Müllers Tour de Siak-Tagebuch

Radrennen an einem Ort des Grauens

Von Robert Müller

Foto zu dem Text "Radrennen an einem Ort des Grauens"
Robert Müller (rechts, mit Mundschutz) und seine Teamkollegen bei der Tour de Siak | Foto: Robert Müller

19.09.2019  |  (rsn) - Hallo aus Siak, Sumatra, Indonesien! Entgegen meiner Hoffnungen wurde die Etappe nicht abgesagt, obwohl der Rauch noch schlimmer als gestern war und schon bei der Fahrt zum Start in den Augen und natürlich in den Lungen spürbar war.

In Europa würde unter diesen Bedingungen niemals ein Rennen stattfinden, aber hier ist nicht einmal ein UCI-Kommissar anwesend, der ist nämlich gar nicht erst gekommen. Auch von uns Fahrern ist natürlich kein geschlossener Protest oder Streik zu erwarten, dafür sind wir einfach zu dumm und die Meinungen gehen zu weit auseinander. Viele einheimische Fahrer sehen nämlich gar kein Problem darin, hier Rennen zu fahren, sie meinen in Jakarta sei der Smog oft genauso stark und sie seien das gewohnt.

Wir wenigen Europäer und die Australier machen sich da deutlich mehr Sorgen. Ein Australier meinte, wir würden später sicherlich alle Lungenkrebs bekommen, denn bei den Bränden würde auch viel Plastik und sonstiger Mist verbrennen und die Nanopartikel würden sich durch das tiefe Einatmen im Rennen in der Lunge festsetzen. Ich selber kann nicht einschätzen, wie ernst und gefährlich die Lage hinsichtlich möglicher Langzeitschäden wirklich ist, aber mir ist auf jeden Fall klar, dass es nicht gesund ist. Also beschloss ich, aus Hilflosigkeit das Rennen zumindest mit Mundschutz zu fahren.

Am Start zur um die Hälfte auf 62 Kilometer verkürzten 1.Etappe trugen noch fast alle Fahrer einen Mundschutz, aber nach ein paar Kilometern lagen die meisten davon auf der Straße. Ein Australier neben mir fragte sich, welche falschen Entscheidungen er in seinem Leben getroffen hatte, die dazu geführt hatten, dass er jetzt hier an dieser Startlinie stand und ich konnte ihm nur beipflichten, denn ich wollte auch nicht dort sein.

Das Feld bestand aufgrund der Absagen einiger Teams nur aus elf Mannschaften zu je fünf Fahrern und war dementsprechend überschaubar. Noch in der Neutralisation, die vom Tempo her nicht als solche erkennbar war, setzte sich ein Fahrer ab und nach dem offiziellen Start ging es gleich voll zur Sache.

Ich war gehemmt und konnte mich einfach nicht überwinden Vollgas zu fahren, sondern versuchte, meine Atmung nicht zu tief werden zu lassen, und mit dem Mundschutz ließ es sich sowieso nicht gut atmen. An der großen Brücke, der einzigen Erhebung des Tages, ließ ich mich im Feld nach hinten durchsacken. Bei der ersten Sprintwertung nach zehn Kilometer war ich dann vorne dabei, ging aber die entscheidende Attacke direkt danach nicht mit, weil mein französischer Teamkollege Loic in der acht Fahrer großen Gruppe dabei war.

Damit waren wir zufrieden und ich verkroch mich für den Rest der Etappe im Feld. Aufgrund der geringen Sichtweite war die Gruppe, obwohl es 20 Kilometer nur geradeaus ging, schnell nicht mehr zu sehen und es sorgte auch niemand für eine konsequente Nachführarbeit.

Am Ende kam die Gruppe durch und Loic wurde guter Vierter, ich sprintete im Feld nicht mehr mit um Platz neun, denn es war mir egal. Im Ziel wurde dann Sauerstoff angeboten und so setzte ich mich in den Krankenwagen und genehmigte mir als Einziger eine Sauerstoffdusche über einen Schlauch in der Nase. Da die Sanitäter sonst nichts zu tun hatten, untersuchten sie mich, maßen Blutdruck und hörten das Herz ab, sagten aber nichts weiter, obwohl die Werte direkt nach dem Rennen bestimmt nicht gut waren. Dabei wurde ich interessiert von einer großen Menschenmenge durch die offene Tür beobachtet und fotografiert und als ich ausstieg, machten sie mir andächtig Platz.

Ich weiß jetzt immer noch nicht, was ich von dem Ganzen halten soll, ich hatte im Gegensatz zu meinem Zimmerkollegen Konstantin keine Schmerzen in der Brust, war aber schon etwas kurzatmig, was wohl an dem geringen Sauerstoffgehalt der verpesteten Luft liegt. Es fühlt sich durchaus an wie in sauerstoffarmer Höhenluft zu fahren und mein slowenischer Freund Matej meinte sogar, dass es wie Höhentraining wirkt und wir davon später einen positiven Effekt hätten, aber ich kann mir das nicht vorstellen.

Jedenfalls weiß ich es jetzt viel mehr zu schätzen wie wunderbar es ist, saubere Luft atmen zu können und wir sollten in Deutschland, am besten natürlich überall auf der Welt, wirklich alles dafür tun, dass es bei uns nicht zu solchen Verhältnissen kommt.

Selbst wenn sich dafür jeder persönlich etwas einschränken muss, ist es die Sache auf jeden Fall wert, denn wenn man die Luft nicht mehr bedenkenlos atmen kann, ist alles verloren. Ich kann es kaum erwarten, diesen Ort des Grauens hier am Montag endlich verlassen zu können und wieder mal den Himmel und die Sonne zu sehen. Das können viele Menschen, die hier leben, leider nicht und sie tun mir deswegen aufrichtig leid. Ich könnte unter solchen Bedingungen niemals leben und die Situation hier ist leider auch kein Einzelfall. Morgen geht es trotz allem mit der wiederum verkürzten 2. Etappe weiter und ich muss mir noch überlegen, ob ich die Handbremse lösen werde oder nicht.

Morgen gleiche Stelle, gleiche Welle

Gez. Sportfreund Radbert

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