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30.06.2024 | (rsn) – Alle haben's gewusst, aber nur einer konnte antworten: Der Angriff von Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) rund 500 Meter vor der Wallfahrtskirche von San Luca war quasi vorprogrammiert. Trotzdem war im Finale der 2. Etappe bei der Tour de France nur Titelverteidiger Jonas Vingegaard (Visma – Lease a Bike) in der Lage, mit dem Giro-Sieger mitzufahren.
Das zeigte einerseits, dass der Däne wohl tatsächlich trotz seiner langen Verletzungspause nach dem Horror-Sturz Anfang April im Baskenland, schon wieder sehr gut in Form ist. Andererseits offenbarte es vor allem aber auch bei Primoz Roglic eine unerwartete Schwäche. Ausgerechnet in jener 1,9 Kilometer langen und im Schnitt 10,8 Prozent steilen Rampe, an der er schon drei Mal den Giro dell'Emilia gewann – im vergangenen September gegen Pogacar – konnte der Kapitän von Red Bull – Bora – hansgrohe mit den Besten nicht mithalten.
Er verlor 21 Sekunden auf Pogacar, Vingegaard, Richard Carapaz (EF Education – EasyPost) und Remco Evenepoel (Soudal – Quick-Step) und war zwischenzeitlich noch deutlich weiter zurück. Nach der Abfahrt auf den flachen Kilometern in Bologna musste Roglic wohl von Glück reden, dass seine größere Gruppe gut arbeitete und gleichzeitig Pogacar und Vingegaard an der Spitze offensichtlich nicht ganz voll durchzogen – sonst wären wohl auch Evenepoel und Carapaz nicht mehr zu ihnen zurückgekommen. ___STEADY_PAYWALL___
"Roglic war nicht da, wo er sein sollte", bilanzierte Team-Manager Ralph Denk nach dem Rennen am Mikrofon der ARD und erklärte: "Wir haben bei der ersten Überquerung schon keine gute Position gehabt, das hat Kraft gekostet. Und beim zweiten Mal war er auch nicht auf Augenhöhe mit Pogacar und Vingegaard."
Das Problem war aber weniger, dass Roglic den beiden Überfliegern nicht folgen konnte, als viel mehr, dass noch viele andere schneller aus Bologna hinauskletterten, als der 34-Jährige. Denn der Slowene wurde nicht erst abgehängt, als sein Landsmann im UAE-Dress aus dem Sattel ging und Vollgas gab – übrigens genau an jener Stelle, wo er eine Runde zuvor bereits kurz beschleunigt und die Konkurrenz nervös gemacht hatte, nur um an die Spitze der Gruppe zu kommen und problemlos eine Trinkflasche annehmen zu können.
Das Hauptfeld bei der ersten San-Luca-Passage: Vingegaard an zweiter Stelle, Pogacar und Evenepoel an vier und fünf nebeneinander, Carapaz in achter Position und auch Vlasov und Hindley unter den ersten 15, Roglic aber außerhalb der Top 20. | Foto: Cor Vos
Viel mehr war Roglic schon am Fuß der Steigung schlecht positioniert, etwa an 20. Stelle. Während Tiesj Benoot (Visma – Lease a Bike) das Hauptfeld in den letzten Anstieg des Tages hineinführte, waren Pogacar und Vingegaard, aber auch Remco Evenepoel (Soudal – Quick-Step) und Richard Carapaz (EF Education – EasyPost) weit vorne zu finden. Auch Roglics Berghelfer Aleksandr Vlasov und Jai Hindley saßen an sechster und siebter Stelle in guter Position.
Als dann Adam Yates (UAE Team Emirates) das Zepter übernahm und die Schlagzahl deutlich erhöhte, zog sich das Feld in die Länge und es entstanden Risse. Im steilsten Abschnitt bei bis zu 19 Prozent waren nur noch sieben Mann am Vorjahresdritten aus Großbritannien dran: Matteo Jorgenson (Visma – Lease a Bike), Vingegaard, Pogacar, Evenepoel, Carapaz, Enric Mas (Movistar) und Maxim Van Gils (Lotto – Dstny). Vlasov und Giulio Ciccone (Lidl – Trek) folgten mit wenigen Metern Abstand, Roglic und Simon Yates (Jayco – AlUla) schon mit etwas mehr Rückstand. Als Pogacar dann kurz darauf attackierte, war Roglic also schon gar nicht mehr in Reichweite.
"Ich wäre ihnen gerne gefolgt, hatte aber nicht die Beine dazu", gestand er später, als er noch für ein kurzes Statement aus dem Mannschaftsbus kam, den er zuvor mit leerem Gesicht und offensichtlich ziemlich K.O. erreicht hatte.
Als Adam Yates (UAE Team Emirates, rechts) bei der zweiten San-Luca-Passage Gas gab, riss das Feld an mehreren Stellen und viele kamen in Probleme. | Foto: Cor Vos
Bei Red Bull – Bora – hansgrohe hoffte man nach der Etappe, dass der Kapitän lediglich schon früh in der Tour einen schlechten Tag gehabt hatte. "Wenn das unser schlechter Tag bei der Tour war, dann können wir ganz gut damit leben", meinte Sportdirektor Rolf Aldag in der ARD und ergänzte am Eurosport-Mikrofon: "Niemand wird die ganze Tour bei 110 Prozent sein. Wenn das heute unsere 98 Prozent waren, dann verlasse ich diese Etappe mit einem bereiten Grinsen." Möglicherweise setzt Roglic die Hitze zum Auftakt der Tour besonders zu. Temperaturen von rund 35 Grad prägten die ersten beiden Etappen. Nachdem die Wochen zuvor meist schlechteres, kühleres Wetter herrschte, ist das ein Schock fürs System bei jedem. "In der Kälte trainiert, nicht richtig angepasst an die Hitze - aber das gilt für die anderen auch", meinte Aldag mit Blick aufs Höhentrainingslager in Tignes im Juni, das zeitgleich auch Visma – Lease a Bike um Vingegaard an selber Stelle belegt hatten.
Waren schon in Bologna die beiden Stärksten: Tadej Pogacar (vorne) und Jonas Vingegaard (hinten). | Foto: Cor Vos Was aber zu erwarten gewesen war, war eben die Attacke von Pogacar, um Vingegaard nach dessen langer Verletzungspause auf den Zahn zu fühlen. Viele Experten glauben, dass man den dänischen Titelverteidiger früh in dieser Tour knacken muss, weil er hinten raus immer besser in Form kommen dürfte. "Wir haben immer gesagt, dass Tadej schon zu Beginn Jonas testen wird, um zu sehen, wie gut er ist. Und ich denke, das wird er auch in zwei Tagen (auf der 4. Etappe über den Col du Galibier, Anm. d. Red.) wieder machen, um seine Strategie danach auszurichten: Sollte ich in den Anstiegen attackieren und versuchen, ihn dort abzuschütteln, oder soll ich es auf die Zeitfahren ankommen lassen? Wir müssen dann schauen, wo wir sind", warf Aldag den Blick schon auf den nächsten Pogacar-Test voraus. Am Galibier handelt es sich dann weniger um eine Kostprobe in Sachen Spritzigkeit, als viel mehr um eine in Sachen Langzeit-Kletterfestigkeit und Abfahrtskünste hinunter zum Ziel nach Valloire. Wer dort dann nicht mithalten kann, der dürfte deutlich mehr als nur 21 Sekunden verlieren.
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