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25.07.2005 | Der letzte Auftritt Lance Armstrongs auf der Bühne der Tour de France war zugleich sein beeindruckendster. Ich habe an anderer Stelle schon geschrieben, dass ich Lance noch nie so stark und überlegen gesehen habe wie diesmal. Aber seine Darstellung war auch abseits der Strecke aller Ehren wert. Er hat eine bühnenreife Vorstellung abgeliefert und mich restlos überzeugt. Maximalpunktzahl Armstrong! Der gestrige Tag war ein Abschied im Triumph. Wir haben in Paris zum letzten Mal einen der größten Radsportler aller Zeiten bestaunen dürfen. Und da man bei Armstrong mit Superlativen nicht sparen muss: vielleicht sogar den größten Radsportler aller Zeiten!
Die Schlussetappe war die übliche Prozession nach Paris – aber mit einem überraschenden Finale. Erst auf den letzten zehn Kilometern ging es zur Sache. Die bisher erfolglosen Teams attackierten, während der restliche Teil des Feldes die Rundfahrt längst abgeschlossen hatte und in Gedanken wohl schon feierte. Die Zukurzgekommenen standen auf der letzten Tour-Etappe natürlich besonders unter Druck. Eine dieser Mannschaften war die französische Equipe Fdjeux. Das wusste auch Alexander Winokurow, der sich bei der Attacke von Fdjeux-Fahrer Bradley McGee an dessen Hinterrad klemmte und ihn übersprintete. Eine taktisch und physisch tolle Leistung des Kasachen, der im Gegensatz zu McGee die Sache locker angehen konnte und in der Gesamtwertung sogar noch den vor ihm liegenden Levi Leipheimer vom fünften Platz verdrängte. Bitter für McGee, dass Wino den richtigen Riecher hatte und all seine Cleverness und Fähigkeit, ein Rennen zu lesen, gegen ihn einsetzte. Trotzdem möchte ich auch die Leistung des Australiers loben: Denn wer zwei bis drei Kilometer vor dem Ziel aus einem mit rund 50 km/h dahin jagenden Feld heraus attackiert, verdient ein Lob für diese Weltklasseleistung. McGee hatte sich während der gesamten Tour selbstlos in den Dienst der Mannschaft gestellt, aber die Sprinter Baden Cooke und Bernhard Eisel hatten salopp gesagt nichts drauf in den drei Wochen.
Das kann man von Alexander Winokurow nicht behaupten. Mit seinem zweiten Etappensieg bestätigte er nochmals die hervorragende Leistung des ganzen T-Mobile-Teams. Die Mannschaft stand – von einigen unüberlegten Aktionen Winos abgesehen – geschlossen hinter ihrem Kapitän Jan Ullrich. Verdienter Lohn: Platz eins der Mannschaftswertung. Teamgeist und Harmonie stimmten ganz einfach bei Magenta. T-Mobile kann sich heute mit einer durchaus positiven Bilanz seinen Fans in Bonn präsentieren. Und es ist eine ehrliche Bilanz: Niemals hat die Teamleitung nach Ausreden gesucht, weil das große Ziel – das Gelbe Trikot – nicht in Erfüllung ging. Auch das verdient Hochachtung.
Die Zukunft von T-Mobile scheint gesichert. Mit Michael Rogers und Patrik Sinkewitz werden zwei Fahrer mit Perspektive das Team verstärken. Beide konnten sich bei dieser Tour de France leider nicht in Szene setzen. Aber nicht wegen mangelnder Klasse, sondern als Folge der Dissonanzen in ihrem Quick.Step-Team. Besonders Michael Rogers ist ein echter Hoffnungsträger für Magenta, an ihm wird man noch viel Freude haben. Michael war eines der größten Talente, mit denen ich je zusammengearbeitet habe.
Abbitte muss ich bei Team Rabobank leisten. Ich habe die Mechaniker des holländischen Rennstalls in meiner gestrigen Kolumne hart kritisiert, weil sie bei den Defekten bei Mickael Rasmussen katastrophal vermeintlich schlechte Arbeit geleistet hatten. Ein Gespräch mit Rabobank-Chef Theo de Rooj hat mich aber eines Besseren belehrt: Es lag weder am Material, noch an den Mechanikern – sondern an den Nerven von Mickael Rasmussen! Der schmächtige Däne war dem Druck nicht gewachsen, den seine Umgebung und wahrscheinlich auch er selber vor dem entscheidenden Einzelzeitfahren aufgebaut hatten. Rasmussen hat sich auf den 55 Kilometern um St. Etienne herum zur tragischen Figur dieser Tour entwickelt. Er hatte einen regelrechten Nervenzusammenbruch auf dem Rad. Mit dazu beigetragen hat wohl auch die Koalition der Topstars. Keiner von ihnen wollte „Chicken“ auf dem Podium sehen, am allerwenigsten Lance Armstrong. Der hatte sich sogar auf der 18. Etappe aktiv daran beteiligt, dass Jan Ullrich den Rückstand auf Rasmussen verkürzen konnte.
Die Tour 2005 hat gezeigt, dass sich der deutsche Radsport in einem sehr gesunden Zustand befindet. Die beiden deutschen Teams haben sich mit insgesamt vier Etappensiegen mehr als nur beachtlich geschlagen. Fast alle deutschen Fahrer haben die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt oder gar übertroffen. Die Protagonisten Ullrich, Klöden, Voigt, Wegmann und Jaksche habe ich schon gebührend gewürdigt. Robert Förster hat beweisen, dass er ein Sprinter mit Zukunft ist. Aber auch die Fahrer aus der zweiten Reihe haben einen Klassejob verrichtet: Ob nun Kessler, Schreck und Steinhauser bei T-Mobile, Scholz und Lang bei Gerolsteiner, Ludewig bei Domina Vacanze oder Daniel Becke bei Illes Balears.
Für mich war die Tour 2005 eine der interessantesten Rundfahrten, die ich bisher erleben durfte. Es gab keinen Moment Ruhe oder gar Langeweile, keine einzige Etappe wurde verbummelt. Das lag – auch das erwähnte ich bereits – an der geänderten Taktik der Teams. Auf jeder Etappe wurde volles Risiko gegangen, nur der Sieg zählte. Daraus erklärt sich auch das hohe Stundenmittel. Es gab keine großen Geschlagenen bei dieser Tour. Das Niveau der Mannschaften war durchgehend hoch. Ein Team wie Quick.Step, in dem es während der Rundfahrt kräftig krachte und das in der Mannschaftswertung den letzten Platz belegte, hatte immerhin den zweifachen Etappensieger und zwischenzeitlichen Träger des Grünen Trikots, Tom Boonen, in seinen Reihen. Für Liberty Seguros, dessen vermeintliche Stars Roberto Heras und Joseba Beloki nicht mehr als Statistenrollen spielten, holte Marcos Serrano einen Tagessieg. Und zugleich war T-Mobile, das die Mannschaftswertung mit rund 15 Minuten Vorsprung gewann, keineswegs das alles dominierende Team dieser Rundfahrt.
Und um einen kleinen Ausblick auf die Tour 2006 zu wagen Im Jahr eins nach Armstrong sehe ich Jan Ullrich nicht zwangsläufig im Gelben Trikot. Er wird nur einer aus einer Handvoll Favoriten sein, die um den Sieg kämpfen werden. Eines steht aber fest: Die Tour wird auch nach dem Abgang von Lance Armstrong ihre Helden produzieren.
Zur PersonHeiko Salzwedel ist einer der erfolgreichsten deutschen Radsporttrainer. Er führte im Jahr 1989 als Nationaltrainer der DDR-Bahnradfahrer den Vierer zu WM-Gold. Nach der Auflösung der DDR wurde er australischer Nationaltrainer und betreute Fahrer wie Robbie McEwen, Henk Vogels, Mathew White, Patrick Jonker und Kathy Watt. In seiner Profi-Mannschaft ZVVZ-GIANT-A.I.S. begannen Sportler wie Jens Voigt, Tomas Konecny, Jan Hruska, Nick Gates oder die beiden älteren Brüder von Michael Rogers (Deane und Peter) ihre erfolgreiche internationale Karriere.
Weitere Stationen des 48 jährigen Globetrotters aus dem thüringischen Schmalkalden waren das Amt des Leistungssportreferent beim Bund Deutscher Radfahrer, Teammanager im Britischen Radsportverband sowie Chef-Trainer der deutschen Frauen-Profimannschaft Equipe Nürnberger. Derzeit ist Salzwedel für die Nachwuchsförderung bei T-Mobile zuständig und Nationaltrainer der dänischen Bahn-Radsportler.
Heiko Salzwedel im Internet: http://www.sl-sports.com
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