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21.09.2020 | (rsn) - Die Tour de France ist beendet. Die Bubbles werden aufgelöst. Neue werden errichtet, für die WM, die BinckBank Tour, den Giro d'Italia und die großen Klassiker. Primoz Roglic kann jetzt Trost suchen bei seiner Ehefrau Lora Klinc, die mit Bruder und Camper bei der Tour war, aber nur vom Straßenrand aus Blicke auf den Gatten werfen konnte. "Ich wusste, wo sie stehen, aber manchmal habe ich sie unter den Zuschauern auch nicht entdeckt", blickte der Tour-Zweite auf diese speziellen Aspekte der Pandemie-Tour zurück.
Teamkollege George Bennett arrangierte am Col de Peyresourde extra ein Treffen mit Freundin Caitlin Fielder. Sie lief eine Weile neben ihm, und weil sie Ultramarathonläuferin ist, und Bennett auch mal kurz Tempo rausnahm, hatten sie sogar einige Minuten zusammen. Bis zur der nächsten Testserie - Bennett will zur WM - können aus den Minuten dann Stunden, sogar Tage werden.
Ihre Freunde, Frauen, Freundinnen und Kinder nicht zu sehen, ihre Nächsten also an Start und Ziel nicht um sich haben, für keine Umarmung, keinen Kuss, war hart für viele Fahrer. Im Hotel durften sie nicht einmal mit Fahrern oder Mechanikern anderer Teams, bei denen sie früher waren, zusammensitzen. Jedenfalls verbot das Reglement das.
Und die meisten hielten sich auch daran - ein Grund für den relativen Erfolg von "Operation Bubble". Kein Fahrer war positiv an den vier obligatorischen Tests. Vier Betreuer wurden vor dem Rennen zur Errichtung der Hygiene-Blase nach Hause geschickt, zwei davon waren positiv getestet, die anderen beiden waren die Zimmerkollegen. Vier weitere Betreuer, ein Mitarbeiter der Organisation und Tourchef Christian Prudhomme blieben am ersten Ruhetag mit positiven Resultaten im Testnetz hängen und mussten, zumindest zeitweise, das Rennen verlassen.
Wieviele positive Befunde es im Tourumfeld gab, wurde nicht kommuniziert
Ob Fahrer extra getestet wurden, weil sie möglicherweise symptomatisch waren, verriet die ASO allerdings nicht. Im mobilen Covid-Testlabor der Tour gab es jedenfalls pro Tag zwischen fünf und 20 Tests, sagte ein ASO-Verantwortlicher für das Testregime auf Anfrage von radsport-news.com. "Manche waren für symptomatische Personen, andere für Ersatzleute bei der Organisation", erklärte er.
Wieviele positive Befunde es im Tourumfeld gab, wurde nicht kommuniziert. Nur anekdotische Hinweise gibt es. Toursprecher Francois Belay, der mit seinem Mikrofon für Stimmung an der Strecke sorgt, wo auch immer die Lautsprecher montiert sind, durfte beispielsweise wegen eines positiven Tests nicht zum Grand Départ und nahm erst später, nach einem negativem Test, wieder seine Arbeit auf. Wenn die Tour sich zum Modell der sicheren Durchführung einer Großveranstaltung erklären möchte, muss sie allerdings auch auf diesem Feld transparent sein und die Anzahl positiver Tests und symptomatischer Verdachtsfälle publizieren.
Ein komplettes Fazit über den Erfolg der Corona-Tour kann rein faktisch auch erst dann gezogen werden, wenn die gestiegenen Infektionszahlen in Frankreich allgemein auf Auswirkungen durch die Tour analysiert werden. Gab es an den Tagen, an denen die Tour in den jeweiligen Etappenorten weilte, signifikante Anstiege der Infektionen? Haben Personen, die nachgewiesenermaßen bei der Tour waren, das Virus an ihre Heimatorte gebracht? Natürlich, solche Feinanalysen sind kompliziert. Nicht jeder Fall wird so auch erfasst. Für eine nachhaltige Modellwirkung müssten Organisatoren und Gesundheitsbehörden aber genau das leisten.
Denn zu beobachten war auch, dass die behauptete Realität des Hygiene-Konzepts nicht immer und nicht in allen Punkten mit der physischen Realität des Rennens übereinstimmte. Laut Hygienekonzept sollten Fahrer und Betreuer Einzelzimmer haben. Da lachte mancher Teamchef nur sarkastisch auf. Wie gewohnt gab es viele Doppelzimmer. Trennung von Fahrern und Medien war ebenfalls gefordert.
Brailsford von der Polizei gestoppt
In der Mixed Zone hielt man sich brav daran, verlängerte Mikrofone und Aufnahmegeräte mit Selfiesticks und Einbeinstativen. Manch ein Journalist wunderte sich dann aber, dass er im selben Hotel eincheckte, vor dem schon die Teamwagen platziert waren. Bei einer Etappe befanden sich sogar Pressezentrum und Teamhotel in einem einzigen Gebäudekomplex. Flaschen sollten auch nicht weggeworfen werden, der Umwelt zuliebe und um Schmierinfektionen vorzubeugen. Als in der dritten Woche ein paar Halbwüchsige im Ziel lautstark Flaschen forderten, kamen Fahrer diverser Teams dem Wunsch nach. Die kleine Clique machte fette Beute. Und weil die Flaschen ja aus dem Inneren einer streng kontrollierten Blase kamen, war das Infektionsrisiko auch ziemlich gering.
Ineos-Teamchef David Brailsford erwischte man auf ganz kuriose Weise beim zeitweiligen Verlassen der Hygiene-Blase. Brailsford wurde, so berichtete die Zeitung "Liberation", von der Polizei festgehalten, als er mit seinem Rad zum Grand Colombier hochstiefeln wollte. Der Gipfel war für das Publikum gesperrt, Brailsford wurde für einen normalen Fan gehalten - und hatte sich ja bis zum versuchten Betreten der abgeschotteten Zone auch wie ein solcher verhalten.
Wer angesichts all dieser Widersprüche und Regelüberschreitungen 'Skandal!' hätte schreien wollen, hätte inzwischen einen wunden Rachenraum. Das Schreien wird sicher kommen, sollten im Nachhinein doch noch positive Fälle bekanntwerden, die auf die Tour zurückzuführen sind. Stand jetzt hat die Tour aber bewiesen, dass es zumindest möglich ist, einen 3.000 Personen umfassenden Tross über mehr als 3.000 Kilometer Strecke drei Wochen lang durch rote Zonen eines insgesamt beträchtlich infizierten Landes ziehen zu lassen, ohne dass in dessen Innern das Virus viele Opfer findet.
Gezeigt hat sich aber auch, dass zwischen Konzepten und echtem Leben Lücken klaffen. Das wusste man schon vorher. In der Neigung zum Durchregeln in der Pandemie ist die Erinnerung an diese Kluft aber sinnvoll.
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