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22.10.2020 | (rsn) - Jai Hindley (Sunweb) hat auf der Königsetappe des 103. Giro d’Italia den größten Erfolg seiner Karriere gefeiert. Der Australier setzte sich nach 207 Kilometern mit 5.400 Höhenmetern im Bergaufsprint gegen Tao Geoghegan Hart (Ineos Grenadiers) durch, Pello Bilbao (Bahrain - McLaren) wurde mit 46 Sekunden Rückstand Dritter.
Das Rennen wurde schon am Stilfser Joch gesprengt, was zu großen Abständen zwischen den Favoriten führte. Trotz einer zwischenzeitlichen Krise konnte Wilco Kelderman (Sunweb) das Rosa Trikot von Joao Almeida (Deceunick - Quick-Step) übernehmen. Vor den letzten drei Etappen liegen im Gesamtklassement nur 15 Sekunden zwischen den drei Bestplatzierten Kelderman, Hindley und Geoghegan Hart. Die restlichen Favoriten sind wohl raus aus dem Spiel um den Gesamtsieg.
Ein weiteres Mal war das 2.746 Meter hohe Stilfser Joch (Stelvio) der Scharfrichter der Italien-Rundfahrt. Als Rohan Dennis (Ineos Grenadiers) im 25 Kilometer langen Anstieg das Tempo verschärfte, wurde die Gesamtwertung auf den Kopf gestellt. Nur sein Teamkollege Geoghegan Hart und Hindley konnten dem Tempo des zweimaligen Zeitfahrweltmeisters folgen. Am Schlussanstieg machte das Duo den Etappensieg unter sich aus. “Es ist so eine schöne Etappe über so epische Anstiege. Ich bin überglücklich, gewonnen zu haben“, erklärte ein strahlender Hindley nach seinem ersten Grand-Tour Etappensieg, mit dem er auch die Führung in der Nachwuchswertung von Almeida übernahm.
Dabei war die Taktik der Sunweb-Mannschaft durchaus gewagt: Kelderman wurde zwar am Stelvio abgehängt, hielt sich aber am Anstieg mit einem Rückstand von nur 45 Sekunden fast noch in Schlagdistanz. Nachdem Almeida schon zuvor zurückgefallen war, fuhr Kelderman lange Zeit im virtuellen Führungstrikot. Auf den letzten 15 Kilometern der Etappe büßte der Niederländer ohne Unterstützung noch viel Zeit ein.
Hindley folgte hier der Order aus seinem Mannschaftswagen: “Ich wusste, dass Tao bis zur Linie fahren würde, um Zeit zu gewinnen. Mir wurde gesagt, dass ich an ihm dranbleiben und keine Arbeit verrichten soll. Das habe ich getan, denn ich wusste, dass Wilco wahrscheinlich ins Trikot fährt. Ich sah die Gelegenheit und habe sie ergriffen“, so der 24-Jährige.
Kelderman kämpft sich ins Rosa Trikot
Auf der anderen Seite holte Sunweb mit dem Tagessieg und dem Rosa Trikot das Optimum aus dieser 18. Etappe von Pinzolo zum Laghi di Cancano heraus. Dieser Perspektive war auch Kelderman: “Es war ein verrückter Tag, der härteste meines Lebens. Es war ein großer Kampf. Für uns hätte es nicht besser laufen können, insbesondere mit dem Etappensieg von Jai“, so der 29-Jährige, der die letzten 45 Kilometer der Etappe allein absolvierte. “Wir haben am Stelvio Almeida früh abgehängt. Ineos war sehr stark mit ihren beiden Fahrern. Ich konnte nicht mithalten, also wurde es ein Rennen mit mir selbst. Die meiste Zeit war ich über die Abstände informiert. Ich wusste, dass es eng werden würde“, fasste Kelderman die entscheidenden Szenen zusammen.
An die kommenden Etappen mochte der neue Träger des Maglia Rosa noch nicht denken: “Ich bin glücklich heute. Jetzt gilt es sich zu erholen, Pläne zu machen und wir werden sehen, was passiert.“ In diesen Plänen muss Geoghegan Hart ab jetzt als Hauptkonkurrent um den Gesamtsieg gelten. Der junge Brite verpasste zwar seinen zweiten Etappensieg, manövrierte sich aber in Perspektive auf das abschließende Zeitfahren in eine hervorragende Ausgangssituation. Das Punktetrikot verbleibt bei Arnaud Démare (Groupama-FDJ). Nach der Aufgabe von Giovanni Visconti (Vini Zabù -K TM) dürfte Ruben Guerreiro (Education First) die Bergwertung nicht mehr zu nehmen sein.
Eine überzeugende Leistung lieferte auch Patrick Konrad (Bora - hansgrohe) ab. Der Österreicher wurde mit 4:04 Minuten Rückstand Siebter und verbesserte sich dadurch im Gesamtklassement auf Platz sieben (+5:40). "Das war eine Hammer-Etappe! Leider habe ich meine Beine schon am ersten Anstieg gespürt, weshalb ich am Stilfser Joch entschieden habe, mein eigenes Tempo zu fahren und nicht ans Limit zu gehen“, sagte Konrad. “Am letzten Anstieg ist es mir dann wieder besser gegangen. Ich hatte mehr Kraft und konnte sogar einige der anderen Klassementfahrer distanzieren. Insgesamt war es deshalb ein guter Tag für mich.“ Angesichts der großen Abstände und weil sein Teamkollege Rafal Majka vom sechsten auf den elften Platz zurückfiel, dürfte für Bora - hansgrohe der Traum vom Podium in Mailand allerdings vorbei sein.
So lief das Rennen:
Schon am ersten Anstieg direkt nach dem Start kam zu zahlreichen Angriffen. Zeitweise konnte sich eine 45 Fahrer große Gruppe vom Feld absetzen, die aber wieder eingeholt wurde. Es war vor allem die Sunweb-Profis, die das Tempo hochhielten. Die Gruppe des Tages setzte sich schließlich vor der zweiten Bergwertung ab. Nach 39 Kilometern machten sich Guerreiro, Ben O’Connor (NTT), Thomas De Gendt (Lotto Soudal) und zwölf weitere Fahrer auf den Weg und erarbeiteten sich einen Vorsprung von maximal 4:10 Minuten. Guerreiro gewann die erste Bergwertung, während die zweite Bergwertung und der Zwischensprint an De Gendt ging.
In der Anfahrt zum Stilfser Joch übernahm Sunweb abermals die Kontrolle über das Feld und verschärfte das Tempo, als es in den Stelvio hineinging. Das Favoritenfeld dünnte schnell aus und auch die Spitzengruppe brach auseinander. O’Connor attackierte auf den unteren Teilen der Steigung und verteidigte lange einen Vorsprung von 1:30 Minuten auf die Favoriten, während die restlichen Mitglieder der Spitzengruppe nach und nach vom Feld eingeholt wurden. Dort verlor Domenico Pozzovivo (NTT) als erster Klassementfahrer schon 50 Kilometer vor dem Ziel den Anschluss. Kurz darauf geriet auch Almeida zum ersten Mal in Schwierigkeiten.
Der Träger des Maglia Rosa kämpfte noch für zwei Kilometer um den Anschluss an die Favoritengruppe. Doch als Rohan Dennis (Ineos Grenadiers) die Führung übernahm, fiel er endgültig zurück. Um ihn bildete sich eine Gruppe um seinen Teamkollegen Fausto Masnada, Patrick Konrad, Rafal Majka (Bora - hansgrohe), Hermann Pernsteiner (Bahrain - McLaren). Kurz danach konnten auch Pello Bilbao (Bahrain-Merida), Jakob Fuglsang (Astana) und Vincenzo Nibali (Trek-Segafredo) das Tempo nicht mehr mitgehen. Sie sollten eine zweite Verfolgergruppe bilden, bis Nibali kurz vor dem Gipfel noch weiter zurückfiel. Schließlich kam auch Kelderman im oberen Teil des Anstiegs und knapp 45 Kilometer vor dem Ziel in Schwierigkeiten.
Das Stilfser Joch wirbelt das Klassement durcheinander
Kurz darauf wurde O’Connor eingeholt, so dass Dennis, Geoghegan Hart und Hindley die neue Spitze bildeten. Unter der Führung von Dennis konnten sie bis zum Gipfel einen Vorsprung von 46 Sekunden auf Kelderman herausfahren. Fuglsang und Bilbao hatten zu diesem Zeitpunkt schon 1:38 Minuten Rückstand, während die Gruppe um Almeida bereits 3:38 Minuten zurück war. Die Cima Coppi auf 2.746 Metern Höhe ging an Dennis. Kurz vor der Abfahrt hatten die beiden Sunweb-Fahrer Probleme ihre langen Jacken anzuziehen. Hindley, der fast sogar zu Sturz gekommen wäre, verhedderte sich immer wieder beim Versuch, mit seinem rechten Arm in die Jacke zu kommen, bestritt die Abfahrt schließlich mit offenem Reißverschluss, während Kelderman die Jacke sogar ganz wegschmiss.
Auf dem kurzen, flachen Stück nach Ende der Abfahrt und vor Beginn des Schlussanstiegs spielte Dennis seine ganze Klasse aus, während Kelderman sich kurzzeitig in einer Krise befand. Der Niederländer verlor innerhalb von wenigen Kilometern knapp eine Minute. Zu Beginn des Schlussanstiegs wurde er sogar von Fuglsang und Bilbao überholt. Nach Ende des Flachstücks hatte Dennis‘ seine Arbeit verrichtet und Geoghegan Hart, der sich zuvor die drei Bonussekunden am zweiten Sprint gesichert hatte, fuhr den Schlussanstieg von vorne. Hindley lauerte die ganze Zeit an seinem Hinterrad und konnte sich letztendlich im Sprint souverän gegen den Etappensieger von Piancavallo durchsetzen.
Dahinter setzte sich Bilbao gut sechs Kilometer vor dem Ziel von Fuglsang ab und konnte die Lücke zum Spitzenduo deutlich reduzieren. Kelderman hielt den Abstand lange stabil bei rund 40 Sekunden, verlor aber auf den letzten Kilometern nochmals Zeit. Die Gruppe um Almeida, in die Nibali mittlerweile zurückgefallen war, kam mit mehr als vier Minuten Rückstand ins Ziel.
Majka und Pozzovivo fielen aus den Top-10 heraus, während sich Pernsteiner auf Rang zehn schieben konnte. Konrad kletterte um zwei Positionen auf Platz sieben. Fuglsang konnte sich sogar von dem zwölften auf den sechsten Rang verbessern.
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