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16.11.2025 | (rsn) – Es ist Mitte November, doch Max Walscheid hat viel zu tun. Der Heidelberger befindet sich trotz seines späten Saisonendes 2025 am 19. Oktober bei der Tour of Guangxi längst wieder voll im Training, doch noch mehr Zeit verbringt er momentan mit seinem Medizin-Studium. "Ich nehme auf streberhafte Weise alles mit – weil ich auch viel nachzuholen habe", erzählte er radsport-news.com am Telefon zwischen zwei Seminaren.
Nachdem sein Studium in den vergangenen Jahren etwas zu kurz gekommen ist, will Walscheid diesen und nächsten Winter nochmal Vollgas geben an der Uni. "Mir fehlen noch zwei Semester und die würde ich jetzt gerne abhaken. Es nervt, dass das so übriggeblieben ist", so der 32-Jährige. Trotzdem aber soll das Training nicht zu kurz kommen und im Dezember bleibt auch von universitärer Seite aus etwas Zeit, um ins Trainingslager zu fahren.
Vielleicht ist der mentale Fokus aufs Studium in diesem Winter genau der richtige für Walscheid. Denn das zurückliegende Jahr war aus sportlicher Perspektive eine Enttäuschung für den 1,99-Meter-Mann und dank vollem Terminplan bleibt nicht viel Zeit, um sich im Rückblicks-Frust zu suhlen. Im Gespräch mit RSN kam er daran aber nicht vorbei. "Es war eher ein unterdurchschnittliches Jahr für mich", bilanzierte Walscheid.
Dabei war er eigentlich stark, fuhr gute Rennen. Doch wenn Walscheid auf eigenes Ergebnis fahren konnte, verfolgte ihn das Pech – und den Großteil der Saison 2025 war der Heidelberger eben Helfer im Sprintzug von Dylan Groenewegen oder bei den Klassikern für Michael Matthews. Und über allem hängt der bei Dwars door het Hageland im Juni erlittene Ellbogenbruch, der ihn auch seine Teilnahme an der Tour de France kostete, auf die er bis dahin das ganze Jahr hingearbeitet hatte. ___STEADY_PAYWALL___
Viel Windschatten: Anfahrer Max Walscheid ist deutlich größer als Sprinter Dylan Groenewegen. | Foto: Cor Vos
"Ich habe mich dem Projekt Sprintzug für Dylan für die Tour de France verschrieben, was auch dazu geführt hat, dass ich in der ersten Jahreshälfte mehr oder weniger keine eigenen Chancen hatte. Dass dann das Endziel von dem ganzen Projekt weggefallen ist, war schon sehr frustrierend", so Walscheid, der auch zugab, dass er an den Folgen nicht nur physisch lange "zu knabbern" hatte: "Das Abhaken ist mir schon schwergefallen - mich hat sogar überrascht, wie schwer."
Walscheid hat seine Erfahrungen mit schweren Unfällen. Schon zweimal kollidierte er im Training, ohne eigenes Verschulden bei hoher Geschwindigkeit mit Autos. 2016 gehörte er zur Trainingsgruppe von Giant – Alpecin um John Degenkolb, die in der Nähe von Calpe in Spanien verunfallte. Walscheid erlitt einen Hand- und Schienbeinbruch. 2022 dann übersah ihn ein entgegenkommendes Auto in der Nähe von Neuwied und bog plötzlich links ab. "Ich bin froh, dass ich noch am Leben bin", sagte Walscheid, der mit dem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus gebracht wurde, damals zu RSN.
Lebensbedrohlich war sein Sturz im Hageland nun im Juni 2025 nicht. Trotzdem aber erinnerte auch der ihn – einen Tag nach seinem 32. Geburtstag – daran, wie machtlos man als Radsportler manchmal ist. Denn Walscheid war dort in einer Kurve von Profikollegen regelrecht 'abgeräumt' worden, die im Positionskampf über den Gehweg abkürzen wollten.
Max Walscheid bolzt Tempo bei Gent-Wevelgem im März. | Foto: Cor Vos
"Der Sturz kam aus dem Nichts und das zeigt einem, dass man es selbst gar nicht 100 Prozent unter Kontrolle haben kann, was einem passiert. Das ist schon ein beängstigender Zustand", sagte er und erklärte: "In Sachen Risiken verschlimmert sich der Sport jedes Jahr weiter. Es ist schon krass, wie die Entwicklung insgesamt ist. Das belastet mich definitiv. Es kommen nach so einer Verletzung schon auch generelle Gedanken in den Kopf, ob man das überhaupt auf der Ebene weitermachen will oder nicht."
Letztendlich kam Walscheid zu dem Entschluss, dass er es will. Dabei half auch die Zukunfts-Perspektive: Walscheid hatte da bereits einen Dreijahresvertrag für 2026, 2027 und 2028 bei Lidl – Trek unterschrieben. Darauf sei er sehr stolz, weil es rund um Mads Pedersen eines der besten Klassiker-Teams der Welt ist, das mit Jonathan Milan auch einen der drei oder vier aktuell wohl schnellsten Sprinter der Welt im Kader hat, und ihn genau für diese Aufgabenbereiche verpflichtet hat.
"Ich freue mich darauf, mit den Beiden am Start zu stehen und 100 Prozent zum Teamerfolg beizutragen", blickte er nun schon voraus. "Dazu ist auf jeden Fall auch besprochen, dass ich auch eigene Ergebnisse einfahren will, kann und soll." Walscheids erstes Saison-Highlight soll auch 2026 wieder Paris-Roubaix werden – und die gesamte Klassikerperiode dorthin, an der Seite von Pedersen. Welche Grand Tour er dann im Sprintzug von Milan, oder ebenfalls Pedersen, fahren wird, das ist noch völlig offen – genau wie die Aufstellung der Sprintzüge insgesamt nach dem Abgang von Jasper Stuyven, Alex Kirsch und Daan Hoole.
Max Walscheid umgeben von seinen Teamkollegen. | Foto: Cor Vos
Doch zurück nach 2025. Begonnen hat die Saison für Walscheid alles andere als schlecht. Schon bei der AlUla Tour (2.1) wurde er als Anfahrer von Groenewegen auf der 1. Etappe noch selbst Sechster und auf Etappe 3 führten Elmar Reinders und Walscheid das Feld auf die letzten 500 Meter, Groenewegen wurde hinter Tim Merlier Etappenzweiter – genau wie weitere zwei Tage später auf der Schlussetappe hinter Matteo Moschetti. Die "2" war in diesem Jahr die Platzziffer, die Groenewegen am häufigsten vor seinem Namen las – sieben Mal wurde der Jayco-Sprinter Zweiter, bei drei Saisonsiegen. Bei all diesen Ergebnissen war Walscheid im Leadout, abgesehen von zwei zweiten Plätzen bei der Tour of Hellas (2.1) im April.
Die Zusammenarbeit im Jayco-Sprintzug zwischen Reinders, Walscheid und auch Luka Mezgec funktionierte über die Saison meist sehr gut. Immer wieder prägten die lilafarbenen Trikots das TV-Bild auf dem Schlusskilometer von flachen Zielankünften. Nur Siege sprangen dabei etwas zu wenig heraus. "Mir ist wichtig, dass das nicht wie üble Nachrede klingt, denn wir hatten mit den Fahrern eine sehr, sehr gute Stimmung", meinte Walscheid. "Aber unterm Strich muss man eben sagen, dass mit unserer Vorarbeit und den Ressourcen an Fahrern, die wir in die Sache investiert haben, dass Dylan häufiger hätte gewinnen müssen."
Im Zeitfahren der UAE Tour wurde Walscheid starker Fünfter. | Foto: Cor Vos
Nach der AlUla Tour in Saudi-Arabien war Walscheid im Februar auch bei der UAE Tour (2.UWT) stark. Er wurde Fünfter im topfebenen 12-Kilometer-Einzelzeitfahren auf Al Hudayriyat Island, war sonst im Dienst von Groenewegen unterwegs, der aber über einen siebten Etappenplatz nicht hinauskam und sprang dann auf Etappe 6 in Abu Dhabi in die Bresche, als der Niederländer das Rennen verlassen hatte, und wurde im Massensprint selbst Vierter – geschlagen nur von Merlier, Jasper Philipsen und Milan.
Die Frühform des Heidelbergers war beeindruckend, doch leider konnte er das bei den Klassikern nicht in Ergebnisse ummünzen. "Die Rennen, die ich dort vorne beenden kann, sind natürlich limitiert", erklärte Walscheid. Lediglich Paris-Roubaix, der GP Denain und Gent-Wevelgem seien in diesem Jahr für eigene Ergebnisse vorgesehen gewesen, und dort hatte er jeweils Pech: Beim GP Denain am 20. März war er in der letztlich entscheidenden Spitzengruppe, wurde dann aber von einem Platten gestoppt. "Bei Gent-Wevelgem ist mir in der entscheidenden Situation vor dem Kemmelberg die Kette runtergefallen und in Roubaix bin ich auf die Schnauze geflogen", blickte er nun zurück.
"Das ist Rennsport, klar, aber es war drei Mal einfach unglücklich – und besonders wenn man wenige eigene Chancen hat, ist das natürlich bitter. Gerade nachdem ich sehr gut in die Saison gestartet bin, dachte ich, ich wäre auf einem sehr guten Weg für das Frühjahr und wollte da natürlich abliefern – und letztendlich hat sich das im Ergebnis leider definitiv nicht ausgedrückt."
Bitterer Moment: Ein Defekt warf Walscheid beim GP Denain aus der kleinen Siegergruppe. | Foto: Cor Vos
Im Mai und Juni fuhr Walscheid die Ungarn- und die Slowenien-Rundfahrt voll im Dienst von Groenewegen und man feilte gemeinsam an der Perfektionierung des Sprintzuges für die Tour de France. Dann aber kam der 14. Juni und der Sturz im Hageland machte all das zunichte. Wie wichtig Walscheid in Groenewegens Sprintzug war, macht vielleicht auch die Tour de France ohne den Deutschen deutlich. Dort nämlich war ein 13. Platz auf Etappe 3 in Dünkirchen das Beste, was der Niederländer erreichen konnte.
Walscheid selbst stieg im August bei den ADAC Cyclassics (1.UWT) in Hamburg wieder ins Renngeschehen ein, bestritt dann noch an Groenewegens Seite die Renewi Tour (2.UWT) und einige belgische Halbklassiker im September, bevor er bei den Europameisterschaften in Frankreich Zwölfter im Einzelzeitfahren wurde. Etwas enttäuschend verlief dann das Saisonfinale: Beim Sparkassen Münsterland Giro (1.Pro) konnte Walscheid auf eigene Kappe fahren, war am Ende in einem hektischen Finale aber allein und kam nicht über Platz 19 hinaus. Und bei der Tour of Guangxi (2.UWT) in China lief es in den Sprints ebenfalls nicht – sei es durch Sturzpech direkt vor der eigenen Nase, oder durch fehlende Kraft am Ende von doch recht profilierten Tagen.
"Ich war froh, in Guangxi nochmal sprinten zu können und nochmal das Gefühl von einer Zielgeraden zu bekommen. Aber klar: Ich hatte erwartet, dass ich da mindestens eins, zwei Mal aufs Podium fahre. Und insofern ging das Jahr so zu Ende wie das Jahr insgesamt war. 100 Prozent beschweren konnte man sich nicht, weil wir ja das GC (mit Paul Double, Anm. d. Red.) gewonnen haben und das schon Spaß gemacht hat – aber so wirklich zufriedenstellend für mich selbst war das dann nicht", fasste Walscheid seinen Abschied vom Team Jayco – AlUla zusammen.
Nun richtet sich der Blick aber voraus auf das nächste Kapitel bei Lidl – Trek, und damit tatsächlich wieder einem Team mit deutscher Lizenz und sogar deutschem Hauptquartier und Service Course. "Das ist extrem cool und da bin ich nicht nur als Deutscher, sondern auch als 'Local' wirklich stolz – Neckarsulm ist ja wirklich in der Nähe für mich – daran teilhaben zu können", so Walscheid, der nur rund 55 Kilometer vom Lidl-Hauptquartier entfernt wohnt.
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