RSN-Frauen-Rangliste, Platz 5: Charlotte Becker

Stück für Stück den Spaß am Radfahren wiedergefunden

Von Felix Mattis

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Charlotte Becker (Wiggle-Honda) feiert ihren Etappensieg auf Zhoushan Island. | Foto: Cor Vos

30.12.2014  |  (rsn) - So ganz die Alte ist Charlotte Becker noch nicht, doch die inzwischen 31-jährige Wahl-Berlinerin wähnt sich auf einem guten Weg und scheint damit auch gar nicht so falsch zu liegen. Nach einer völlig verkorksten Saison 2013 konnte Becker in diesem Jahr endlich wieder lachen und sogar eine Rundfahrt gewinnen – ihre erste seit der Holland Ladies Tour 2008.

„Ich bin zufrieden, wenn auch nicht sehr zufrieden“, bilanziert sie gegenüber radsport-news.com. Sie sei schließlich nicht davon ausgegangen, „dass ich nach dem Jahr 2013, das mich nicht nur einmal umgehauen hat, auf einmal fliegen würde.“

Da nämlich verließ Becker nur wenige Monate nach ihrem Wechsel von Specialized-lululemon zu Argos-Shimano bereits ihren neuen Rennstall. Die Arbeitsphilosophien von Team und Fahrerin hatten nicht zusammengepasst. Becker fand zwar bei Wiggle-Honda schnell eine neue Heimat, brach sich bei der Route de France kurz darauf aber zwei Rippen. „Im neuen Jahr musste ich erst einmal den Spaß am Sport wiederfinden", sagt sie.

Das scheint gelungen zu sein – und so passte es ins Bild, dass man Becker bei der Straßen-WM in Ponferrada entspannt und gut gelaunt erlebte. „Das war eine der schönsten Weltmeisterschaften, bei denen ich dabei war – alleine schon von der Stimmung her“, bestätigt Becker und meint, dass dazu natürlich auch die Medaillen von Lisa Brennauer beigetragen haben.

Doch auch Becker selbst hat 2014 den einen oder anderen Erfolg eingefahren. Ihr persönliches Saison-Highlight war zweifelsfrei die Tour of Zhoushan Island, eine dreitägige Rundfahrt in China, die im Anschluss an das Weltcuprennen auf Chongming Island stattfand, wo Becker bereits Siebte geworden war.

Zwei Tage nach ihrem Geburtstag gewann sie auf Zhoushan die 1. Etappe und feierte weitere 48 Stunden später sogar den Gesamtsieg. „Das Schwierige war, das Trikot zu verteidigen, was mir dank der tollen Unterstützung meiner Teamkolleginnen und auch meiner guten Form gelungen ist“, so Becker, die angesichts des nicht ganz flachen Parcours etwas von sich selbst überrascht war.

China gehört, weil ihr die Kultur so fremd ist, nicht zu den Lieblingsländern Beckers. „Ich würde am liebsten einen großen Bogen darum machen“, gibt sie zu. Doch der sportliche Erfolg ist Grund genug, immer wieder hinzufahren – immerhin wurde Becker zum Beispiel 2011 bereits Dritte beim Chongming-Weltcup - und im Gelben Trikot über Zhoushan Island zu fahren, war dann eben doch sehr schön: „Es ist immer etwas Besonderes, das Führungstrikot zu tragen – egal bei welcher Rundfahrt.“

Weit weg von Europa verbrachte Becker auch den vergangenen Winter, nämlich mit ihrem Wiggle-Honda-Team in Australien. Perfekte Trainingsbedingungen bei gutem Wetter fand die ehemalige Deutsche Meisterin dort vor. In diesem Jahr aber darf sie das nicht mehr genießen, denn auch wenn sie sich beim Team von Rochelle Gilmore wohlgefühlt hat, so fährt sie in Zukunft für die norwegische Mannschaft Hitec Products von Karl Lima.

„Die anderthalb Jahre bei Wiggle waren für mich sehr gut. Aber da ich nun wieder auf die Bahn gehe und dem Team nicht voll zur Verfügung stehe, gibt es für mich dort keine Zukunft", erklärt sie.

Bei Wiggle-Honda sträubt man sich zwar grundsätzlich nicht, Bahnfahrerinnen unter Vertrag zu nehmen, doch wenn Becker geblieben wäre, „hätte das Team ja fast nur noch aus Bahnfahrerinnen bestanden“, erklärt die Bundespolizistin. Deshalb schaute sie sich anderweitig um und wurde bei Hitec Products fündig. „Dort habe ich alle nötigen Freiheiten für die Bahn, bekomme ein gutes Rennprogramm, gute Ausstattung und Unterstützung.“

Australien stand in diesem Dezember für Becker folglich nicht mehr auf dem Programm. Stattdessen ging es zum Teamtreffen ins kalte Norwegen. „Wir waren wandern, am Meer spazieren, haben Porträtfotos gemacht und hatten abends eine Weihnachtsfeier zusammen mit der Firma Hitec Products“, erzählt sie und betont, Australien weniger zu vermissen, „als dort letztes Jahr zu Weihnachten meine Familie“.

Beim Teamtreffen ist sie auch auf ihre neue Kapitänin getroffen: Kirsten Wild. Mit der Weltklasse-Sprinterin fuhr Becker schon in der ersten Jahreshälfte 2013 bei Argos-Shimano zusammen, nun wird sie in den nächsten zwei Jahren als Anfahrerin der Niederländerin fungieren – etwas kurios, denn bislang machte Becker bei Wiggle-Honda diesen Job ausgerechnet für Wilds härteste Kontrahentin Giorgia Bronzini.

„Früher fand ich solche Situationen komisch“, meint Becker. „Aber mittlerweile ist es normal. Der Radsport ist ein kleiner Zirkus, jedes Jahr kommen ein paar und es gehen ein paar – und immer werden die Karten bei den Teams neu gemischt. Irgendwo begegnet man sich meistens wieder. Ich verstehe mich sehr gut mit Giorgia und auch mit Kirsten – wahrscheinlich besser als die beiden untereinander – und ich bin ja nur diejenige, die dafür sorgen muss, dass die eine die andere am Ende überspurten kann. Das mache ich für beide gerne.“

Trotzdem geht es für Becker im kommenden Jahr natürlich um mehr als nur Etappensiege für Wild. Die 31-Jährige will im Einzelzeitfahren zu alter Stärke zurückfinden und sich auf der Bahn mit dem Verfolger-Team für Olympia 2016 in Rio qualifizieren. Deshalb war ihr beim Teamwechsel auch so wichtig, dass der neue Rennstall Freiheiten für die Bahn lässt. Ob sie dann möglicherweise in beiden Disziplinen – auf der Bahn und der Straße – in Rio um Edelmetall kämpft? „Das wird sich zeigen. Erstmal steht mit Blick auf Rio die Qualifikation in der Mannschaftsverfolgung im Vordergrund.“

Der Schritt zurück in Richtung Bahn in diesem Winter hatte nach der Pause aber auch einen anderen Grund. „Ich habe in den letzten zwei Jahren gemerkt, dass es mir schwerer fällt, an die Leistungsgrenze zu gehen. Und ich denke, dass mir da das Training in den Spitzenbereichen auf der Bahn gefehlt hat“, so Becker, die nach der Bahn-WM, die Mitte Februar in Paris stattfindet, ihr jährliches vierwöchiges Praktikum bei der Bundespolizei in Berlin bestreitet, um dann etwas später als zuletzt in die Straßensaison einzusteigen.

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