Mein Radsport-Ereignis 2014

Flandern ist im Frühjahr eine Reise wert

Von Christoph Adamietz

Foto zu dem Text "Flandern ist im Frühjahr eine Reise wert "
Ian Stannard (Sky,li.) gewinnt den 69. Omloop Het Nieuwsblad | Foto: Cor Vos

22.12.2014  |  (rsn) – Zum Jahresabschluss schildern die Mitglieder der Redaktion von Radsport News ihr Radsport-Ereignis 2014. In seinem Beitrag schreibt Christoph Adamietz über ein verlängertes Radsport-Wochenende in Flandern, das ihm noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Die Anreise nach Belgien verlief recht unspektakulär, wenn man einmal davon absieht, dass ich gegen Ende meiner Autofahrt für eine Stunde im Stadtverkehr von Antwerpen stand. Eigentlich nur eine kleine Geduldsprobe, die allerdings dadurch erschwert wurde, dass ich schon vor Antwerpen einem dringenden Bedürfnis hätte nachgeben müssen.

So wurden das Bremsen, die Kupplung drücken, das Anfahren zu einer echten Tortur, aber wir sind ja hier beim Radsport, da beißt man die Zähne beziehungsweise drückt die Blase zusammen. Als ich den Stau gemeistert, Antwerpen verlassen und einen kleinen Rastplatz erreicht hatte, wusste ich, wie es sich anfühlen muss, wenn man die Tour de France gewinnt.

Nach der Ankunft im Hotel, wo auch das Team Sky um Christian Knees und Bernhard Eisel nächtigte, begann meine Vorbereitung auf Omloop Het Nieuwsblad. Startliste checken, Streckenverlauf anschauen und, ganz wichtig: sich auf dem Plan die örtlichen Gegebenheiten wie Presseparkplatz und Pressezentrum anschauen.

Hier muss ich die belgischen Rennorganisatoren loben. Sie schaffen es immer, direkt am Pressezentrum – egal wie groß oder klein die Stadt auch sein mag – entsprechende Parkplätze parat zu halten. Damit haben die Organisatoren deutscher Rennen oft so ihre Probleme, so dass man schon mal Stunden mit dem Auto umherirrt und sich innerlich verflucht, nicht den Zug genommen zu haben.

Da Omloop Het Nieuwsblad der erste große Klassiker des Jahres ist, gibt es hier auch das eine oder andere Wiedersehen. So zum Beispiel mit Marc Van Landeghem, der bei den flämischen Rennen für die Presseakkreditierungen zuständig ist. Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, war, dass ich ihn am Tag darauf bei Kuurne-Brüssel-Kuurne zum letzten Mal in meinem Leben treffen sollte.

Denn kurz nach der Straßen-WM verstarb Van Landeghem im Alter von 65 Jahren völlig überraschend. Für mich war das ein großer Schock. Dieser im ersten Eindruck oft griesgrämig und mürrisch wirkende Belgier hatte ein großes (Radsport)-Herz, versuchte, für die Journalisten alles Mögliche - und manchmal auch das Unmögliche - möglich zu machen. Mir etwa übersetzte er bei der Eneco-Tour 2010 ein Interview mit Etappensieger Matteo Bono vom Italienischen ins Englische. Und selbst in besonders stressigen Situationen behielt Marc meist einen kühlen Kopf und hatte sogar noch ein aufmunterndes Augenzwinkern parat.

Natürlich laufen auch die belgischen Rennen nicht anders als sonstwo. Den großen Unterschied machen allerdings die Zuschauer aus. Schon zwei Stunden vor dem Start von Omloop Het Nieuwsblad versammelten sich die belgischen Fans in Scharen auf dem großen Marktplatz von Gent. An wirklich jedem Teambus fragte Jung und Alt – überraschenderweise vor allem Alt – nach Autogrammkarten und ließ sich diese signieren. Und auch nach dem Rennen waren die Fans noch aktiv, setzten zu wahren Sprintläufen an, um vielleicht noch eine Trinkflasche zu ergattern.

Schwer zu ergattern war nach Omloop Het Nieuwsblad ein Zitat von Ian Stannard (Sky) . Anscheinend war der Brite kein Sieger nach dem Geschmack des Veranstalters, denn die vorgesehene Pressekonferenz im Anschluss an das Rennen fiel leider aus. Am Tag darauf, als Tom Boonen (Omega Pharma Quick Step) bei Kuurne-Brüssel-Kuurne triumphierte, fand die Pressekonferenz übrigens statt.

Aber ich logierte an diesem Samstag ja im „Siegerhotel" und konnte so auf kurzem Weg noch ein paar Stimmen von Sky-Teammitgliedern einfangen. Nach dem ersten Klassikerwochenende war der Belgien-Trip für mich aber noch nicht beendet, denn am folgenden Mittwoch stand noch Le Samyn an. Und wie sich das Schicksal glücklich fügte, fand ich für die beiden „freien Tage“ auch noch eine sinnvolle Beschäftigung.

Zum einen besuchte ich die Präsentation des irischen Continental-Teams An Post, das unter der Leitung von Sean Kelly steht. Das einzige Problem war nur, dass ich keine Uhrzeit herausfand und von Bobby Traksel nur die eher vage Information „am Nachmittag“ bekam. Also machte ich mich gegen 13 Uhr auf den Weg, um dann gegen 14 Uhr am Ort des Geschehens anzukommen.

Als ich mich an der Hotel-Rezeption nach der Veranstaltung erkundigte, teilte man mir freundlich mit, dass diese soeben zu Ende gegangen sei. „Na toll“, sagte ich mir. Aber da es sich ja um ein kleines Continental-Team und nicht um eine große WorldTour-Mannschaft handelte, waren Fahrer und Management zu „Überstunden" bereit – außerdem: Wann hat man schon mal die deutsche Presse im Haus?

Mein persönliches Highlight hatte schon am Tag zuvor stattgefunden. Nach Rücksprache mit dem Sportlichen Leiter Torsten Schmidt konnte ich mit dem Team Katusha an der Streckeninspektion der Flandern-Rundfahrt teilnehmen – natürlich im Auto und nicht auf dem Rad.

Die legendären Pflastersteinsektoren abzufahren, hatte schon etwas Besonderes. Auch die Fahrer schienen davon fasziniert gewesen zu sein, denn  zwei russische Sportfreunde bogen trotz Anweisungen aus dem Auto heraus falsch ab, wodurch eine kurzzeitige Suchaktion gestartet werden musste. Wie gut, dass in den Rennen die Strecken zumeist abgesperrt sind, dachte ich mir.

Dass Le Samyn, das letzte meiner drei Rennen, zugleich das unbedeutendste war, ließ sich nicht nur an der Startliste erkennen. Zum einen wurde es nicht im flämischen sondern im wallonischen Teil des Landes ausgetragen, was ich schon bei der Anreise spüren konnte.

Auf den Autobahnen der Wallonie reihte sich Schlagloch an Schlagloch, die  Dörfer machten einen ungleich ungepflegteren Eindruck als die in Flandern – und plötzlich sprach jeder Französisch. Im Pressezentrum war ich – wie schon am  Wochenende – der einzige deutsche Journalist. Aber von den flämischen Kollegen nahm keiner den Weg zu Le Samyn auf sich, so dass ich inmitten von Franzosen saß.

Und wenn die merken, dass jemand zumindest ein paar Brocken Französisch kann, gibt es kein Halten mehr, es wird parliert wie mit einem Muttersprachler. Man will ja dann nicht unhöflich sein und versucht sich an der Konversation zu beteiligen.

So sah es übrigens auch der Sieger Maxim Vantomme, der zunächst auf Flämisch (für das Fernsehen) und Französisch (für die schreibende Zunft) Fragen beantwortete und sich nach seinem Interview-Marathon noch für mich Zeit nahm, um mit mir auf Englisch das Rennen Revue passieren zu lassen. Chapeau, Maxim!

Ganz anders trat dagegen der Russe Alexey Tstatevich (Katusha) auf. Der entthronte Titelverteidiger gab in der Mixed-Zone klar zu verstehen: Nur wer Russisch kann, kriegt ein Interview. Und da dies niemand konnte, wurde das Warten auf die Podiumszeremonie für Tstatevich zur Geduldsprobe, die er nur unwillig meisterte. Immer wieder gestikulierte er in Richtung des immer noch Interviews gebenden Vantomme, um ihn aufzufordern: „Mach hin“!

Während die Protagonisten des Tages schließlich ihre Sachen packten und sich auf die Heimreise begaben, stand für mich noch die Hauptarbeit an. Der Radsport ist eben eine Art Schichtbetrieb. Wir Journalisten haben Früh- und Spätschicht, dazwischen dürfen die Fahrer in die Pedale treten und bestimmen sogar indirekt, wann wir Feierabend haben. So faszinierend es ist, ein ereignisreiches Rennen zu verfolgen, danach muss im Pressezentrum viel Arbeit geleistet werden. Da ist man froh, wenn ein Rennen – wie etwa Le Samyn – auch mal ohne besondere Vorkommnisse über die Bühne geht.

Denn in einem solchen Fall kann man früher seine Sachen packen und hoffen, dass man noch vor Mitternacht zu Hause ist.

Weiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößern

Mehr Informationen zu diesem Thema

02.01.201510 000 Kilometer auf dem Rad - und (fast) keiner hat´s gemerkt

(Ra) - Zum Jahresabschluss schildern die Mitglieder der Redaktion von Radsport News/Radsport aktiv ihr Radsport-Ereignis 2014. Wolfgang Preß zeigt sich beeindruckt von der  "für einen Normal-Radle

29.12.2014Aller guten Dinge sind drei!

(rsn) - Zum Jahresabschluss schildern die Mitarbeiter der Redaktion von Radsport News ihr Radsport-Ereignis 2014. In seinem Gastbeitrag erklärt Eurosport-Experte Andreas Schulz, weshalb Daniel Martin

24.12.2014Tourteufel in großer Not

(rsn) - Zum Jahresabschluss schildern die Mitglieder der Redaktion von Radsport News ihr Radsport-Ereignis 2014. Ein Erlebnis, dass sie in den letzten 12 Monaten besonders berührt hat. Unser Mitarbei

24.12.2014Race Horizon Park - ein sportliches Fest in Kiew

(rsn) – Zum Jahresabschluss schildern die Mitglieder der Redaktion von Radsport News ihr Radsport-Ereignis 2014. Unser ukrainischer Mitarbeiter Denis Trubetskoy berichtet über ein Rennen in der Hau

23.12.2014Fabio Aru - Kletterspezialist in Pantanis Fußstapfen

(rsn) – Zum Jahresabschluss schildern die Mitglieder der Redaktion von Radsport News ihr Radsport-Ereignis 2014. Guido Scholl erklärt in seinem Beitrag, warum ihn Fabio Aru an Marco Pantani erinner

22.12.2014Ein Sizilianer in Gelb - Nibalis Meisterstück

(rsn) – Zum Jahresabschluss schildern die Mitglieder der Redaktion von Radsport News ihr Radsport-Ereignis 2014. In seinem Beitrag erinnert sich Thomas Goldmann an den Tour de France-Sieg von Vincen

19.12.2014Nix mit WiFi, nix mit Internet, nix mit Kwiatkowski

(rsn) – Zum Jahresabschluss schildern die Mitglieder der Redaktion von Radsport News ihr Radsport-Ereignis 2014. Wolfgang Brylla, der für uns vor allem über den polnischen Radsport schreibt, beric

18.12.2014Andy Schleck - Rücktritt im besten Rennfahreralter

(rsn) – Zum Jahresabschluss schildern die Mitglieder der Redaktion von Radsport News ihr Radsport-Ereignis 2014. Den Anfang macht Sebastian Lindner, der über den Rücktritt von Andy Schleck schreib

Weitere Radsportnachrichten

04.07.2025Lipowitz will die Tour genießen und Roglic “bestmöglich unterstützen“

(rsn) – Spätestens nach seinem dritten Platz beim Critérium du Dauphiné (2.UWT) sind die Erwartungen an Florian Lipowitz nochmals gestiegen. Die Tour-Generalprobe hatte sein Team Red Bull – Bor

04.07.2025Aldag: “Wir haben alles gemacht, um die Tour zu gewinnen“

(rsn) - Red Bull – Bora – hansgrohe nimmt den zweiten Anlauf, um mit Primoz Roglic die Tour de France zu gewinnen. Darauf hat sich das einzige deutsche WorldTour-Team vorbereitet. Was die Raublin

04.07.2025Wechselt Groenewegen zu Unibet - Tietema Rockets?

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

04.07.2025Statt dem Duell gegen Vingegaard erneut eine Pogacar-Show?

(rsn) – Im Grunde ist die Geschichte schnell erzählt: Seit 2021, also seit Tadej Pogacar (UAE – Emirates – XRG) und Jonas Vingegaard (Visma – Lease a Bike) gemeinsam die Tour de France bestri

04.07.2025Bauhaus will im ´Freestyle´ an die richtigen Hinterräder

(rsn) – Fünf Top-5-Platzierungen hat Phil Bauhaus (Bahrain Victorious) bei seinen zwei Tour-de-France-Teilnahmen bislang ersprintet – drei 2023, zwei 2024. Im dritten Anlauf sollen noch ein paar

04.07.2025Teams packen zur Tour wieder Sondertrikots aus

(rsn) – Es ist inzwischen ein jährlich wiederkehrendes Ritual: Kurz vor der Tour de France präsentieren einige Mannschaften Sondertrikots für die drei Wochen in Frankreich. Weil zum Saison-Highli

04.07.2025Brilliert Milan bei seiner Tour-Premiere?

(rsn) – Der diesjährige Grand Départ bietet erstmals seit 2020 wieder den Sprintern die Chance, das Gelbe Trikot zu erobern, denn gleich in Lille stehen die Zeichen am Ende der 1. Etappe auf Masse

04.07.2025Die Aufgebote für den 36. Giro d´Italia Women

(rsn) – Mit dem Giro d’Italia Women (6. – 13. Juli / 2.WWT) steht einen Tag nach dem Start der Tour de France der Männer die zweite Grand Tour der Frauen an. Die 36. Ausgabe der Italien-Rundfa

03.07.2025Die zehn deutschen Starter bei der 112. Tour de France

(rsn) – Zehn deutsche Radprofis und damit so viele wie zuletzt 2021, als noch Tony Martin oder André Greipel am Start waren, werden am 5. Juli in Lille die Tour de France 2025 in Angriff nehmen. Im

03.07.2025“Misserfolge schärfen dich“: Roglic lacht seine Dämonen an

(rsn) – Zum siebten Mal in seiner beeindruckenden Karriere geht Primoz Roglic (Red Bull – Bora – hansgrohe) bei der Tour de France an den Start. Die einzige deutsche Équipe im Peloton will von

03.07.2025Van der Poel sieht Chancen für eine erfolgreiche Tour

(rsn) – Mathieu van der Poel (Alpecin – Deceuninck) gehört einmal mehr zu den Top-Stars, die bei der Tour de France an den Start gehen. Wirklich in Erscheinung treten konnte er in den letzten dre

03.07.2025Arndt hofft nach Wirbelbruch auf Comeback noch 2025

(rsn) – Nikias Arndt (Bahrain Victorious) wird am Samstag in Lille zwar nicht am Start der Tour de France stehen, doch einige Tage vor der Frankreich-Rundfahrt gibt es dennoch gute Neuigkeiten vom 3

RADRENNEN HEUTE

    Radrennen Männer

  • Course de Solidarnosc (2.2, POL)
  • Sibiu Tour (2.1, ROU)