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01.07.2010 | (rsn, tt) - Über sieben Brücken musst Du geh'n, trällerte Deutschlands Radl-Rocker Nummer eins vor vielen Jahren. Die 198 Pedaleure der diesjährigen Tour mussten nur über eine, und sie durften zudem fahren. Aber es war eine sehr große Brücke, über 800 Meter lang, und eine sehr schöne: die Erasmus-Brücke am Hafen von Rotterdam. Und als die Fahrer, ein Team nach dem anderen, gemütlich über die Brücke rollten, konnte man im Hintergrund, auf der anderen Fahrspur, immer wieder Schaulustige sehen, die den Tross begleiteten. Oder auch ganz normale Holländer, die da eher zufällig über die Erasmus-Brücke gingen, liefen oder fuhren.
Aber ist das alles Zufall, dachte sich der kleine Tiger, als er die Prozessionen der Tour-Helden sah. Warum fährt neben Christophe Moreau eine Trambahn, und neben Carlos Sastre ein Pizza-Mopped? Das hat doch was zu bedeuten... Eine kleine Netz-Recherche brachte es schnell zutage: Es muss sich um das Erasmus-Brücken-Orakel handeln. Immerhin ist die Hafen-Brücke ja nach dem größten Sohn der Stadt benannt: Erasmus von Rotterdam. Der war im finsteren Mittelalter nicht nur ein begnadeter Religions-Philosoph, sondern auch Spiritualist.
Erasmus hätte dem kleinen Tiger sicher erklären können, was das alles bedeutet, und was da los war, auf seiner Brücke. Zunächst mal relativ wenig. Denn trotz Pause bei der Fußball-WM hatten sich anfangs nur wenige Zuschauer zu der aufwendigen Team-Präsentation am größten europäischen Hafen eingefunden.
Auch die lustigen goldenen Fuß-Trikots von Footon-Servetto konnten zwar etwas mehr Glanz, aber nur wenig Gloria auf die Brücke bringen. Das junge Team des netten Ex-Doping-Verdächtigen Mauro Gianetti wird mächtig strampeln müssen, um sich von seiner Saunier-Duval-Vergangenheit zu emanzipieren. Zwei die Truppe begleitende männliche Gelegenheits-Radler auf Damen-Rädern lassen kaum eine andere Deutung zu.
Deutlich besser wird es wohl Lampre ergehen, trotz ähnlicher Probleme. Das Brücken-Orakel weckte hier Hoffnung, als es Cunego, Petacchi, Hondo & Co. von 70er-Jahre-Vintage-Hobby-Rennfahrern auf schönen Stahlrädern eskortieren ließ. Damals war das D-Wort ja noch ein Insider-Witz...
Ganz anders traf es Christophe Moreau. Im dicken Gang unterwegs, wurde er von einer silbern glänzenden Straßenbahn begleitet: 2. Platz in Sicht? Mehr Geld von der Sparkasse, will sagen Caisse d'Epargne? Die Tram fuhr extra langsam, wohl um ihren Fahrgästen eine gute Sicht auf den Valverde-Ersatz zu ermöglichen, der letztes Jahr eigentlich schon aufhören wollte - wäre nicht die CAS dazwischen gekommen.
Weniger über das Brücken-Orakel freuen dürfte sich Euskaltel-Käpt'n Samuel Sanchez. Erasmus hatte ihm zwar eine rassige Dunkelhaarige als Eskorte zugedacht; allerdings schob die ihr Rad über die Brücke - ein Hinweis auf drohende Defekte? Teo Tigers Tip: Sanchez sollte seinen Mechanikern heute abend noch mal einen ausgeben.
So langsam wurden die Straßen rund um die Erasmus-Brücke voller – und das Orakel immer rätselhafter. Was es Cervélo-Chef Carlos Sastre wohl sagen wollte, als es ihm einen Mopped-Pizza-Boten an die Seite stellte? Weniger essen? Oder eher mehr? Der gerade mal 60 kg leichte Bergfloh muss sich darüber wohl kaum Gedanken machen. Ebenso wenig wie über die Etappen, die heuer Kletter-Spezialisten wie ihm sehr entgegen kommen.
Schwer treffen könnte es dagegen Rückkehrer Ivan Basso. Er wurde zwar von zwei durchaus attraktiven blonden, wild winkenden jungen Damen begleitet, die sicher nach seinem italienischen Geschmack waren. Allerdings waren die beiden zu Fuß unterwegs! Droht dem früheren Fuentes-Kunden schon wieder das Aus?
Kommen wir zu den positiveren Aussichten. Gerald Ciolek und seine Milram-Bubis blendeten die Konkurrenz mit frisch polierten weißen (oder sind es milchfarbene?) Messer-Speichen. Und sie durften sich auf der Orakel-Brücke der Eskorte von sieben veritablen Rennradlern erfreuen, samt und sonders in - wenn auch nicht mehr aktuellen - Team-Trikots gewandet. Auf geht's, Linus! Die Holländer hast Du Dir ja schon gewogen, als Du sie zu Halbfinalisten bei der Fußball-WM gemacht hast.
Dass die Erasmus-Brücke orakeln kann, zeigte sie eindrucksvoll bei BMC. Als die Truppe um Cadel Evans und den zweifach erfolgreichen Tour-de-Suisse-Ausreisser Marcus Burghardt über das beeindruckende Bauwerk gondelte, fuhr unten durch ein gewaltiger Frachter mit dem schönen Namen "Solist". Wie oft es wohl bei der Tour klappen wird, Marcus? Der kleine Tiger ist optimistisch!
Zum ersten Mal echter Applaus brandete an der Strecke auf, als die Oranjes von Rabobank zum Hafen kurbelten. Und als der - wie heuer viele seiner Kollegen - kahl rasierte Robert Gesink die erste Bergwertung aufs Podest in Angriff nahm, ließen sich die Rotterdamer sogar zu heftigem Johlen hinreißen. Der wohlbeleibte weibliche Streckenposten, der ihn hinaufwies, hat sicher nichts zu bedeuten. War ja nicht auf der Brücke.
Dann kam ER. Mit dezent grauen Baseball-Kappen (warum hat eigentlich kein Team mehr diese coolen kleinen Rad-Mützen?) rollten ER und seine Radio-Schackler über die Brücke, ER kurz in der Nase bohrend, und von zwei dynamischen Läufern in knappen Trikots begleitet. Go! Großes Rätsel: Andreas Klöden hatte als einziger im Team keine Kappe auf. Was er seinem Scheff Länzie wohl damit sagen wollte?
Zum Höhepunkt und Schluss der Präsentation lief auch das Orakel noch mal zur Hochform auf. Als Käpt'n Contador mit seiner Astana-Truppe über die Brücke kam, waren plötzlich etliche Damen am Wegesrand. Vino warf begeistert Kußhändchen ins Publikum – um sofort aufzuhören, als ein Lastenfahrrad auftauchte, aus dem ein Kind eifrig winkte. Hat Vino etwa was gegen Kinder? Oder eher gegen Lastenräder? Muss ihn Contador gar auf die Berge schleppen?
Uff. Das war's für heute. Ganz schön lang, so eine Präsentation.
Vielen Dank, dass Sie bis hierher gelesen haben.
Und klicken Sie auch morgen wieder rein, wenn Teo Tiger sich so seine Gedanken macht. Dann garantiert kürzer. Versprochen.
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