Marlen-Reusser-Blog

Nach zwei EM-Medaillen über den Wolken!

Von Marlen Reusser

Foto zu dem Text "Nach zwei EM-Medaillen über den Wolken!"
Marlen Reusser (Paule Ka) | Foto: Velofocus

29.08.2020  |  (rsn) - Heute schreibe ich über den Wolken, auf der Rückkehr von den Europameisterschaften in Frankreich. Selbstverständlich geht’s hier also ofenfrisch um diese verrückte Woche dort. Radsport pur, Emotionen pur!

Drei EM-Events, zwei Medaillen! Die vergangenen beiden Jahre konnte ich verletzungsbedingt jeweils nicht teilnehmen. Nach meinem Debüt 2017 in Dänemark waren dies folglich meine zweiten Europameisterschaften. Der Fokus lag dabei klar auf dem Einzelzeitfahren, mit welchem die Titelkämpfe am Montag eröffnet wurden. Mit einer noch nie dagewesenen Form träumte ich groß und war gespannt. Wie würden sich all die harten Trainingsstunden (für einmal über Monate ohne Unterbrechungen) und die Arbeit am Rad bezüglich Aerodynamik etc. ausbezahlen?

Die Enttäuschung war herb, als ich schon bei Kilometer drei die Kette zwischen den zwei Zahnkränzen hatte und sie weder auf den kleinen noch den großen manövrieren konnte. Für eine Weile probierte ich es, dann musste der Mechaniker ran. Kaum war ich wieder unterwegs, überholte mich die eine Minute hinter mir gestartete Anna van der Breggen. In diesem Moment rief ich mir meine eigenen Worte in den Kopf, hatte ich doch kurz zuvor große Reden vor unseren Junioren/innen darüber geschwungen. Überholt dich im Einzelzeitfahren einer der allergrössten Namen, heißt das nicht, dass du nicht auf dem Podium stehen wirst. Im Gegenteil, nun gibt’s etwas zu lernen!

Ärger über die technischen Probleme

Von nun an fuhr ich nicht mehr um den Sieg, jedoch um eine Medaille, und zwar mit einer delikaten Situation an meiner Schaltung. Und es gelang! Platz drei für die Schweiz! Selbst brauchte ich eine Weile, bis der Ärger über die technischen Probleme geschluckt war und ich mich doch über dieses Podium freuen konnte. Es trifft mich, wie sowohl in der Direktübertragung wie auch in diversen Medien berichtet wurde: Ich hätte im zweiten Rennabschnitt eine “erstaunliche“ Leistungssteigerung gemacht und vom Windschatten van der Breggens profitiert. Dass ich aufgrund eines mechanischen Problems eine Minute nicht treten konnte und so die Zeit verlor, fand dagegen keine Erwähnung.

Nach einem derartigen Effort und der mentalen Berg- und Talfahrt schläft es sich nicht so prächtig. Zum frühen Start für das World Tour Rennen GP Plouay dienstags war mein Auftritt folglich etwas “zerknittert“. Nach einem kräftigen Coffein-Shot zündete der Motor jedoch und ich fand sogar in diesem strömenden Regen Gefallen am Rennen. Nachdem ich das Feld durch strenges Pacing an den Anstiegen etwas streckte, konnte ich solo wegfahren und ebnete damit meiner Teamkollegin Lizzy Banks den Weg für ihren Erfolg bringenden Konter. So machten es die zwei Lizzies aus Yorkshire (Deignan und Banks) im Breakaway unter sich aus. Platz zwei für unsere Equipe Paule KA! Ein gelungener Tag zwei. Grund genug, mein Gehirn schon wieder nächtlichen Kapriolen zu beschäftigen.

Der Ruhetag am Mittwoch kam gelegen. Die Schweizer Mannschaft (oder Frauschaft? Menschschaft?) fuhr nochmals auf den Kurs, um das Teamzeitfahren präzise zu planen. Eine ausgiebige Massage, gute Kost und nette Blödeleien mit den “Gespänli“ und schon war der Tag rum.

Leider passierte Elise ein Ausrutscher

Donnerstag galts wieder, das Straßenrennen stand an. Auch dieses Mal bei strömendem Regen. Meine Beine waren schlecht brauchbar. Da gibt’s aber mit Sicherheit kein Pardon und einmal selektioniert, gibt frau Gas fürs eigene Land! Ich hoffte, wir könnten unsere Westschweizerin Elise Chabbey mit den besseren Beinen in ein vernünftiges Grüppli stecken. Leider passierte Elise ein Ausrutscher und sie brachte sich, mich und einige andere Fahrerin der sich gebildeten ersten Gruppe zu Fall. Das war entscheidend. Auf Position vier fahrend blockierte sie alle klasse Fahrerinnen hinter uns und erlaubte der erlesenen Gruppe Niewiadoma, Longo Borghini und Van Vleuten sich abzusetzen.

Nach einer Aufholjagt waren wir unsererseits wieder an der etwa 15 Fahrerinnen grossen Verfolgerinnengruppe dran. Beide versuchten wir bis zum Ohrenwackeln von dort auszubrechen, aber die mit fünf Fahrerinnen vertretenen Niederländerinnen (Chapeau!!!) waren einfach nicht zu bezwingen - jedenfalls von uns nicht. Seit ich in diesem Sport bin, frage ich mich immer wieder, wie es diese Nation mit 17 Millionen Einwohner/innen schafft, so derart viele starke Fahrerinnen hervorzubringen! Ich bin beeindruckt. Schwer erschöpft und definitiv ratlos sind Elise und ich uns nach dem Rennen in die Arme gefallen.

Angst vor Leidenszuständen im Mixed Relay am Folgetag hatten wir beide mit diesen abgelaufenen Beinen. Und so sollte es auch kommen. Kathrin Stirnemann, Elise und ich waren die Frauengruppe für das Teamzeitfahren am Freitag. Elise, die schon geplant hatte, Kathrin und mich nach einem langen “Pull“ zu zweit fertig fahren zu lassen, musste mit letzten Kräften bis zum Ziel durchbeißen, als Kathrin nach Schaltproblemen nach einer Runde abgefallen war.

Hut ab vor der Leistung der Deutschen

Runde zwei war damit sozusagen ein müdes Einzelzeitfahren mit sehr müdem Gast und dementsprechend Zeit verloren wir auf unsere deutschen Kontrahentinnen. Dies ist durchaus bedauerlich. Unsere Jungs hatten trotz strömendem Regen eine knapp bessere Zeit als die Deutschen gefahren, die später trockene Verhältnisse hatten. Bei uns Frauen wechselte Gold dann zu Silber.

An dieser Stelle Hut ab vor der Leistung der Deutschen, welche auch zwei Mal ein mechanisches Problem zu meistern hatten! Habe ich richtig gesehen, Mieke Kröger packte ihre Kette ohne mit der Wimper zu Zucken in voller Fahrt von Hand wieder auf das Kettenblatt? Dass es für uns am Schluss nicht Gold sein sollte, war gar nicht schlimm. Sich mit so tollen Kollegen/innen auf diesem Podest feiern zu lassen, war auch so etwas Einmaliges!

Gerne möchte ich an dieser Stelle allen Beteiligten herzlich danken! Danke an die Organisatoren/innen, an das gesamte Team von Swiss Cycling, an mein Team Paule KA und an alle anderen, die Unterstützung geboten haben. Es war großartig!

Nun geht’s für ein paar Tage nach Hause. Primär zum Nachschlafen. Hey, wie machen das die Jungs und Mädels an den großen Rundfahrten??

Bald werde ich es wissen. Stay tuned!
Marlen

Die Schweizerin Marlen Reusser fährt seit dieser Saison für das in ihrer Heimat lizensierte Team Bigla - Katusha. Auf radsport-news.com berichtet die 28-jährige Bernerin über ihre erste Saison bei den Profis.

 

Mehr Informationen zu diesem Thema

16.12.2020Surreale Dimensionen, an die ich mich noch gewöhnen muss

(rsn) - Nun neigt sich auch dieses verrückte Jahr 2020 dem Ende entgegen. Im Kleinen und im Großen durften wir uns in Geduld und Akzeptanz üben. Vielleicht haben wir gemerkt, dass unser Empören un

02.11.2020Die Arbeit von Thomas Campana ist unverzichtbar

Wahrscheinlich kennt jede/r das Phänomen im Ausdauersport: Wenn man nicht weiß, wie viel noch kommt, schafft man auch die härtesten Einheiten am Schluss. So kommt mir dieses Jahr 2020 ein wenig vor

29.09.2020Silber im Ziel, welch ein Gefühl!!!

(rsn) - Stellt euch vor, heute schreibe ich euch als Vize-Weltmeisterin im Einzelzeitfahren! Nach den erfolgreichen Europameisterschaften Ende August mit Bronze im Einzelzeitfahren und Silber im Mix

30.07.2020Ich bin gut in Schuss!

(rsn) - Dieses Mal schreibe ich euch aus einem gut klimatisierten Hotelzimmer in Riom, Frankreich, die Beine senkrecht nach oben an die Wand gelehnt. Sie sind von der brütenden Hitze und der langen A

18.06.2020Très extraordinaire - ab Juli ein neuer Sponsor!

(rsn) - Die Schweizer Doppelmeisterin Marlen Reusser fährt seit dieser Saison für das in ihrer Heimat lizensierte Team Bigla - Katusha. Auf radsport-news.com berichtet die 28-jährige Bernerin über

26.05.2020Nach dem Training nur noch Kurzschluss-Fünkchen

(rsn) - Die Schweizer Doppelmeisterin Marlen Reusser fährt seit dieser Saison für das in ihrer Heimat lizensierte Team Bigla - Katusha. Auf radsport-news.com berichtet die 28-jährige Bernerin über

Weitere Radsportnachrichten

26.07.2025UCI bestraft eigenen Fahrzeugführer mit Gelber Karte

(rsn) – Was an Spannung um den Tour-Sieg in den vergangenen Wochen etwas fehlte, ersetzten die Organisatoren der Tour de France (2.UWT) mehr oder weniger unfreiwillig. Jedem Zuschauer dürfte noch

26.07.2025Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir über die wic

26.07.2025Müssen Pogacar, Lipowitz und Co. den Montmartre fürchten?

(rsn) - Die Anfahrt auf die Schlussrunden über den Champs Elysees waren bei der Tour de France der versöhnliche Abschluss eines über drei Wochen bitterhart ausgefochten Kampfes um das Gelbe Trikot!

26.07.2025Reusser raus, Lippert gestürzt: Tour für Movistar fast schon gelaufen

(rsn) - Viel schlechter hätte die 1. Etappe der Tour de France Femmes für das Team Movistar kaum laufen können. Zuerst wird schon vor dem Start bekannt, dass die Kapitänin Marlen Reusser sich ein

26.07.2025Montmartre statt Sprintboulevard

(rsn) – Nach 20 harten Tagen bricht die Tour de France auf ihrer letzten Etappe mit einer langen Tradition. Zum 50-jährigen Jubiläum der Zieleinfahrt auf der Champs-Élysées führt die 132 Kilome

26.07.2025Jegat nutzt vorletzte Chance für den Sprung in die Top 10 der Tour

Was vorgestern noch mit Ben O’Connors (Jayco - AlUla) großem Triumph am Col de la Loze nach einer sehr versöhnlichen Tour de France aussah, bekam auf der 20. Etappe einen bitteren Beigeschmack. De

26.07.2025Vos gewinnt Auftakt der Tour de France Femmes im Bergaufsprint

(rsn) – Marianne Vos (Visma – Lease a Bike) hat den Auftakt der 4. Tour de France Femmes (2.WWT) in einem Zweiersprint für sich entschieden. Im Stile einer wahren Finisseurin ließ sie dabei auf

26.07.2025Strong sprintet in Wallonien am Hügel allen davon

(rsn) – Corbin Strong (Israel – Premier Tech) hat den Auftakt zur 46. Tour de Wallonie gewonnen (2.Pro). Der Neuseeländer war nach 182 Kilometern rund um Nassogne im Hügelsprint der mit Abstand

26.07.2025Kaden Groves: Regenkönig und Montmartre-Vorbeuger

(rsn) - Wer braucht einen Wetterfrosch, wenn er Kaden Groves kennt? Gewinnt der Australier, muss es geregnet haben. So war es auf der 6. Etappe des Giro d’Italia in diesem Jahr, als Groves im extre

26.07.2025Van den Broek: “‘Glückwunsch, hier verschenkst du die Etappe‘“

(rsn) – Kaden Groves (Alpecin – Deceuninck) hat die 20. Etappe der Tour de France 2025 gewonnen und damit sein Grand-Tour-Triple komplettiert. Er löste sich aus der Spitzengruppe, die mit noch 16

26.07.2025Sprinter Groves feiert Solo-Sieg in Pontarlier

(rsn) – Der Sprinter Kaden Groves (Alpecin – Deceuninck) hat seinen Mitstreitern in der Ausreißergruppe ein Schnippchen geschlagen und die 20. Etappe der Tour de France von Nantua nach Pontarlie

26.07.2025Zwei Millionen Euro Ablöse für Evenepoel? Nächstes Kapitel im Wechselpoker

(rsn) – Ob Remco Evenepoel diesen Winter von Soudal – Quick-Step zu Red Bull - Bora – hansgrohe wechseln wird, beschäftigt seit Wochen die Gemüter. Verschiedene Journalisten melden verschieden

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Tour de France (2.UWT, FRA)
  • Radrennen Männer

  • Puchar MON (1.2, POL)
  • Grand Prix de Pérenchies (1.2, FRA)
  • Vuelta a Castilla y Leon (1.1, ESP)
  • Ethias-Tour de Wallonie (2.Pro, BEL)
  • Radrennen Frauen

  • Kriterium Gießen (BLF, GER)