Guadeloupe-Tagebuch von Hermann Keller

Während Freddy den Berg hochflog, flogen hinten die Fäuste

Von Hermann Keller

Foto zu dem Text "Während Freddy den Berg hochflog, flogen hinten die Fäuste"
Hermann Keller (Embrace the World, li) und seine Teamkollegen bei der Tour de Guadeloupe| Foto: Embrace the World

09.08.2019  |  (rsn) - Hallo Freunde, es ist vollbracht! Wir haben die härteste Etappe hinter uns gebracht und sind noch mit allen sechs Fahrern im Rennen. Einfach war das jedoch nicht! Auf uns warteten, auf 126 Kilometer verteilt, sieben Bergwertungen und insgesamt 2700 Höhenmeter.

Eher schlecht gelaunt und in Gedanken schon bei der anstehenden Etappe absolvierte ich den Transfer zum Startort. Einziger Hoffnungsschimmer war: Wir müssen erst bei Kilometer 60 voll ans Limit.

Kurz vor Start hatte ich den Gedankenblitz, einfach in die erste Fluchtgruppe zu gehen, um dann mit möglichst viel Vorsprung zum Berg zu kommen. Der Plan ging schief, da ich eher weit hinten aufgestellt war und unsere Freunde vom Team Inteja aus der Dominikanischen Republik eine Startattacke fuhren. Da sie aber im Gesamtklassement sehr gut platzierte Fahrer hatten, wurde der etwa 20-köpfigen Spitzengruppe wild hinterhergejagt. So hatte ich mir das Ganze wirklich nicht vorgestellt!

Als wir dann endlich die Gruppe geholt hatten, ging auch schon die nächste. Ratet mal, wer da drin war… Ich! – Nein, Spaß… Natürlich war es Marcel Peschges, der sonst wohl nichts Besseres zu tun hat als Spitzengruppen zu besetzen. Soweit so gut, wir reihten uns hinten ein wenig auf, um das Ganze zu kontrollieren und vor allem, um El Capitano (Frederik Dombrowski) vorne zu halten. So fuhren wir auch zur ersten Bergwertung. Ich führte das Feld hinein und war auch oben noch recht weit vorne, allerdings war der Rest der Truppe verschwunden.

Nur wenige Kilometer später ging es zur nächsten Bergwertung, bei der ich mich dann etwas zurückfallen ließ, da ich immer noch keinen Sichtkontakt zu den werten Kollegen herstellen konnte. Als dann Etappenjäger Fröse an mir vorbeifuhr und mir von einem Defekt bei Freddy berichtete, war plötzlich Schwung im Rennen.

Sofort ließ ich mich zurückfallen in die Kolonne und wartete auf die Ankunft von Micha mit Freddy am Auto. Als Micha kam, sagte er mir, er dürfe den Capitano nicht mitnehmen und es wäre wohl besser, wenn ich anhalten würde. Ich stoppte und wartete mit Micha. Simon berichtete übrigens von einem noch nie zuvor gesehenen emotionalen Ausbruch bei Freddy. Als er den Defekt erkannte, waren seine Worte: “So ein Mist aber auch, dass kann doch jetzt nicht wahr sein.“

Nach knapp fünf Minuten kam er dann am Hinterrad von dem Wingman angerauscht, wechselte bei Micha noch kurz zurück auf sein wieder repariertes Rad und unsere wilde Fahrt begann. Ich fuhr mit allem, was ich irgendwo in meinem Körper fand. Leider verloren wir Simon in der Kurve zum nächsten Berg, was ihn so zur Verzweiflung brachte, dass er seinen Helm auszog, das Rad wegstellte und sich einfach auf den Boden setzte. Er hatte keine Lust mehr… mehr als verständlich!

Während Micha damit beschäftigt war, Simon zum Weiterfahren zu überreden, fuhr ich mit Freddy über die folgenden zwei Bergwertungen, noch etwas durch ein Tal und scherte dann aus. Die Kolonne war wieder in Sicht und so konnte Freddy mit Hilfe des Windschattens vom Auto die letzten Meter zur letzten Gruppe wieder schließen.

Das Feld war aber völlig zersprengt, denn als die anderen Gesamtklassement Kandidaten von dem Defekt Wind bekamen, feuerten sie aus allen Rohren. Die Spitzengruppe um Peschgi wurde dadurch sehr schnell wieder eingeholt und als er keinen unserer Fahrer sehen konnte, ließ auch er sich zurückfallen. Bis er allerdings bei Freddy war, fuhr Duffi (der sich mit Basti in der Gruppe befand, in die Micha den Capitano gebracht hatte) von vorne.

Er übergab dann im Stile eines Staffelläufers den Staffelstab (in unserem Fall Fred) an Peschges und Basti, die dann so richtig aufdrehten. Marcel fuhr eine Führung, bei der das halbe Feld auseinanderriss und sich das Gruppetto bildete, in das ich mich wiederum mit Hilfe von Micha retten konnte. Der Capitano erreichte die Verfolgergruppe als der lange Berg begann, attackierte dann noch über die Kuppe und schloss mit einer kleinen Gruppe in der Abfahrt zur Spitzengruppe auf.

Aus dieser heraus attackierte in der Ebene noch das Gelbe Trikot und konnte die Uneinigkeit der Verfolger ausnutzen. Mit einer knappen Minute Rückstand ging es für Fred in den Schlussanstieg. Da er ansonsten ja einen eher erholsamen Tag hatte, drehte er nochmals etwas auf und belegte 50 Sekunden hinter dem Gelben Trikot den zweiten Etappenplatz. Das führt zu einem erneuten dritten Platz in der Gesamtwertung.

Fast zeitgleich, als an der Spitze des Rennens die Bergfahrer den Berg hinaufflogen, flogen bei uns in der Gruppe am Berg die Fäuste. Eigentlich lief die Gruppe sehr gut und gerade, als ich über Begriffe wie Freundschaft, Zusammenhalt und Teamwork philosophieren wollte, wurde eine Attacke aus dem Gruppetto gesetzt.

Diese Aktion wurde von den anderen Fahrern eher mittelgut aufgenommen, was wiederum der Attackierende nicht so gut aufnahm. Das Ende vom Lied waren dann zwei einheimische Fahrer, die ihr Rad auf die Seite legten und anfingen sich herumzuschubsen und zu prügeln. Ich überlegte kurz anzuhalten, entschied mich aber dagegen und nutzte eher die Chance, die beiden zu distanzieren und möglichst gut über den Berg zu kommen. Es wartete ja doch irgendwie noch ein Radrennen auf mich…

Das Härteste ist vermutlich geschafft, darum ein dreifaches "Hip Hip Hurra“. Drückt mir bitte die Daumen, dass es wirklich nicht mehr allzu steile Berge gibt. Ich hatte heute genug Berge und vor allem genug Aktion. Eine ruhige Etappe mit einem schönen Sprint wäre toll.

Wir lesen uns morgen nochma!

Hermann

PS: Ach ja, Micha konnte Simon wirklich zum Weiterfahren überreden. Er schaffte es sogar im Zeitlimit ins Ziel. Eine wirklich starke Leistung, da er beinahe die gesamte Etappe allein unterwegs war!

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