Zum 100. Geburtstag

Kurt Stöpel: Philosoph auf dem Tour-Podium

Von Rainer Sprehe

10.03.2008  |  Wäre es denkbar, dass Jan Ullrich nach seinem zweiten Platz bei der Tour de France 1996 noch das Grab Heinrich Heines in Paris besucht hätte? Oder dass Lance Armstrong ihn 2003 am Ruhetag empfangen hätte, um – noch im Pyjama – über Gott und die Welt zu philosophieren. Wohl kaum.

Bei der Frankreich-Rundfahrt 1932 jedoch hielt es Kurt Stöpel als Herausforderer des französischen Superstars André Leducq genau so − in einem Rennen, in dem er als erster Deutscher in der Geschichte der Tour de France eine Etappe gewann, das Gelbe Trikot trug und aufs Podium fuhr. Am 12. März wäre der Berliner Radrennfahrer, den seine internationalen Kollegen gern den „Philosophen“ nannten, 100 Jahre alt geworden.

Schlicht „Tour de France“ heißt die Erlebnisreportage, die Kurt Stöpel 1952 anhand seiner Tagebuchaufzeichnungen verfasste: ein Buch, das auch nach mehr als fünfzig Jahren nichts an Faszinationskraft eingebüßt hat. Denn Stöpel hat nicht nur Bemerkenswertes zu berichten, er erweist sich auch als Autor von bemerkenswertem Erzähltalent.

„Der packendste, der literarisch anspruchsvollste Bericht von der Tour de France“, urteilte etwa die Süddeutsche Zeitung in ihrer Rezension der 2004 erschienenen Neuauflage, und die FAZ lobte: „Eine wunderschöne, 72 Jahre alte Erinnerung breitet Kurt Stöpel in diesem Sommer aus. Endlich ist der Bericht des ersten Deutschen, der Zweiter der Tour de France wurde, wieder erhältlich. Seine von Bescheidenheit und Bildung geprägte Sprache geben der Erzählung vom Kampf mit André Leducq um den Sieg bei der Tour 1932 ebenso Farbe wie die Schwarzweißfotos, mit denen der Covadonga-Verlag die Neuauflage illustriert hat.“

„Es ist eine tragische Nacktheit, das zerklüftete Felsgestein scheint uns angrinsen zu wollen. Der Weg der tausend Krümmungen wird jetzt bereits von Schneepfützen flankiert“, schreibt Kurt Stöpel über eine Pyrenäen-Etappe im Unwetter: „Jetzt kann man nicht mehr in das violett schimmernde Tal hinabblicken, die Wolken hüllen uns ein, als hätten sie Mitleid mit uns keuchenden Ameisen, die es gewagt haben, die Riesen der Bergwelt herauszufordern. Es ist nur ein Tasten, ein ungewisses Taumeln von einer Straßenhälfte zur anderen, dabei die Angst im Herzen, nicht zu nahe an den Abgrund zu kommen.“

In dieser authentischen, bildreichen Sprache schildert er das Leiden der Fahrer und die ganze Dramatik einer Frankreich-Rundfahrt, die so anders war als die moderne Tour de France – und doch manche Parallele aufweist. Denn Kurt Stöpel verschweigt nicht, dass auch damals der Griff zu fragwürdigen Substanzen für viele Rennfahrer auf der Tagesordnung stand: „Der Bürgermeister erzählt bedächtig das furchtbare Erlebnis, als der kleine Rebry wie ein Wahnsinniger angespurtet kam. Keiner hatte ihn hinter dem Ziel halten können… Er wäre in das Meer hineingerast, wenn nicht energische Hände den Sieger dieser mörderischen Etappe vom Rad geholt hätten. […] In diesem Moment weiß ich: Es kann kein Märchen sein, dass Beckmann einer der größten Mixer unter den Managern ist. Aber wem nützt dieser Sieg?“

Nach dem Krieg arbeitete Kurt Stöpel als Dolmetscher am Flughafen Tempelhof und für den Berliner Senat, später dann als Taxiunternehmer in seiner Heimatstadt. Am 11. Juni 1997 wollte er sich in der Küche seines Altersheims etwas zu trinken holen, griff aber versehentlich zu einer Flasche Reinigungsmittel. Er starb noch am selben Tag – nur wenige Wochen, bevor er Jan Ullrich gratulieren konnte, ihn als bestplatzierten deutschen Tour-Fahrer aller Zeiten abgelöst zu haben.

Zumindest in den Augen seines Bezwingers aber war ja auch Kurt Stöpel schon ein wahrer Sieger gewesen: „Leducq nahm seinen herrlichen Rosenstrauß, den er bei der Ehrenrunde in seiner Hand gehalten hatte, und überreichte ihn, mit der Schleife in den Farben der Tricolore, meiner Frau. ‚Madame Stöpel’, sagte er bescheiden, ‚wir beide, Kurt und ich, haben die Tour de France gewonnen!’“

Am 6. Mai 2008 wird Kurt Stöpel von der Stiftung Deutsche Sporthilfe posthum in die „Hall of Fame des deutschen Sports" aufgenommen − ebenso wie Albert Richter, über den bei Covadonga das Buch „Der vergessene Weltmeister" von Renate Franz erschienen ist.

Weitere Radsportnachrichten

12.12.2025Canyon spendiert van der Poel eine frische Lackierung

(rsn) - Laut Canyon geht die Geschichte folgendermaßen: 2017 hatte man zum ersten Mal ein Cyclocross-Carbonrad, das Canyon Inflite, entwickelt und wollten ein dazu passendes Cyclocross-Team. Ziemlic

12.12.2025Lidl-Trek-Neuzugang Ayuso will bei der Tour aufs Podium

(rsn) – Mit ziemlich genau einer halben Stunde Verspätung trat Juan Ayuso beim Medientag seiner neuen Mannschaft Lidl – Trek in Delia vor die anwesenden Journalisten. Die hatten zwar 30 Minuten a

12.12.2025Van der Poel: “Sollte reichen, um sofort um den Sieg mitzufahren“

(rsn) – Drei Monate nach seinem bisher letzten Renneinsatz – Platz 29 bei der Mountainbike-WM – brennt Mathieu van der Poel darauf, wieder in den Wettbewerbsmodus umzuschalten. “Ich fühle mic

12.12.2025Die Trikots der WorldTour-Teams für die Saison 2026

(rsn) - Wie sieht das Peloton 2026 aus? Welche Farben werden in der kommenden Saison vorherrschend sein? Nach und nach stellen die WorldTour-Rennställe ihre Trikots für das neue Jahr vor - den Anfan

12.12.2025Auf welchen Rädern sind die Frauen 2026 unterwegs?

(rsn) - Bei den Profiteams der Frauen fühlen sich offenbar alle Hersteller bei ihren aktuellen Partnern wohl. Zumindest wechselt oder verlässt keine Radmarke das Team. Veränderungen gibt es nur, we

12.12.202556 Fahrerinnen und Fahrer: Movistar stellt seine Teams vor

(rsn) – Insgesamt 56 Radsportler und Radsportlerinnen, verteilt auf das Männer-, das Frauen und das neu gegründete Nachwuchsteam, präsentierten sich am Donnerstag im Palau de les Arts von Valenci

12.12.2025Quereinsteigerin verdiente sich Respekt im WorldTour-Feld

(rsn) – Aus Bonaduz in der Nähe von Chur stammt Ginia Caluori, die in diesem Jahr nicht nur auf der Straße ihre ersten Topresultate einfahren konnte, sondern auch auf dem Mountainbike - und das al

12.12.2025Visma verlängert vorzeitig mit Top-Talent Brennan

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

12.12.2025Nur ein Sieg fehlte zur perfekten ersten Profisaison

(rsn) – 58 Renntage weist unser Statistikpartner firstcycling.com für Tim Torn Teutenbergs erstes Profijahr bei Lidl – Trek aus. 27 Mal landete er dabei unter den ersten Zehn. Eine herausragen

12.12.2025Die Radsport-News-Jahresrangliste der Frauen 2025

(rsn) – Seit dem Jahr 2013 blicken wir am Ende der Straßenradsaison neben der Jahresrangliste der Männer auch auf das Jahr der Frauen mit entsprechendem RSN-Ranking zurück. Berücksichtigt werden

12.12.2025Die Radsport-News-Jahresrangliste der Männer 2025

(rsn) – Es ist inzwischen RSN-Tradition. Und auch wenn sich mit Christoph Adamietz der Vater der Idee vor einem Jahr aus unserem Autoren-Team verabschiedet hat, so soll diese Tradition fortgesetzt w

12.12.2025Uijtdebroeks: Als klarer Leader endlich zum Glück?

(rsn) – Auf der Bühne bei der Teampräsentation seines neuen Movistar-Teams im Kunstpalat der Königin Sofia, einem architektonisch beeindruckenden Opernhaus in Valencia, wurde er erst einmal gefop

RADRENNEN HEUTE

    Radrennen Männer

  • Tour de Gyeongnam (2.2, KOR)