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23.12.2023 | (rsn) – Auch wenn sich sein Fokus bei seinem Wechsel zurück zu DSM Anfang 2022 etwas verschoben und John Degenkolb nun mehr die Rolle des Road Captains oder der erfahrenen Bezugsperson für die Youngster im Team angenommen hat, gehört der 34-Jährige auch selbst noch immer zur Weltspitze. Bewiesen hat Degenkolb das 2023 gleich mehrmals.
Besonders beeindruckte er durch seine außergewöhnliche Zähigkeit und einen Renninstinkt, wie ihn nicht viele haben. Beinahe hätte ihn das acht Jahre nach seinem Paris-Roubaix-Sieg im berühmtesten Freiluft-Velodrom der Welt an selber Stelle noch einmal aufs Podium gebracht. Und auch bei den Welt- und Europameisterschaften gelangen Top-Resultate.
Als "relativ positiv" bezeichnete Degenkolb daher seine persönliche Saisonbilanz im Gespräch mit radsport-news.com, fügte direkt aber auch selbstkritisch an: "Wenn man schaut, was nicht so gut gelaufen ist, muss man natürlich auch so ehrlich sein, dass der Juli und speziell die Tour für mich persönlich, aber auch fürs Team allgemein nicht gut liefen. Das war keine gute Leistung, die wir da abgerufen haben." ___STEADY_PAYWALL___
Tatsächlich wurde die Frankreich-Rundfahrt für Degenkolb und seine sieben Teamkollegen zur kleinen Katastrophe: Kapitän Romain Bardet kam nur auf zwei Etappen in die Top Ten, verlor früh viel Zeit und stieg vorzeitig aus, Sprinter Sam Welsford fuhr nur einen einzigen zehnten Platz heraus und Nils Eekhoff einen fünften. Sonst spielte DSM – firmenich keine Rolle in Frankreich. Daran konnte auch Road Captain Degenkolb nichts ändern.
Doch die Tour de France ist nicht alles und den Fans dürften viel mehr die Szenen von Paris-Roubaix am 9. April im Kopf geblieben sein. Dort fuhr der Oberurseler mit den Allerbesten mit, zeigte sich immer wieder ganz vorn und musste sich erst durch einen Sturz, als ihm neben dem nach rechts ziehenden Mathieu van der Poel auf dem Kopfsteinpflaster des berüchtigten Sektors Carrefour de l'Arbre der Platz ausging, von einem möglichen Podestplatz verabschieden.
Der Schreckmoment: John Degenkolb (am Boden) stürzt auf dem Carrefour de l'Arbre, weil vor ihm Jasper Philipsen und Mathieu van der Poel von der Mitte auf den Randstreifen rüberziehen. | Foto: Cor Vos
"In dem Moment, wo der Sturz passiert ist, habe ich mich noch relativ gut gefühlt. Es war das entscheidendste Pavé-Stück und wenn ich das überlebt hätte, wäre das Podium definitiv zum Greifen nah gewesen. Ob es zum Sieg gereicht hätte, das steht in den Sternen. Es macht keinen Sinn, darüber Geschichten zu erzählen. Aber ich glaube, dass ich auf dem Podium hätte stehen können", blickte Degenkolb nun zurück.
"Ich habe mir das Rennen danach nochmal komplett angeschaut und es war schon einfach schön zu sehen, wie viel auch die Erfahrung in diesem Rennen ausmacht – wenn man genau weiß, wann man nochmal vorfahren und Positionen gutmachen kann oder wo es auch wichtig ist, mal ein paar Positionen sacken zu lassen und Energie zu sparen. Es gibt, glaube ich, kein Rennen, bei dem man das so krass ausspielen kann, wie bei Roubaix. Und ich glaube das habe ich in ziemlich guter Art und Weise gezeigt."
Durch den Sturz zurückgeworfen kam Degenkolb schließlich als Siebter mit 2:35 Minuten Rückstand auf Sieger van der Poel und rund 1:45 Minuten hinter dem Rest der bis zum Crash siebenköpfigen Spitzengruppe im Velodrom an. Die Enttäuschung saß tief, auch einige Tage danach noch. Erst ein Kurzurlaub mit seiner Familie brachte ihn auf andere Gedanken – und auch der Zuspruch von den Fans half sehr, wie er nun gegenüber radsport-news.com betonte. Es war sogar das Erste, was ihm einfiel, als er auf den 9. April angesprochen wurde.
Publikumsliebling: John Degenkolb mit einem jungen Fan bei der Tour de France. | Foto: Cor Vos
"Zuallererst würde ich gerne hervorheben, wie krass die Unterstützung im Anschluss an das Rennen war. Das war echt beeindruckend und da muss ich mich echt bei jedem einzelnen Fan für die Nachrichten und so bedanken. Ich wurde wochenlang überall, wo ich hingegangen bin, darauf angesprochen. Das war schon echt megakrass zu sehen, wie das wahrgenommen wurde und wie sich jeder mit dem Drama identifizieren konnte", so Degenkolb.
Doch nicht nur in Roubaix fuhr der 34-Jährige 2023 stark, auch bei anderen Eintagesrennen überzeugte er. Degenkolb wurde Zwölfter bei Gent-Wevelgem, 19. bei der Flandern-Rundfahrt, 16. der Weltmeisterschaften, 14. In Plouay beim Bretagne Classic und Achter bei den Europameisterschaften in Drenthe – und bei allen Rennen fiel auf: Degenkolb war immer über das ganze Rennen ganz vorn dabei, positionierte sich glänzend.
"Ich habe oft gesehen, dass die Zeichen noch gut stehen und das gibt mir Selbstbewusstsein und Motivation, dort weiterhin voll All-In zu gehen, weil ich sehe, dass ich gerade bei den Eintagesrennen noch richtig was reinwerfen kann", erklärte er, dass gerade die Eintagesrennen auch in Zukunft sein Metier sein sollen. Das erste große Saisonziel 2024 heißt, das dürfte niemand überraschen, natürlich wieder Paris-Roubaix – auch wenn der Weg dorthin diesmal auch ein paar kleinere Rennen beinhalten könnte, wie er andeutete.
Statt wie hier bei der Tour 2023 Sam Welsford, wird Degenkolb 2024 eher Fabio Jakobsen oder Casper van Uden durchs Peloton pilotieren. | Foto: Cor Vos
"Die Flandern-Rundfahrt können halt nicht viele gewinnen. Deshalb verstehe ich den Ansatz voll und ganz, uns auf die Rennen zu konzentrieren, wo wir vorne mitmischen können", sagte der 34-Jährige, der wie im Vorjahr erneut in Saudi-Arabien in die Saison starten und danach an die Algarve reisen wird. Insgesamt wird es ein Hin-und-her-Springen zwischen Klassikerprogramm und Aufgaben im DSM-Sprintzug, in dem Degenkolb für Casper van Uden und Neuzugang Fabio Jakobsen auch gerne eine Rolle spielen würde.
Doch egal ob Sprintzug oder eigene Ergebnisse bei Eintagesrennen, Degenkolbs Motivation ist ungebrochen. Auch wenn er am 7. Januar 35 Jahre alt wird und sein Vertrag Ende 2024 ausläuft: Ans Aufhören denke er absolut noch nicht, betonte er. Er schaue zwar nun von Jahr zu Jahr und horche in sich hinein, ob er sich noch voll dem Leben als Radprofi verschreiben wolle. Doch bislang sei das der Fall.
"Eins ist klar: Solange ich Radprofi bin will ich keine Kompromisse machen und kein schlechtes Gefühl haben, meine Familie zuhause zu lassen, um ins Trainingslager oder zu Rennen zu fliegen. So lange ich da noch die volle Bereitschaft habe - und aktuell macht es mir noch wahnsinnig viel Spaß! - und ich sehe, dass ich die körperlichen Voraussetzungen noch habe, werde ich schauen, wie lange es weitergeht", erklärte er und veranschaulichte das Ausmaß der persönlichen Motivation mit einem Blick aufs Dezember-Trainingslager in Calpe: "Wir haben extrem viel trainiert, muss ich wirklich sagen. Das waren sehr viele Stunden! Ich kann mich nicht erinnern, dass ich in den letzten Jahren dort so viel trainiert habe."
Einen ganz besonderen Antrieb stellt auch ein spezieller Termin am 3. August dar: Das Olympia-Straßenrennen in Paris. Degenkolb macht keinen Hehl daraus, dass er dort sehr gerne einen der nur zwei deutschen Startplätze besetzen würde.
Im Nationaltrikot des BDR war Degenkolb 2023 sowohl bei der WM als auch bei der EM der Stärkste. | Foto: Cor Vos
"Da dabei zu sein, ist schon auch nochmal ein Traum und ein großes Ziel. Ich denke, ich habe gerade dieses Jahr mit der EM und der WM auch gezeigt, dass ich weiterhin auch der Richtige sein kann – auch wenn wir nur zwei Startplätze haben. Die Strecke und auch die Distanz sollten mir entgegenkommen", meinte er. "Deshalb würde ich mich im Frühjahr sehr gerne auch dafür nochmal empfehlen. Meine Ambition ist jedenfalls angemeldet."
Und tatsächlich sollte sich Nationalcoach André Greipel wohl mit der Option, den Routinier in Paris ins Rennen zu schicken, auseinandersetzen. 2023 jedenfalls war im deutschen Nationaltrikot und bei großen Eintagesrennen auf einem hügeligen Kurs, wie er in Paris wartet, kein anderer Deutscher besser als Degenkolb.
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