Wagners Tour-Tagebuch

Belgische Bedingungen oder: eine Rechnung ohne das "Team Sunweg"

Von Robert Wagner und Sebastian Paddags

Foto zu dem Text "Belgische Bedingungen oder: eine Rechnung ohne das
Robert Wagner (LottoNL-Jumbo) | Foto: Cor Vos

19.07.2017  |  (rsn) - Etappe 16 ist Geschichte, zum Glück! Wer nun aber denkt, sobald wir im Ziel sind, beginnt hier die große Entspannung, der irrt, vor allem heute! Ich bin jetzt seit mehr als zwei Stunden im Ziel, und wir sind zwar längst mit dem Bus unterwegs in Richtung Hotel, aber wirklich weit sind wir noch nicht gekommen. Schön Anstehen im Stau ist angesagt, oder wie ich es gerne nenne: Sackgang! Normalerweise klappt das deutlich besser mit der Abreise und die Teambusse sind meistens auch die ersten Fahrzeuge, die losfahren, aber heute müssen die irgendwas falsch geplant haben hier…

Zum Glück ist bei uns im Team inzwischen allen bewusst, dass der Platz auf dem Bus-Fußboden nach den Etappen definitiv meiner ist und somit kann ich jetzt wenigstens in meiner Lieblingsposition die Beine ausstrecken. In diesem Zusammenhang sei noch mal erwähnt, dass ihr mit einem Bild von Euch in der “Wagnerrechten“ sowie einer gekonnten Schätzung meines Gesamtrückstandes in Paris noch bis Sonntag Mittag an unserem Facebook-Gewinnspiel teilnehmen könnt. Zu gewinnen gibt's unter anderem ein Original Wagner-Trikot und viele andere schöne Dinge. Den Link findet Ihr noch mal am Ende des Textes.

Auch heute stand nach einem adäquaten Warm-Up auf der Rolle wieder die praktische Umsetzung eines hochgradig komplizierten bio-physikalischen Experimentes auf der Tagesordnung: Wie überwinde ich, als prinzipiell physikalisch benachteiligter Radprofi, die Hangabtriebskraft innerhalb der ersten 20 Kilometer möglichst effizient und unter Beachtung eines gleichzeitigen maximalen Vortriebes bei Minimierung des Zeit-Deltas im Bezug auf das Peloton? Oder auf deutsch: Wie vermeidest Du, dass sie Dich abhängen? Denn wenn das passiert, bist Du am Arsch!

Aber die Berge waren heute auch nicht das einzige Hindernis. Schon gestern Abend war es spürbar windig und irgendwer sprach von 2 Beaufort. Heute Morgen waren es dann schon 3 und gefühlt bekamen wir mit voranschreitender Tageszeit pro Stunde ungefähr eine Windstärke gratis dazu. Als unser Rennen dann startete, waren wir irgendwo zwischen 5 und bald 6. Das war schon ziemlich deutlich zu merken.

Ihr müsst dazu mal bei Google (nicht der von Trek-Segafredo!) nach der Beaufortskala suchen. Das ist echt interessant und bei Wikipedia gibts da eine schöne Tabelle. Vielleicht kann man diese ja mal Radsport-spezifisch ummünzen? Da müssten dann so Begriffe eingebaut werden wie "Belgische Bedingungen“ oder "Erst ab Windstärke 5 darfst Du bei den Frühjahrsklassikern den Lenker unten anfassen…“ Das wäre sicherlich ganz amüsant!

Die ersten 20 Kilometer ging es also heute bergauf und die anfänglichen 12 davon waren zum Glück nicht ganz so steil. Hier kam ich noch einigermaßen gut mit und hatte sogar Hoffnungen, dass wir heute mit Dylan Groenewegen vielleicht doch noch mal sprinten können. Nach diesen 12 wurde es dann aber merklich ekliger und wir mussten alle schon richtig beißen. In Kombination mit dem Seitenwind war das wirklich mehr als unangenehm zu fahren.

Ich orientierte mich darum innerhalb dieses Wind-Berg-Gemetzels an Marcel Kittel, weil ich sah, dass er noch einige starke Teamkollegen an der Seite hatte und somit womöglich die Chancen gar nicht so schlecht standen, dass wir noch mal nach vorne zurück kommen könnten. Leider hatten wir da mal wieder die Rechnung ohne das Team Sunweb gemacht und spätestens nach heute haben die Jungs sich den Namen "Sunweg“ wirklich verdient.

Interessanterweise hatten wir hinten von Anfang an eine wirklich große Gruppe von rund 30 Fahrern, in der von jeder Fahrergattung jemand vertreten war. Vom Zeitfahrer über den Bergfahrer bis hin zum Klassikerfahrer und natürlich den Sprintern war alles mit dabei. Dementsprechend "unorganisiert“ oder viel mehr "unhomogen“ fand dann auch die Verfolgung des Feldes statt. Vorne schraubte "Sunweg“ recht gleichmäßig und konstant schnell an der Spitze und hinten ging es immer auf und ab mit dem Tempo.

Wir hatten beispielsweise unseren Primož Roglič mit dabei, da der heute quasi "Ruhetag“ machen sollte, um morgen noch mal angreifen zu können. Der ist aber im Moment so stark, dass er, sobald er in die Führung kam, allen anderen eher keinen Gefallen tat. In Verbindung mit mit "Mister 100.000 Volt“ Julien Vermote haben die beiden uns heute hinten - wenn auch ungewollt - sukzessive zerstört. Die Quick-Step-Jungs hinten sind unterm Strich mit den "Sunwegs“ vorne um die Wette gefahren, nur dass es bei uns hinten einfach nicht laufen wollte.

Irgendwann muss dann der Bouhanni noch mal nach vorne geknallt sein - aber da muss ich wohl grade Kühe beobachtet haben… Plötzlich war er weg. Marcel Kittel hat dann irgendwann akzeptiert, dass es heute nichts mehr werden wird und insgeheim haben wir hinten natürlich alle auf André Greipel und auf John Degenkolb gehofft. Dass Michael Matthews dann trotz der staken Konkurrenz heute wieder gewinnt und hinsichtlich des Grünen Trikots maximale Punkte einfährt, ist natürlich beachtlich. Bei ihm und seinem Team läuft es wirklich im Moment wie ein Länderspiel!

Nicht ganz so gut läuft es leider bei uns im Team, denn wir mussten heute mit George Bennett den nächsten Fahrer aus dem Rennen gehen lassen. George hatte gestern schon Fieber und hat auch im Bus zum Start die ganze zeit geschlafen. Das ist natürlich sehr enttäuschend und schade für uns alle, aber wenn eines gewiss ist, dann dass hier bei der Tour niemand freiwillig nach Hause fährt.

Hier fahren aktuell noch einige Jungs weiter, die bei jedem anderen Rennen wahrscheinlich schon längst aufgehört hätten. Das ist eben die Tour - da kämpfst Du bis zum Umfallen! Am Ende muss man eben akzeptieren, dass der Körper auch irgendwann mal sagt "Ende!“. Philippe Gilbert hat es ja leider ebefalls erwischt und auch Sibi (Marcel Sieberg) ist leicht angeschlagen. Sibi muss sich aber unbedingt zusammenreißen - ihn brauche ich hinten im Gruppetto ganz dringend. Und dass nicht nur wegen der guten Laune.

Alles in allem war die Etappe heute also tatsächlich recht kurzweilig und sie verging auch tatsächlich wie im Fluge. Gute 16 Minuten habe ich noch mal gefressen - also seid hinsichtlich des Gewinnspiels auf der Hut!

In meiner Gruppe war übrigens heute auch Tony Martin und wenn der heute auch noch mal versucht hat, sich zu schonen, dann bin ich morgen auch mal auf ihn gespannt.

Nun aber Adjö bis morgen und bitte drückt die Daumen für Etappe 17.

Euer Wagi und Paddi


Mehr Informationen zu diesem Thema

20.07.2020Video-Rückblick: Matthews erobert das Grüne Trikot der Tour 2017

(rsn) - Als Michael Matthews (Sunweb) 2017 erstmals in seiner Karriere das Grüne Trikot der Tour de France eroberte, beendete er eine glanzvolle Frankreich-Rundfahrt, in deren Verlauf er auch zwei Et

01.07.2020Video-Rückblick: Valverdes Tour-Sturz von Düsseldorf

(rsn) - Vor genau drei Jahren stürzte Alejandro Valverde (Movistar) beim Auftakt der Tour de France in Düsseldorf im Zeitfahren auf regennasser Straße so schwer, dass dem Spanier sogar das Karriere

30.10.2019Düsseldorf muss Tour de France-Vertrag offenlegen

(rsn) - Die Stadt Düsseldorf muss den Vertrag, der zwischen der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens und der französischen Amaury Sport Organisation im Zuge es Tour de France-Starts 2017 geschloss

06.12.2017Fall Sagan: Dimension Data kritisiert Vorgehensweise der UCI

(rsn) - Mark Cavendishs Dimension Data-Team fühlt sich bei der Entscheidungsfindung im Fall Sagan übergangen. Wie Manager Douglas Ryder in einer Pressemitteilung erklärte, sei man davon ausgegangen

05.12.2017Sagans Tour-Ausschluss beruhte auf einem Fehlurteil

(rsn) - Peter Sagans Disqualifikation nach der 4. Etappe der Tour de France war nicht Folge eines Fehlverhaltens des Weltmeisters, der in einem hart umkämpften Sprint in Vittel den Sturz seines Konku

13.11.2017Sagans Tour-Disqualifikation wird vor dem CAS verhandelt

(rsn) - Peter Sagans umstrittene Disqualifikation nach der 4. Etappe der Tour de France wird am 5. Dezember vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS verhandelt. Das geht aus CAS-Terminkalender her

06.09.2017Düsseldorf macht mit Grand Depart 7,8 Millionen Euro Verlust

Düsseldorf (dpa) - Die Stadt Düsseldorf hat mit dem Start der Tour de France 2017 einen Verlust von 7,8 Millionen Euro gemacht. Diese Zahl nannte Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) bei de

28.07.2017Denk: "Das Material gibt es ja, man muss es nur verwenden"

(rsn) - Ralph Denk hat mit Verwunderung auf die Forderung von Philippe Mariën, Chef der Jury der Tour de France, reagiert, künftig bei Radrennen auf den Video-Beweis zu setzen. Hintergrund ist der A

28.07.2017Barguil fährt lieber ohne Powermeter

(rsn) – Auch in diesem Jahr brodelt nach der Tour de France in Sachen Teamwechsel die Gerüchteküche, vor allem bei denjenigen Fahrern, deren Verträge auslaufen. Letzeres gilt zwar nicht für Warr

28.07.2017Martens: "Roglic und Groenewegen können Weltstars werden"

(rsn) - Paul Martens (LottoNL-Jumbo) hatte bei seiner dritten Tour de France allen Grund zum Jubeln. Sein Team kehrte mit zwei Etappensiegen durch Primoz Roglic und Dylan Groenewegen aus Frankreich zu

28.07.2017Jury-Chef der Tour fordert Video-Beweis für Sprints

(rsn) - Philippe Mariën, Chef der Jury der Tour de France, die Peter Sagan nach der 4. Etappe in einer heftig kritisierten Entscheidung wegen dessen vermeintlichem Ellbogencheck gegen Mark Cavendish

28.07.2017Dan Martin fuhr die Tour mit zwei gebrochenen Wirbeln zu Ende

(rsn) - Daniel Martin (Quick-Step Floors) hat sich bei seinem Sturz auf der 9. Etappe der Tour de France zwei Wirbel gebrochen. Die Verletzung allerdings wurde erst in dieser Woche bei einer Computert

Weitere Radsportnachrichten

05.05.2024Vollering nutzt Rückenwind-Passage zum Vuelta-Triumph

(rsn) – Mit einem weiteren überragenden Auftritt hat Demi Vollering (SD Worx – Protime) die 10. Vuelta Femenina (2.UWT) souverän für sich entschieden. Die 27-jährige Niederländerin schüttelt

05.05.2024Pogacar: ”Die Post wird abgehen”

(rsn) – Der Auftakt zum 107. Giro d’Italia ist atypisch. Einen Tag nach der schweren 1. Etappe, auf der bereits einige Favoriten Federn gelassen haben, steht bereits die erste Bergankunft auf dem

05.05.2024Liste der ausgeschiedenen Fahrer / 2. Etappe

(rsn) - 176 Profis aus 22 Teams sind am 4. Mai zum 107. Giro d’Italia (2.UWT) angetreten, darunter auch zwölf Deutsche, vier Österreicher, zwei Schweizer und ein Luxemburger. Hier listen wir a

05.05.2024Narvaez sorgt für die nächsten rosa Träume in Ecuador

(rsn) – Fünf Jahre ist es her, dass Richard Carapaz das Radsportland Ecuador mit seinem sensationellen Gesamtsieg beim Giro d´Italia in Rosa gehüllt hat. Nun feiern die Nachbarn der Kolumbianer i

05.05.2024Erste Bergankunft im Zeichen von Pantani

(rsn / ProCycling) – Wie bereits der gestrige Auftakt ist auch diese 2. Etappe verhältnismäßig kurz. Im Gegensatz zu den Vorjahren entschied sich der Veranstalter RCS in der ersten Hälfte der Ru

05.05.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morg

04.05.2024Zocker Schachmann eröffnet den Giro mit Bravour

(rsn) - Im Ziel in Turin war Maximilian Schachmann (Bora – hansgrohe) von den Emotionen überwältigt. Natürlich war er sauer, dass er zum Auftakt des Giro d’Italia so knapp am Rosa Trikot vorbei

04.05.2024Arensman und Bardet müssen schon sehr früh Federn lassen

(rsn) – Riesig waren die Abstände unter den besten Kletterern des Giro d´Italia auf der 1. Etappe rund um Turin nicht. Und doch dürfte das Thema ´Podium in Rom´ für vier Protagonisten nach den

04.05.2024Pogacar verpasst Rosa, setzt aber eine erste Duftmarke

(rsn) – Tadej Pogacar hat mit seinem UAE Team Emirates alles getan, um schon am ersten Tag des 107. Giro d´Italia das Maglia Rosa zu übernehmen. Die Männer in Weiß arbeiteten auf den 140 Kilomet

04.05.2024Highlight-Video der 1. Etappe des Giro d´Italia

(rsn) – Jhonatan Narvaez (Ineos Grenadiers) hat mit seinem Sieg zum Auftakt des 107. Giro d’Italia das erste Rosa Trikot erobert. Der 27-jährige Ecuadorianer setzte auf der 1. Etappe über 140 Ki

04.05.2024Gasparotto: “Max hat das heute clever gemacht“

(rsn) – Viel fehlte nicht und Maximilian Schachmann (Bora – hansgrohe) hätte zum Auftakt des 107. Giro d’Italia für eine dicke Überraschung gesorgt. Der 30-jährige Deutsche musste sich auf d

04.05.2024Highlight-Video der 7. Etappe der Vuelta Femenina

(rsn) – Marianne Vos (Jumbo – Visma) hat bei der 10. Vuelta Femenina ein weiteres Mal ihren Ruf als stärkste Sprinterin untermauert. Die 36-jährige Niederländerin entschied die 7. Etappe über

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Giro d´Italia (2.UWT, ITA)