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24.09.2022 | (rsn) - Annemiek van Vleuten hat das Unmögliche möglich gemacht! Nur drei Tage nach ihrem schweren Sturz am Start der Mixed Staffel hat die Niederländerin in Wollongong mit gebrochenem Ellenbogen den Straßen-WM-Titel gewonnen. Silber ging an die Belgierin Lotte Kopecky vor Silvia Persico aus Italien.
Die Friedrichshafenerin Liane Lippert zerriss das Rennen im Finale zweimal im Anstieg zum Mount Pleasant und schien die Stärkste zu sein, musste sich am Ende aber mit Rang vier zufriedengeben, weil die von ihr initiierten Fünfergruppen jeweils nicht gut zusammenarbeiteten. 1,5 Kilometer vor dem Ziel wurden die Ausreißerinnen um Lippert schließlich wieder gestellt.
Während die 24-Jährige leer ausging, durfte sich Ricarda Bauernfeind über ihre zweite Bronzemedaille in dieser Woche freuen. Die Eichstätterin kam auf den 20. Platz des 164,3 Kilometer langen Eliterennens und war damit hinter der Neuseeländerin Niamh Fisher-Black und der Britin Pfeiffer Georgi drittbeste U23-Fahrerin.
"Ich kann es nicht glauben. Ich warte immer noch darauf, dass jemand mir sagt, dass es nicht wahr ist", konnte die neue Weltmeisterin im Ziel noch gar nicht fassen, was ihr soeben gelungen war. "Ich habe für Marianne (Vos) gearbeitet, und dann war ich in dieser Gruppe. Ich habe dann gemerkt, dass sie nicht mehr zurückkommen wird und mir war klar, dass ich mit meinem Ellenbogen nicht würde sprinten können. Deshalb musste ich von hinten attackieren, das war meine einzige Chance. Ich habe es getan und dann nur darauf gewartet, dass sie an mir vorbeigesprintet kommen. Aber sie haben mich nicht gekriegt."
Die 39-jährige Van Vleuten, die erst am späten Freitagabend entschieden hatte, dass sie trotz ihrer Ellenbogenfraktur im Straßenrennen starten würde, konnte zwar am Mount Pleasant nicht mit den Besten mithalten, kam im Finale aber mit einer ersten Verfolgerinnengruppe zurück und überraschte die Konkurrenz dann eingangs des Schlusskilometers mit einem harten Antritt von ganz hinten. Niemand folgte ihr und van Vleuten zog zur Linie durch, um eine Sekunde vor der heransprintenden Kopecky ihren zweiten WM-Sieg nach 2019 in Harrogate, wo sie sich mit einem langen Solo durchsetzte, zu feiern.
"Ich wollte ein Yorkshire 2.0 machen, aber das war nicht möglich wegen dem Ellenbogen. Und jetzt gewinne ich es auf dem letzten Kilometer – beides Titel mit einer verrückten Geschichte", sagte van Vleuten und blickte bereits auf 2023 voraus, wenn sie in ihrem dann letzten Profijahr im Regenbogentrikot unterwegs sein wird. "Ich war so enttäuscht, weil ich das Trikot damals im Covid-Jahr hatte – da konnte ich es nicht oft tragen. Jetzt werde ich es vollends genießen nächstes Jahr", fügte sie an.
So lief das Rennen:
Schon bevor das Rennen begann, fiel eine Top-Favoritin aus: Demi Vollering war wegen einer Corona-Infektion gezwungen, auf ihren Start zu verzichten, während die am Mittwoch in der Mixed Staffel gestürzte Annemiek van Vleuten es trotz Ellenbogenfraktur versuchte.
Sofort nach dem Start hagelte es dann Attacken und immer wieder auch unter Beteiligung der großen Radsportnationen. Für Deutschland zeigten sich dabei vor allem Franziska Koch und Romy Kasper in den ersten Positionen. Eine Gruppe aber bildete sich hier aber noch nicht. Es dauerte 15 Kilometer, bis die Französin Gladys Verhulst allein wegfuhr. Fünf Kilometer später machten sich die Luxemburgerin Nina Berton und die Ukrainerin Daryna Nahuliak auf den Weg, sie zu verfolgen – genau wie wenig später Rebecca Koerner aus Dänemark.
Alle drei aber schafften es nicht, zu Verhulst nach vorne zu rücken, vielmehr wurden sie im acht Kilometer langen Anstieg zum Mount Keira vom Hauptfeld wieder geschluckt. Das hatte zwischenzeitlich 1:30 Minuten Rückstand und verkürzte schnell den am Fuß des Anstiegs unter dem Tempodiktat der Australierinnen und der deutschen Mannschaft, mit Mieke Kröger an der Spitze.
Van Vleuten zieht sich um und schiebt sich vor
Im Anstieg schob sich dann tatsächlich wie versprochen van Vleuten an die Spitze des Feldes, um das Tempo für das niederländische Team hochzuhalten, nachdem sie zuvor die ersten 30 Kilometer mit bandagiertem Ellenbogen am Ende des Feldes mitgerollt war und sogar für einen Wechsel des Rennoveralls angehalten hatte, weil ihr zu warm geworden war.
Unter dem hohen Tempo wurde das Feld zunehmend kleiner und überraschenderweise musste unter anderem auch die niederländische U23-Hoffnung Shirin van Anrooij am Mount Keira abreißen lassen. Spitzenreiterin Verhulst aber hielt sich gut an der Spitze und schaffte es noch 15 Sekunden vor dem leicht dezimierten Feld über den Gipfel. In der Abfahrt aber wurde sie schließlich eingeholt.
Nach einer trockenen und teilweise sogar sonnigen ersten Rennstunde setzte am Mount Keira auch etwas Nieselregen ein – und zurück an der Küste fiel das Tempo etwas herunter, so dass einige der abgehängten Fahrerinnen ins Hauptfeld zurückkommen konnten.
Elynor Backstedt auf den Spuren ihrer kleinen Schwester
110 Kilometer vor Schluss beschleunigte die Schwedin Caroline Andersson und bekam mit der Belgierin Julie Van de Velde sowie der Britin Elynor Backstedt zwei Begleiterinnen. Das Trio fuhr in Windeseile 1:15 Minuten Vorsprung heraus, bevor es auf die sechs Schlussrunden von Wollongong über den Mount Pleasant ging. Dort beschleunigte das Peloton zwar deutlich und verkürzte den Abstand Sekunde um Sekunde, doch nach der ersten Passage der bis zu zwölf Prozent steilen Rampe wurde das Tempo nochmal gedrosselt.
Als es zum zweiten Mal hinaufging, konnte Andersson ihren beiden Fluchtgefährtinnen nicht mehr folgen, doch das imme rnoch sehr große Hauptfeld lag noch immer mehr als 50 Sekunden hinter Backstedt und Van de Velde zurück. Das italienische Nationalteam spannte sich zum Ende der zweiten Runde aber konsequent an die Spitze und begann das Rennen nun zu kontrollieren. Als eingangs der viertletzten Runde die Däninnen in die Verfolgung mit einstiegen, ging der Vorsprung der Spitze auf unter 30 Sekunden herunter.
Eine Favoritinnen-Attacke blieb am Mount Pleasant trotzdem wieder aus und so retteten sich Van de Velde und Backstedt noch in die Abfahrt. Dort sprang Elena Cecchini nach vorne, so dass Italien die Verantwortung im Hauptfeld abgeben konnte. Das rief die Niederländerinnen auf den Plan und die zeitweise abgehängte van Anrooij schloss 54 Kilometer vor Schluss die Lücke zur Spitze. Somit wurde Backstedt nach 56 Kilometern an der Spitze des Rennens wieder eingeholt – ihre jüngere Schwester Zoe Backstedt hatte den Juniorinnen-Titel am Morgen mit einem 57-Kilometer-Solo gewonnen.
Australierinnen eröffnen Angriffsreigen
Auf der drittletzten Runde drückten Lippert und Ashleigh Moolman-Pasio am Mount Pleasant erstmals mit aufs Tempo und prompt kamen einige interessante Fahrerinnen in Probleme – unter anderem erstmals Elisa Balsamo. Die Titelverteidigerin kam mithilfe von Vittoria Guazzini zwar in der Abfahrt wieder zurück, doch nun war das Rennen um den Sieg eröffnet.
Das australische Team begann mit einem regelrechten Angriffsreigen: Nacheinander versuchten Amanda Spratt, Brodie Chapman und schließlich Grace Brown ihr Glück – zunächst erfolglos. 35 Kilometer vor Schluss setzte sich Sarah Roy mit dem vierten australischen Angriff innerhalb weniger Minuten ab – allerdings fand sie keine Begleiterin, so dass der Vorstoß wenig erfolgversprechend schien und nach acht Kilometern auch schon wieder beendet war.
Lippert reißt das Feld am Mount Pleasant in Stücke
Am Mount Pleasant lancierte bei der vorletzten Überfahrt Kasia Niewiadoma ihre erste Attacke und Lippert sprang sofort ans Hinterrad. Die Deutsche Meisterin übernahm dann das Tempodiktat und setzte sogar noch einen Konter, dem nur noch die allerbesten Bergfahrerinnen folgen konnten – bis auf Persico und die verletzte van Vleuten. Nur Elisa Longo Borghini, Niewiadoma, Cecilie Uttrup Ludwig und Moolman-Pasio waren am Ende der nun durch einen heftigen Schauer nassen Abfahrt noch bei Lippert.
Doch gegen Ende der vorletzten Runde wich die Einigkeit aus dem Quintett und der Vorsprung auf die von den Niederländerinnen angeführte, 21-köpfige Verfolgerinnengruppe schrumpfte von 35 bis zur vorletzten Zielpassage auf 20 Sekunden. Bis zum Fuß des Mount Pleasant kam es sogar wieder zum Zusammenschluss, weil die Niederländerinnen und Australierinnen in der Verfolgung zusammenspannten.
Quintett verzockt den Sieg
Zwölf Kilometer vor Schluss setzte Marlen Reusser zum Solo an. Niemand folgte der Schweizerin und so fuhr die WM-Dritte des Zeitfahrens mit 15 Sekunden Vorsprung in den letzten Aufstieg zum Mount Pleasant hinein. Dort attackierte erneut Lippert und dasselbe Quintett wie in der Vorrunde blieb übrig – mit ihr, Niewiadoma, Moolman-Pasio, Uttrup Ludwig und Longo Borghini. Sie flogen förmlich an Reusser vorbei und hatten oben mehr als 15 Sekunden Vorsprung auf alle Anderen.
Doch anstatt zu fünft nun voll durchzuziehen, verweigerte Uttrup Ludwig die Führungen und der Vorsprung zur ersten Verfolgerinnengruppe mit van Vleuten, Reusser, Persico, Elise Chabbey, Kopecky, Arlenis Sierra, Juliette Labous und der besten U23-Fahrerin Fisher-Black schmolz zusammen. Mit noch fünf Sekunden Vorsprung erreichte das Quintett um Lippert die letzten 1,5 Kilometer. Dort aber schloss Chabbey die Lücke mit Kopecky, Sierra und Persico am Hinterrad.
Einen Moment kehrte Ruhe ein und dann rauschte plötzlich van Vleuten mit viel Schwung von hinten vorbei. Die Konkurrenz schaute sich an und der Titel war weg.
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