Katar: Ein Tag im Teamwagen von Velocio-Sram

Ohne Funk bleibt die Hektik aus dem Auto draußen

Von Felix Mattis aus Doha

Foto zu dem Text "Ohne Funk bleibt die Hektik aus dem Auto draußen"
Taktik-Besprechung vor dem Rennen: Ronny Lauke instruiert seine Mädels. | Foto: Felix Mattis

05.02.2015  |  (rsn) – Ein Blick hinter die Kulissen: Unser Reporter Felix Mattis verbrachte auf der gestrigen 2. Etappe der Ladies Tour of Qatar den Tag im Mannschaftswagen des deutschen Velocio-SRAM-Teams. Was dort vor sich ging, beschreibt er hier.

Darauf hatte das halbe Peloton gewartet, und auch Velocio-SRAM Sportdirektor Ronny Lauke sowie Mechaniker Sebastian Nittke ist die Euphorie im Mannschaftswagen anzumerken: endlich Wind, endlich Kante. Nach dem ruhigen ersten Tag der 7. Katar-Rundfahrt geht es auf der 2. Etappe gleich nach acht Kilometern richtig zur Sache. Das Feld fliegt auseinander, 16 Fahrerinnen setzen sich ab und mit dem Begleitfahrzeug des deutschen Elite-Teams, hier in der Wüste nicht der gewohnt leistungsstarke Audi A6 sondern ein Pick-Up von Mitsubishi, überholen wir schnell die ersten abgehängten Fahrerinnen – darunter auch Auftaktsiegerin Annalisa Cucinotta (Alé Cipollini) im Goldenen Trikot.

Aus der Ferne versucht Nittke, die Trikots einer weiteren abgehängten Gruppe zu erkennen – da ist etwas dunkles, das könnte… Nein, keine von Velocio-SRAM dabei. Die dunkelgrauen Trikots der Weltmeisterinnen im Teamzeitfahren sind gut zu erkennen. Trotzdem wird es jetzt spannend: Welche Startnummern meldet Radio Tour bei der Benennung der 16 Fahrerinnen in der Spitzengruppe?

„1, 11, 14, 16, 21, 22, 23, 24, 31, 36, 43, 46, 51, 81, 82 und 101 habe ich“, gibt Nittke an Lauke durch, der anschließend um etwas mehr Komfort bittet: „Kannst Du mir die hier auf der Startliste markieren?“ Über zu viel Arbeit kann sich Nittke im Verlauf dieser Etappe ohnehin nicht beschweren: Weil mit der 43 und der 46, Tiffany Cromwell und Trixi Worrack, zwei Velocio-SRAM-Fahrerinnen in der 16-köpfigen Spitzengruppe sitzen, die bei Seitenwind kontinuierlich ihren Vorsprung ausbaut, fahren wir schon bald am Hauptfeld vorbei. Lauke und Nittke müssen ihre anderen vier Schützlinge jetzt den neutralen Materialfahrzeugen überlassen. „Es wäre zu riskant, hinten zu helfen, wenn zwei von uns vorne sind und auch einen Defekt bekommen könnten“, meint Lauke.

Überhaupt wird es ein ruhiger Tag im Mannschaftswagen. Aufmerksam verfolgen wir das Rennen aus der sechsten Position in der Wagenkolonne, doch direkten Kontakt zu den Fahrerinnen gibt es nur ein einziges Mal, als Worrack relativ aufgeregt um eine neue Trinkflasche bittet. „Sie will keine“, sagt die 33-Jährige über Teamkollegin Cromwell. Lauke aber steckt ihr trotzdem zwei Flaschen zu – und schon macht sich Worrack ohne viele Worte wieder auf die Socken, zurück in die Spitzengruppe. „Sie ist sehr erfahren und behält im Rennen gut die Übersicht. Aber bei so kleinen, alltäglichen Dingen wie dem Flaschenholen ist sie manchmal etwas nervös“, sagt Lauke über die Frau, die am Ende des Tages auf den dritten Gesamtrang vorrücken wird.

Interessant ist der seltene Besuch am Auto vor allem deshalb, weil auch die Frauen außerhalb des Weltcups nicht mehr mit Funk fahren dürfen. Lauke hat während des Rennens also kaum Möglichkeiten, taktische Anweisungen zu geben. „Man fährt eher gemütlich hinterher und schaut sich Katar an“, scherzt er bei Gegenwind und 30 Stundenkilometern auf einer vierspurigen Autobahn mitten in der Wüste.

„Früher hat man spontane Eingebungen in Sachen Taktik schneller weitergegeben.“ Heute müsste er dafür zum Wagen des UCI-Kommissärs vorfahren und um die Erlaubnis bitten, neben die Fahrerinnen zu rollen, um dort mit einem seiner Schützlinge zu sprechen. Das geschieht selten. Der erwünschte Effekt des Weltverbandes, die Fahrerinnen durch das Funkverbot wieder mehr selbst entscheiden zu lassen, entsteht also tatsächlich. „Aber heute wäre es auch gar nicht nötig, denn Trixi und Tiff sind taktisch fit. Wenn ich da jetzt zu viel Einfluss nehmen und vielleicht sogar hinfahren würde, würden sie nur nervös werden.“

Und Lauke soll Recht behalten: Worrack macht alles richtig und erwischt auch die Abfahrt des zweiten Zuges des Tages, der entscheidenden Sechsergruppe, die später um den Sieg kämpfen wird. Im Auto wird es zu diesem Zeitpunkt noch einmal etwas spannend: Wieder versuchen Nittke und Lauke die Trikots zu identifizieren, und dann kommt auch schon die Ansage über Radio Tour: „11, 16, 21, 31, 36, 46“ – Chloe Hosking, Elisa Longo Borghini (beide Wiggle-Honda), Emma Johansson (Orica-AIS), Elizabeth Armitstead, Ellen Van Dijk (Boels-Dolmans) und Trixi Worrack haben sich abgesetzt.

„Trixi? Das freut mich! Das ist gut für die Moral!“, sagt Lauke, den die Anwesenheit der 33-Jährigen aber nicht überrascht. Worrack fuhr in Katar in den letzten drei Jahren immer in die Top 5 und präsentierte sich auch diesmal an den ersten zwei Tagen immer hellwach. „Sie weiß bei Wind immer, wo sie fahren muss. Da machen sich die Jahre bezahlt“, lobt Lauke.

Kurz wird im Wagen die Lage besprochen, aber der Chef scheint nicht in Betracht zu ziehen, Worrack zu einem weiteren Angriff zu ermutigen. „Longo Borghini und Van Dijk sollte sie im Sprint schlagen“, meint er – zwischen den anderen vier sei alles offen. So ähnlich sieht es zu diesem Zeitpunkt wohl auch die Konkurrenz, und darum geht es geschlossen auf die Zielgerade zu, wo im Auto noch einmal Euphorie aufkommt: Die Straße, auf die die Begleitfahrzeuge kurz vor dem Ziel geleitet werden, verläuft parallel direkt neben der Zielgeraden und erlaubt einen exklusiven Blick von der Seite auf die Rennentscheidung.

Van Dijk attackiert überraschend aus dem letzten Kreisverkehr heraus und siegt, aber Worrack sprintet dahinter mit einem geschickt platzierten Antritt immerhin auf Rang zwei – eine gute Leistung, finden sowohl Lauke als auch Nittke. Schnell wird geparkt und anschließend auch der zunächst nicht ganz glücklichen Worrack erklärt, dass das Ergebnis völlig in Ordnung sei. Ein ruhiger Tag im Mannschaftswagen findet einen guten Abschluss.

Ganz zu Ende ist er für das beste deutsche Frauen-Radsportteam aber trotzdem noch nicht. Denn nach der Rückkehr ins Sheraton Hotel in Doha bleiben nur wenige Minuten um zu duschen, bevor um 18:30 Uhr der nächste Programmpunkt ansteht: Ein Sponsorentermin in einem Fahrradladen in der Stadt. Eine Stunde lang beantworten Lisa Brennauer, Cromwell und Co. jede denkbare Frage der anwesenden Radsportler mit einem Lächeln, das schließlich nur noch von dem getoppt wird, das sie zeigen, als sie sich gegen 21:30 Uhr endlich in Richtung Zimmer verabschieden können.

Morgen (Donnerstag, d. Red.) muss schließlich wieder etwas geleistet werden.

Weiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößern

Mehr Informationen zu diesem Thema

07.02.2015Abstimmungsprobleme bei den Teamzeitfahr-Weltmeisterinnen

(rsn) – Die deutsche Frauen-Mannschaft Velocio-SRAM konnte beim Saisonauftakt in Katar nur punktuell überzeugen. Zwei Podestplätze auf einzelnen Etappen und der vierte Gesamtrang von Trixi Worrack

06.02.2015Armitstead triumphiert in Katar: „Definitiv eine Teamleistung“

(rsn) – „Jetzt haben wir so viele, dass jede im Team eins haben kann“, rief Elizabeth Armitstead ihrer Teamkollegin Ellen Van Dijk zu, als sie zum dritten Mal von der Siegerbühne kam, um sich n

06.02.2015Armitstead gewinnt auch die letzte Etappe und feiert Gesamtsieg

(rsn) – Elizabeth Armitstead (Boels-Dolmans) hat am letzten Tag der 7. Ladies Tour of Qatar souverän ihr Goldtrikto verteidigt und sich mit ihrem zweiten Tagessieg auch die Gesamtwertung der Rundfa

05.02.2015Boels-Dolmans dominiert in Katar und gibt Gold teamintern weiter

(rsn) – Das Team Boels-Dolmans drückt der 7. Ladies Tour of Qatar weiter seinen Stempel auf. Einen Tag nach dem Sieg von Ellen Van Dijk in Madinat Al Shamal hat Teamkollegin Elizabeth Armitstead in

05.02.2015Armitstead löst Teamkollegin Van Dijk im Goldtrikot ab

(rsn) – Auch am dritten Tag der Ladies Tour of Qatar hat es einen Führungswechsel gegeben. Allerdings wechselte das Goldtrikot nur innerhalb des Boels-Dolmans–Teams die Besitzerin. Die Britin Eli

05.02.2015Worrack fährt mit Cleverness und starkem Antritt aufs Podium

(rsn) - Ein freier Abend zur Belohnung: Während der Rest der Mannschaft nach der Ankunft am Hotel nur schnell unter die Dusche springen konnte, um anschließend den Weg zu einem Sponsorentermin in ei

04.02.2015Hosking verpasst große Chance, bleibt aber Mit-Favoritin

(rsn) – Eigentlich lief alles nach Plan für Chloe Hosking (Wiggle-Honda): Das Hauptfeld zerriss auf der 2. Etappe der Ladies Tour of Qatar bereits früh und ihr Team stellte in der nur noch 16-köp

04.02.2015Van Dijk überrascht mit später Attacke und holt sich Gold

(rsn) – Ein kraftvoller Antritt auf den letzten 800 Metern hat der ehemaligen Zeitfahr-Weltmeisterin Ellen Van Dijk (Boels-Dolmans) den Sieg auf der 112,5 Kilometer langen 2. Etappe der Ladies Tour

04.02.2015Van Dijk nach Solosieg neue Spitzenreiterin, Worrack wird Zweite

(rsn) – Ellen Van Dijk (Boels-Dolmans) hat mit ihrem Sieg auf der 2. Etappe der Ladies Tour of Qatar (2.1) die Führung im Gesamtklassement übernommen. Die Niederländerin, Gesamtsiegerin von 2011,

04.02.2015Tour of Qatar: Schon ein kleiner Klassiker im Frauenradsport

Doha (dpa) - Vor dem Eingang zum Islamischen Museum in Doha bereiten sich 87 Frauen in bunter Kunststoffkleidung auf den Start der 7. Katar-Rundfahrt vor. Zwei verschleierte Reporterinnen interviewen

03.02.2015Doppeltes Pech für die Nordamerikanerinnen von Optum

(rsn) - Einen Auftakt zum Vergessen erlebte am ersten Tag der 7. Ladies Tour of Qatar das US-Team Optum p/b Kelly Benefit Strategies. Das Aufgebot um die Kanadische Meisterin Leah Kirchmann, die bei L

03.02.2015Überraschungssiegerin bei Überraschungsbedingungen

(rsn) - Mit einer doppelten Überraschung hat die 7. Katar-Rundfahrt der Frauen begonnen: Zum einen hielt sich auf der 98,5 Kilometer langen 1. Etappe vom Museum of Islamic Art in Doha zum Dukhan Beac

Weitere Radsportnachrichten

21.12.2024Schöne Highlights und ein sehr starker August

(rsn) – 22 Jahre ist Fabio Christen (Q36.5 Pro Cycling) alt, und der Schweizer kommt aus einer wahren Radsportfamilie. Schon sein Großvater gehörte zu den besten Straßensportlern und auch sein Va

21.12.2024Red-Bull-Sportchef Aldag über die Transfers von Lazkano und Co.

(rsn) – Es war abzusehen, dass Red Bull – Bora – hansgrohe auch in diesem Winter wieder allerhand Veränderungen am Kader für die neue Saison vornehmen würde. Neun Profis stoßen 2025 zum Team

21.12.2024Vandeputte mit Start-Ziel-Sieg zum ersten Weltcuperfolg

(rsn) – Dank einer technischen Glanzleistung hat Niels Vandeputte (Alpecin – Deceuninck) in Hulst nicht nur einen Start-Ziel-Sieg, sondern auch seinen ersten Weltcup-Erfolg gefeiert. Der Belgier w

21.12.2024Schreiber startet am schnellsten und bleibt bis zum Schluss vorn

(rsn) – Schnellstarterin Marie Schreiber (SD Worx – Protime) hat den Cross-Weltcup in Hulst mit einem Start-Ziel-Sieg für sich entschieden. Lucinda Brand (Baloise – Trek Lions) baute als Zweite

21.12.2024Knolle, Groß, John und Zemke zu rad-net - Rembe - Sauerland

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

21.12.2024Vom Niemandsland nach Alpe d’Huez in wenigen Monaten

(rsn) – Als Ruderin stand Valentina Cavallar schon bei den Olympischen Spielen am Start und ihr Einstieg in den Radsport kam dann doch sehr überraschend. Erst im April fand sie einen Platz bei der

21.12.2024“Riesige Erleichterung“: Auf dem Weg zurück zu alter Stärke

(rsn) – Er war noch nicht ganz wieder der Alte, doch nach zwei krankheitsbedingt schwarzen Saisons hat Maximilian Schachmann 2024 endlich erneut aufblitzen lassen können, wozu er fähig ist. Das ge

21.12.2024Van Empel muss Cross-Wochenende auslassen

(rsn) - Wegen eines Trainingssturzes muss Weltmeisterin Fem van Empel (Visma – Lease a Bike) die beiden Cross-Weltcups in Hulst und Zonhoven an diesem Wochenende auslassen. Wie die Niederländerin a

21.12.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste 2024

(rsn) - Auch diesmal starten wir am 1. November mit unserer Jahresrangliste. Wir haben alle UCI-Rennen der vergangenen zwölf Monate (1. November 2023 bis 31. Oktober 2024) ausgewertet - nach unserem

20.12.2024Meisterschaftsdoppel versöhnte nach Olympia-Enttäuschung

(rsn) – Die Olympischen Spiele in Paris hatten die Österreicherin Anna Kiesenhofer (Roland) wieder in den Fokus der medialen Aufmerksamkeit zurückgeholt. Immer wieder wurde ihre Sensationsfahrt v

20.12.2024Van Aert kehrt in Mol zu seiner ersten Liebe zurück

(rsn) - Viel Zeit zur Vorbereitung konnte sich Wout van Aert (30) nicht gönnen. Nach nur drei Tagen im Cross-Training will der Belgier am Montag beim Superprestige in Mol starten. Der Cross-Vizeweltm

20.12.2024Van Schip wegen Drohungen und Beleidigungen gesperrt

(rsn) - Wegen "Beleidigungen, Drohungen und unangemessenem Verhalten“ bei der Bahn-WM in Ballerup (Dänemark) hat die UCI den Niederländer Jan-Willem van Schip vom 27. Dezember 2024 bis zum 1. Febr

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine