Ein Tag im Begleitwagen von Giant-Alpecin

Die Corniche in Doha ist nicht die Champs Élysées im Morgenland

Foto zu dem Text "Die Corniche in Doha ist nicht die Champs Élysées im Morgenland"
Tom Veelers (Giant-Alpecin, vorn) und sein Kapitän Marcel Kittel bei der Katar-Rundfahrt 2015 | Foto: Cor Vos

14.02.2015  |  (rsn) - In Sachen Equipment ist die Katar-Rundfahrt ungewöhnlich. Als Mannschaftswagen etwa stehen Pickups zur Verfügung. Auf der hinteren Ladefläche sind lediglich vier Räder befestigt, ein bisschen wild, mit Klebeband und Schlaufen. „Drei unserer körperlich größten Fahrer teilen sich ein Rad, für die anderen sind die restlichen drei", meint Mike, der Mechaniker vom deutschen Team Giant-Alpecin. Er hofft, dass er keines dieser Räder im Rennen braucht. „Es dauert länger als sonst, sie vom Auto zu bekommen. Ich verstehe nicht, warum die Veranstalter, die sonst ja viel Geld in dieses Rennen stecken, ausgerechnet bei den Mannschaftswagen sparen", sinniert er.

Auch für den Sportlichen Leiter Marc Reef bedeutet der Pickup eine Umstellung. „Er hat manuelle Schaltung und ist ziemlich langsam. Aber zum Glück müssen wir ja nicht auf Berge", flachst er. Und irgendwie gefällt es ihm auch. Der Pickup passt in die Wüste und die Katar-Rundfahrt ist eben ein Wüstenrennen. „Ein ziemlich hartes sogar. Marcel (Kittel) hatte hier sehr zu kämpfen. Er kam mit einer gerade überstandenen Erkältung an. Bei diesem Rennen brauchst du aber alle deine Kräfte", meint Reef. Bevor wir ins Auto steigen, klatscht sich ein Teil der Giant-Profis noch einmal ab. Ein übliches Ritual? „Nein. Es ist nur so, dass Marcel etwas traurig über seine Leistung hier ist. Das soll aufmuntern", erklärt Reef.

Viel helfen sollte es auch auf der letzten Etappe am Freitag nicht. Der Mann mit der Startnummer 11 kommt einmal während des Rennens zum Teamfahrzeug, um sich nach einer Pinkelpause im Windschatten leichter nach vorn zu stehlen. Ansonsten bleibt er im Feld. Und im Finale verliert er den Anschluss an seinen Zug. Kein Rennen für ihn.

Eher eines für Nikias Arndt. Der gebürtige Niedersachse war zwei Mal Dritter. Überrascht hat dies Reef nicht. „Er war schon im Trainingslager der Schnellste", erzählt der Holländer. Da waren bis auf Marcel Kittel alle schnellen Giant Alpecin-Männer versammelt, auch John Degenkolb. Und Arndt war der Geschwindigkeitskönig. Reef traut Arndt eine Karriere als Klassikerspezialist zu. „Paris - Roubaix könnte sein Rennen werden. Er ist schnell, kommt aber auch ganz gut über Anstiege. Und er ist siegeshungrig. Nach seinem ersten dritten Platz hier hat er sich noch riesig gefreut. nach dem zweiten Mal war er schon etwas enttäuscht. Das ist die richtige Mentalität", lobt Reef den 23-Jährigen.

Im Auto bleibt viel Zeit zum Reden. Der Wind hat am letzten Tag der Katar-Rundfahrt nachgelassen. Das Rennen läuft wie nach der Marschtabelle eines Sprinterteams. Schnell ist eine Gruppe weg, eine Vierergruppe um BMC-Profi Marcus Burghardt. Die Nachführarbeit macht Team Katusha. Dessen Kapitän Alexander Kristoff ist scharf auf die Bonussekunden, um die Rundfahrt noch gewinnen zu können. Die Giant-Männer können locker mitfahren. Wir unterhalten uns im Auto über Kittels Klassikerambitionen. „Seine Endschnelligkeit wird er dabei nicht verlieren, keine Sorge. Er wird eher ein vielseitigerer Fahrer, der besser über Anstiege kommt", prognostiziert Reef. „Er wird dann auch bei den flacheren Rennen frischer im Finale sein. Das bringt alles nur Vorteile", ist er sich sicher.

Dass Kittel durchs Klassikertraining zu einem zweiten John Degenkolb wird, sei allerdings nicht zu befürchten. „Beide werden ihre unterschiedlichen Charakteristiken behalten. Marcel hat die größere Schnelligkeit, John kommt besser mit den harten Rennen klar. Aber es kann in Zukunft ein paar Rennen geben, die für beide ähnlich gut geeignet sind. Und dann wird das Team wegen seiner Schnelligkeit wohl für Marcel fahren", prognostiziert Reef.

Mailand-Sanremo gehört vorerst nicht dazu. Hier ist Degenkolb gesetzt, Kittel darf nicht einmal mitfahren. „Das war eine sehr schwere Entscheidung", blickt Reef zurück. „Aber es wäre ungerecht gegenüber John, mit dem wir dort auf Sieg fahren wollen, wenn er nicht alle Fahrer als Helfer zur Verfügung hätte. Wir wissen nicht, wie Marcel über Cipressa und Poggio kommt. Und für Marcel wäre es auch keine wirkliche Erprobung, wenn er früh im Rennen für John arbeiten müsste."

Team Giant Alpecin kommt wegen der Klasse seiner Fahrer immer mehr in eine Zone der harten Entscheidungen. Das betrifft auch das Grüne Trikot bei der Tour de France. „Wenn man es will, muss man konsequent für einen Fahrer fahren, damit er viele Punkte holt. Aber wir setzen in den Etappen je nach Profil auf Marcel oder John", blickt Reef voraus.

Auch Luxus kann Probleme schaffen. Noch scheint das Team diese Entscheidungen aber in so großer Klarheit zu treffen, dass auch die, gegen die diese Entscheidungen ausfallen, sie nachvollziehen können. Das Luxusproblem könnte in Zukunft noch größer werden, wenn der Franzose Warren Barguil sein Talent als Klassementfahrer weiter bestätigt.

So langsam wird das aktuelle Renngeschehen interessant. Katusha beginnt den Rückstand auf die Ausreißer zu reduzieren. Viel bekommen wir davon aber nicht mit. Nur wenn es mal in eine Kurve geht, kann man einen Blick auf das Geschehen werfen. Fernsehbilder wie bei der Tour de France werden hier nicht ins Auto übertragen. Es gibt dem Reglement gemäß nicht einmal Funk. Reef sieht das gelassen. „Radsport ist nicht wie Fußball oder Tennis, wo du das ganze Spielfeld vor dir hast. Du bekommst immer nur Ausschnitte mit und musst dir nachher viel erzählen lassen. Im Rennen kommt es viel auf Intuition und Erfahrung an. Und auf gute Absprachen. Wir gucken uns ja vorher die neuralgischen Punkte an und entwerfen dafür eine Marschtabelle. Je klarer das abgemacht ist, umso besser funktioniert es."

Kurz bevor es in Doha auf die Uferpromenade der Corniche geht, die zehnmal in einer Stadtrunde zu befahren ist, kommt Tom Veelers vorbei. Eine Flasche nach der anderen reicht Mechaniker Mike nach vorn zu Reef, der sie Veelers gibt. Der Niederländer verstaut sie zuerst in den Trikottaschen und steckt den Rest am Rücken unter das Trikot. Bucklig zieht er von dannen. Insgesamt neun Flaschen hat er eingesteckt.

Auf der Corniche sind endlich auch ein paar Zuschauer zu sehen. Es ist Freitag, Feiertag in muslimischen Ländern. Es breitet sich so etwas wie Rundfahrt-Abschlussstimmung aus. Für Marcel Kittel wird die Corniche aber nicht zu den Élysées im Morgenland. Er hat mit dem Ausgang des Rennens nichts zu tun. Beim Team Giant Alpecin ist man enttäuscht. Aber alle wissen, woran es liegt. Kittel hat über den Winter nicht das Sprinten verlernt, er hat nur Rückstand. Mike holt dann im Hotel die Räder vom Pickup und macht sie flugfertig. Ein paar gehen nach Oman, andere nach Hause. Neues Rennen, neues Glück.

Weiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößern

Mehr Informationen zu diesem Thema

14.02.201514. Katar-Rundfahrt: Kristoff ging in Doha die Puste aus

(rsn) - Alexander Kristoff und sein Katusha-Team ließen am gestrigen letzten Tag der Katar-Rundfahrt (2.HC) nichts unversucht, um Niki Terpstra (Etixx-Quick) doch noch zu entreißen. Am Ende der 6. E

14.02.2015Bodnar muss sich nach einer tollen Woche nur Terpstra beugen

(rsn) - Wer ist Maciej Bodnar, werden sich viele Zuschauer und Fans nach dem zweiten Platz des Polen bei der gestern zu Ende gegangenen Katar-Rundfahrt fragen. In der Saison 2007 stieß Bodnar zur ita

13.02.2015Bennett in Doha Schnellster eines „Tour-de-France-Pelotons"

(rsn) – Am letzten Tag der 14. Katar-Rundfahrt hat das deutsche Team Bora-Argon 18 seinen ersten Saisonsieg bejubeln können. Verantwortlich dafür zeigte Sprinter Sam Bennett, der sich nach 113 Kil

13.02.2015Kein versöhnliches Finale für Kittel in Katar

(rsn) – Nach fünf schweren Tagen hatte sich Marcel Kittel (Giant-Alpecin) ein versöhnliches Ende der bisher für ihn enttäuschend verlaufenen Katar-Rundfahrt erhofft.Der mit einer Erkältung ins

13.02.2015Cleverer Bennett in Doha ohne Kampf zum bisher größten Sieg

(rsn) – Auf der abschließenden 6. Etappe der 14. Katar-Rundfahrt musste Niki Terpstra (Etixx-QuickStep) nur zwischenzeitlich um sein Goldtrikot zittern. Nach 113 Kilometern vom Sealine Beach Resort

13.02.2015Bennett holt ersten Bora-Sieg, Terpstra gelingt Titelverteidigung

(rsn) – Sam Bennett hat auf der abschließenden 6. Etappe der 14. Katar-Rundfahrt (2.HC) für den ersten Saisonsieg des deutschen Teams Bora-Argon 18 gesorgt. Der 24 Jahre alte Ire ließ am Freitag

13.02.2015Terpstra muss Kristoffs letzten Angriff fürchten

(rsn) – Niki Terpstra (Etixx-QuickStep) wird auf der heutigen letzten Etappe der Katar-Rundfahrt weniger den zweitplatzierten Polen Maciej Bodnar (Tinkoff-Saxo) als vielmehr den dahinter auf Rang dr

12.02.2015Bodnar in Katar im Wechselbad der Gefühle

(rsn) – Im Finale der 5. Etappe der Katar-Rundfahrt griff Maciej Bodnar nach dem Goldtrikot. Der Pole hatte nach einer Tempobeschleunigung von Katusha auf den letzten fünf Kilometern den Anschluss

12.02.2015Matzka verpasst den letzten Zug, bleibt aber vorne dabei

(rsn) – Während für seinen irischen Sprint-Kapitän Sam Bennett in dieser Woche  ähnlich wenig läuft wie für Marcel Kittel (Giant-Alpecin), darf sich das Team Bora-Argon 18 in Katar über die

12.02.2015Kristoff bezwingt Sagan erneut um wenige Zentimeter

(rsn) – Mit demselben Resultat wie am Vortag endete in Madinat Al Shamal die 5. Etappe der Tour of Qatar. Lediglich der Abstand zwischen Tagessieger Alexander Kristoff (Katusha) und Peter Sagan (Tin

12.02.2015Kristoff wieder schneller als Sagan und Arndt

(rsn) – Alexander Kristoff (Katusha) ist in den Sprints der 14. Katar-Rundfahrt (2.HC) nicht zu bezwingen. Der Norweger gewann am Donnerstag auch die 5. Etappe, die über 153 Kilometer von Al Zubara

12.02.2015Zabel über „Halbmarathon“ zum Flandern- und Roubaix-Debüt

(rsn) – Die zweite Profisaison beginnt für Rick Zabel (BMC) gleich mit einem „Halbmarathon“: Der 21-Jährige bestreitet zum Auftakt des Jahres quasi eine halbe Grand Tour und hat an den ersten

Weitere Radsportnachrichten

21.12.2024Schöne Highlights und ein sehr starker August

(rsn) – 22 Jahre ist Fabio Christen (Q36.5 Pro Cycling) alt, und der Schweizer kommt aus einer wahren Radsportfamilie. Schon sein Großvater gehörte zu den besten Straßensportlern und auch sein Va

21.12.2024Red-Bull-Sportchef Aldag über die Transfers von Lazkano und Co.

(rsn) – Es war abzusehen, dass Red Bull – Bora – hansgrohe auch in diesem Winter wieder allerhand Veränderungen am Kader für die neue Saison vornehmen würde. Neun Profis stoßen 2025 zum Team

21.12.2024Vandeputte mit Start-Ziel-Sieg zum ersten Weltcuperfolg

(rsn) – Dank einer technischen Glanzleistung hat Niels Vandeputte (Alpecin – Deceuninck) in Hulst nicht nur einen Start-Ziel-Sieg, sondern auch seinen ersten Weltcup-Erfolg gefeiert. Der Belgier w

21.12.2024Schreiber startet am schnellsten und bleibt bis zum Schluss vorn

(rsn) – Schnellstarterin Marie Schreiber (SD Worx – Protime) hat den Cross-Weltcup in Hulst mit einem Start-Ziel-Sieg für sich entschieden. Lucinda Brand (Baloise – Trek Lions) baute als Zweite

21.12.2024Knolle, Groß, John und Zemke zu rad-net - Rembe - Sauerland

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

21.12.2024Vom Niemandsland nach Alpe d’Huez in wenigen Monaten

(rsn) – Als Ruderin stand Valentina Cavallar schon bei den Olympischen Spielen am Start und ihr Einstieg in den Radsport kam dann doch sehr überraschend. Erst im April fand sie einen Platz bei der

21.12.2024“Riesige Erleichterung“: Auf dem Weg zurück zu alter Stärke

(rsn) – Er war noch nicht ganz wieder der Alte, doch nach zwei krankheitsbedingt schwarzen Saisons hat Maximilian Schachmann 2024 endlich erneut aufblitzen lassen können, wozu er fähig ist. Das ge

21.12.2024Van Empel muss Cross-Wochenende auslassen

(rsn) - Wegen eines Trainingssturzes muss Weltmeisterin Fem van Empel (Visma – Lease a Bike) die beiden Cross-Weltcups in Hulst und Zonhoven an diesem Wochenende auslassen. Wie die Niederländerin a

21.12.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste 2024

(rsn) - Auch diesmal starten wir am 1. November mit unserer Jahresrangliste. Wir haben alle UCI-Rennen der vergangenen zwölf Monate (1. November 2023 bis 31. Oktober 2024) ausgewertet - nach unserem

20.12.2024Meisterschaftsdoppel versöhnte nach Olympia-Enttäuschung

(rsn) – Die Olympischen Spiele in Paris hatten die Österreicherin Anna Kiesenhofer (Roland) wieder in den Fokus der medialen Aufmerksamkeit zurückgeholt. Immer wieder wurde ihre Sensationsfahrt v

20.12.2024Van Aert kehrt in Mol zu seiner ersten Liebe zurück

(rsn) - Viel Zeit zur Vorbereitung konnte sich Wout van Aert (30) nicht gönnen. Nach nur drei Tagen im Cross-Training will der Belgier am Montag beim Superprestige in Mol starten. Der Cross-Vizeweltm

20.12.2024Van Schip wegen Drohungen und Beleidigungen gesperrt

(rsn) - Wegen "Beleidigungen, Drohungen und unangemessenem Verhalten“ bei der Bahn-WM in Ballerup (Dänemark) hat die UCI den Niederländer Jan-Willem van Schip vom 27. Dezember 2024 bis zum 1. Febr

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine