RSNplusErnährungsrevolution im Radsport

Große Esser auf zwei Rädern

Von Tom Mustroph

Foto zu dem Text "Große Esser auf zwei Rädern"
Julien Bernard (Lidl - Trek) wird auf der 13. Etappe der Tour de France versorgt. | Foto: Cor Vos

15.07.2024  |  (rsn) - Tour-de-France-Fahrer nehmen während einer Etappe den vier- bis fünffachen Bedarf an Kohlenhydraten eines Normalbürgers auf. Eine Revolution im Ernährungswesen ist ein Faktor für immer schnellere Zeiten. Neben den Muskeln belasten Radprofis auch ihre Mägen. Ein Blick in die Eingeweide der Tour-Teilnehmer.

Kristof de Kegel füllt vor jeder Etappe der Tour de France sorgfältig die Flaschen der Profis von Alpecin - Deceuninck. Es sieht wie Wissenschaft aus, wie er die Flüssigkeiten abmisst. Und das ist es, Ernährungswissenschaft eben.

___STEADY_PAYWALL___

“Vor einigen Jahren dachten wir noch, ein Mensch kann etwa 60 Gramm Kohlenhydrate in der Stunde aufnehmen. Dann sagt der Magen: ‘Schluss jetzt.‘ Mittlerweile wurde herausgefunden, dass man mit der richtigen Mischung von Kohlenhydraten bis zu 120 Gramm pro Stunde verwerten kann. Manche Fahrer schaffen sogar noch mehr“, erzählt de Kegel RSN am Rande der Tour de France.

Essenziell für Radprofis: Angemessene Versorgung während des Rennens. | Foto: Cor Vos

Das kann man gut und gern als Ernährungsrevolution bezeichnen. Denn Kohlenhydrate bedeuten Energie - Energie, die in den Muskelzellen erzeugt wird und die über Kontraktion und Dekontraktion für Vortrieb über die Pedale sorgt. Die doppelte Aufnahme von Brennstoff sorgt nicht gleich für die doppelte Geschwindigkeit. Aber die neuen Rekordzeiten der Tour-Fahrer – zuletzt durch Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) am Plateau de Beille - sind auch durch den Faktor Ernährung begünstigt.

Gläserner Verdauungsapparat

Bei den Teams hat sich deshalb ein strenges Kontrollregime über die Brennstoffzufuhr durchgesetzt. “Es gibt einen gut ausbalancierten Ernährungsplan für jeden Tag, abhängig von der Charakteristik jeder Etappe. Wir sehen ganz genau, wieviele Kilojoules die Fahrer umgesetzt haben. Das können wir aus den geleisteten Wattwerten aus den Radcomputern ablesen. Wir wissen also, was sie geleistet haben. Und daraus ermitteln wir, was wir ihnen wieder zuführen müssen. 15 Minuten nach Ende des Rennens weiß unser Koch schon, was jeder Fahrer braucht. Und danach bereitet er das Abendessen vor“, erzählte de Kegel.

Beim UAE-Rennstall hat Gorka Prieto Bellver die Übersicht über die Energiehaushalte von Pogacar & Co. Er macht für jeden Tag einen neuen Plan. “Wenn wir beispielsweise mit Gegenwind rechnen müssen, sollte jeder Fahrer auf alle Fälle 90 bis 100 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde zu sich nehmen“, sagte er RSN. Bei Flachetappen ohne Windprobleme ist es weniger, bei Bergetappen eher noch mehr. Was genau der tägliche Brennstoffplan für Pogacar vorsieht, wollte er nicht verraten. Nur soviel: “Am Anfang einer Etappe nehmen sie es mehr in fester Form zu sich, zum Ende hin eher flüssig, also als Gel oder in den Getränken aufgelöst.“

Auch das Befüllen der Bidons ist mittlerweile eine (Ernährungs)-Wissenschaft für sich. | Foto: Cor Vos

Im Laufe der Saison verändert sich der Ernährungsplan. “Wir variieren die Kohlenhydrataufnahme jedes Fahrers. In der frühen Vorbereitungsphase im November und Dezember reduzieren wir die Kohlenhydrate. Die Fahrer leisten dort große Umfänge. Aber die Intensitäten sind vergleichsweise niedrig. Sie verbrennen dabei mehr Fett als Kohlenhydrate“, beschrieb Laura Martinelli, Ernährungsberaterin von Team Jayco – AlUla, den Prozess. Das ist die Saisonphase, in der das mittlerweile berühmt gewordene Zone 2-Training seinen Platz hat.

Fettstoffwechsel vs. Kohlenhydratverbrennung

Dabei geht es darum, den Organismus auf den Fettstoffwechsel umzustellen. “Das macht deshalb Sinn, weil die Kohlenhydratspeicher im Organismus begrenzt sind. Die Fettoxidation ist im Kontrast dazu eher unbegrenzt. Und je länger man im Fettstoffwechsel fahren kann, desto später kippt es in den Kohlenhydratstoffwechsel“, erklärte Dan Lorang, Trainingswissenschaftler und Performance Director bei Red Bull – Bora – hansgrohe, gegenüber RSN.

Pogacars früherer Trainer Inigo San Millan teilte Trainingszonen nach Intensitäten ein. Dabei war Zone 2 am unteren Spektrum der Intensitäten angesiedelt, zeichnete sich aber durch maximale Fettverbrennung aus. Gewöhnt man den Organismus daran, rührt er die weniger gut speicherbaren Kohlenhydratreserven nicht an. Das Problem dabei ist nur: Je höher die Intensität auf dem Rad ist, desto mehr Energie muss von den Kohlenhydraten kommen.

Bei hochsommerliche Temperaturen muss der Körper mit besonders viel Flüssigkeit versorgt werden: Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) im Ziel der 15. Etappe der Tour de France. | Foto: Cor Vos

Flachetappen können die Radprofis noch zu größeren Teilen im Fettverbrennungsmodus bestreiten.“Aber wenn du schneller werden willst, brauchst du auch die schnelleren Energiereserven, also die Kohlenhydrate“, erläutert de Kegel. Die Sprinter zum Beispiel brauchen Kohlenhydrate für ihre maximale Beschleunigung. Und auch bei den Leistungsspitzen im Gebirge müssen in erster Linie Kohlenhydrate zugeführt werden. UAE- Ernährungsspezialist Prieto nannte dafür folgende Faustformel: “Bei Leistungen um die 200 Watt handelt es sich vor allem um Fettverbrennung. Bei 400 Watt oder darüber kann man von 99% Kohlenhydratstoffwechsel ausgehen.“

Strenges Essregime: alle 20 Minuten ein Gel oder einen Riegel

Weil der menschliche Körper Kohlenhydrate nicht allzu lange speichern kann, muss vor allem während des Rennens die Brennstoffzufuhr gewährleistet werden. “Alle 20 Minuten müssen die Fahrer entweder einen Riegel, ein Gel oder eine Flasche mit darin aufgelösten Kohlenhydraten zu sich genommen haben“, meinte Prieto. Pro Rennstunde heißt das etwa drei Riegel, Geld oder Flaschen. Bei fünfstündigen Etappen müssen also 15 dieser konzentrierten Mahlzeiten zu sich genommen werden. Die Begleitfahrzeuge sind auch deshalb so etwas wie mobile Schnellrestaurants.

Faustregel: Im Rennen alle 20 Minuten ein Gel oder ein Riegel. | Foto: Cor Vos

Zu beachten ist auch: Es dauert etwa zehn Minuten, bis der Nachschub an Glukose und Fructose im Blut angekommen ist. Das bedeutet, dass die Fahrer niemals warten sollten, bis sich ein Hungergefühl bemerkbar macht. Reagiert man darauf, kommt der berüchtigte “Hungerast“, eben jene Zwischenphase vor allem im Fettverbrennungsmodus, bevor die neu zugeführten Kohlenhydrate ihre Wirkung entfalten können.

Menschen ohne vergleichbare Ausdauerbelastungen sollten pro Tag übrigens nicht mehr als 150 Gramm Kohlehydrate zu sich nehmen, kaum mehr also als die Stundenration eines Radprofis während des Rennens. Nicht nur im Fahren, sondern auch im Verdauen liegen Welten zwischen Couch-Experten des Radsports und den modernen “Königen der Landstraßen.“

Mehr Informationen zu diesem Thema

24.07.2024Geschke würde “gerne nochmal zur WM fahren“

(rsn) – Simon Geschke hat seine letzte Tour de France beendet. Bei zwölf Teilnahmen gelang ihm 2015 in Pra-Loup einer seiner drei Profisiege der Karriere, die zum im Oktober ihr Ende finden wird. V

24.07.2024Wirbelfraktur bei Roglic

(rsn) – Die 12. Etappe der Tour de France 2024 wird Primoz Roglic (Red Bull – Bora – hansgrohe) noch länger in Erinnerung bleiben. Nicht nur, dass sein Sturz weniger Kilometer vor dem Ziel in V

23.07.2024Nach Tour-Aus noch Fragezeichen hinter Roglics Vuelta-Start

(rsn) – Nachdem er die Tour de France in Folge von zwei Stürzen binnen 24 Stunden vorzeitig verlassen musste, befindet sich Primoz Roglic (Red Bull – Bora – hansgrohe) noch in der Erholungsphas

23.07.2024Tour-Dritter Evenepoel: “Noch etwas größer als der Vuelta-Sieg“

(rsn) – Nach seinem erfolgreichen Tour-de-France-Debüt blickt Remco Evenepoel (Soudal – Quick-Step) zuversichtlich nach vorn. “Ich denke, dieser Podestplatz bedeutet für meine Zukunftspläne,

22.07.2024Titelverteidiger bezwungen, zwei Topteams gehen leer aus

(rsn) – In Nizza endete am Sonntag die 111. Austragung der Tour de France. Das Rennen rund um Frankreich, welches heuer erstmals in Italien begann, sorgte für viel Action, Dramatik, Freude und Trä

22.07.2024Pogacar: “Superdumm, etwas zu nehmen, was Dich gefährdet“

(rsn) – Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) hat nicht nur den Giro d’Italia, sondern auch die Tour de France fast nach Belieben dominiert. Der Slowene gewann beide Rundfahrten dank jeweils sechs Et

22.07.2024Pogacar und UAE auch im Preisgeld-Ranking der Tour Nummer 1

(rsn) – UAE Team Emirates hat bei der 111. Tour de France dank Tadej Pogacar auch beim Preisgeld groß abgesahnt. Dagegen ist das deutsche Team Red Bull – Bora – hansgrohe das Schlusslicht des

22.07.2024Pogacar kehrt auf den Thron zurück, Girmay Afrikas Radsportheld

(rsn) – Drei Wochen Tour de France sind am Sonntagabend in Nizza zu Ende gegangen. Erstmals fand das Finale des größten Radrennens der Welt nicht in der französischen Hauptstadt Paris statt, son

21.07.2024Auch ohne Etappensieg eine Tour-Bilanz mit Erfolgen

(rsn) – Acht deutsche Fahrer starteten vor drei Wochen in Florenz in die 111. Tour de France und sieben davon erreichten das Ziel in Nizza. Zwar müssen die deutschen Fans weiter auf den ersten Eta

21.07.2024Tadej, der Gnadenlose: Pogacar unterwirft sich die Tour

(rsn) - Die Geschichte kennt Iwan, den Schrecklichen, Vlad, den Pfähler und Eddy, den Kannibalen. Mit ersterem ist nicht der frühere Giro-Sieger Ivan Basso gemeint, sondern der grausame Zar, der sei

21.07.2024Vingegaard: “Unter normalen Umständen wäre ich enttäuscht“

(rsn) - Mit seinem sechsten Etappensieg vollendete Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) nicht nur das Double aus Giro d´Italia und der Tour de France, sondern stellte auch seine Anzahl an Tageserfolgen

21.07.2024Pogacar macht mit Zeitfahr-Triumph das Giro-Tour-Double klar

(rsn) –Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) hat nach 2020 und 2021 zum dritten Mal die Tour de France gewonnen. Im Abschlusszeitfahren über 33,7 Kilometer von Monaco nach Nizza holte sich der Slowene

Weitere Radsportnachrichten

08.09.2024Osborne zieht trotz entzündeten Knies ins E-Sport WM-Finale ein

(rsn) – Auf der Straße war Jason Osborne (Alpecin – Deceuninck) seit knapp zwei Monaten nicht mehr im Einsatz, doch beim UCI E-Sports WM-Halbfinale qualifizierte sich der Deutsche trotz eines ent

07.09.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir über die w

07.09.2024Zeitfahrprüfung im Kampf um Rot statt Ehrenrunde

(rsn) - Eine Ehrenrunde mit Sprintankunft durch Madrid? Die Organisatoren haben diesmal einen anderen Plan. Stattdessen geht es zum großen Finale nochmals um jede Sekunde, denn wie die Tour de France

07.09.2024Salmonellenvergiftung trifft Red Bull

(rsn) - Das Rote Trikot sitzt fest auf Primoz Roglics (Red Bull - Bora - hansgrohe) Schultern, obwohl er im Finale auf gleich drei seiner Helfer verzichten musste. Patrick Gamper und Dani Martinez gab

07.09.2024South Bohemia: Für Zoidl war Bergankunft nicht steil genug

(rsn) – Die Königsetappe der Tour of South Bohemia (2.2) verlief für das deutsche Team Santic – Wibatech und die österreichische Equipe Felt – Felbermayr äußerst positiv. Der für Santic

07.09.2024Rouiller startet wieder gut in die Cross-Saison

(rsn) – Wie letzte Saison hat Loris Rouiller (Heizomat – Kloster Kitchen) gleich seinem ersten Renneinsatz die Siegerblumen bekommen. 2023 war der Schweizer in Lützelbach der Beste, nun war er in

07.09.2024Crabbé gewinnt europäischen Cross-Saisonauftakt in Bensheim

(rsn) – Im ersten Wettkampf der neuen Cross-Saison hat Kiona Crabbé (Athletes for Hope) in Bensheim (C2) ihren ersten UCI-Sieg gefeiert. Die 23-Jährige war 18 Sekunden als ihre ein Jahr jüngere L

07.09.2024Die Vuelta-Favoriten lauern, Dunbar profitiert

(rsn) – Eddie Dunbar (Jayco – AlUla) hat das 20. Teilstück der 79. Vuelta a Espana auf dem Picon Blanco gewonnen. Auf der letzten Bergetappe der Rundfahrt fuhr er den Favoriten, die vor sich gege

07.09.2024Liste der ausgeschiedenen Fahrer / 20. Etappe

(rsn) - 176 Profis aus 22 Teams sind am 17. August in Lissabom zur 79. Vuelta a Espana (2.UWT) angetreten, darunter sieben Deutsche, vier Österreicher sowie je zwei Schweizer und Luxemburger. Hier

07.09.2024Niemand kann Magnier bei der Tour of Britain stoppen

(rsn) – Sprintjuwel Paul Magnier (Soudal – Quick-Step) macht am Wochenende da weiter, wo er am Freitag aufgehört hat: Der Franzosen holte sich auch die 5. Etappe der Tour of Britain (2.Pro) und w

07.09.2024Vollering vollendet SD-Worx-Show in der Romandie

(rsn) - Demi Vollering (SD Worx – Protime) hat die 2. Etappe der Tour de Romandie Feminin (2.WWT) für sich entschieden. Im Anstieg nach Vercorin gewann sie den Zweiersprint vor ihrer Teamkollegin L

07.09.2024“Kein Lycra mehr” für Guarnieri, zwei Talente für Vismas Frauen

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Profiradsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder R

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • La Vuelta Ciclista a España (2.UWT, ESP)
  • Bemer Cyclassics (1.UWT, GER)