Nachlese 77. Polen-Rundfahrt

Eine schwere Woche findet für Deceuninck ein Happy End

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Remco Evenepoel ((Deceuninck - Quick-Step)) hat die 77. Tour de Pologne gewonnen. | Foto: Cor Vos

10.08.2020  |  (rsn) - Genau ein Jahr nach dem tragischen Tod von Bjorg Lambrecht (Lotto Soudal) wurde auch die Polen-Rundfahrt 2020 von einem schweren Sturz überschattet. Dass man vier Tage später schon wieder über das Sportliche sprechen konnte, lag auch daran, dass Fabio Jakobsen (Deceuninck - Quick-Step) mittlerweile nicht mehr in Lebensgefahr schwebt und sein Zustand als stabil bezeichnet wird. Sein Teamarzt Avan Van Mol hält es sogar für möglich, dass der Niederländer wieder in den Profiradsport zurückkehrt - wann auch immer das sein wird.

Auch nach dem dramatischen Ausfall des Sprinters dominierte Deceuninck - Quick-Step die Schlagzeilen - sieht man einmal von Dylan Groenewegen (Jumbo - Visma) ab, der den desaströsen Sturz in Katowice verursachte hatte und der sich in einem TV-Interview am Freitagabend sichtlich erschüttert zeigte über die Folgen seines Fehlverhaltens.

Gleich drei Etappenerfolge - Jakobsen wurde makabrerweise der Sieg auf der ersten Etappe zugesprochen, Remco Evenepoel legte auf der Königsetappe am Samstag nach, zum Abschluss war Davide Ballerini im Massensprint der Schnellste - hat die Mannschaft von Patrick Lefevere vorzuweisen. Zudem entscheid Evenepoel souverän das Schlussklassement für sich. "Drei Etappenerfolge und der Gesamtsieg, das ist unglaublich. Aber das beste Ergebnis ist, dass Fabio auf dem Weg der Besserung ist", erklärte der 20-jährige Belgier, der bei seinem Etappenerfolg die Startnummer des Verunglückten aus seiner Trikottasche holte und sie beim Überqueren des Zielstrichs hoch hielt.

Evenepoel in dieser Form auch Anwärter auf den Giro-Sieg

Evenepoel wies nach fünf Etappen 1:52 Minuten Vorsprung auf den zweitplatzierten Jakob Fuglsang (Astana) auf. Hält man sich vor Augen, dass die Polen-Rundfahrt in den vergangenen Jahren meist durch Sekundenabstände entschieden wurde, wird klar, wie überlegen der Jungstar war. In den vergangenen Jahren hatte nur Tim Wellens (Lotto Soudal) 2016 mit über vier Minuten einen noch größeren Vorsprung als sein junger Landsmann, der in dieser Saison alle vier Rundfahrten gewann, an denen er teilnahm. In dieser Form ist Evenepoel auch bei seinem GrandTour-Debüt beim Giro d`Italia im Oktober großer Favorit auf den Gesamtsieg.

Überraschend kam der Sprintsieg von Ballerini auf der Schlussetappe in Krakau. Schließlich setzte er sich gegen den favorisierten Pascal Ackermann (Bora - hansgrohe) durch. Der 25-jährige Italiener hatte schon auf der 2. Etappe mit Rang drei überzeugt und dabei augenscheinlich Selbstvertrauen getankt. In Zabrze waren noch Weltmeister Mads Pedersen und Ackermann schneller gewesen. Diesmal hatte Ballerini das beste Timing aller Sprinter und überspurtete auf den letzten Metern noch den Pfälzer, der zu früh im Wind war.

"Unser Ziel war es, für Fabio noch möglichst viele Siege zu holen. Ich habe mich gut gefühlt und im Sprint bis zur 100 Meter-Marke gewartet, ehe ich angetreten bin. Das ist natürlich die perfekte Art und Weise eine solch emotionale Woche für uns zu Ende zu bringen", erklärte Ballerini nach seinem ersten Sieg auf WorldTour-Niveau, der die Tiefe des Kaders von Deceuninck - Quick-Step unterstrich. Die bisher 23 Saisonerfolge wurden von zehn unterschiedlichen Fahrern erzielt.

Die beiden Sprintniederlagen dürften Ackermann wurmen

Eher unzufrieden dürfte dagegen Ackermann die Heimreise antreten. Bei der deutlich schwächer besetzten Sibiu Tour noch zweifacher Etappensieger, lief es in Polen in den Sprints nicht nach Wunsch. Dabei konnte Ackermann über seine schlechte Positionierung zum Auftakt sogar froh sein, weil er so vom schrecklichen Massensturz verschont geblieben war.

Gewurmt haben dürfte den 26-Jährigen dann aber schon, dass er keine der beiden weiteren Sprintankünfte nicht gewinnen konnte - und das, obwohl mehrere Konkurrenten ausgeschieden waren. "Es ist schade, dass, nachdem ich den Sieg auf der 2. Etappe nur knapp verpasst habe, ich jetzt dieses Jahr keine Etappe gewinnen konnte", meinte Ackermann, der bei seinen bisherigen zwei Teilnahmen an der Polen-Rundfahrt jeweils zwei Etappen hatte für sich entscheiden können. Sein Sportdirekter André Schulze fügte an: "Wir wollten gerne mit dem Sieg nach Hause fahren und wir sind daher mit dem Ergebnis nicht ganz zufrieden".

Ähnliches gilt für die Gesamtwertung, wo der Raublinger Rennstall ebenfalls hinter den Erwartungen blieb. Mit Lokalmatador Rafal Majka, dem Strade-Bianche-Dritten Maximilian Schachmann und dem Sibiu-Zweiten Patrick Konrad hatte die Mannschaft von Ralph Denk gleich drei heiße Eisen im Feuer. Gegen Überflieger Evenepoel war allerdings kein Kraut gewachsen, Majka fehlten auf Rang vier am Ende vier Sekunden auf den Gesamtdritten Simon Yates (Mitchelton - Scott), Schachmann wurde 13., Konrad belegte Rang 21.

Pedersen wird den Fluch des Regenbogentrikots los

Zufrieden mit der Polen-Rundfahrt dürfte sicherlich auch Weltmeister Pedersen sein, nachdem er sein erstes Erfolgserlebnis im Regenbogentrikot hatte. "Ich hatte nicht viele Gelegenheiten, das Trikot zu zeigen. Aber es ist super, dies nun auf die bestmögliche Art und Weise getan zu haben", sagte der Däne.

Richard Carapaz (Ineos) gab die Rundfahrt Aufschluss darüber, dass er sich mit Blick auf den Giro d`Italia auf dem richtigen Weg befindet. Der Giro-Sieger 2019 gewann die 3. Etappe im Sprint eines deutlich dezimierten Feldes. Pech für ihn: Er stürzte auf der Königsetappe im Trikot des Gesamtführenden. Letztlich erreichte Carapaz mit großem Rückstand das Ziel und trat "aus Vorsichtsmaßnahme" zur Schlussetappe nicht mehr an.

Sprintankunft in Katowice muss entschärft werden

Was bleibt von der 77. Auflage der Polen-Rundfahrt? Vor allem die Diskussion darüber, ob es die in den letzten Jahren schon häufig kritisierte Zielankunft in Katowice weiter geben sollte und, wenn ja, wie Sicherheitsmaßnahmen aussehen könnten, um abfallende Zielgerade, bei der Geschwindigkeiten von bis zu 80km/h erreicht wurden, entschärft werden könnte. Ex-Profi Rolf Aldag machte bei Eurosport zwei Vorschläge: entweder den Verlauf umdrehen, so dass der Sprint leicht bergauf führen würde, oder das Ziel verschieben.

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