Müllers Tour de Siak-Tagebuch

Mit beiden Daumen nach unten aus Protest ausgestiegen

Von Robert Müller

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Robert Müller bei der Tour de Siak | Foto: Robert Müller

22.09.2019  |  (rsn) - Hallo aus Siak, Sumatra, Indonesien! Heute Morgen erwartete mich die gleiche schlimme Situation wie gestern: dichter Rauch mit starkem Brandgeruch. Der Luftqualitätsindex lag bei einem wörtlich zu nehmenden atemberaubenden Wert von 420. Die Skala hört bei 500 auf und über 400 ist so, als würde man wie einst Jan Ullrich permanent mit drei brennenden Zigaretten gleichzeitig im Mund herum rumlaufen. Für mich war damit eigentlich klar, dass die Etappe abgesagt werden musste, doch dem war leider nicht so.

Stattdessen wurde das Rennen von acht auf sechs Runden gekürzt, was 102 Kilometern entspricht, die Jury hatte also kein Erbarmen. Beim Frühstück sprach ich mit den Australiern und wir waren uns einig, dass wir einen Boykott der Fahrer organisieren wollten. Nach einer lockeren Runde wollten wir am Ziel stoppen und den Spuk beenden. Leider wollten die einheimischen Teams und einige andere nicht mitziehen und tatsächlich Rennen fahren. Wie schon einmal erwähnt ist niemand von der UCI (Radsportweltverband, d. Red.) vor Ort, ich bin mir deswegen auch nicht sicher, ob es sich überhaupt noch um ein UCI-Rennen handelt.

Am Start bat ich die Jury, das Rennen bitte abzusagen, doch sie boten mir nur an, es auf vier Runden zu kürzen. Letztendlich kam es nach einigen Diskussionen zu einer Abstimmung der Teamchefs, und sechs von elf stimmten für sechs Runden. Ein Wahnsinn! Sie sagen zwar alle, dass ihnen die Gesundheit ihrer Fahrer wichtig ist, aber in Wirklichkeit ist sie ihnen egal. Die einzigen Teams, bei denen das zutrifft, sind die, die hier gar nicht erst an den Start gegangen sind. Klar es geht hier um Preisgeld und vielleicht UCI-Punkte, was in dem kleinen Feld von nur 50 Fahrern verhältnismäßig leicht zu haben ist, aber dafür die Gesundheit so leichtfertig zu riskieren, ist es nicht wert.

Mir war nun klar, dass es mit dem Boykott nichts werden würde, doch ich wollte zusammen mit einigen anderen Fahrern daran festhalten. Also steckte ich mir schon einmal den Zimmerschlüssel ein, um nach meinem Ausstieg gleich ins Hotel fahren zu können, und setzte eine Partikelfiltermaske N95 auf. Nach der Neutralisation wurde wie erwartet "normal“ Rennen gefahren, ich fuhr allerdings stets an letzter Stelle und beteiligte mich nicht daran. Nach einer Runde und 17 Kilometern hielt ich als Einziger mitten auf der Straße am Ziel an, hielt beide Daumen nach unten und stieg aus Protest aus.

Natürlich hätte ich weiter fahren können, denn akute Beschwerden hatte ich nicht, aber genug ist genug, und ich will meine Lungen nicht noch mehr schädigen. Zusammen mit einem Holländer, der Kopf- und Halsschmerzen hatte, fuhr ich ins Hotel zurück. Er erzählte mir, dass ihm die Lust aufs Rennen fahren hier komplett vergangen sei und er die Tour de Banyuwangi nächste Woche nun nicht mehr fahren würde, obwohl dort die Luft gut ist. Stattdessen würde er nach der schlimmsten Woche seines Lebens eine Woche Urlaub auf Bali machen.

Es ist so traurig, diese Umweltzerstörung hier zu sehen, denn die Brände werden wie bereits erwähnt absichtlich gelegt, um Platz für Palmölplantagen zu schaffen. Wo früher wunderschöner artenreicher Regenwald stand, findet sich dann nur noch eine öde Monokultur. Unter der Profitsucht einiger Weniger leiden also alle. Leider ist auch fast jeder in Deutschland Teil des Problems, denn billiges Palmöl, das oft unter anderem Namen auf der Zutatenliste steht, ist in sehr vielen Produkten enthalten, die wir täglich konsumieren. Weiterhin schicken wir unseren Müll hierher, wo er dann in der Natur landet oder eben verbrannt wird.

In Zukunft werde ich meine Rennauswahl besser überdenken, denn diese Rundfahrt war nicht die einzige gefährliche in dieser Saison. Bereits bei der Tour of Mesopotamia in der Türkei direkt an der syrischen Grenze war die Sicherheitslage sehr bedenklich und es kam während des Rennens zu einer Schießerei. Einige meiner Teamkollegen und unser sportlicher Leiter mussten sich damals auf der ersten Etappe hinter einer Mauer in Deckung bringen, während um sie herum scharf geschossen wurde. Trotzdem wurde die Rundfahrt danach fortgesetzt und ich bekam Probleme, weil ich es öffentlich gemacht hatte.

Für uns geht es morgen früh nach einer Woche im Rauch, die mich dem Lungenkrebs hoffentlich nicht zu nahe gebracht hat, endlich weg von diesem schrecklichen Ort. Wir fliegen dann, falls dass Flugzeug bei der schlechten Sicht überhaupt starten kann, über Jakarta und Surabaya nach Banyuwangi. Dort steht ab Mittwoch die Tour de Banyuwangi Ijen an und es erwartet uns ein gutes Hotel mit sehr gutem Essen. Die Luft ist dort auch gut, nur auf der letzten Etappe könnte es Schwefeldämpfe geben, wenn wir zur sehr schweren Bergankunft auf den Ijen Vulkan hochfahren.

Übermorgen gleiche Stelle, gleiche Welle

Gez. Sportfreund Radbert

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