Müllers Tour of Mersin-Tagebuch

Klinke fahren wird hier völlig ungeniert praktiziert

Von Robert Müller

Foto zu dem Text "Klinke fahren wird hier völlig ungeniert praktiziert"
Robert Müller fährt die Tour of Mersin | Foto: Robert Müller

27.04.2019  |  (rsn) Hallo aus Mersin, Türkei! Beim Blick aus dem Fenster heute Morgen gefiel mir gar nicht was ich sah, der Himmel war nämlich wolkenverhangen und es regnete. Dieses Jahr bin ich noch nicht einmal im Regen gefahren, was nicht daran liegt, dass ich wenig fahre, und ich war eigentlich nicht bereit, das heute zu ändern. Der Ablauf am Morgen war wie üblich: frühstücken, Krempel zusammenpacken, mit dem Rad den Bus besteigen und den einstündigen Transfer zum Start hinter sich bringen. Dort angekommen Rennkleidung anziehen, einschreiben, Verpflegung aufnehmen, einrollen, pinkeln gehen und auf den Start warten. Zum Glück war es mittlerweile trocken und warm genug, um mit kurzen Sachen zu starten.

Die Etappe sah nur 67 km vor, allerdings mit 2200 Höhenmetern garniert und 1100 positiven Höhenmetern Differenz vom Start zum Ziel, für meinen Geschmack viel zu viele Höhenmeter auf viel zu wenig Kilometern. Bereits nach 4 km stand der erste Goldsprint an und natürlich machten sich viele Hoffnungen darauf und es ging gleich zur Sache. Zur Wertung ging es berghoch, meine Beine waren aber noch nicht aufgegangen und so spielte ich keine Rolle und wurde 6., egal. Nun ging es auf kleinen, schlechten und verschmutzten Straßen hoch und runter und es konnte sich eine 8 köpfige Gruppe absetzen, diesmal ohne mich aber mit Daniel Bichlmann von Bike Aid.

Als es zum zweiten Goldsprint nach 22 km ein paar km bergan ging wurde aus dem Feld heraus attackiert und es riss in zwei Teile, wobei ich im hinteren Teil war, weil die Beine immer noch nicht so richtig wollten. In der Abfahrt kam es jedoch schnell wieder zum Zusammenschluss und ich konnte erstmal durchatmen. Das hatte Christopher Hatz von Herrmann wohl nicht nötig und machte sich alleine auf die Verfolgung der Spitzengruppe, die etwa 2,5 Minuten Vorsprung hatte. Es fing nun ganz leicht zu regnen an, was aber an sich nicht störte, da es nicht kalt war, allerdings waren die Straßen nun feucht und sehr glatt.

In der langen Abfahrt von der ersten Bergwertung fuhren wir im bereits stark dezimierten Feld alle sehr langsam und wie auf rohen Eiern, weil die Straße nun richtig nass war und gefährlich glänzte. Wenn man in dieser Abfahrt Risiko gegangen wäre, hätte man sich ohne Aufwand einen schönen Vorsprung für den darauf folgenden langen Anstieg zur zweiten Bergwertung verschaffen können, aber mir war es die Sache nicht wert. Als es in besagten Anstieg ging waren meine Beine noch von der Abfahrt ausgekühlt und ich konnte nicht sofort wieder auf Leistung umschalten und musste abreißen lassen. Niko Holler hatte da gerade einen Vorderraddefekt und da sein Auto nicht zur Stelle war, bekam er das Laufrad seines Teamkollegen Aaron Grosser.

An den steilen Passagen war es nicht möglich im Stehen zu fahren, da das Hinterrad auf der nassen Straße einfach durchdrehte und so musste ich im Sitzen drücken. Irgendwie hatte ich es wieder hinbekommen, dass ich ab 20 km vor dem Ziel alleine fuhr, zu den Türken vor mir konnte ich nicht aufschließen, da sie immer wieder Klinke fuhren (sich vom Begleitwagen ziehen lassen, d. Red) und von hinten kam auch niemand. Klinke fahren ist hier leider ein großes Problem und wird völlig ungeniert praktiziert. Mein Teamkollege Stefan erzählte mir, dass in seiner abgehängten Gruppe alle am Auto hingen und ihn auslachten, als er sich weigerte es ihnen gleich zu tun. Letztes Jahr hatte ich das auch genauso beobachtet, da unterhielten sie sich angeregt und lachten, während sie sich vom Auto die Anstiege hochziehen ließen.

Nach der zweiten Bergwertung ging es weiterhin auf einer breiten Straße berghoch und plötzlich bekam ich dann noch von hinten Gesellschaft, mit Hilfe eines Autos holten mich einige Fahrer ein. Mir war es gleichgültig, es ging sowieso um nichts mehr. Auf den letzten 5 km ging es dann hinunter zum Ziel und man musste nochmal aufpassen, sich nicht doch noch hinzulegen. Die Etappe gewann wie bereits gestern Bike Aid vor Herrmann, diesmal jedoch in Person von Peter Koning, der nun auch Gesamtführender ist, vor Christopher Hatz. Koning war an dem langen Anstieg zur zweiten Bergwertung aus dem nur noch kleinen Feld nach vorne zur Gruppe gefahren, aus der sich Hatz nach seiner Aufholjagd bereits wieder mit zwei weiteren Fahrern gelöst hatte. Dann erreichte Koning auch diese Spitzengruppe, ließ sie stehen und kam mit ca. 2 Minuten solo an.

Im Ziel hieß es sich umzuziehen und für den zweistündigen Transfer zurück zum Hotel wieder in die Busse zu begeben. Im Zielort haben sie übrigens Schnee auf einen Platz geschüttet, den sie mit Lastwagen von den nahegelegenen schneebedeckten Bergen herangekarrt hatten, damit die Kinder des Dorfes damit spielen können. Ich hätte es auf jeden Fall vorgezogen, diese 120 km noch als Rennen zu fahren und das Ziel vor dem Hotel zu haben, aber mich fragt ja keiner. Im Hotel musste ich mich dann um meine schmutzigen Klamotten, Schuhe und Helm kümmern, mein Rad wurde zum Glück geputzt.

Was ich geworden bin und wie viel Rückstand ich mir eingehandelt habe weiß ich 4 h nach dem Rennen immer noch nicht, weil es noch kein Ergebnis gibt. Morgen steht schon die letzte Etappe über 120 km mit einem bergigen ersten Teil, dann aber flachen 55 km zum Ziel an. Im zweiten Teil könnte wieder viel zusammenlaufen und es einen Massensprint geben, mal sehen.

Morgen gleiche Stelle, gleiche Welle

Gez. Sportfreund Radbert

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