Giro: Quintanas Attacken verpuffen

Van Garderen lässt in St. Ulrich seine Kritiker verstummen

Von Lorenz Rombach

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Tejay van Garderen (BMC) hat die 18. Giro-Etappe gewonnen. | Foto: Cor Vos

25.05.2017  |  (rsn) – Während Tom Dumoulin (Sunweb), Nairo Quintana (Movistar) und Vincenzo Nibali (Bahrain-Merida) sich auf den letzten Kilometern der extrem schweren 18. Giro-Etappe durch die Dolomiten belauerten, zeigte vorne ein Fahrer, der von vielen Kritikern bereits abgeschrieben wurde, was ihn ihm steckt: Tejay Van Garderen (BMC).

Der US-Amerikaner, der den ganzen Tag in der Spitzengruppe verbracht hatte, zog nach 137 Kilometern von Moena nach St. Ulrich im Zielsprint innen an Mikel Landa (Sky) vorbei und sicherte sich seinen ersten Grand-Tour-Etappensieg. Da sich die Top-Favoriten im Finale nur gegenseitig beäugten, entwischten einige Fahrer auf den letzten Kilometern aus der Verfolgergruppe, allen voran Thibaut Pinot (FDJ) und Dimenico Pozzovivo (Ag2R), die je mehr als eine Minute auf Dumoulin gutmachten. Der Niederländer konnte nach einem weiteren souveränen Auftritt jedoch sein Rosa Trikot verteidigen und büßte als Tagesneunter keine Zeit auf Quintana und Nibali rein.

"Ich habe versucht es taktisch so gut zu machen wie möglich, aber ich wusste nicht, ob ich gewinnen würde, ehe ich die Ziellinie überquert hatte", sagte der sichtlich gerührte van Garderen im Ziel zum finalen Sprint, in dem Landa, wie schon vorgestern gegen Nibali auf der 16. Etappe, den Kürzeren zog, weil er die Innenkurve offen lies. "Es ist mein erster Sieg bei einer Grand Tour, deshalb ist das ein unglaubliches Gefühl, ganz besonders in einer Gegend, die ich so gut kennen - ich habe hier viele Trainingscamps bestritten, deshalb kenne ich jeden Meter der Straße", fügte van Garderen strahlend an.

Derweil kam es bei den Favoriten auf den letzten Kilometern nach St. Ulrich zu kuriosen Szenen. Quintana, der bereits am Passo di Gardena 54 Kilometer vor dem Ziel erstmals attackiert hatte, dabei aber nicht entscheidend wegkam, versuchte es im Schlussanstieg mit zwei Attacken erneut, wurde jedoch vom stark fahrenden Sebastien Reichenbach (FDJ) wieder eingeholt.

Danach setzte er sich an Dumoulins Hinterrad, der gut vier Kilometer vor dem Ziel selbst drei vergebliche Attacken ritt. "Quintana und Nibali haben zusammengearbeitet und sind ihre eigenen Rennen gefahren. Sie haben mich nicht unterstützt und haben am Ende eine Minute auf Pozzovivo und die anderen verloren", kommentiere Dumoulin die Szenen im Ziel lakonisch.

In der Tat kamen nicht nur Pinot und Pozzovivo, sondern auch Ilnur Zakarin (Katusha-Alpecin), Steven Kruijswijk (LottoNl-Jumbo) und Bauke Mollema (Trek-Segafredo) vor Dumoulin, Quintana und Nibali ins Ziel. Das Trio belegt jedoch weiterhin die Plätze eins bis drei in der Gesamtwertung. "Wir haben es auf verschiedene Art und Weise versucht und haben die Karten gespielt, die wir in unserem Team haben. Wir sind gefahren und haben es probiert, aber es war nicht möglich (Dumoulin abzuschütteln). Der Leader hat sich sehr gut verteidigt", sagte Quintana offenbar resigniert zu den wartenden Journalisten.

Der große Verlierer des Tages war Bob Jungels (Quick-Step Floors). Der Luxemburger musste bereits am Passo di Gardena rund 60 Kilometer vor dem Ziel abreißen lassen und verlor bis ins Ziel fast vier Minuten. Sein Weißes Trikot musste er an Adam Yates (Orica-Scott) abgeben, dessen Mannschaft, allen voran der erfahrene Ruben Plaza, viel gearbeitet hatte, um ihren britischen Kapitän in die Top Ten zu katapultieren.

Die lediglich 137 Kilometer lange Etappe von Moena nach St. Ulrich über fünf Dolomiten-Pässe begann wie erwartet sehr hektisch. Nach wenigen Kilometern setzten sich Diego Rosa (Sky), Joey Rosskopf (BMC), Natnael Berhane (Dimension Data) und Manuele Boaro (Bahrain-Merida) ab. Dahinter kam das Rennen jedoch nicht zur Ruhe. Während Dumoulin sehr schnell nur noch Laurens ten Dam an seiner Seite hatte, folgten immer wieder Attacken, bis sich schließlich im oberen Teil des Passo Pordoi, dem ersten Anstieg des Tages, zwei größere Verfolgergruppen bildeten.

Diese kamen in der langen Abfahrt zusammen und im Tal waren die vier Spitzenreiter gestellt. Eine rund 20 Fahrer starke Gruppe hatte sich gefunden, die mit Landa, van Garderen, Joe Dombrowski (Cannondale-Drapac) und Jan Hirt (CCC Sprandi Polkowice) einige Kandidaten auf den Etappensieg enthielt. Zudem hatte Movistar mit Andrey Amador und Winner Anacona gleich zwei starke Helfer nach vorn geschickt, und auch Orica-Scott und Bahrain-Merida waren vertreten, nämlich mit Plaza und Kanstantin Siutsou.

Während an der Spitze Sky mit Rosa und Philip Deignan das Tempo für Landa machte, versuchte Sunweb im Anstieg zum Passo Valparola etwas Ruhe einkehren zu lassen, was auch gelang, da mittlerweile einige Helfer Dumoulins von hinten wieder aufgeschlossen hatten. Doch sofort übernahmen Bahrain-Merida und Orica-Scott das Kommando und erhöhten die Schlagzahl wieder – und schnell hatte Dumoulin wieder nur einen Mann an seiner Seite: den tapfer kämpfenden ten Dam.

Auch in der Abfahrt vom Valparola und in der Anfahrt zum nächsten Anstieg, dem Passo Gardena, war es die Orica-Mannschaft, die den Druck auf Dumoulin und die anderen Favoriten aufrecht erhielt. Im Anstieg sollten sie schnell dafür belohnt werden: Noch in den unteren Kehren des knapp zehn Kilometer langen Passes musste Jungels, bis dato Führender in der Nachwuchswertung, abreißen lassen und auch ten Dam konnte Dumoulin nicht länger unterstützen. Zu diesem Zeitpunkt waren noch rund 30 Fahrer in der Favoritengruppe mit von der Partie.

Aufgrund der Tempoarbeit von Christopher Juul Jensen (Orica-Scott) kam die Spitzengruppe um Landa, van Garderen & Co. nie viel mehr als zwei Minuten weg, doch allen voran Rosa sorgte dafür, dass sie sich die Chance auf den Etappensieg offenhielt. An der Spitze mussten nun einige Fahrer reißen lassen und Rosa, Landa, van Garderen, Hirt, Dombrowski, Davide Villela (Cannondale Drapac) und Natnael Berhane (Dimension Data) sowie die beiden Movistar-Fahrer Amador und Anacona konnten sich absetzen. Doch Quintanas Helfer wurden an anderer Stelle gebraucht und warteten auf ihren Kapitän. Der schickte zur Hälfte des Anstiegs Gorka Izagirre nach vorne und lancierte 54 Kilometer vor dem Ziel seine große Attacke. Schnell erreichte er Amador und fuhr einen Vorsprung von gut 20 Sekunden auf das Rosa Trikot heraus.

Als dann auch noch Nibali von hinten aufschloss und mit Siutsou ebenfalls einen Helfer dabei hatte, sah es so aus, als müsste sich Dumoulin von seinem Rosa Trikot verabschieden. Doch der Maastrichter fuhr erneut brilliant und neutralisierte die gefährliche Attacke an der Kuppe des Gardena-Passes. Auf den folgenden 30 Kilometern passierte nicht viel. Rosa machte an der Spitze Tempo und bei den Favoriten war es immer wieder der unermüdliche Plaza, der Tempo bolzte und seinen Kapitän dadurch letztlich in das Weiße Trikot fuhr.

Auf der Abfahrt vom vorletzten Anstieg, dem Passo di Pinei, setzten sich van Garderen und Landa von ihren Begleitern ab. Mit 40 Sekunden Vorsprung auf die Favoritengruppe, die von Amador angeführt wurde, gingen die Beiden in den letzten Anstieg nach St. Ulrich hinein. Das Tempo war jedoch nicht allzu hoch, bis Quintana seine Mannen sechs Kilometer vor dem Ziel anwies, die Schlagzahl zu erhöhen. Nachdem seine Helfer kurz darauf passen mussten, lancierte der Kolumbianer seine Attacke und legte schnell einige Meter zwischen sich und die anderen Favoriten.

Doch der kleine Mann aus Tunja schien nicht in absoluter Bestform zu sein und wurde nach rund einem Kilometer wieder gestellt, primär durch die Tempoarbeit von Reichenbach. Danach probierten es auch Dumoulin und Nibali, kamen jedoch ebenfalls nicht weg. Auch deshalb kam es zu einem kuriosem Schauspiel: Während nacheinander Pinot, Pozzovivo, Kruijswijk und Mollema die Flucht ergriffen, schauten sich die drei stärksten Fahrer des 100. Giro d’Italia an.

Davon unbeeindruckt zogen Landa und van Garderen durch und blieben auch an der letzten steilen Rampe 500 Meter vor dem Ziel zusammen. Im Zielsprint war es dann der BMC-Kapitän, der die Nerven behielt und auf dem abfallenden Stück mit Tempo von hinten kam und innen an Landa vorbeizog. Acht Sekunden dahinter fuhr der starke Pinot auf Rang drei und liegt im Gesamtklassement jetzt nur noch 24 Sekunden hinter Nibali. "Das war ein guter Tag, ich habe mich stark gefühlt. Natürlich gibt mir das, was ich auf einer kurzen Etappe wie dieser mit hohem Tempo und harten Anstiegen geschafft habe, Selbstvertrauen", sagte der Franzose im Ziel zu seiner Leistung.

Gleichzeitig mit Pinot kam der erneut starke Pozzovivo ins Ziel und ist jetzt auch nur noch 50 Sekunden vom Podium entfernt. Auf Platz fünf kam der Tscheche Jan Hirt, der erneut ein bärenstarkes Rennen fuhr und am Ende nur elf Sekunden verlor. Zakarin büßte 20 Sekunden auf Pinot ein, die beiden Holländer Mollema und Kruijswijk jeweils deren 30.

Mehr als eine Minute hinter Tagessieger van Garderen und, Bonussekunden eingerechnet, mehr als eine Minute hinter Pinot, kamen Dumoulin, Quintana und Nibali an – wobei der Sunweb-Kapitän damit mehr als zufrieden sein konnte. Er überstand eine weitere extrem schwere Etappe und büßte keine Zeit auf seine schärfsten Verfolger ein. Dumoulin hat weiterhin 31 Sekunden Vorsprung auf Quintana und 1:12 Minuten auf Nibali.

Zeitgleich mit den "Großen Drei“ kam Yates ins Ziel, verbesserte sich damit auf Platz acht der Gesamtwertung und übernahm das Weiße Trikot. Der erneut knapp geschlagene Landa kann sich mit der Führung in der Bergwertung trösten, die ihm kaum noch zu nehmen sein wird. Gleiches gilt für Fernando Gaviria (Quick-Step Floors) in der Punktewertung.

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