RSNplusAnalyse zur 20. Giro-Etappe

Totales Taktik-Fiasko! So hat UAE hat den Gesamtsieg verschenkt

Von Kevin Kempf

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Isaac Del Toro (UAE – Emirates – XRG) überquert die Ziellinie der 20. Etappe. | Foto: Cor Vos

01.06.2025  |  (rsn) – Was am Colle delle Finestre zum großen Showdown zwischen Isaac Del Toro (UAE – Emirates – XRG) und Richard Carapaz (EF Education – EasyPost) werden sollte, wurde bei der 20. Etappe des 108. Giro d'Italia zum Antiklimax. Die beiden Lateinamerikaner fuhren zwar allen Gegnern davon, schauten sich dann aber an, hielten die Beine still und verschenkten den Gesamtsieg regelrecht an Simon Yates und Visma – Lease a Bike, die eine altbekannte Taktik in Perfektion zum Einsatz brachten.

Doch das Taktik-Fiasko begann schon lange vor der Pattstellung am schwersten Berg der Italien-Rundfahrt. UAE hat sich gleich vier Schnitzer erlaubt. Die man aber zweifellos auch EF Education vorwerfen muss. Die US-Amerikaner aber hatten deutlich weniger zu verlieren.

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Es dauerte rund 40 Kilometer, bis sich die Gruppe des Tages gebildet hatte. Insgesamt 32 Profis versammelten sich nach mehreren Schüben an der Spitze. Groupama – FDJ, die beim Giro im besten Fall mit einer B-Mannschaft angetreten sind, war gleich mit vier Fahrern dabei. Das kleine VF Group – Bardiani - CSF – Faizanè hatte zwei Athleten vorn und insgesamt fehlten nur fünf Mannschaften an der Spitze. Es war wohl eine Situation, bei der jeder Rennstall, der wirklich in der Gruppe vertreten sein wollte, das auch war.

Neben Red Bull – Bora - hansgrohe hatten Tudor, XDS – Astana und eben UAE sowie Education First den Zug verpasst. Gerade die beiden Topleute im Klassement hätten im Finale eine Relaisstation gebrauchen können; entweder um Del Toro zu beschützen oder im Falle von Carapaz, um den Ecuadorianer zu unterstützen, falls er seinen Kontrahenten am schwersten Berg der Rundfahrt würde abschütteln können.

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Visma – Lease a Bike hatte Wout van Aert mitgeschickt. Der Belgier war aufgrund der relativ flachen Kilometer nach dem Finestre in Richtung Sestriere der ideale Mann für den Job als Relaisstation. Er befindet sich möglicherweise weiterhin nicht in Topform, wurde im Laufe der Rundfahrt aber immer stärker. Im gesamten Fahrerfeld gibt es kaum einen Profi, der Kletter- und Zeitfahrfähigkeiten besser verbindet und dazu einen Körperbau aufweist, hinter dem sich ein durchschnittlicher Kletterer komplett verstecken kann. Als Yates hinter van Aert fuhr, wurde es für den Briten nicht nur windstill, es wurde regelrecht dunkel.

Die Qualitäten des dreifachen Cross-Weltmeisters sind hinreichend bekannt. EF Education und vor allem UAE hätten verhindern müssen, dass van Aert in die Gruppe des Tages geht. Er hat letztendlich Del Toro und Carapaz den Zahn gezogen und den Giro entschieden.

Simon Yates (Visma - Lease a Bike) greift die beiden Streithähne an. Im Hintergrund kommt Derek Gee (Israel - Premier Tech) an das Duo heran. | Foto: Cor Vos

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Wenn man nicht verhindern kann, dass die Gruppe entsteht, hätte man wenigstens deren Abstand klein halten müssen. Die 32 Fahrer gingen mit zehn Minuten Vorsprung in den Finestre. Genug um die gut 18 Kilometer vor den Favoriten zu überstehen. Das gelang letztendlich einer Handvoll Fahrern, zu denen auch van Aert gehörte. Wie groß der genaue Abstand am Gipfel war, ist nicht überliefert. Viel war es aber nicht, wie man den Kommentaren des Flamen entnehmen konnte, musste er alles geben, um oben vor seinem Kapitän anzukommen.

Vermutlich hätten also am Fuße des Finestre drei Minuten weniger Vorsprung gereicht, um das Durchkommen van Aerts zu verhindern. Die Mannschaften dazu hatten sowohl UAE als auch EF Education. Die Männer in Weiß-Pink nahmen gleich zu Beginn der Steigung das Feld komplett auseinander – keine schlechte Idee, um Del Toro zu isolieren. Doch Mikkel Honoré war dabei der erste und letzte Helfer zugleich, denn seine Teamkollegen scherten der Reihe nach hinter ihm aus, genau wie letztendlich alle Fahrer bis auf Carapaz und Del Toro, der zunächst auch passte, dann aber doch zurückkam.

UAE war bis zum Fuß des Finestre und dem Vorstoß von EF noch, mit Ausnahme von Filippo Baroncini, in voller Mannschaftsstärke bei seinem Kapitän und nach dem Angriff von Carapaz in ebenso voller Mannschaftsstärke abgehängt. Beide Teams hätten im Flachen den Rückstand auf die Ausreißer also ruhig weiter beschränken müssen, da sie nach dem ersten Kilometer des Finestre-Anstiegs ohnehin keine Rolle mehr spielten. Aber scheinbar hatte man bei beiden Mannschaften alles ausschließlich auf den Finestre ausgelegt, um für dort noch möglichst viel Kraft zu haben.

Wout van Aert (Visma - Lease a Bike) war die perfekte Relaisstation. | Foto: Cor Vos

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Carapaz und Del Toro waren nach der Tempoverschärfung allein weg, Yates lag fast 30 Sekunden zurück. Dass der Mann in Rosa da nicht arbeitete, war verständlich. Es war eher überraschend, dass sein Begleiter so viel von vorn fuhr, als er merkte, dass der Mexikaner dranbleibt. Als auch Carapaz die Beine hochnahm, kam Yates heran – und attackierte sofort. Carapaz erkannte die Situation nicht und schloss die Lücke für Del Toro, der sich weiterhin nur im Windschatten versteckte. Das Duo hatte Yates wieder abgeschüttelt und danach sich anschließend erneut zu Stehversuchen verleiten lassen. Der Brite kam ein weiteres Mal heran und attackierte.

Nun begriff auch Carapaz, dass Yates sein taktischer Freund war. Er hatte weniger zu verlieren als Del Toro. Ob er Zweiter oder Dritter werden würde, das sollte dem Olympiasieger von Tokio ziemlich egal sein. Gewinnen konnte er nur, wenn er den UAE-Fahrer abhängt – und das gelang bis dahin nicht. Er musste dem Mann in Rosa also die Führungsarbeit aufdrängen.

Doch der blieb eiskalt. So kalt, dass er danach offensichtlich in eine Schockstarre fiel. Carapaz sprintete ihm noch einmal fast die inzwischen 30 Sekunden große Lücke zu Yates zu, doch selbst als er nur wenige Meter überbrücken musste, blieb der Erste im Klassement am Hinterrad des Zweiten. Carapaz hatte nun endgültig genug und versuchte es erst auf den letzten zwei Kilometern des Finestre wieder. Da war Yates aber schon virtuell in Rosa – und seine Relaisstation sowie der mit ihr einhergehende Giro-Sieg waren bereits fast in Sicht.

Spätestens als der Vorsprung von Yates auf über 1:21 Minuten angewachsen war und der Brite damit virtuell zum Gesamtführenden wurde, wäre Del Toro in der Verantwortung gewesen, sein Trikot zu verteidigen. Der Mexikaner sah das anders: "Ich habe Richard den Druck auferlegt, weil er (Yates) Dritter war", erklärte er, dass seiner Ansicht nach wohl immer der Nächstbeste im Klassement die Verfolgung zu übernehmen hat – eine Perspektive, die er wohl exklusiv hatte.

Auf den letzten Metern am Finestre erhöhte Richard Carapaz (EF Education - EasyPost) nochmal die Schlagzahl. | Foto: Cor Vos

Als Del Toro seine Felle davonschwimmen sah, bemühte er Carapaz noch um Mithilfe. “Ich sagte ihm: ‘Jetzt ist es an der Zeit. Wenn du helfen willst, okay. Ich werde nicht alleine arbeiten. Es sind vierzig Sekunden, das ist fast nichts.‘ Aber dann sagte er: ‘Jetzt nicht, denn du hast mir nicht geholfen, als es zwanzig Sekunden waren.‘ Und ich sagte: ‘Okay…‘“, blickte der Mexikaner im Gespräch mit Cycling Pro Net auf einen Dialog mit seinem Widersacher zurück. Er hatte das Kriegsbeil mit Yates begraben, um sich in einen Grabenkrieg mit Carapaz zu begeben.

Schlau gewinnt

Nur kurz nach dem Zieleinlauf stand Del Toro dann lachend und winkend neben Giulio Pellizzari (Red Bull – Bora – hansgrohe) vor den Kameras einiger Fotografen. Bizarre Bilder von einem jungen Fahrer, der gerade wegen einer taktischen Fehlleistung den Sieg bei einer Grand Tour verpasst hatte. “Ich war nah dran, aber am Ende habe ich nicht gewonnen. Ich sollte mir darüber keine allzu großen Sorgen machen. Natürlich tut es weh, aber es ist so. Ich werde nicht weinen. Ich werde weiter arbeiten und auf jeden Fall zurückkommen“, meinte er anschließend.

Es ist zu hoffen, dass er - und vor allem seine Sportlichen Leiter – vor allem die nötige Arbeit bei der Taktikanalyse verrichten. Denn an den Beinen des 21-Jährigen hat es nicht gelegen. Er musste zwar einige Male ein paar Meter auf Carapaz lassen, als der angriff. Die konnte er aber immer schnell und scheinbar mit relativer Leichtigkeit wieder zufahren. Man hatte nie den Eindruck, dass der EF-Kapitän ihn dauerhaft würde abhängen können. Und so hat nicht unbedingt der physisch stärkste Fahrer – das waren wohl Del Toro oder Carapaz - die Italien-Rundfahrt gewonnen, sondern der schlauste.

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