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11.07.2024 | (rsn) - Biniam Girmay (Intermarché – Wanty) hat keine Schwierigkeiten, das Sprint-Peloton der 111. Tour de France zu beherrschen. Umso größere Mühe hat er allerdings mit seinem Mobiltelefon. Nun schon den dritten Etappensieg bei dieser Tour de France holte der Eritreer am Donnerstag. Das Gewinnen wird ihm mittlerweile zur Routine, Pressekonferenzen auch. Souverän erledigte er den ersten Teil des Jobs, als er im Zielsprint von Villeneuve erst die richtige, von Fast-Karambolagen freie Seite wählte und dann auch noch die Kraftmaschine Wout van Aert (Visma – Lease a Bike) in Schach hielt. Abgeklärt war er auch danach bei der Pressekonferenz.
Natürlich war er glücklich und er verlieh dem Ausdruck. Aber Girmay war auch in der Lage, die Erfolgsserie rational einzuordnen. “Ich denke, ich habe gerade die beste Form meines Lebens. Ich wache jeden Tag auf, blicke dann in den Spiegel, und sage mir: ‘Ja, lass das uns noch einmal machen!‘“ Und steht eine Sprintetappe an, dann funktioniert die Selbstbeschwörung auch prima.
___STEADY_PAYWALL___Fest auf dem Boden der Tatsachen bleibt der 24-Jährige dennoch. “Ich weiß, wie schwer es ist, überhaupt einen Profisieg zu erringen. Jetzt deren drei bei der Tour – eigentlich ist das unfassbar“, sagte Girmay und wirkte doch gefasst wie ein Rohrleger, der gerade seinen tausendsten Meter Wasserrohr verlegt hat.
In Villeneuve sprintete Biniam Girmay (Intermarché – Wanty) zu seinem bereits dritten Etappensieg bei dieser Tour de France . | Foto: Cor Vos
Als RSN ihn fragte, ob er sich mit dem Schnitt aus drei Siegen bei zwei Tourstarts schon mit dem Rekord von Mark Cavendish (Astana Qazaqstan) mit 35 Siegen vertraut gemacht habe, meinte er nur: “Hey, ich habe noch nicht mal insgesamt 35 Profisiege, wie kann ich da an 35 Etappensiege bei der Tour denken!“ Das ist korrekt. Procyclingstats listet 21 Siege für Girmay auf, inklusive nationalen und kontinentalen Titeln. Aber immerhin stehen auch ein Etappensieg beim Giro d’Italia und der Durchbruchserfolg bei Gent – Wevelgem 2022 in seinen Palmarès.
Sympathisch an Girmay ist, dass er sich auf all die Meriten recht wenig einbildet. Er weiß, wieviel nötig ist für Siege, und wie wenigen das im Profi-Feld überhaupt vergönnt ist. “Ich spreche hier im Peloton mit vielen Fahrern. Sie haben mir schon beim zweiten Sieg gratuliert. Denn einige von ihnen sind nun schon zehn Jahre bei der Tour, ohne einen einzigen Sieg errungen zu haben“, berichtete er.
Girmay, seit mittlerweile sechs Jahren bei europäischen Rennen zu Hause, kennt das Geschäft sehr gut. Seinen eigenen Höhenflug kann er deshalb gut einordnen. Er weiß aber auch, dass er sich bereits über den Profi-Durchschnitt auch der hellhäutigen Fahrer erhoben hat. Er fährt zwar gewissermaßen in seiner eigenen Liga, als schwarzer Afrikaner, der einen kontinentalen Rekord nach dem anderen aufstellt. Aber er ist eben auch besser als viele andere, die in Europa aufgewachsen sind und gewissermaßen von Geburt an den Vorteil des leichteren Zugangs zu gutem Material und ausgefeiltem Trainingswissen hatten.
Gemeinsam mit Teamkollege Kobe Goossens feiert Girmay seinen Tour-Hattrick. | Foto: Cor Vos
Girmay hat sich aber durchgekämpft, hat, wie er selbst sagte, sein Seuchenjahr 2023 zu einen tiefen Analyse genutzt. “Ich habe viel im Training verändert, auch dank (Sportdirektor) Aike Visbeek. Und ich habe vor allem eine andere Radsportphilosophie“, erzählte er. Die besteht unter anderem darin, sich selbst weniger unter Druck zu setzen. Das sei das Geheimnis zwischen der eher schlechten Saison 2023 und der exzellenten jetzigen.
Inzwischen zählt Girmay vor allem bei unübersichtlichen Sprintankünften, wo vielen Zügen vorzeitig die Briketts ausgehen, dank seines guten Gespürs für Positionierung, dank seiner Explosivität und dank seiner neu erworbenen Gelassenheit zu den Favoriten.
Das akzeptierte auch van Aert, der vor ein paar Jahren mit seiner schieren Kraft den klassischen Massensprintern die Butter vom Brot zu nehmen pflegte. “Biniam war einfach wieder schneller. Chapeau“, meinte der Belgier am Visma-Bus. Mit dem Grünen Trikot, das er einst gewann, hat er in diesem Jahr nichts zu tun.
Für Girmay dagegen scheint der Weg gebahnt zu diesem historischen Moment, das erste Wertungstrikot der Tour de France als schwarzer Afrikaner nicht nur zu tragen, sondern auch nach Hause zu bringen. Sein Teamkollege Kobe Goossens wollte gegenüber RSN zwar den Ball flach halten.“ Der Weg zu Grün ist niemals frei, denn die Tour ist immer gefährlich“, warnte der Belgier. Er sagte aber auch: “Es schaut es richtig gut für ihn aus.“
Tadej Pogacar (UAE Team Emirates, re.) dominiert die Bergetappen und die Gesamtwertung dieser Tour, Biniam Girmay (Intermarché – Wanty) die Sprints. | Foto: Cor Vos
Girmay vermisst im Peloton weitere dunkelhäutige Fahrer wie ihn. “Es ist schade, dass ich der einzige bin. Denn es gibt so viele Talente in Afrika“, meinte er. Mit seinem Tour-Hattrick dürfte er aber die Begeisterung in der afrikanischen Radsport-Community nur noch mehr entfacht haben, so dass weitere Talente den Weg nach Europa schaffen könnten.
Ein Problem hat Girmay, dem derzeit alles zu gelingen scheint, dann aber doch. “Ich traue mich kaum noch, mein Handy anzumachen. Es sind so viele Messages darauf, allein etwa 600 auf WhatsApp“, sagte er. Das birgt durchaus ein logistisches Problem. “Wegen der vielen Nachrichten gehen die aus unserem Teamchat bei mir völlig unter. Ich muss immer meinen Zimmerkollegen fragen, was unser Plan für den jeweiligen Tag ist“, sagte er schmunzelnd.
Das klappt dann aber zumindest so gut, dass Girmay die Siege liefert, die er liefern soll.
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