Kommentar zur 11. Etappe der Vuelta a Espana

Wegducken der Entscheidungsträger gefährdet die Fahrer

Von Kevin Kempf und Felix Mattis

Foto zu dem Text "Wegducken der Entscheidungsträger gefährdet die Fahrer"
Eine Szene aus dem Zielraum der 11. Etappe | Foto: Tom Mustroph

04.09.2025  |  (rsn) – Protestaktionen gegen den Gaza-Krieg und das Team Israel – Premier Tech bei der Vuelta a Espana haben zur Verkürzung der 11. Etappe geführt. Die Demonstranten wollen, dass der Zweitdivisionär aus dem Rennen ausgeschlossen wird, weil Israel nach ihrer Auffassung - und der vieler internationaler Organisationen - in Gaza Völkermord begeht. Deshalb stören sie die Rundfahrt seit mehreren Tagen, ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Fahrer zu nehmen.

Die Organisatoren der Vuelta konnten die Sicherheit des Feldes nicht garantieren und hatten sich deswegen dazu entschlossen, es nicht im Zielraum ankommen zu lassen, sondern drei Kilometer davor, ohne einen Etappensieger zu ermitteln.

Wer aber denkt, dass der Radsport sich damit erpressbar gemacht hat, der täuscht sich. Denn das war er schon lange. Es ist schier unmöglich, eine Rennstrecke bis zu 200 Kilometer oder mehr komplett abzusichern. Obwohl Organisator Unipublic und die spanische Polizei vorbereitet waren, kam es im Verlauf dieser Vuelta schon zu mehreren Zwischenfällen.

Proteste zwischen friedlich und gefährlich

Schon als die Vuelta vor einer Woche mit dem Teamzeitfahren in Figueres spanischen Boden erreichte, versperrten Demonstranten die Straße mit einem Plakat, als sich die Fahrer des Israel-Teams mit rund 60 km/h und gesenkten Köpfen näherten. Glücklicherweise bremsten sie rechtzeitig. Seither passiert das Feld täglich unzählige Palästina-Flaggen, meist friedlich am Straßenrand geschwenkt. Am Dienstag auf der 10. Etappe dann aber stürmten mehrere Pro-Palästina-Demonstranten, die zunächst ebenfalls friedlich am Streckenrand zu protestieren schienen, plötzlich mitten in das Peloton, wodurch mindestens ein Fahrer zu Fall kam.

Kurz nach dem Start der 11. Etappe blockierten erneut Demonstranten mit einem Plakat mit der wohl kaum für friedliebende Proteste stehenden, sondern vielmehr antisemitischen Aufschrift "Destroy Israel" die Straße und das Fahrerfeld wurde von der Rennleitung angehalten. Rund 27 Kilometer vor dem Ziel der Etappe dann versperrten wieder zwei Personen die Straße mit einem Banner. Die Favoritengruppe musste ausweichen, Tom Pidcock (Q36.5) fuhr unter dem Plakat durch. Auch hier wurde nur der Rennbetrieb behindert, zu Schaden kam niemand.

Bei der ersten Zieldurchfahrt in Bilbao schien es so, als sei im palästinensischen Flaggenmeer kurz hinter dem Ziel eine Seite der Bande ein gutes Stück auf die Straße geschoben worden – Videos von vor Ort bestätigten das später auch. Die teilweise riesigen Fahnen wurden bedrohlich nah am Peloton geschwenkt. Das herbeigerufene Großaufgebot der Polizei konnte die Situation nicht bereinigen, bevor die Athleten das zweite und letzte Mal kamen.

Demonstranten fordern Vuelta-Ausschluss des Israel-Teams 

So entschied sich Unipublic für die Sicherheitsvariante und strich die zweite Passage. Ein Plan, der schnell kommuniziert und ausgeführt wurde, was nahelegt, dass er bereits in einer Schublade auf seinen Einsatz gewartet hatte. Das Rennen konnte zwar ohne weitere Zwischenfälle und ohne Sieger abgeschlossen werden, die Vuelta aber hat weiterhin ein Problem. Denn in Wohlgefallen auflösen werden sich die Proteste wohl kaum.

Die Forderung der Demonstranten ist keineswegs absurd. Russland und Belarus sind seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine vom internationalen Sport weitgehend ausgeschlossen – das betrifft sowohl Mannschaften als auch einzelne Sportlerinnen und Sportler, die seit inzwischen drei Jahren nicht mehr für ihr Land, sondern nur noch unter 'neutral-weißer Flagge' auftreten dürfen. Zwar ist der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine grundsätzlich natürlich anders zu betrachten, als das Geschehen in Gaza. Israels Krieg begann schließlich als Selbstverteidigung nach den Massakern vom 7. Oktober 2023. Das Land konnte weltweit auf viel Mitgefühl und Verständnis zählen. Doch durch zahlreiche bewiesene Kriegsverbrechen und Lügen der Regierung hat sich das inzwischen geändert.

Sylvan Adams, der Eigentümer von Israel – Premier Tech, versteht seinen Rennstall als Botschafter Israels. Ein Zusammenhang zwischen Sport und Politik ist so also gegeben. Viele Spanier und die Partei Izquierda Unida wollen keine "Kriegspropagandamaschine", wie sie es nennen, durch ihr Land rollen sehen.

Entscheidungsträger schieben sich Verantwortung zu

Trotzdem beruft sich der Weltverband UCI darauf, "politische Neutralität gemäß den Grundfesten der Olympischen Bewegung" zu wahren. Ein Einschreiten der obersten Instanz im Radsport, etwa durch den von den Demonstranten geforderten Ausschluss des Teams Israel – Premier Tech aus dem Rennen, ist also nicht zu erwarten. Ob das überhaupt richtig wäre, ist natürlich ohnehin diskutabel - zumal das auch anderen Protest-Aktionen künftig Rückenwind geben würde.

Ohne die Unterstützung der UCI fällt es in jedem Fall auch den Vuelta-Veranstaltern schwer, den Protesten in ihrem Land nachzugeben und für die Sicherheit des restlichen Pelotons den Rennstall aus dem Rennen zu nehmen. Denn damit würde sich Unipublic über das UCI-Reglement hinwegsetzen, das dem Team als zweitbestem ProTeam des Vorjahres Startrecht bei allen WorldTour-Rennen verspricht.

Dass Unipublic den Dialog mit den Demonstranten sucht, wie es bei den Bauernprotesten 2024 in Belgien und Frankreich geschehen ist, wäre vielleicht eine Möglichkeit. So könnte man möglicherweise die Demonstranten von gefährlichem Verhalten abhalten, ohne die Proteste als solche zu verhindern. Fraglich ist allerdings, ob die Demonstranten so organisiert sind, dass ein Gespräch mit einigen führenden Aktivisten alle gefährlichen Protestaktionen beenden könnte.

Der Technische Direktor der Vuelta, Kiko Garcia, hatte am Mittwoch gegenüber Carrusel Deportivo in Spanien die Verantwortung beim Team aus Israel sowie der UCI verordnet und erklärt: "Es gibt nur eine Lösung: Das israelische Team muss erkennen, dass seine Anwesenheit hier nicht der Sicherheit dient." Er nahm die UCI in die Pflicht. Sie müsse sich entscheiden, ob sie "ein internationales Rennen wie die Vuelta oder ein Team schützen. Wir können nur unseren Job machen."

Dass sich das Team Israel – Premier Tech aber freiwillig aus dem Rennen zurückzieht – wie offenbar im Peloton bereits vor der Bilbao-Etappe diskutiert - schloss der Rennstall am Mittwochabend mit einem klaren Statement aus. Und auch eine softere Variante, nämlich das Wort Israel aus dem Teamnamen sowie von Trikot und Teamfahrzeugen zu entfernen, scheint unwahrscheinlich.

Unterm Strich bleibt die Sicherheit der Fahrer auf der Strecke

So zeichnet sich eine düstere Perspektive für diese 80. Spanien-Rundfahrt ab. "Es ist unvorhersehbar, was in den nächsten Tagen passieren wird. Gestern war vielleicht das letzte Mal, dass wir bei dieser Vuelta einen Etappensieger gehabt haben. Ich hoffe, dass wir überhaupt weiterfahren können", überlegte der Vuelta-Gesamtführende Jonas Vingegaard (Visma – Lease a Bike) im Gespräch mit dem dänischen Fernsehsender TV2, ob die Rundfahrt vielleicht sogar komplett abgebrochen werde.

Oder aber es ändert sich nichts und geht weiter wie bisher. Dann müssten die Fahrer im Peloton wohl jederzeit wieder unerwartete Gefahrenstellen erwarten – zumal die Aktionen der Aktivisten zunehmend vehementer zu werden scheinen.

Aber solange die Entscheidungsträger, also sowohl die UCI als auch Unipublic als Vuelta-Veranstalter, die spanischen Behörden, die Polizei und Adams als Teameigner von Israel – Premier Tech, aber auch die teilweise aggressiv agierenden Demonstranten nichts an ihrem Auftreten ändern, scheint die Situation kaum lösbar und am Ende wäre das von Vingegaard angedeutete vorzeitige Ende der gesamten Rundfahrt dann wohl die sicherste Variante.

Stand jetzt ist das Resultat, einmal mehr, dass die Sicherheit und die Gesundheit von Radprofis gefährdet wird – egal übrigens, wo sie politisch stehen. Das mag vor dem Hintergrund der Geschehnisse in Gaza fast lächerlich klingen, doch auch die Menschen, die in Spanien auf Rennrädern sitzen, haben ein Recht auf Unversehrtheit.

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