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15.07.2010 | (rsn) - Vier Experten stehen bereit, um den Lesern auf Radsport News Fragen zur Tour de France zu beantworten!
Frage an Jörg Ludewig: Von der 10. Etappe, dem letzten Teilstück durch die Alpen, konnte man anzunehmen, dass Ausreißer durchkommen. Was hat ein Team zu tun, dass es am Ende auch einen Fahrer in der Gruppe des Tages dabei hat?
Jörg Ludewig: Der Kampf um die Gruppe des Tages ist nicht umsonst als "Lotteriespiel" bekannt. Es ist viel schwieriger, als man denkt - manchmal vergehen 50 km im 49er Schnitt, bis die "richtige Gruppe" steht, es bedarf 60 Attacken und mehr, um dabei zu sein.
Passt die Konstellation nicht, wird jede Gruppe direkt zurückgeholt. Gestern wäre also keine Spitzengruppe durchgekommen, in der jemand weniger als zehn Minuten Rückstand auf das Gelbe Trikot gehabt hätte. Ferner war klar, dass auch ohne französische Beteiligung am Nationalfeiertag nichts geht. Dieses Höllentheater zu Beginn solcher Etappen ist gar nicht so bekannt, da zu diesem Zeitpunkt die TV-Sender meistens noch nicht übertragen. Das ist wie ein Rennen im Rennen. Aua, kann ich nur sagen - das hat manchmal schon richtig weh getan. Vor allem, wenn man dann trotzdem nicht in der Gruppe dabei war!
Da jedes Team inzwischen einen oder mehrere Fahrer verloren hat, zumeist noch einen für die Gesamtwertung oder die Sprints dabei hat und mancher Renner froh ist, überhaupt im Feld mitfahren zu können, bleiben oftmals nur zwei, drei Fahrer pro Team, die dann jede Attacke abdecken müssen, was schwerlich zu meistern ist.
Klar, jeder sportliche Leiter macht den Jungs morgens Mut oder verliert auch mal deftigere Worte wie "Heute müssen wir dabei sein, komme, was wolle" - aber manchmal geht’s halt mit dem Teufel zu, da hilft nicht mal die Brechstange.
Es ist sehr hilfreich, sich warm zu fahren, mental schon mal auf die ersten Schmerzen der Startattacken einzustellen und sich selbst zu sagen: "Heute klappt`s Alter, bleib cool und dann gib ALLES". Es gibt übrigens auch sportliche Leiter, die dann hinten im Auto sitzend noch zu sehr Rennfahrer sind und ein Team auch mal die komplette Nachführarbeit machen lassen, obwohl es aussichtslos ist, die Gruppe jemals zurückzuholen - einfach aus Frust heraus, weil niemand aus dem eigenen Team in der Spitzengruppe dabei ist. Das macht dann besonders viel Spaß.
Solche sinnfreien Aktionen habe ich selbst schon erlebt! Da fragen dann die anderen Rennfahrerkollegen aus verschiedensten Teams: "Oh shit, habt Ihr wieder Straftraining...? Traurig, aber wahr - einfach mal drauf achten, wenn ein Team der Gruppe hinterherfährt, ohne eine echte Chancen zu haben - das ist dann Futterneid, herbeigezwungene TV-Präsenz oder Frust der Teamleitung!
Karsten Migels und sein Team bei Eurosport haben da ein perfekt geschultes Auge; einfach mal zuhören, was Karsten sagt - der riecht den Braten immer sehr schnell. Ich kann eh nur jedem Leser empfehlen, die lebhafte Übertragung auf Eurosport anzuschauen.
Interessant ist, dass manchmal 30 Attacken gehen, nichts Entscheidendes passiert und dann Stillstand herrscht, das Peloton plötzlich nur noch 28 Km/ h fährt. Im Jahr 2005 hatte ich mir einiges vorgenommen für die "HEW Cyclassics" - aber nichts ging, dicke Beine am Start, ich konnte keine einzige Attacke mitgehen.
Nach 36 km dann dieser besagte Stillstand, ich fuhr in erster Linie, neben mir Stephan Schreck - ich sagte: "Schreckus", jetzt oder nie - jetzt wär der Zeitpunkt, oder? "Schreckus" meinte scherzhaft: "Mach doch, aktuell fährt sicher niemand mit, ich sicher nicht (mehr)“.
Gesagt, getan- und schon hatte ich ein 210 Km-Alleinfahrt-Ticket gelöst, was mir bei 50 vorm Ziel einen 13 Min Vorsprung und fast sogar noch den Sieg oder zumindest 2.Platz beschert hätte - so etwas gibt’s auch...
Ich persönlich bin recht froh, nur noch darüber schreiben zu müssen. Das ist sooo anstrengend, gerade jetzt, wo die Jungs in der zweiten Tourwoche sind und 39 Grad im Schatten haben. Das ist echter "Männersport", da fahren Leute mit gebrochenen Ellbogen weiter, kommen täglich 300 Gramm leichter, abgemagerter ins Ziel. Für mich hat die Tour nichts an ihrer Faszination verloren, in fast allen Ländern neben Deutschland zum Glück auch nicht, das belegen die Zuschauerzahlen und Einschaltquoten der ausländischen TV Sender.
Unsere Experten sind Simon Geschke (Skil Shimano), die beiden ehemaligen Profis Jörg Ludewig (u.a. T-Mobile- und Wiesenhof) und Ronny Scholz (Gerolsteiner, Milram) sowie der derzeit als Amateur erfolgreiche Sven Krauss (früher Gerolsteiner). Sie beantworten am Ende jeder Etappe Fragen zum Rennen.
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