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04.08.2023 | (rsn) – Wichtig ist der Blick auf den Wetterbericht, für Glasgow, den 6. August. Während am Tag zuvor die WM-Straßenrennen der Juniorinnen und Junioren höchstwahrscheinlich im Dauerregen versinken werden, könnten die Elite-Männer mit ihrem Rennen etwas mehr Glück haben. Niederschlag ist bei einer mittleren Wahrscheinlichkeit keinesfalls ausgeschlossen, doch auch die Sonne könnte sich blicken lassen.
Wie wetteranfällig Radrennen in Glasgow sind, haben die letzten beiden Großveranstaltungen in der größten Stadt Schottlands gezeigt. Bei den Commonwealth Games 2014 schafften es bei extrem nassen Verhältnissen von mehr als 130 Starten lediglich zwölf ins Ziel. Geraint Thomas war damals der Beste von ihnen.
Als vier Jahre später die Straßen-Europameisterschaften in Glasgow durchgeführt wurden, gewann Matteo Trentin im Regen ein Sturzfestival, bei dem ebenfalls nur ein gutes Drittel aller Starter ins Ziel kam, vor Mathieu van der Poel und Wout Van Aert.
Kritisch sind nasse Verhältnisse vor allem aufgrund der Beschaffenheit der Strecke. Denn mehr als die Hälfte der 271,1 Kilometer des Straßenrennens werden auf dem zentralen Parcours durch die City von Glasgow absolviert. Dabei stehen zehn Runden zu je 14,3 Kilometern an. Identisch mit den Kursen von 2018 und 2014 ist die WM-Strecke nicht, einige Abschnitte werden aber erneut befahren. Neu sind in erster Linie: noch mehr Kurven.
Die Streckenkarte des WM-Straßenrennens der Männer | Foto: Veranstalter
Allein auf den letzten 5000 Metern warten 19 scharfe Richtungswechsel, die meist den 90 Grad nahekommen oder sogar darüber hinausgehen. Am gefährlichsten ist dabei der Abschnitt rund um die Drei-Kilometer-Marke. Aus einer Abfahrt kommend biegt das Feld über einen scharfen Linksknick in ein 200 Meter langes Kopfsteinpflaster-Stück ab, um kurz darauf im spitzen Winkel wieder nach rechts zu fahren. Immerhin: Die letzte der vielen Kehren wartet 350 Meter vor dem Zielstrich auf dem George Square vor dem imposanten Glasgower Rathaus.
207 Höhenmeter verteilen sich über die Runde auf mehrere kurze, aber giftige Anstiege. 1500 Meter vor dem Ende jeder Runde wartet in der Montrose Street der wahrscheinlich entscheidende. Auf den 200 Metern geht es im Schnitt 10,8 Prozent bergan, in der Spitze sogar 14 Prozent.
Vergleichsweise entspannt dürfte sich dagegen die Anfahrt nach Glasgow gestalten. Gestartet wird das Rennen in der schottischen Hauptstadt Edinburgh. Von dort führt die Strecke in nordwestlicher Richtung zunächst über topografisch unproblematisches Gelände. Wind könnte auf der 2,6 Kilometer langen Brücke Queensberry Crossing über den Fjord Firth of Forth ein Thema sein, doch wird diese Querung viel zu früh passiert, als dass es deswegen schon dort hektisch zugehen könnte.
Das Profil des WM-Straßenrennens der Männer | Foto: Veranstalter
Erst nach 70 Kilometern wird es langsam bergig. Der Kurs biegt dann nach Süden ab – hier stößt er auf die Strecke, die später auch die U23-Männer und die Frauen fahren – und nimmt Kurs auf Glasgow, muss davor aber erst noch die Crow Road passieren. Deren Kuppe ist auf etwas mehr als 330 Metern über dem Meeresspiegel der höchste Punkt des Rennens. Allerdings ist auch die sechs Kilometer lange Crow Road kein unüberwindbares Hindernis. Lediglich die ersten beiden Kilometer sind mit 6,5 Prozent etwas steiler. Bis zur Einfahrt auf den Rundkurs warten keine weiteren Schwierigkeiten.
Bevor Glasgow nicht erreicht ist, wird nicht mal eine Vorentscheidung fallen. Und deshalb sind diejenigen favorisiert, die auf Klassikerkursen zu Hause und obendrein technisch versiert genug sind, sich in den vielen Kurven und engen Gassen, vermutlich bei Nässe, bestens zurechtzufinden. Da das Feld – auf Erfahrungen von 2018 und 2014 fußend – zumindest in der Schlussphase stark in die Länge gezogen sein wird, ist es zudem entscheidend, eine gute Position halten zu können. Um die überhaupt zu bekommen, ist nicht nur eine gute Form, sondern auch ein starkes Team notwendig.
All diese Faktoren berücksichtigend, geht Titelverteidiger Remco Evenepoel als Top-Favorit ins Rennen. Mit Wout Van Aert haben die Belgier, die aufgrund des individuellen Startrechts von Evenepoel mit neun Startern antreten werden, noch einen weiteren heißen Kandidaten im Rennen. Der WM-Vierte von Wollongong dürfte aber zumindest hinsichtlich der Form im leichten Nachteil gegenüber Evenepoel sein. Gleiches gilt für Mathieu van der Poel. Auch dem Niederländer müsste der Kurs liegen, doch nach einem überragenden Frühjahr zeigte die Kurve des 28-Jährigen zuletzt eher nach unten.
Das Profil des WM-Rundkurses von Glasgow | Foto: Veranstalter
Und so dürfte Tadej Pogacar wohl die Nummer zwei im Favoriten-Ranking hinter Evenepoel einnehmen. Es ist das erste direkte Aufeinandertreffen der beiden in diesem Jahr – das für Pogacar verhängnisvoll (Sturz mit Kahnbeinbruch), für Evenepoel triumphal (Titelverteidigung) verlaufene Lüttich-Bastogne-Lüttich einmal ausgeklammert. Zuvor standen die beiden Überflieger letztmals gemeinsam vor rund zehn Monaten beim WM-Straßenrennen in Wollongong am Start. Evenepoel holte sich damals das Regenbogentrikot mit 2:21 Minuten Vorsprung auf die Verfolgergruppe, in der sich auch Pogacar befand.
Für den Tour-de-France-Zweiten spricht aber die Extraportion Motivation, die sich aus der Chance zur Revanche für die erneute Niederlage bei der Frankreich-Rundfahrt ergibt, auch wenn der Gegner ein anderer sein wird. Gegen Pogacar könnte die Qualität des slowenischen Teams sprechen, das auf Matej Mohoric und Primoz Roglic verzichten muss und neben Pogacar nur drei weitere WorldTour-Profis aufweist.
Eine gute Rolle spielen könnten auch die Dänen. Mads Pedersen weiß, wie man auf der Insel Weltmeister wird. 2019 durfte er in Harrogate das Regenbogen-Trikot überstreifen – auf einem Kurs, der dem von Glasgow nicht unähnlich ist und bei ebenfalls typisch britischem (Regen)-Wetter. Die Dänen haben mit Magnus Cort zudem noch ein weiteres Eisen im Feuer.
Der Profil des Anstiegs zur Crow Road | Foto: Veranstalter
Das haben theoretisch auf die Franzosen mit Julian Alaphilippe, der Pedersen 2020 als Titelträger ablöste und der dann im Jahr darauf sein Trikot verteidigte. Doch nach einem Zwischenhoch beim Critérium du Dauphiné zeigte die Formkurve bei der Tour eher wieder nach unten. Vielleicht ist deshalb sein Teamkollege Christophe Laporte, WM-Zweiter von Wollongong, sogar stärker einzuschätzen.
Aus italienischer Sicht dürfte Alberto Bettiol der aussichtsreichste Kandidat sein. Nach zwei Grand Tours in diesem Jahr wird der Tank aber nicht mehr voll genug für 271 Kilometer WM-Rennen sein. Die Spanier sind in der Breite gut aufgestellt, doch der Top-Mann, der es unter normalen Bedingungen mit Evenepoel & Co. aufnehmen könnte, steht nicht am Start. Australien wird darauf hoffen, dass Michael Matthews, in Wollongong Bronzemedaillengewinner, ein kleines Wunder gelingt.
Erneut mit nur sechs statt der maximal möglichen acht Starter wird das deutsche Team das WM-Rennen in Angriff nehmen. Zwar fehlt mit Georg Zimmermann, der sich nach einer imponierenden Tour de France eine Ruhepause gönnt, der aktuell wohl formstärkste deutsche Profi. Doch der neue Bundestrainer André Greipel zeigte sich selbstbewusst und gab die Top-Ten als Minimalziel aus. Kandidat dafür könnten der zweimalige Deutsche Meister Maximilian Schachmann oder John Degenkolb sein.
Die Schweizer setzen auf den früheren U23-Weltmeister Marc Hirschi und Klassikerspezialist Stefan Küng, das österreichische Team hat mit Marco Haller, Michael Gogl und Lukas Pöstlberger gleich drei starke Klassikerfahrer dabei. Das vierköpfige luxemburgische Aufgebot wird von Alex Kirsch angeführt.
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