Teamkollegen Wagner, Martens und Niermann berichten

Steven Kruijswijk: Ein Kapitän ohne Starallüren und Marotten

Von Christoph Adamietz

Foto zu dem Text "Steven Kruijswijk: Ein Kapitän ohne Starallüren und Marotten"
Steven Kruijswijk (LottoNL Jumbo) im Rosa Trikot und beschützt vons einen Teamkollegen | Foto: Cor Vos

29.05.2016  |  (rsn) - Steven Kruijswijk (LottoNL Jumbo) war wohl der Protagonist des 99. Giro d`Italia. Fünf Tage trug der 28-Jährige Niederländer das Rosa Trikot und fuhr mit souveränem Vorsprung auf die Konkurrenz dem Gesamtsieg entgegen. Doch am drittletzten Tag der Italien-Rundfahrt wurde der Kletterspezialist zum großen Pechvogel, als er nach einem Fahrfehler in der Abfahrt vom Colle dell'Agnello stürzte und im Gesamtklassement vom ersten auf den dritten Rang zurückfiel.

Ohne diesen Unfall hätte Kruijswijk als erster Holländer den Giro gewonnen - darüber sind sich zumindest seine Teamkollegen einig. "Wir haben einen Fahrerchat. Das Ding ist nach Stevens Sturz fast explodiert", sagte Robert Wagner zu radsport-news.com. "Alle im Team sind der Meinung, dass Steven ohne den Sturz das Trikot nicht verloren hätte."

Wer ist der Mann, dem der Salto in den Schnee den schon sicher scheinenden Giro-Sieg kostete?

Nach drei Jahren in der Nachwuchsschmiede von Rabobank schaffte Kruijswijk 2010 den Sprung zu den Profis und wurde Teamkollege der beiden Deutschen Paul Martens und Grischa Niermann. "Steven war anfangs ein bescheidener, zurückhaltender Junge, der vermutlich einfach stolz war, Profi geworden zu sein. Für Rabobank-Begriffe war er kein Überflieger und hatte dadurch wahrscheinlich kein überproportionales Selbstbewusstsein entwickelt", erinnerte sich Martens gegenüber radsport-news.com an die ersten Jahre zurück.

Während Martens schon seit acht Jahren Teamkollege von Kruijswijk ist, fuhr Niermann nur drei Jahre an der Seite des Niederländers. Doch auch der Hannoveraner kann sich noch gut an die gemeinsame Zeit zurückerinnern. "2010 wurde er bei seinem Giro-Debüt schon Achtzehnter. Da hat er aufblitzen lassen, dass er jemand fürs Klassement ist", sagte der Niermann zu radsport-news.com. Ällerdings gab Martens zu: "Damals hat sich aber wohl keiner vorstellen können, welch großes Potenzial ihn ihm schlummert."

Der internationale Durchbruch gelang Krujswijks schließlich bei der Tour de Suisse 2011, als er eine Bergetappe gewann und in der Gesamtwertung Rang drei belegte. "Damals waren wir mit dem Tour-Team im Höhentrainingslager auf dem Bernina-Pass, haben ein großes Plakat für unsere Teamkollegen gemalt und sind mit dem Rad auf den Flüela-Pass gefahren, um die Jungs dort anzufeuern", berichtete Niermann.

Der Niedersachse beschreibt Kruijswijk als einen Fahrer "ohne Starallüren". Auch Martens schließt sich diesem Urteil an. "Er hat keinerlei Marotten." Ähnlich sieht es auch Robert Wagner, seit drei Jahren Teamkollege von Kruijswijk. "Er ist kein Stresser, wenn man für ihn fahren muss. Er ist ein sehr angenehmer Kapitän, für den man gerne fährt", berichtet Wagner.

Einig sind sich die drei Deutschen auch in der Beurteilung der Professionalität ihres Kapitäns "Er ist jemand, der hart und sehr professionell arbeitet, ohne es wirklich rauszuposaunen. Es gibt wahrscheinlich wenige, die so akribisch auf ihre Ernährung achten und so ein Trainingspensum absolvieren können", meinte Martens. 

Wagner hatte dazu eine Anekdote von der diesjährigen Tour of Yorkshire parat, die als Generalprobe für den Giro diente. "Wir saßen beim Abendessen zusammen. Während sich alle einen Nachtisch gönnten, verzichtete Steven darauf. `Nur noch fünf Wochen, Wagi, dann kann ich reinhauen, wie ich will. Aber jetzt bleibt der ganze 'Schlamm' erst mal weg`", zitierte er seinen Teamkollegen.

Krujswijk, der 2014 Rang 15 bei der Tour de France belegt hatte und im Jahr darauf Siebter der Italien-Rundfahrt war, wählte mit Blick auf den Giro 2016 ein ähnliches Vorbereitungsprogramm wie im Vorjahr - inklusive Höhentrainingslager auf dem Teide auf Teneriffa. "Ich bin bis auf den Kilometer das gleiche Pensum wie im Vorjahr gefahren, von der Form her müsste es stimmen", berichtete er bei der Tour of Yorkshire.

Mit dieser Einschätzung lag Kruijsiwjk goldrichtig. Vom Start weg hielt er bei den Besten mit, übernahm nach der 14. Etappe das Rosa Trikot und lag deutliche drei Minuten vor dem Gesamtzweiten Esteban Chaves (Orica-GreenEdge). "Mir ist aufgefallen, wie souverän er schon in den ersten Tagen agiert hat. Normalerweise kommen seine Stärken erst ab der zweiten Hälfte zum Vorschein, aber diesmal hat er von Anfang an alles unter Kontrolle gehabt", so Martens am vergangenen Donnerstag zu radsport-news.com.

Doch dann gab es den einen Moment, in dem Kruijswijk die Kontrolle verlor, in  eine Schneemauer stürzte, sich überschlug und sich dabei eine Rippen- und Fußverletzung zuzog. Der Traum vom Rosa Trikot war damit ausgeträumt. "Bis zum Sturz hat Steven sehr souverän und wenig nervös gewirkt. Aber am Colle dell`Agnello waren alle am Limit", so Niermann.

Damit ereilte Kruijswijk das gleiche Schicksal wie schon einige seiner Landsleute in der jüngeren Vergangenheit. So stürzte Teamkollege Robert Gesink bei der Vuelta 2009 und fiel noch vom zweiten auf den sechsten Gesamtrang zurück. Tom Dumoulin führte im Vorjahr die Spanien-Rundfahrt bis zum vorletzten Tag an, brach dann aber ein und landete schließlich ebenfalls auf Gesamtrang sechs.

Auch wenn es diesmal für Kruijswijk "nur" zum vierten Platz vier reichen wird, so wird er noch mehrere Gelegenheiten bekommen, bei einer GrandTour um den Gesamtsieg mitzufahren. "Jetzt ist er 28 und hat noch ein paar Jahre Zeit, dieses Ziel (Gesamtsieg) zu verwirklichen", meinte Niermann. Und Wagner fügte an. "Steven wird älter und damit auch stärker."

 

Mehr Informationen zu diesem Thema

01.06.2016Der 99. Giro d´Italia von A bis Z

(rsn) - Der 99. Giro d´Italia endete in einem spannenden Finale mit dem zweiten Erfolg von Vincenzo Nibali (Astana) nach 2013. Das ist fast allen bekannt. Doch es gibt auch viele wichtige und unwicht

30.05.2016Majka: Es fehlte der gewisse "Boom"

(rsn) – Zum angestrebten Podiumsplatz hat es für Rafał Majka bei der 99. Italien-Rundfahrt letztendlich nicht gereicht. Der Pole kann zwar mit seiner Leistung in den letzten drei Wochen und au

30.05.2016Nibali hat ein großes Kapitel im Giro-Geschichtsbuch sicher

(rsn) – Mit einem unglaublichen Comeback hat sich Vincenzo Nibali doch noch den Gesamtsieg und ein großes Kapitel im Geschichtsbuch des Giro d´Italia gesichert. Um die Bedeutung der Ereignisse des

30.05.2016Liste der ausgeschiedenen Fahrer / 21. Etappe

(rsn) - Zum Auftakt des 99. Giro d´Italia in Apeldoorn waren am Freitag 198 Fahrer mit von der Partie. Längst nicht alle haben am 29. Mai das Ziel in Turin erreicht. Sturzverletzungen, Erkrankungen,

30.05.2016Kluge geht in Turin leer aus, freut sich aber für Arndt

(rsn) – Nach seinem Coup von Cassano d‘Adda ging Roger Kluge auf der letzten Giro-Etappe zwar leer aus. Dafür konnte sich der IAM-Profi, der nach 163 Kilometern von Cuneo nach Turin Rang 42 beleg

29.05.2016Vegni: "Nibali hat uns ein großartiges Finale beschert"

(rsn) – Nach dem Ende des 99. Giro d’Italia stand Renndirektor Mauro Vegni radsport-news.com zu einem Interview zur Verfügung. Dabei sprach der Italiener über die Siegesserie der deutschen Sprin

29.05.2016Arndt zeigt Mitgefühl für "Verlierer" Nizzolo

(rsn) - Plötzlich Etappensieger beim Giro d’Italia, ohne als Erster über den Zielstrich gefahren zu sein - ein ungewohntes wie seltsames Gefühl für Nikias Arndt (Giant-Alpecin). Entsprechend ver

29.05.2016Nibali erinnert die Italiener an den großen Coppi

Turin (dpa) - Die italienischen Radsport-Fans fühlten sich an den großen Fausto Coppi erinnert. Mit unbändigem Willen riss Vincenzo Nibali - wie der Campione im Jahr 1953 - mit einem sagenha

29.05.2016Jungels mit gezieltem Bergtraining zum Höhenflug

(rsn) – Zum Abschluss des 99. Giro d`Italia musste sich Matteo Trentin (Etixx-Quick-Step) in Turin hinter Nikias Arndt (Giant-Alpecin) zwar mit Rang zwei zufrieden geben. Der Italiener konnte sich z

29.05.2016Highlight-Video der 21. Giro-Etappe

(rsn) – Für Vincenzo Nibali (Astana) entwickelte sich die 21. und letzte Etappe des 99. Giro d’Italia zum Schaulaufen. Während der Italiener am Sonntag sein Rosa Trikot sicher ins Ziel brachte,

29.05.2016Arndt gewinnt die Schlussetappe am Grünen Tisch

(rsn) - In Turin wurde am Sonntag der Schlusspunkt des 99. Giro d’Italia gesetzt. Drei Wochen nach dem Start im niederländischen Apeldoorn war die norditalienische Metropole Schauplatz der letzten

29.05.2016Nibali feiert Gesamtsieg, Arndt gewinnt Finale in Turin

(rsn) – Vincenzo Nibali (Astana) hat zum zweiten Mal nach 2013 den Giro d’Italia gewonnen. Die abschließende 21. Etappe, die am Sonntag über 163 Kilometer von Cuneo nach Turin führte, entwickel

Weitere Radsportnachrichten

14.11.2024Bardet: “Sinnlos, an ethischen Radsport zu glauben“

(rsn) - Es war ein durchaus ungewöhnlicher Zeitpunkt, als Romain Bardet im Sommer, kurz vor der Tour de France, sein Karriereende ankündigte. Mindestens genauso ungewöhnlich ist das Rennen, das sei

14.11.2024Quintana beendet Spekulationen, Bonnamour gibt Kampf gegen Dopingsperre auf

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

14.11.2024Rhodos-Prolog-Experte mit Sturzpech im stärksten Rennen

(rsn) – Seine elfte Saison auf KT-Niveau ragt zwar nicht als seine beste heraus, dennoch zeigte Lukas Meiler (Team Vorarlberg) auch 2024, was er drauf hat. Seine beste Platzierung gelang ihm dabei

14.11.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste 2024

(rsn) - Auch diesmal starten wir am 1. November mit unserer Jahresrangliste. Wir haben alle UCI-Rennen der vergangenen zwölf Monate (1. November 2023 bis 31. Oktober 2024) ausgewertet - nach unserem

14.11.2024Schädlich übernimmt die deutschen Ausdauer-Spezialisten

(rsn) – Der Bund Deutscher Radfahrer hat einen neuen Nationaltrainer auf der Bahn für den Bereich Ausdauer. Lucas Schädlich, der seit 2019 die deutschen Juniorinnen unter seinen Fittichen hatte, Ã

14.11.2024Im Überblick: Die Transfers der Männer-Profiteams für 2025

(rsn) – Nachdem zahlreiche Transfergerüchte seit Monaten in der Radsportwelt zirkulieren, dürfen die Profimannschaften seit dem 1. August ihre Zu- und Abgänge offiziell bekanntgeben. Radsport

14.11.2024Schär wird Schweizer Nationaltrainer

(rsn) – Marc Hirschi, Stefan Küng und Co. haben einen neuen Nationaltrainer. Michael Schär wird mit Jahresbeginn 2025 die Verantwortung für die Schweizer Männer in den Bereichen Elite und U23 ü

14.11.2024Lotto Kern - Haus wird Development-Team von Ineos Grenadiers

(rsn) – In den vergangenen beiden Jahren war das deutsche Kontinental-Team Lotto Kern - Haus PSD Bank sogenannter Development-Partner von Red Bull – Bora – hansgrohe. Ab der kommenden Saison wi

14.11.2024Meisen kündigt baldiges Karriereende an

(rsn) – “Spätestens im Januar ist Schluss“, kündigte Marcel Meisen (Stevens) gegenüber RSN an. Der 35-Jährige ist in seine letzte Cross-Saison gestartet und will diese nicht mehr ganz zu End

14.11.2024Traumszenario mit kurzem Anfangsschock

(rsn) – Unverhofft kommt oft – dieser Spruch traf in dieser Saison auch auf Meo Amann zu. Mit dem Elite-Team Embrace The World in die Saison gestartet, bewarb er sich im Sommer auf einen Platz bei

13.11.2024Auch ein kurioser erster UCI-Sieg reichte nicht zum Profivertrag

(rsn) – Auch wenn er in dieser Saison seinen ersten UCI-Sieg einfahren konnte, so gelang Roman Duckert (Storck – Metropol) am Ende seiner U23-Zeit nicht der Sprung in ein Profiteam. Deshalb wird e

13.11.2024Ein Jahr geprägt von Stürzen und viel Unglück

(rsn) – Eigentlich wollte Mikà Heming (Tudor Pro Cycling) 2024 so richtig durchstarten. Die Klassikerkampagne in Belgien hatte er sich als erstes Saisonhighlight gesetzt, doch diese endete für den

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine