprogramm ein. Es zielt auf international orientierte Exzellenz und lokale Förderung zugleich. Die Zahl an Weltklasseprofis, die in San Luis an den Start gehen, ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Die Rundfahrtsieger Vincenzo Nibali und Nairo Quintana waren mehrfach Gäste. Im letzten Jahr war Weltmeister Michal Kwiatkowski dabei, in diesem Jahr zeigt Peter Sagan das Regenbogentrikot.

Trotz zunehmender internationaler Prominenz bleibt aber immer genug Platz für lokale Fahrer und Fahrer aus anderen Nationen Lateinamerikas. Sieben lateinamerikanische Länderteams, dazu drei weitere argentinische Continental-Rennställe sowie je einer aus Kolumbien und der Dominikanischen Republik sind am Start.

"Wir wollen lateinamerikanischen Fahrern die Möglichkeit geben, sich im Rennen mit den Weltstars aus Europa zu messen und so von ihnen zu lernen, dass sie selbst eines Tages in Europa fahren können", steckt Lombardi das Ziel ab. Deswegen ist sein Interesse, World Tour-Status zu erreichen, auch gar nicht so groß. "Dann könnten die Nationalmannschaften nicht mehr antreten. Und das wollen wir nicht", meint er.

Ausdrücklich begrüßt er aber die neue UCI-Regelung, dass Continental-Teams bis zu zwei Profis aus den verbundenen Pro Tour-Rennställen für einzelne Rennen nominierne können. "Das ist genau der richtige Weg, wenn das Continental-Team von Tinkoff etwa Peter Sagan einsetzen könnte", meint er.

Von der Tour de San Luis gehen mittlerweile Impulse für den Weltradsport aus. Aus einer Idee eines Paris-Touristen mit Regierungsmacht entstanden, hat sie Modellcharakter erhalten. "'Rodriguez Saá hat gesagt: "Die Tour de France wird uns immer 100 Jahre voraus sein. Aber irgendwann sind auch wir 100 Jahre alt.'", zitiert Lombardi den Initiator gegenüber radsport-news.com. So begründet man Traditionen.

Dass die Organisatoren immer offen für Neues sind, belegt auch das Mannschaftszeitfahren zum Auftakt. Um Chancengleichheit auch für die finanziell schlechter aufgestellten Teams herzustellen, wird es auf normalen Straßenrädern ausgetragen. "Alle haben die gleichen Bedingungen. So soll Radsport sein", lobte etwa Lampre-Teamchef Orlando Maini den Ansatz. Beim Zeitfahren setzte sich am Dienstag übrigens Etixx-Quick Step vor Movistar und Astana durch.

Und ein weiteres reizvolles Retro-Element dieser Rundfahrt ist, dass alle Teams im gleichen Hotel absteigen. "Bei welchen Rennen hat man das sonst, dass man täglich Quintana neben Nibali am Büffet stehen sehen kann?", begeistert sich Lombardi geradezu an der Atmosphäre bei "seinem" Rennen.

Weiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößern

Mehr Informationen zu diesem Thema

24.02.2016"Den deutschen Radsport aus dem Dornröschenschlaf wecken"

(rsn) - Am Donnerstag präsentiert das Team Stölting Service Group im Düsseldorfer Kesselhaus sein Aufgebot für die Saison 2016. Wie es der neuformierte deutsche Zweitligist (s. Team-Vorstellung) i

23.02.2016Das russische Sportsystem ist absurd

(rsn) - Russland gibt 20 Millionen Euro allein für das Profi-Team Katusha aus – und muss wegen finanzieller Probleme alle seine Rennen aus dem internationalen Kalender nehmen. Das zeigt vor allem e

15.02.2016Ciolek: "Das ganze Jahr über gut und konkurrenzfähig sein"

(rsn) - Drei Jahre nach seinem Sieg bei Mailand-Sanremo fängt Gerald Ciolek beim deutschen Zweitligisten Team Stölting Service Gruop fast noch mal von vorne an. Mit radsport-news.com sprach der 29-j

23.01.2016Jorge Bravo: Der Über-Jensie aus Uruguay

(rsn) - An die Kategorie Ü40 hat man sich bei großen Rundfahrten inzwischen gewöhnt. Bei der Tour San Luis fordert aber ein Mann die Herren Nibali, Quintana, Majka und Sagan heraus, der stramm auf

21.01.2016"El Flaco" schlug Basso auf einem Secondhand-Alu-Rahmen

(rsn) - Bei der Tour de San Luis ist vieles möglich, sogar, dass ein Amateur auf einem gebraucht erworbenen Rad mit Alu-Rahmen und Karbonrädern ausgerüstete Profis besiegt.Alfredo "El Flaco" Lucero

20.01.2016Robert Förster: "Irgendwann muss man mal den Stecker ziehen"

(rsn) - 43 Siege, darunter Etappenerfolge beim Giro und der Vuelta, sowie unzählige Podiumsplätze gelangen Robert Förster in seiner Profikarriere. In die Herzen der Radsport-News-Leser schrieb er s

20.01.2016Retro-avantgardistische Momente bei der Tour de San Luis

(rsn) - Die Tour de San Luis mutet in manchen Aspekten wie eine Zeitreise in frühere Radsportepochen an. So sind alle Mannschaften im gleichen Hotel untergebracht - ein Umstand, den zu alten Friedens

Weitere Radsportnachrichten

31.03.2025Jakobsen muss unters Messer und steht vor langer Zwangspause

(rsn) – Spätestens nach der Saison 2022 schien der Horror-Sturz von Fabio Jakobsen (Picnic - PoostNL) aus der Polen-Rundfahrt aus dem Jahr 2020 endgültig vergessen, der heute 28-Jährige fuhr mit

31.03.2025Tudor, TotalEnergies und Uno-X bekommen die Tour-Wildcards 2025

(rsn) – Kaum hat die UCI die Bestätigung einer möglichen dritten Wildcard für die Grand Tours im Jahr 2025 bekanntgegeben, ist auch die ASO als Veranstalterin der Tour de France nun bereits vorge

31.03.2025Wiebes‘ unglaubliche Statistiken: Die Zahlen hinter der “100“

(rsn) – Ihren ersten UCI-Sieg feierte Lorena Wiebes im Jahr 2018. Das war damals im Mai beim Dorpenomloop in Aalburg, einem Rennen, das heute nicht mehr ausgetragen wird. Damals war sie 19 Jahre alt

31.03.2025UCI bestätigt Erweiterung der Grand-Tour-Pelotons auf 23 Teams

(rsn) – Nachdem sich das Professional Cycling Council (PCC) bereits für ein zusätzliches 23. Team bei den Grand Tours ausgesprochen hatte, hat nun auch das UCI Management Komitee die Entscheidung

31.03.2025Kool schafft bei Gent-Wevelgem den Befreiungsschlag

(rsn) – Auch wenn die Weltklasse-Sprinterin Charlotte Kool (Picnic – PostNL) beim überlegenen Sieg von Lorena Wiebes (SD Worx – Protime) bei Gent-Wevelgem (1.UWT) chancenlos aussah, war die 25-

31.03.2025Keßler holt dritten Platz auf Schlussetappe der Olympia´s Tour

(rsn) - Für die Teams Lotto – Kern Haus – PSD Bank und Rembe – rad-net ist mit unterschiedlichen Gefühlen eine insgesamt erfolgreiche Olympia´s Tour zu Ende gegangen und Run & Race - Wibatech

31.03.2025Kooij erleidet Schlüsselbeinbruch bei Gent-Wevelgem

(rsn) – Olav Kooij (Visma – Lease a Bike) hat sich bei seinem Sturz 72 Kilometer vor dem Ziel bei Gent-Wevelgem (1.UWT) das Schlüsselbein gebrochen. Das bestätigte das niederländische Team vi

31.03.2025Haller fehlte ein halbes PS bei Pedersens Attacke

(rsn) – Durch die immer früheren Attacken der Favoriten bei den belgischen Frühjahresklassikern hat sich die Taktik, über die frühe Ausreißergruppe vor das Rennen zu kommen, in den letzten Jah

31.03.2025Dwars door Vlaanderen im Rückblick: Die letzten zehn Jahre

(rsn) – Dwars door Vlaanderen (1.UWT) ist eines der kürzesten flämischen Eintagesrennen des Frühjahrs. Im vergangenen Jahr etwa betrug die Distanz "nur" 183,7 Kilometer. Für die Fahrer ist das

30.03.2025Pedersen: “Erwartet das nicht immer von mir“

(rsn) – Es war schon eine sehr eindrucksvolle Show, die Mads Pedersen (Lidl – Trek) mit seiner 56 Kilometer langen Soloflucht beim 87. Gent-Wevelgem in Flanders Fields bot. Als wäre nichts weiter

30.03.2025Degenkolb: “Als Mads losfuhr, hatte keiner die Beine“

(rsn) – John Degenkolb (Picnic – PostNL) hat beim 87. Gent-Wevelgem (1.UWT) eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass er trotz seiner 36 Jahrebei harten, langen Eintagesrennen immer noch mit der

30.03.2025Clever und stark: Roglic nach Katalonien bereit für den Giro

(rsn) - Primoz Roglic (Red Bull - Bora - hansgrohe) hat mit seinem Gesamtsieg bei der Katalonien-Rundfahrt eindrucksvoll bewiesen, dass er in bestechender Form ist. Der 35-jährige Slowene zeigte nic

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine