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19.03.2022 | (rsn) - In den Tagen vor der 113. Austragung von Mailand-Sanremo wurde angesichts der Teilnahme von Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) viel über neue Kletterrekorde am Poggio spekuliert. Matej Mohoric (Bahrain – Victorious) entschied das Rennen allerdings auf der letzten Abfahrt für sich. Der Slowenische Meister konnte seinen dort herausgefahrenen Vorsprung vor dem Überrschungszweiten Anthony Turgis (Total Énergies) und Mathieu van der Poel (Alpecin – Fenix) ins Ziel retten. Als bester Deutscher kam Simon Geschke (Cofidis) auf Rang 32 ins Ziel.
Im Auslauf hinter dem Ziel auf der Via Roma atmete Mohoric einmal tief durch und schüttelte demonstrativ eine Hand vor seinem Körper. Eine Geste, die bedeuten soll: Das war eine ganz schön haarige Angelegenheit. Diese Geste traf die Risiken ganz gut, die der 27-Jährigenauf der letzten Abfahrt genommen hatte. Mohoric nutzte jeden Millimeter der Straße aus, um seinen Vorsprung vor den letzten beiden flachen Kilometern auf knapp fünf Sekunden zu erhöhen. Im Ziel waren davon noch übrig
“Ich habe darüber den ganzen Winter über dieses Rennen nachgedacht. Ich wusste, dass, wenn ich gut trainiere und in einer so guten Verfassung bin, dass ich mit den Besten über den Poggio komme, ich eine Chance habe“, sprudelte es aus dem glücklichen Mohoric nach dem Rennen nur so heraus. Nachdem er 2019 schon den fünften Platz belegte und 2020 Zehnter war, konnte er nun als erster Slowene die Classicissima gewinnen.
Husarenritt von langer Jand geplant
Dabei war der Husarenritt vom Poggio von langer Hand vorbereitet. “Das Team hatte die Idee, einen Dropper Post zu benutzen und hat ein spezielles Rad für mich vorbereitet. Wir haben das lange geplant. Erst dachte ich, dass das keinen großen Unterschied macht. Aber als ich es das erste Mal ausprobiert habe, war ich erstaunt: Es war sicherer und schneller. Es ist einfacher, Fehler zu vermeiden“, erklärte Mohoric die Vorteil der speziell einstellbaren Sattelstütze in der Abfahrt.
Die Vorbereitung auf das Saisonhighlight verlief jedoch nicht ganz problemlos. “Nachdem ich Februar krank war, bin ich in eine gute Form gekommen. Bei der Strade Bianche bin ich mit Alaphilippe gestürzt und musste mehrere Tage pausieren, weil mein Knie wehtat. Aber ich habe nie aufgehört, zu glauben. Ich habe viel Physio gemacht und versucht die Form zu konservieren. Heute habe ich mich nicht überragend gefühlt, aber es war genug, um mit den Besten über den Poggio zu kommen“, beschrieb Mohoric seinen bisher eher wechselhaften Saisonverlauf.
Neben dem Sieger meldete sich van der Poel mit einer hervorragenden Form aus seiner langen Verletzungspause zurück. Der Niederländer musste zwar noch dem späten Angreifer Turgis den Vortritt lassen, dürfte aber mit seinem ersten Podiumplatz in Sanremo zuversichtlich in die restliche Klassikersaison starten.
"Ich bin immer noch enttäuscht", sagte van der Poel nach seinem dritten Platz. "Ich habe den Sprint der Top-Favoriten um Platz drei gewonnen habe, deshalb ist es schade, dass wir heute nicht um den Sieg sprinten konnten, aber so ist Mailand-Sanremo. Es ist schon ein paar Mal so gelaufen. Wir wissen ja alle, dass Matej Mohoric schnell abfahren kann. Ich dachte, die Verfolgergruppe sei groß genug, um die Lücke zu schließen, als wir unten waren. Ich denke aber auch, dass er es verdient hat. Es ist stark, wenn man den Abstand bis ins Ziel halten kann."
Der als Topfavorit gehandelte Tadej Pogacar (UAE - Emirates) ackerte sich am Poggio vergeblich ab und musste sich hinter Michael Matthews (BikeExchange – Jayco) mit dem fünften Platz begnügen. Wout Van Aert (Jumbo - Visma), ebenfalls ein heißer Kandidat, kam als Achter ins Ziel auf der Via Roma.
So lief das Rennen:
Bei strahlendem Sonnenschein machte sich das Feld um 9.50 Uhr auf den langen Weg nach San Remo. Nicht dabei waren aufgrund von Erkrankungen zahlreiche Stars wie etwa der Vorjahreszweite Caleb Ewan (Lotto Soudal), Weltmeister Julian Alaphilippe (Quick-Step Alpha Vinyl), Europameister Sonny Colbrelli (Bahrain Victorious), Ex-Sieger John Degenkolb (Lotto Soudal) oder auch Titelverteidiger Jasper Stuyven (Trek-Segafredo).
Kurz nach dem scharfen Start saß schon die erste Attacke. Die beiden Kasachen Yevgeniy Gidich und Artyom Zakharov (beide Astana Qazaqstan), die Italiener Alessandro Tonelli (Bardiani-CSF-Faizanè), Filippo Tagliano (Drone Hopper – Androni Giocattoli), Samuele Rivi (Eolo - Kometa) und Filippo Conca (Lotto Soudal) sowie die Spanier Diego Pablo Sevilla (Eolo – Kometa) und Ricardo Alejandro Zurita (Drone Hopper – Androni Giocattoli) erhielten bei von Anfang an hohem Tempo vom Feld einen Maximalvorsprung von rund sieben Minuten, in dem in den folgenden Stunden Jumbo - Visma in Gestalt von Jos van Emden die Schlagzahl vorgab.
Auch nach dem Turchini-Pass, der nach einjähriger Auszeit wieder ins Profil zurückgekehrt war und etwa zur Rennmitte überquert wurde, behaupteten die neun Ausreißer ihren Vorsprung auf das Feld, in dem sich nach wie vor einzig Van Aerts Helfer im Alleingang für die Tempoarbeit verantwortlich zeigten, während sich etwa UAE Emirates in fast voller Mannschaftsstärke in zweiter Reihe versammelte. Ein Sturz rund 116 Kilometer vor dem Ziel, bei dem Fahrer von Movistar und Bardiani - CSF ohne Folgen zu Boden gingen, sorgte nach langer Zeit für eine gewisse Aufregung.
Pidcock muss an der Copa Berta passen, Sagan mit Defekt-Pech
Auf der Passage entlang der Küste machte das Feld keine Anstalten, den Rückstand auf die Spitzengruppe zu verkürzen, auch wenn sich mittlerweile weitere Teams wie Trek - Segafredo mit Jacopo Mosca, EF Education - EasyPost mit Jonas Rutsch und Bahrain Victorious mit mehreren Fahrern weiter vorne zeigten. Auf den letzten 80 Kilometern erbrachten die nun kollektiven Anstrengungen der Verfolger erste Ergebnisse.
Eingangs der Copa Mele, die gut 50 Kilometer vor dem Ziel das hügelige Finale einläutete, war der Abstand auf weniger als fünf Minuten zurückgegangen. Zwischen den folgenden Capo Cervo und Capo Berta fiel die Spitzengruppe auseinander. Conca musste kurz darauf mit starken Krämpfen in beiden Beinen sogar absteigen und sich massieren lassen, ehe er doch wieder aufs Rad stieg. Vorne blieben neben dem Eolo-Duo noch Gidych und Tonelli übrig, während an der Copa Berta überraschenderweise Cross-Weltmeister Thomas Pidcock (Ineos Grenadiers) zurückfiel. Kurz vor der Cipressa musste Peter Sagan (TotalEnergies) mit einem Defekt das Rad wechseln und büßte alle Chancen ein.
Das Spitzenquartett erreichte den Fuß der vorletzten Steigung des Tages mit nur noch knapp zwei Minuten Vorsprung auf das Feld, in dem bereits die Teams der Favoriten ihre Kapitäne in Position zu fahren versuchten. An der 5,5 Kilometer langen und vier Prozent steilen Cipressa schraubten UAE und Jumbo - Visma das Tempo hoch. An der Spitze ließen Tonelli und Rivi ihre Begleiter hinter sich und überquerten die Kuppe rund 40 Sekunden vor dem nur noch rund 30 Fahrer umfassenden Feld, in dem nun Pogacars Edelhelfer Davide Formolo die Spitze übernommen hatte.
Tonelli und Rivi nach 285-km-Flucht eingefangen
Bei mittlerweile extrem hohen Tempo stellten Verfolger das tapfer kämpfende Duo am Fuß des Poggio neun Kilometer vor dem Ziel. Van Aert nahm mit Pogacar am Hinterrad den entscheidenden Anstieg des Tages an zweiter Stelle in Angriff. Noch im unteren Teil des Poggio attackierte Pogacar ein erstes Mal, konnte aber keine Lücke reißen.
Knapp acht Kilometer vor dem Ziel ging der zweimalige Tour-Sieger ein weiteres Mal in die Offensive, doch auch hier blieben die Konkurrenten am Hinterrad des Slowenen. Danach setzte sein Teamkollege Primoz Roglic einen Konter, den diesmal van der Poel neutralisierte. Gleiches geschah mit Pogacars dritter Attacke, ehe der Antritt von Sören Kragh Andersen (DSM) kurz vor dem Gipfel des Poggio für eine deutliche Selektion sorgte.
Am Hinterrad des Dänen klebten Pogacar, van der Poel und Van Aert, die aber in der Abfahrt von Mohoric eingefangen wurden. Prompt setzte sich der Slowene vier Kilometer vor dem Ziel mit einem waghalsigen Angriff ab, wobei der Slowenische Meister so schnell unterwegs war, dass er sogar in den Windschatten des Fernseh-Motorrads kam.
Bei den Verfolgern war es nun van der Poel, der sich auf die Verfolgung machte. Bei Gegenwind am Ende der Abfahrt formierte sich eine rund zehnköpfige Verfolgergruppe, die Mohoric, der sich auch von einem kurzzeitigen Defekt auf der Zielgeraden nicht mehr aus dem Tritt bringen ließ, allerdings vergeblich jagte. Auf den letzten Metern versuchte Turgis noch verzweifelt, die Lücke zu dem späten Ausreißer zu schließen, doch schließlich waren es zwei Sekunden, die dem Franzosen ebenso wie van der Poel und weiteren fünf Fahrern fehlten.