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26.11.2024 | (rsn) – Keine zehn Jahre ist es her, da stand Deutschland im Nationen-Ranking der UCI im Cyclocross auf Rang drei. Von 2014 bis 2017 war man fast ununterbrochen die dritte große Querfeldein-Kraft im Männer-Zirkus hinter Belgien und den Niederlanden. Marcel Meisen, Philipp Walsleben und Sascha Weber sorgten für zahlreiche Spitzenergebnisse und somit die nötigen Weltranglistenpunkte.
Nun aber, Ende 2024, ist der deutsche Cross-Sport auf den großen Bühnen beinahe in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Seit Februar 2023 findet sich die deutsche Fahne nicht mehr in den Top 10 des Nationen-Rankings, man rangiert konstant auf Platz zwölf bei den Männern. Bei den Frauen sieht es noch schlechter aus. Und bei den Europameisterschaften im spanischen Pontevedra Anfang November war Deutschland in keiner Kategorie vertreten.
radsport-news.com hat mit Cross-Bundestrainer Wolfgang Ruser über den enttäuschenden Status Quo gesprochen.
Herr Ruser, warum haben wir bei den Europameisterschaften unlängst im spanischen Pontevedra keine deutschen Starter gesehen?
Wolfgang Ruser: Wir hätten für die EM in Absprache mit BDR-Sportdirektor Patrick Moster durchaus vier bis fünf Sportler und Sportlerinnen nominieren können.
Wieso nur hätten, woran ist das Vorhaben gescheitert?
Ruser: Es gab hier vom BDR keine finanzielle Unterstützung. Eine Teilnahme wäre daher für alle Beteiligten ein finanzieller Kraftakt gewesen, den man selbst hätte stemmen müssen. Eine sehr weite Anreise, Betreuer, Mechaniker und die Übernachtungen selbst bezahlen? Das war für die Athleten kaum machbar. Also hat sich keiner der möglichen Kandidaten für einen Start in Galizien entschieden.
Werden wir ein ähnliches Szenario bei der kommenden Weltmeisterschaft Anfang Februar im französischen Liévin erleben?
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Ruser: Für uns ist tatsächlich wichtiger, dass wir zur Weltmeisterschaft ein paar Sportler und Sportlerinnen entsenden können. Die generelle Problematik ist nach wie vor, dass wir ja kein Cross-Land sind. Unsere Gegner, beziehungsweise die anderen Nationen, wie Tschechien, Belgien und Holland, die fangen schon im August oder Anfang September mit internationalen Rennen an. Die sind natürlich schon ganz anders in Schuss, wenn es dann im Winter zu den großen Rennen geht. Wir hoffen, dass wir uns dann mit den Weltcup-Rennen ab November zumindest soweit in Form bringen, um dann konkurrenzfähig am Start zu stehen.
Welche Nominierungskriterien sind für die Weltmeisterschaften vorgesehen?
Ruser: Die Nominierungskriterien sind vom BDR eng gefasst und bereits veröffentlicht. Die Athleten aller Klassen müssen eine bestimmte Anzahl an Weltcup-Rennen fahren, konkret müssen beispielsweise die Elitefahrer und -fahrerinnen an mindestens vier Weltcupveranstaltungen teilnehmen. Um Weihnachten gibt es dann zudem auch noch drei Nachwuchs-Weltcup-Rennen. Da sehen wir auch im Juniorenbereich, wo wir international stehen und können dann in Kombination mit der Deutschen Meisterschaft im Januar in Chemnitz, unabhängig von den Nominierungskriterien, immer auch noch Einzelfallentscheidungen treffen.
Marcel Meisen fährt seine letzte Cross-Saison in diesem Winter auf Canyon und hat eine Kooperation mit dem YouTube-Kanal RTF, der mit seinen Partnern auch sein Trikot ziert. | Foto: Richard Weinzheimer
Apropos Deutsche Meisterschaft. Wie steht es aktuell um den Deutschen Meister der Elite, Marcel Meisen und die junge Judith Krahl, die letztes Jahr den Titel gewinnen konnte?
Ruser: Marcel Meisen ist sicherlich über seinen Zenit hinaus. Ich weiß gar nicht genau, was er so vorhat – wir hatten wenig Kontakt in der letzten Zeit. Er hat jetzt ein paar kleinere Rennen in Italien und der Schweiz gefahren und ja, natürlich wäre es gut, so einen erfahrenen Sportler auch bei der WM dabeizuhaben. Judith Krahl (Heizomat Radteam p/b Herrmann) ist unsere junge Hoffnung für die Zukunft bei den Elite-Frauen - das muss man ganz deutlich so benennen! Sie hatte im Sommer lange mit Corona zu kämpfen und ist erst vor ein paar Wochen bei kleineren Rennen in Tschechien wieder eingestiegen. Ich hoffe, dass sie über die kommenden Weltcups wieder zu ihrer Form aus der letzten Saison finden kann. Aber auch bei einer Kaija Budde (Peter Pane - Nagel CX Team) bin ich sehr zuversichtlich. Sie kommt als ehemalige Biathletin aus einer anderen Sportart und muss sicherlich im Gelände noch einiges dazulernen. Nach ihrem Sieg bei der Deutschen Meisterschaft 2024 in der Juniorinnenklasse hat sie den Übergang in den U23-Bereich gut gemeistert. Ich habe sie für die Zukunft auf dem Zettel.
Und darüber hinaus? Wie fällt denn Ihre aktuelle Bestandsaufnahme in der deutschen Cross-Landschaft aus? Wo sehen Sie Potential?
Ruser: Wir haben momentan in Deutschland niemand, der vom Cross-Sport als Profi leben kann. Da haben die Fahrer und Fahrerinnen in Holland oder Belgien ganz andere Verdienstmöglichkeiten. Ein Hannes Degenkolb (Heizomat Radteam p/b Herrmann) sticht sicherlich gerade in der U23-Klasse heraus. Aber wie man auch an Eike Behrens (Stevens Racing Team) sieht, wird in Hamburg richtig gute Arbeit geleistet. Und auch ein Max-Heiner Oertzen, der bei den Junioren ja auch international gut dabei war, hat in seinem ersten U23-Jahr in den letzten Wochen schon ein paar schöne Ergebnisse erzielt. Bei den Elite-Frauen hat in den vergangenen Jahren immer wieder die inzwischen 38-jährige Elisabeth Brandau (EBE Racing Team) positiv überrascht. Auch, wenn sie an die Weltspitze nie heranreichen konnte. Nachdem sie in dieser Saison ein paar C2-Rennen in der Schweiz gewonnen hat, muss man schauen, wie sie sich im Weltcup schlägt. Insgesamt sind wir aber alles andere als breit aufgestellt.
Elisabeth Brandau holte 2018 sensationell das einzige Elite-Top-5-Ergebnis bei einer Weltmeisterschaft in den letzten zehn Jahren. | Foto: Cor Vos
Das war früher ganz anders. Cyclocross hat in den 70er- und 80er Jahren mit den Erfolgen von Klaus-Peter Thaler oder Mike Kluge einen großen Stellenwert in Deutschland gehabt und wirklich geboomt. Auch eine Hanka Kupfernagel hat um die 2000er die internationale Frauen-Szene im Gelände dominiert. Danach wurde es still. Woran liegt es, dass der Querfeldeinsport in Deutschland so ein stiefmütterliches Dasein führt? Ausschließlich an mangelnder Förderung, weil diese Sportart noch nicht olympisch ist?*
Ruser: Man muss es ganz klar sehen: Dadurch, dass Cross nicht olympisch ist, gibt es auch vom DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund) keinerlei Fördergelder. Wir generieren hier beim Bund Deutscher Radfahrer die verfügbaren Gelder und auch die Erfolge über den Bahnradsport, aktuell über den Damen-Bahnradsport. Und das ist ganz schwierig da reinzukommen. Cross an sich ist eine schöne Sportart. Es geht über eine Stunde auf engen, gut einsehbaren, zwei bis drei Kilometer langen Rundkursen - sehr intensiv, auch mit leichtathletischen Komponenten, also wunderschön. Fast interessanter zum Zuschauen als Mountainbike-Rennen!
Das ist ja quasi eine Hommage an den Sport und schreit eigentlich nach mehr?
Ruser: Ja natürlich! Aber auch über 30 Jahre nach der Wende gibt es in der Trainerschaft immer noch große Vorbehalte, in den Vereinen Kinder und Jugendliche an den Cross-Sport heranzuführen. Letztes Wochenende war ich beim Bundesliga-Rennen in Vaihingen. Da waren die Starterzahlen im Schüler- und Jugendbereich sogar noch ganz zufriedenstellend, aber dann flachte es im U19-Bereich ganz schön ab. In diesem Alter finden wir eine Spezialisierung vor, und zwar mehr auf Bahn oder Straße. Das wirkt für die eigene Zukunft attraktiver auf die jungen Leute. Wie schon erwähnt: Cross gehört eigentlich zur Grundausbildung des Radfahrens, es wird dann aber ab dem Juniorenbereich leider immer dünner.
Der amtierende Deutsche Straßenmeister Marco Brenner war in der Jugend auch im Cross sehr stark, konzentrierte sich dann aber auf die Straße. | Foto: Cor Vos
Und dann wird es immens schwierig, in der internationalen Elite-Klasse mitzuhalten?
Ruser: Nicht nur schwierig, sondern unmöglich! Schauen wir doch nur mal nach BeNeLux. In den Niederlanden stehen bei den weiblichen Juniorinnen 30 bis 40 Starterinnen an der Linie, bei uns sind es gerade mal fünf. Unsere Nachbarn haben für die Entwicklung starker Elite-Fahrer- und Fahrerinnen einen ganz anderen Unterbau. Oder nehmen wir Tschechien, dort gibt es zum Beispiel den Toi Toi Cup. Der ganze Cup und die Veranstalter werden vom Staat finanziell unterstützt, damit deren Rennen mit einer C2-Aufwertung höherklassigere Startfelder garantieren!
Also auch ein hausgemachtes Problem des BDR, da der Förderschwerpunkt mehr auf Bahn und Straße liegt?
Ruser: Im Nachwuchsprogramm des BDR ist Cross zwar aufgeführt, aber eigentlich läuft es nur nebenher. Da liegt der Fokus der Förderung klar auf Straße und Bahn.
An welcher Schraube muss Ihrer Meinung nach am meisten gedreht werden, damit sich die Situation in Deutschland mittel- und langfristig zum Positiven hin verändern kann?
Ruser: Da spielen sehr viele Dinge hinein, die wir nicht "ad hoc" alle verändern können. Zunächst einmal brauchen wir auf jeden Fall in den U19- und U23-Klassen größere Starterfelder, um grundsätzlich den Konkurrenzkrampf im Wettbewerb deutlich zu erhöhen. Nur wer harte Rennen gegen starke Konkurrenz fährt, kann das eigene Leistungsniveau anheben. Ein weiterer zentraler Punkt bleiben die schon angesprochenen Förderprogramme. Im Rahmen eines Ausbildungsprogramms muss Cross gleichwertig zu Bahn und Straße gefördert werden!
Wenn das nicht rasch umgesetzt wird, fahren wir auch in den nächsten Jahren nur hinterher.
Zudem müssen mehr Cross-Bundesligarennen dringend aufgewertet werden. Wenn weitere Veranstaltungen einen C2-Status erhalten würden, hätten wir automatisch mehr starke ausländische Starter und Starterinnen, und damit eine höhere Konkurrenzsituation für unsere Athleten. Eine Aufwertung bedeutet aber natürlich auch höhere Preisgelder und Genehmigungsgebühren und spätestens hier wird es beim Thema Sponsoring in Deutschland eng.
Hannes Degenkolb fährt bislang bei kleineren Rennen einen sehr ansprechenden Cross-Herbst. | Foto: Team Hannes Degenkolb / Heizomat - Herrmann
Abschließend, wer könnte Ihrer Einschätzung nach ein gutes Ergebnis für den BDR bei der WM einfahren?
Ruser: Nach aktuellem Stand dürfte das sicherlich Hannes Degenkolb sein. Hannes scheint anhand der Ergebnisse aus den vergangenen Wochen momentan der stärkste U23-Fahrer zu sein. Ihm traue ich am ehesten eine gute Platzierung zu.
*(Anm.: Fortgeschrittene Überlegungen seitens IOC und UCI deuten darauf hin, dass Cyclocross für die Olympischen Winterspiele 2030 in das Programm aufgenommen wird.)
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