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10.05.2019 | (rsn) - Ab Samstag richtet sich der Blick der Radsportwelt drei Wochen lang nach Italien. Die 102. Auflage des Giro d’Italia steht an und fordert die Profis auf 21 Etappen über 3.578 Kilometer und mehr als 40.000 Höhenmetern. Das Aufgebot an Klassementfahrern ist hochkarätig, wer wird die spektakuläre Giro-Trophäe im Rosa Trikot am 2. Juni in Verona in die Luft stemmen? Die Redaktion von radsport-news.com sieht mehrheitlich Altmeister Vincenzo Nibali vorn.
Felix Schönbach:
Der Kopf sagt, dass entweder Tom Dumoulin oder Primoz Roglic gewinnen werden. Aber das Herz meint, dass Vincenzo Nibali bei diesem Giro seinen letzten Grand-Tour-Erfolg einfährt. Bei der Tour of the Alps zeigte sich der Italiener in bestechender Form. Die vielen Zeitfahrkilometer sprechen zwar gegen den 34-Jährigen, doch dafür kann er seine Kletterfähigkeiten und seine Erfahrung in die Waagschale werfen. Und in der dritten Woche ist Nibali immer ein Kandidat für einen rennentscheidenden Husarenritt. Aus deutscher Sicht wird Pascal Ackermann mindestens einen Etappensieg feiern und Nico Denz wird diverse Kilometer in den Fluchtgruppen abspulen.
Christoph Adamietz:
Dieser Giro d`Italia wird von Astana bestimmt, insbesondere von "Supermann" Miguel Angel Lopez. Die kasachische Mannschaft absolvierte ein beeindruckendes Frühjahr. Wenn es bei Rundfahrten und Eintagesrennen topografisch schwer wurde, dann führte an Astana kaum ein Weg vorbei. So wird es auch beim Giro sein, wo Lopez ein bärenstarkes Team an seiner Seite hat, das in den Bergen das Heft des Handelns übernehmen wird. Der Kolumbianer selbst hat 2019 eine fast makellose Bilanz vorzuweisen: Er gewann die Colombia 2.1 und die Katalonien-Rundfahrt. Lediglich bei Paris-Nizza wurde der 25-Jährige früh ein Opfer der Windkante und fiel im Klassement weit zurück. Allerdings war schon vor Rundfahrtbeginn sein Fokus auf die Königsetappe am vorletzten Tag gerichtet, die er dann am Col du Turini auf Rang zwei abschloss. Dass Lopez zudem auch über drei Wochen konstant fahren kann, zeigen seine vergangenen beiden GrandTour-Auftritte: 2018 schloss er den Giro und die Vuelta jeweils auf Rang drei ab. In diesem Jahr könnte es trotz dreier Zeitfahren für den Kletterspezialisten im Idealfall zwei Stufen weiter nach oben gehen.
Matthias Seng:
In diesem Jahr bietet sich Vincenzo Nibali die möglicherweise letzte Chance auf einen dritten Giro-Triumph. Der Italiener ist mittlerweile 34 Jahre alt und auch, wenn in seiner Heimat ein Nachfolger nicht in Sicht ist, werden jüngere Herausforderer künftig die Italien-Rundfahrt dominieren. Die 102. Auflage aber wird nochmals zu einer Angelegenheit für den Sizilianer. Im Gegensatz zu Primoz Roglic, der wohl etwas zu früh in Topform gekommen ist, zeigt Nibali das perfekte Timing. Nach zurückhaltendem Saisonbeginn bewies er als Gesamtdritter der Tour of the Alps und als Achter von Lüttich-Bastogne-Lüttich, dass seine Planung auf die entscheidende dritte Giro-Woche ausgerichtet ist. Hier wird der “Hai von Messina“ zuschnappen und sich das Maglia Rosa vor Tom Dumoulin und Roglic sichern. Auch die deutschen Fans werden sich freuen können, denn Sprinter Pascal Ackermann holt sich bei seinem Giro-Debüt den angestrebten Etappensieg.
Eric Gutglück:
Auf dem Papier ist Primoz Roglic der Topfavorit. Eine 100-Prozent-Quote bei seinen Rundfahrt-Starts in 2019, seine Vielseitigkeit sowie sein starkes Team sprechen für den Slowenen. Doch der Giro ist traditionell ein verrücktes Rennen und hat in diesem Jahr eine sehr schwere dritte Woche, die den zunächst noch in Rosa fahrenden Slowenen taumeln und zurückfallen lässt. Den Gesamtsieg holt sich der konstant stark fahrende Vincenzo Nibali, der schon oft gezeigt hat, dass er der Mann der entscheidenden Woche ist. Seine Erfahrung, seine taktische Raffinesse sowie seine verwegenen Abfahrerqualitäten spielt der Hai aus Messina mustergültig aus. Hinter ihm runden Simon Yates und Tom Dumoulin das Podium in Verona ab, Roglic wird wie schon bei der Tour 2018 Vierter. Und auf dem Weg von Bologna nach Verona dürfen auch die deutschen Fans zweimal jubeln: Pascal Ackermann und Nico Denz holen jeweils einen Etappensieg.
Guido Scholl:
Es wird einen Zweikampf zwischen Vincenzo Nibali und Tom Dumoulin geben. Da die Berge spät kommen, dürfte sich Dumoulins minimales Gewichtsproblem nicht auswirken. Die paar Hundert Gramm wird er bis zum Hochgebirge (ab der 13. Etappe) spielend los. Im Prinzip liegt der Giro-Sieger von 2017 damit perfekt im Zeitplan. Ihm kommen die drei Zeitfahren zugute, wobei keines davon wirklich lang und auch keines flach ist. Dies wiederum spielt Taktik-Fuchs Nibali in die Karten, der von der Form her schon etwas weiter ist als der Niederländer von Sunweb. Nibali wird daher bereits bei einigen kniffligen Ankünften vor den hohen Bergen versuchen, den Druck zu erhöhen. Sobald es dann ins Gebirge geht, können sich die Fans des Hais von Messina auf Attacken freuen, die nicht erst auf den letzten fünf Kilometern erfolgen. Das Jahr 2016 hat gezeigt, dass auch ein abgeschlagener Nibali den Spieß noch umdrehen kann und dass er mit einer Serie später Bergetappen glänzend zurechtkommt. Wer gewinnt? Nibali. Weil er den Heimvorteil nutzt.
Peter Maurer:
Es gibt 2019 wieder einen italienischen Sieg beim Giro d’Italia, allerdings nicht durch Vincenzo Nibali. Denn es ist ein 26-Jähriger, den die Tifosi durch die Berge tragen. Gleichzeitig sorgt er auch für Geschichte für seine Mannschaft, deren ersten Gesamtsieg bei einer dreiwöchigen Landesrundfahrt er einfährt. Die Rede ist von jenem Mann, der bei Lüttich-Bastogne-Lüttich als Zweiter auf dem Podium landete. Davide Formolo geht in seinen fünften Giro, alle vier bislang hat er beendet, stand zuletzt zweimal in den Top Ten. Und wer da reinfährt, der kann auch gewinnen. Kaum ein Fahrer wird ihn beachten, wenn er früh ins Maglia Rosa schlüpft. Aber wie schwer es ihm auszuziehen wird sein, dass erkennen die großen Namen wie Primoz Roglic, Tom Dumoulin oder Simon Yates zu spät und so gewinnt der Venetier aus der deutschen Mannschaft Bora-hansgrohe seine erste GrandTour.
Daniel Brickwedde:
Ich lasse mich von den jüngsten Eindrücken bei der Tour de Romandie beeinflussen und setze auf Primoz Roglic. Der Slowene besitzt für mich die Ausstrahlung eines Grand-Tour-Siegers und zusätzlich das nötige Skillset: Er ist neben Tom Dumoulin der beste Zeitfahrer, in den Bergen kaum abzuschütteln und ein hervorragender Abfahrer. Einzige Frage ist, ob er seine gute Form aus der Romandie bis zum Ende des Giro Anfang Juni halten kann. Meine Erwartungen an diesen Giro sind insgesamt sehr hoch, das Aufgebot an potenziellen Siegern ist mit Dumoulin, Simon Yates, Vincenzo Nibali und Miguel Angel Lopez überragend. Ohne die gewohnte Sky-Maschinerie (sorry, "Ineos-Maschinerie") in den Bergen stehen die Chancen gut auf einen offenen, offensiven und wendungsreichen Kampf um das Rosa Trikot. Aus deutscher Sicht gelingt Pascal Ackermann ein weiterer Durchbruch in seiner ohnehin schon kometenhaften Entwicklung, zwei Tagessiege sollten drin sein.
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