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25.09.2022 | (rsn) – Zehn Jahre und damit länger als je zuvor musste Belgien auf einen neuen Weltmeister warten, nachdem Philippe Gilbert sich 2012 in Valkenburg das Regenbogentrikot überstreifen durfte. Am Sonntag erlöste Remco Evenepoel im australischen Wollongong die Radsportnation, wo er sich zum Abschluss der WM mit einem 26 Kilometer langen Solo die Goldmedaille holte.
 2:21 Minuten hinter dem Sieger sicherte sich der Franzose Christophe Laporte nach 266,9 Kilometern im Sprint eines dezimierten Pelotons die Silbermedaille vor dem Australier Michael Matthews, der zum dritten Mal eine WM-Medaille gewann, aber nach wie vor auf die erste goldene wartet. Evenepoels Landsmann Wout Van Aert verpasste als Vierter knapp die Medaillenränge. Matteo Trentin aus Italien wurde Fünfter vor dem Norweger Alexander Kristoff und dem Slowaken Peter Sagan.
Lüttich-Bastogne-Lüttich, die Vuelta a Espana und nun der WM-Titel: Evenepoel ist der erste Fahrer seit Bernard Hinault 1980, der ein Monument, eine GrandTour und den WM-Titel in einer Saison gewann. “Ich habe davon geträumt, und jetzt nach einem Monument und einer Grand Tour der WM-Titel – ich habe alles gewonnen dieses Jahr, was ich gewinnen konnte. Eine bessere Saison werde ich, glaube ich, nicht mehr bekommen", sagte der Belgier, der als zweiter Fahrer nach Greg LeMond Weltmeister bei den Junioren und der Elite werden konnte, im Ziel-Interview. Mit seinen 22 Jahren ist Evenepoel zudem der jüngste Straßen-Weltmeister seit Lance Armstrong 1993.
Evenepoel nahm früh das Zepter in die Hand
Schon 75 Kilometer vor dem Ziel löste sich eine größe Gruppe mit dem späteren Sieger aus dem Feld. 40 Kilometer später setzte Evenepoel sich mit dem Kasachen Alexey Lutsenko ab, den er acht Kilometer später am Mount Pleasant abschüttelte. “Wenn man zu zweit ist, will man so lange wie möglich zusammenarbeiten. Aber ich habe recht schnell gespürt, dass ich stärker war als Alexey. Deshalb wollte ich allein weiterfahren, denn auf einem Rundkurs wie diesem darf man keine Zeit verschwenden", erklärte Evenepoel. “Es ist unglaublich – nur schade, dass das nächste WM-Rennen schon im August ist. Es wird eines der kürzesten Jahre als Weltmeister, aber das ist mir egal. Das wird eine große Party heute. Ich glaube nicht, dass ich mein Bett sehen werde", so der Nachfolger von Julian Alaphilipe, der wie Evenepoel bei Quick-Step Alpha Vinyl unter Vertrag steht.
Evenepoel war der überragende Fahrer im Rennen, doch auch er kam im Finale an seine Grenzen. “Auf der letzten Runde war der Anstieg superhart. Meine Beine sind fast explodiert, aber oben wusste ich, dass es fast geschafft war“, so der Vuelta-Sieger, der aber trotz seiner riesigen Führung nicht locker ließ. “Sie haben mir immer wieder gesagt, dass mein Vorsprung immer größer wurde. Aber es ist die WM, da willst Du keine Sekunde mehr verlieren und nur das Trikot holen", erklärte er.
Bevor er mit Lutsenko seine Duo-Flucht startete, bekam Evenepoel viel Unterstützung von Pieter Serry und Quinten Hermans. "Wie wir heute gefahren sind, das war wirklich wie ein Team. Wir haben vorher gesagt, dass es egal ist wie, Hauptsache wir werden als Team Weltmeister“, betonte er. Mit Van Aert hatten die Belgier zudem noch einen Trumpf in der Hinterhand. “Meine Chance war, früh zu gehen und die von Wout war, zu warten und zu sprinten. Die frühe Attacke hat es heute gemacht. Ich denke wir verdienen es einfach", so Evenepoel.
Den Verfolgern blieb nur der Kampf um Silber und Bronze
Der Sprint der großen Gruppe um die weiteren Medaillen wurde erst möglich, weil Evenepoels Verfolger sich auf der Zielgerade belauerten. Lutsenko, Lorenzo Rota aus Italien, der Däne Mattias Skjelmose und der Schweizer Mauro Schmid unternahmen quasi Stehversuche und wurden so in letzter Sekunde noch vom Peloton gestellt.
Die als Außenseiter gestarteten Deutschen fuhren im gesamten Rennen hinterher. Nach gut 30 Kilometern verpassten sie eine rund 30-köpfige Gruppe mit einigen Favoriten. Das Sextett des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) konnte diese Situation zwar bereinigen, doch auch danach waren die Männer mit dem Bundesadler auf der Brust nie in einer aussichtsreichen Position. Als Kapitän Georg Zimmermann dann noch in einer Abfahrt stürzte, war die Situation endgültig aussichtlos. Nikias Arndt war auf Position 52 (+3:08) der beste deutsche Fahrer, der Kölner landete zwölf Positionen hinter dem Österreicher Sebastian Schönberger (+3:01).
So lief das Rennen:
169 Fahrer standen in Helensburgh am Start. Die übliche frühe Fluchtgruppe mit krassen Außenseitern kam nicht sofort zustande. Mehrere Versuche wurden neutralisiert, bevor sich nach acht Kilometern doch elf Fahrer mit dem Schweizer Simon Pellaud absetzten. Am Mount Keira machten die Franzosen nach rund 30 Kilometern das Rennen schwer, was zur Aufgabe des Niederländers Mathieu van der Poel führte, der den Großteil der Nacht in einer Polizeistation verbracht hatte.
Zeitgleich setzten sich 31 Fahrer ab, unter ihnen sechs Franzosen, der Slowene Tadej Pogacar und Van Aert. Die Deutschen hatten den Zug verpasst und setzten nach der Abfahrt alles daran, die Situation zu bereinigen und den zwischenzeitlich 2:30 Minuten betragenden Rückstand wieder wettzumachen. Das gelang nach gut 80 Kilometern, auch weil die Zusammenarbeit vorn zu wünschen übrig ließ.
Aus diesem ersten Teil des Feldes hatten zuvor allerdings der Italiener Samuele Battistella, die Australier Luke Plapp und Ben O‘Connor, Serry und Pavel Sivakov aus Frankreich angegriffen. Dieses Quintett verstärkte die elfköpfige Gruppe des Tages, deren maximaler Vorsprung von sieben auf 2:30 Minuten geschrumpft war.
Direkt nachdem die deutsche Mannschaft die gefährliche Gruppe um Pogacar gestellt hatte, machte sich Nico Denz mit Andreas Leknessund vergeblich auf die Verfolgung der Spitzenreiter. Im Feld kehrte Ruhe ein und der Vorsprung der nunmehr 16 Ausreißer stieg wieder auf acht Minuten an.
Fünf Runden vor Rennende war der Abstand beider Gruppen nach viel Arbeitseinsatz des spanischen Teams im Hauptfeld erneut auf zwei Minuten geschrumpft, was sowohl bei den Ausreißern als auch im Peloton zu Attacken führte. Sivakov, Serry, der Slowene Jaka Primozic, O’Connor, Pellaud, der Tscheche Michael Kukrle und der Lette Emils Liepins setzten sich von ihren Begleitern ab.
Zimmermanns Sturz zerstörte deutsche Hoffnungen
Hinten lösten sich 75 Kilometer vor dem Ziel am Mount Pleasant nach einer erneuten Tempoverschärfung durch Frankreich rund 20 Fahrer um das belgische Duo Evenepoel und Hermans, die Franzosen Romain Bardet und Florian Senechal sowie Lutsenko, Neilson Powless aus den USA, Jai Hindley aus Australien und Nairo Quintana aus Kolumbien. In der Abfahrt kam es zum schweren Sturz des deutschen Kapitäns Zimmermann im Hauptfeld. Der Augsburger konnte zwar nach einiger Zeit weiterfahren, alle Chancen auf eine Top-Platzierung waren aber dahin.
Im Hauptfeld übernahm einmal mehr Spanien die Verantwortung, doch die Lücke wuchs bis 63 Kilometer vor dem Ziel trotzdem bis auf eine Minute an. Bei der viertletzten Passage des Mount Pleasant gab Hermans in der Evenepoel-Gruppe Vollgas und sorgte so dafür, dass die letzten Verbliebenen aus der Ausreißergruppe eingeholt und durchgereicht wurden. Oben auf der Kuppe lancierte Evenepoel eine erste Attacke und zog die Gruppe weit in die Länge, kam aber zunächst nicht weg. Nach der Abfahrt lag das Hauptfeld bereits 1:40 Minuten zurück, weil sich dort niemand mehr fand, der die Verfolgung übernehmen wollte.
Der Abstand wuchs 53 Kilometer vor Schluss sogar auf zwei Minuten an, weil im Feld völlig die Luft raus zu sein schien. Doch auch an der Spitze herrschte keine Einigkeit, offensichtlich wollte niemand mit Evenepoel zusammenarbeiten. Die Situation beruhigte sich und schließlich übernahmen Pellaud und Serry in der 25-köpfigen Spitzengruppe die Führungsarbeit. Vor das Hauptfeld spannten sich eingangs der drittletzten Runde die beiden Deutschen Jonas Koch und Jannik Steimle.
Die Entscheidung um Gold
Am Mount Pleasant scherte Serry vorne aus, so dass in der Spitzengruppe das Tempo zunächst raus war. Dagegen drückten im Hauptfeld die Kletterer nun aufs Tempo und reduzierten mit dem Franzosen Benoit Cosnefroy als Taktgeber bergauf den Abstand auf 1:05 Minuten. Dieses Intermezzo hielt aber nicht lange an und so wuchs der Abstand schnell wieder auf zwei Minuten an.
Kurz vor der vorletzten Runde griff Evenepoel in einer abschüssigen Passage an. Lutsenko konnte das Hinterrad des Flamen als einziger mit größter Mühe halten und so nahm das Duo die letzten 34 Kilometer gemeinsam in Angriff. Schmid, der Däne Mattias Skjelmose, der Italiener Lorenzo Rota und Pascal Eenkhoorn aus den Niederlanden versuchten die Lücke noch zu schließen, sie kamen aber nicht gegen die beiden großen Motoren an der Spitze an.
Der Motor des Kasachen “platzte“ dann aber 26 Kilometer an der vorletzten Passage des Mount Pleasant, als Evenepoel vor ihm ein durchgängig hohes Tempo fuhr. Auch im Feld folgte der Angriff eines Belgiers: Van Aert erhöhte das Tempo kurz vor der Kuppe und formte so eine Gruppe, das sich auf die Jagd nach den zahlreichen Ausreißern - die in kleinen Grüppchen oder allein hinter Evenepoel lagen – machte. Der Spitzenreiter schien mit 2:20 Minuten Vorsprung auf die Gruppe Van Aert allerdings außer Reichweite.
Die letzte Runde: Kampf um Silber und Bronze
Eingangs der 17 Kilometer langen Schlussrunde hatte Evenepoel 45 Sekunden Vorsprung auf Lutsenko, der wiederum 25 Sekunden vor der Gruppe Eenkhoorn lag. Die Gruppe Van Aert wurde vom Feld, das 2:30 Minuten Rückstand hatte, eingeholt.
Bei der letzten Überquerung des Mount Pleasant startete Rota in der dritten Gruppe kurz vor der Kuppe einen Angriff, dem nur Eenkhoorn nicht folgen konnte. Das so entstehende Trio hatte plötzlich den tapfer kämpfenden Lutsenko im Visier. Der erkannte die Aussichtslosigkeit der Lage und nahm die Beine hoch. Vier Kilometer vor dem Ziel erreichten Schmidt, Skjelmose und Rota den 30-Jährigen.
Von alldem bekam Evenepoel aber nichts mit. Der Kapitän der Belgier zog einsam seine Kreise und konnte schon weit vor dem Zielstrich jubeln. Die Verfolger starteten auf dem letzten Kilometer Stehversuche. Eenkhoorn schoss an den dem Quartett vorbei, riss eine Lücke, hielt dann aber die Beine still. Von hinten kam Jan Tratnik ebenfalls heran, allerdings hatte der Slowene er das Peloton im Schlepptau. Das sprintete plötzlich völlig unerwartet um die weiteren Medaillen, die sich Laporte und Matthews sicherten.
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