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16.04.2013 | (rsn) - Im Oktober 2008 wurde Stefan Schumacher beschuldigt, bei der Tour de France mit dem Medikament CERA gedopt zu haben. Viereinhalb Jahre danach muss sich der Nürtinger wegen der damaligen Vorgänge vor einem Strafgericht verantworten. Aufgrund meiner damaligen Vertretung von Bernhard Kohl (der wie Schumacher auch bei der Tour 2008 positiv auf CERA getestet wurden, d. Red.) hat mich der Fall Schumacher natürlich mehr als andere interessiert.
Den Beginn des Strafprozesses und Schumachers Interview im SPIEGEL möchte ich daher zum Anlass nehmen, eine Zusammenfassung der bisherigen Geschehnisse aus anwaltlicher Sicht vorzunehmen.
Ein des Dopings beschuldigter Sportler gerät in Abhängigkeit seiner Berater. Er kann nicht ohne einen Anwalt, der ihn juristisch führt. Und er kann wohl nicht ohne einen Manager, dessen Aufgabe es ist, die Verteidigung medial und persönlich zu begleiten. Dieses Beraterumfeld Schumachers bezeichnete dessen früherer Teamchef Hans-Michael Holczer als „Vollkasko-Entourage“.
Die erste, greifbare Reaktion der „Vollkasko-Entourage“ auf die CERA-Beschuldigungen war eine denkwürdige – und zwar nicht nur vor dem aktuellen Hintergrund mit dem SPIEGEL-Interview - Erklärung im Oktober 2008. Sie war es auch deshalb, weil ausgerechnet die Schumacher-Seite einen Monat später die französische Anti-Doping-Agentur AFLD dafür kritisierte, „in unverantwortlicher Form regen Kontakt mit den Medien zu pflegen“.
Als ob ein Doping-Verfahren nicht bereits genug Konzentration erfordere, legte man sich im November 2008 zusätzlich mit dem Bund Deutscher Radfahrer an. Voller Selbstbewusstsein verlangte man vom BDR die Lizenzerteilung für 2009. Das schien folgerichtig, denn Schumacher teilte am 27.11.2008 ja mit, ein „reines Gewissen“ zu haben.
Einen Monat später forderte Schumachers Rechtsanwalt öffentlichkeitswirksam eine Generalamnestie für Doper. Als mögliche Gegenleistung wurde von einer „schonungslosen Offenheit aller Beteiligten“ gesprochen. Diese Forderung stand zwar ausdrücklich nicht im Zusammenhang mit der Verteidigung im vorliegenden Fall. Doch gerade, weil diese Forderung von Schumachers Anwalt kam, wurden selbstverständlich Quervergleiche gezogen, die so vorauszusehen waren.
Nachdem Schumacher beim Team Gerolsteiner aufgrund des AFLD-Verfahrens gekündigt wurde, eröffnete man eine neue, bisher dritte „Front“: Schumacher wehrte sich gegen die Kündigung durch Holczer und reichte Kündigungsschutzklage ein. Das Interessanteste daran war, dass Schumacher sich im Verfahren vor allen Dingen darauf berief, nicht selbständiger Gewerbetreibender zu sein, wie vertraglich vereinbart, sondern Arbeitnehmer.
Nur nebenbei bemerkt: Wäre das Arbeitsgericht Stuttgart dieser Rechtsauffassung nachgekommen, wären auf den deutschen Radsport Nachforderungen der Sozialversicherungen in Millionenhöhe zugekommen. Mit einem Schlag wäre der deutsche Radsport insolvent gewesen. Die Schumacher-Seite nahm dies in Kauf. Holczer kommentierte dieses Vorgehen so: „Dies ist eine hoch interessante Sache, dass ein Anwalt zunächst zu einer Vertragsunterzeichnung rät und dann in ebenjenem Kontrakt Knebelcharakter erkennt.“
Zurück zur AFLD: Das dortige Verfahren bezeichnete die „Entourage“ im Dezember 2008 als „willkürlich“ und „rufvernichtend“. Nachdem er im Februar 2009 gesperrt wurde, erklärte Schumacher: „Ich habe nicht gedopt. Das Skandalurteil der AFLD zu akzeptieren, wäre das Ende jedes Fairplay. Ich .. werde für mein Recht bis zur letzten Instanz kämpfen.“ Eine bemerkenswerte Aussage.
Doch nicht nur der Betroffene drosch auf die AFLD ein. Von anwaltlicher Seite soll das Urteil sogar als „standrechtliche Schnellerschießung“ bezeichnet worden sein. Eine Sperre mit einer standrechtlichen Schnellerschießung zu vergleichen, wie sie beispielsweise dem Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg widerfuhr, ist meines Erachtens mindestens deplatziert.
Das sportrechtliche Verfahren wurde fortan scheinbar zweigleisig gefahren. Gegen die Sperre selbst wurde vor einem französischen Gericht geklagt. Weil die UCI die Startsperre übernahm, zog Schumacher zudem noch vor den CAS in Lausanne.
Es folgte ein weiteres, denkwürdiges Ereignis: Schumachers Auftritt im Aktuellen Sportstudio. Dafür schämt er sich nach eigenen Worten heute noch. Man kann gut verstehen warum.
Nachdem im Oktober 2009 ein französisches Gericht Schumachers Einspruch gegen die Sperre als unbegründet abwies, erklärte dessen Lager voller Selbstbewusstsein: „Für uns ist Frankreich nicht das Ende der Fahnenstange. Wir werden sämtliche Rechtsmittel gegen die Entscheidung ergreifen, also die Rechtsschutzmöglichkeit bis zum Europäischen Gerichtshof.“
„Wir haben zu 100 Prozent Recht!“ Mit diesen Worten zogen Schumachers Berater in die mündliche Verhandlung vor dem CAS im November 2009. Der CAS sah das anders und bestätigte die Übernahme der Sperre durch die UCI.
Zurück vor dem Arbeitsgericht, „einigte“ man sich mit Holczer auf eine Vertragsauflösung zum 15. Oktober 2008. Schumachers Klage war übrigens gegen die zum 15. Oktober 2008 erfolgte Kündigung eingereicht worden. Immerhin erhielt Schumacher einbehaltene Prämienansprüche ausbezahlt.
Ein neuer juristischer Schauplatz bot sich in einer Auseinandersetzung mit dem Internationalen Olympischen Komitee IOC. Dieses disqualifizierte Schumacher im November 2009 nachträglich vom Zeitfahren in Peking 2008. „Schnellstmöglich und mit Falschheit“ – so der juristische Kommentar der Entourage auf die Disqualifikation. Folgerichtig entschied man sich, auch dagegen Rechtsmittel vor dem CAS einzulegen. Schumacher war übrigens Dreizehnter des Zeitfahrens von Peking.
Nachdem es zwischenzeitlich um Schumacher etwas ruhiger geworden war, wurde 2012 bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart Anklage gegen den Nürtinger wegen des Verdachtes auf Betrug zu Lasten von Holczer erhob. Dieses Strafverfahren hat nunmehr begonnen.
Zu Beginn des Jahres 2013 wurde ein weiteres Verfahren bekannt. Ein ehemaliger Sponsor hatte Schumacher erfolgreich auf Schadensersatz verklagt. Die Reaktion der Entourage: Natürlich werde man Berufung einlegen.
Schumacher hat also aufregende Jahre hinter sich. Addiert man alle Instanzen, kommt man auf mindestens elf Verfahren, straf-, zivil- und sportrechtlicher Art. Bei Bernhard Kohl waren es übrigens derer zwei.
Das oben erwähnte SPIEGEL-Interview im März 2013 begann Schumacher mit den Worten: „Ja. Ich habe EPO genommen, auch Wachstumshormone und Kortikosteroide.“ Den Missbrauch von CERA der letztlich Auslöser des Prozessmarathons war, gab Schumacher ebenfalls zu. Erstaunlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie energisch er und seine Entourage immer wieder seine Unschuld beteuerten und wirklich jedes Rechtsmittel ergriffen.
Im weiteren Verlauf des Interviews sagte der nunmehr Geständige übrigens auch: „Wenn man im Finale geschlagen wird, ist das wie eine körperliche Erniedrigung. Wenn ich das erlebe, bin ich eher bereit, alles zu nehmen, um das nächste Mal ein bisschen weniger Schmerzen zu haben.“ Eine meines Erachtens sehr bedenkliche Aussage für jemanden, der seine Sperre als das Ende jeglichen Fairplays bezeichnet hatte.
Schumacher ist für seine Situation verantwortlich. Deshalb gehört er für sein Geständnis mit fünfjähriger Verspätung auch nicht gelobt. Für seine Vorgehensweise kann ich auch kein Verständnis aufbringen: Für Fehlverhalten hat man einzustehen. Doch schon seit mehreren Jahren frage ich mich, wie man Schumacher auf diesen Weg hat begleiten können, auf dem mit – teils maßlosen - Attacken gegen Dritte nie gespart wurde. Als Lügner musste sich etwa der damalige AFLD-Chef Bodry bezeichnen lassen, von „standrechtlicher Erschießung“ war die Rede.
Am 27.02.2009 sagte Hans-Michael Holczer im Interview mit der dpa den folgenden Satz: „Ich frage mich schon, warum niemand aus seiner 'Vollkasko-Entourage' Stefan Schumacher seine Situation so nahebringt, wie sie praktisch von allen Außenstehenden als Realität empfunden wird.“ Wie Recht er damit hatte.
Die Ausgangslage von Schumachers Verteidigung muss man sich nochmals in aller Deutlichkeit vergegenwärtigen: Alle des CERA-Dopings überführten Sportler der Tour de France 2008 bestätigten die Kontrollergebnisse und legten Geständnisse ab. Unverständlich zu glauben, man käme aus dieser Nummer mit Freispruch raus; aber noch unglaublicher ist es, einen mindestens fünfstelligen Betrag in dieses von Beginn an sinnlose Unterfangen zu investieren.
Ich bin mir sicher, dass einige Entscheidungen zu Lasten Schumachers dem Grunde nach falsch waren. Das ein oder andere Mal widerfuhr ihm Ungerechtigkeit. Gerecht ist jedoch, dass jeder seine Fallhöhe selbst bestimmt. Bedauerlicherweise hat Schumacher selbst dafür gesorgt, dass er tiefer gefallen ist als viele vor ihm. Wenn man sich in 20 Jahren an den Sportler Stefan Schumacher erinnern wird, werden sein Prozessmarathon und die Kehrtwende in Erinnerung bleiben. Wohl kaum allerdings jene, die ihn zu diesem Weg geraten oder zumindest ihn nicht davon abgebracht haben.
Schumacher gibt sich geläutert. Er würde heute vieles anders machen als damals. Dazu kann ich nur sagen: Guter Rat muss nicht immer teuer sein. Hätte Schumacher im Oktober 2008 gestanden, so bin ich mir sicher, hätte das jetzige Strafverfahren nicht stattgefunden. Die Behandlung der „Parallel-Doper“ im Team Gerolsteiner spricht für sich.
Wer übrigens nach dem SPIEGEL-Geständnis gedacht hatte, hier sei der Startschuss für einen neuen, gradlinigeren Weg des Stefan Schumacher gefallen, sah sich beim Prozessauftakt vor dem Strafgericht enttäuscht. Die Stuttgarter Zeitung schrieb über den ersten Tag: „Schumacher sagt viel, meist ruhig und souverän, später etwas ungehalten, aber er sagt nicht alles. Namen nennt er trotz mehrfacher Nachfrage des Richters und Staatsanwaltes nicht. Er benennt nicht die Ärzte, ohne die Doping nicht möglich gewesen wäre. Er wolle sie nicht denunzieren. ‚Ich trage die Verantwortung, ich habe gefragt, sie haben mir geholfen. Mich hat niemand gezwungen.’ Sein Ehrgefühl verbiete es.“
Seine Verteidigung wird zitiert mit den Worten: „Es gibt ja noch Zeugen. Ich denke, bis zur Urteilsverkündung werden wir Namen wissen.“ Ja, so kann man es auch machen. Zum „Verpfeifen“ sollen offensichtlich andere herhalten. Das wäre dann wie im richtigen Radsport: Der Kapitän jubelt im Ziel, die Drecksarbeit aber machen die Wasserträger.
Der Sportrechtler Siegfried Fröhlich schreibt in einem Blog auf Radsport News Stellung über aktuelle Themen aus dem Radsport.
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