Tour du Maroc-Tagebuch von Embrace the World

Einer der abwegigsten Träume, die ich jemals hatte

Von Hermann Keller

Foto zu dem Text "Einer der abwegigsten Träume, die ich jemals hatte"
Das Team Embrace the World | Foto: Nils Laengner / ETW Cycling

08.04.2019  |  (rsn) - Endlich schicke ich sonnige Grüße aus dem wunderschönen Marokko. Auf dem Programm stand heute die erste richtige Bergetappe. Doch zuvor gab es am Startort noch einen ausgezeichneten Kaffee. Hier hat wirklich jedes noch so kleine Café eine Siebträgermaschine und die äußerst gastfreundlichen Marokkaner wissen diese auch zu bedienen.

Bei besten Bedingungen ging es also dann zum Einschreiben und zur kurzen Taktikbesprechung. Der Plan heute war, mit Matthias Plattner eine Gruppe zu besetzen, damit er im weiteren Verlauf der Etappe Heiko, Matias aus Neuseeland oder mir helfen kann. Basti wollte es nach seinem Sturz gestern erstmal ruhig angehen lassen. Ich selbst wollte schauen, wie weit ich komme, da es die letzten beiden Tage über die “Berge“ sehr gut lief. Insgeheim träumte ich schon davon, vielleicht in der Verfolgergruppe das Ziel zu erreichen. Im Nachhinein einer der abwegigsten Träume, die ich jemals hatte. Dies lag wohl an den 185 Kilometern über sechs Bergwertungen. Was ich leider erst nach der Etappe wusste: Insgesamt ging der ganze Spaß über 3980 Höhenmeter.

Doch alles der Reihe nach. Der Startschuss fiel und selbstverständlich ging es direkt los wie vom anderen Stern. Den Plan, eine frühe Gruppe zu besetzen, hatten wohl sehr viele Teams, weshalb einfach keine Gruppe fahren gelassen wurde. Nach sechs Kilometern ging es in den ersten Berg und nach kurzer Zeit kam mir Matthias entgegen. Sein Plan war also schief gegangen, er fiel gemeinsam mit Basti und etwa 30 weiteren Fahrern zurück. Macht nichts, wir hatten ja noch seinen Fast-Namensvetter mit den montierten Bergbeinen, den Berg-Heiko und mich an der Spitze. Das Tempo vorne blieb, zumindest in meinen Augen, viel zu schnell, weshalb auch die Gruppe immer kleiner wurde. Relativ schnell verlor ich den Spaß und vielleicht auch ein wenig die Puste und musste, nach kurzer Fahrt in der Kolonne und einigen wilden Aufholjagden in den Abfahrten, nach 62 Kilometern meine Segel streichen und den Traum begraben. Zuvor versuchte ich allerdings noch, Heiko und Matias so gut wie möglich zu unterstützen. Tatsächlich brachte ich sie hin und wieder in Position und nahm sie aus dem Wind.

Mein Rennen lief dann kurz zusammengefasst wie folgt: Im Gruppetto ging es eher im humanen Tempo den langen Berg hinauf. Mein persönliches Highlight vollbrachte hier das spanische Team. Zuerst wechselte einer der Fahrer vier Mal sein Rad, wieso, konnte ich nicht herausfinden. Den Vogel schoss dann aber der Betreuer ab. Der kam nämlich plötzlich von hinten, in hochgekrempelten Jeans, Sportpolohemd, Radschuhen und Helm auf dem Ersatzrad und leistete uns für knappe zwei Kilometer Gesellschaft. Auch hier habe ich keine Erklärung für, aber möglich erscheint mir, dass sich die beiden Fahrer über das zu hohe Tempo in unserer Gruppe beschwerten und er sie eines Besseren belehren wollte. Leider reichte seine Ausdauer jedoch nur für kurze Zeit und er stieg wieder vom Rad. Nach 110 Kilometern schloss das große Gruppetto um Basti und den Eidgenossen auf und wir fuhren die restlichen 75 Kilometer über äußerst hügeliges Terrain zwar im gemäßigten Tempo, aber unter hoher Anstrengung.

Das Rennen an der Spitze kann ich nur aus Erzählungen wiedergeben, habe aber äußerst gute Quellen. Es ging weiter, wie es für mich aufgehört hatte. Das Tempo war sehr hoch und daraus resultierend herrschte ein wildes Kommen und Gehen in der großen Gruppe. Es konnte sich eine Spitzengruppe bilden, aus der heraus ein Belgier 70 Kilometer vor dem Ziel attackierte und das wirklich auch nach Hause fuhr.

Die Spitzengruppe sowie das Feld fuhren sich bei starkem Wind und sehr hohem Tempo auseinander. Heiko und Matias konnten sich jedoch lange in der ersten großen Gruppe behaupten, welche um Platz sieben fuhr. Im Schlussanstieg gingen hier nochmals kleine Lücken auf, aber der Mann vom anderen Ende der Welt konnte sich einen hervorragenden 12. Etappenplatz mit 10:15 Minuten Rückstand sichern. Dadurch belegt er nun den vierten Platz in der Nachwuchswertung mit nur wenigen Sekunden Rückstand auf Platz drei! Heiko verpasste als 16. Knapp die Top 15, fuhr aber dennoch ein äußerst starkes Rennen. Die Fahrzeit der beiden betrug ca. 5:30 Stunden.

Meine Fahrzeit war nur unwesentlich länger und ich überquerte nach rund 6:10 Stunden als Träger der roten Laterne (Letzter) das Ziel. Basti und Matthias befanden sich etwas weiter vorn in unserem 30 Mann-Gruppetto.

Ich kann nur sagen, so etwas bin ich bisher noch nicht gefahren. Der Wind machte diese Etappe wirklich zu einer großen Herausforderung. Am Berg musste meine komplette Gruppe kurzzeitig anhalten und warten, bis die Windböe sich legt, da wir alle rechts in den Graben geweht wurden. Auch in den Abfahrten wurden wir immer wieder von Windböen etwas verblasen, was einem dann doch einen recht großen Schock einjagt, wenn man mit Geschwindigkeiten von bis zu 110 km/h (meine Höchstgeschwindigkeit heute) den Berg hinabsaust. Dennoch war die Runde wunderschön, da Marokko eine atemberaubende Landschaft zu bieten hat, die wir heute entlang der Küste den ganzen Tag bewundern durften.

Morgen wird es wieder flacher, was drei von fünf Fahrern unseres Teams gut finden. Eventuell erratet ihr ja, wer auf welcher Seite steht.

Vielen Dank für’s Lesen, bis morgen!

Nur die besten Grüße aus Al Hoceima,
Hermann

Mehr Informationen zu diesem Thema

14.04.2019Ich hatte den Etappensieg schon vor Augen

(rsn) - Heute kann ich statt der Abschiedsgrüße, Liebesgrüße nach Moskau senden. Aber darauf komm ich gleich nochmals zurück. Erst möchte ich das tolle Frühstück in dem riesigen Hotel in Marra

12.04.2019Es war der Horror

(rsn) - Hallo zu einer neuen Episode meines Tagebuchs. Heute werde ich mich etwas kurzhalten, da mich die Etappe doch sehr mitgenommen hat. So ist zumindest der Plan. Das Frühstück lief ähnlich

11.04.2019Von einem Kletterer, gefangen im Körper eines Sprinters

(rsn) - Die Rundfahrt neigt sich dem Ende zu, das merkt man den Fahrern an. Wir kamen heute zum Frühstück, doch leider war alles weg, da schon ordentlich gespachtelt wurde. Glücklicherweise wurde n

11.04.2019Am Start war uns klar: Das wird heute kein Spaß

(rsn) - Ein herzliches Hallo von der Tour du Maroc. Da heute ein 2-stündiger Transfer vom Hotel zum Startort anstand, mussten wir sehr früh aufstehen. Obwohl ich sonst eigentlich kein Morgenmuffel b

09.04.2019Ich war auf mich allein gestellt und mein Herz gebrochen

(rsn) - Halbzeit-Grüße von der Tour du Maroc. Nachdem auch heute der Transfer ausfiel, konnten wir ausschlafen und ein ausgiebiges Frühstück genießen. Wir sind jeden Tag in sehr guten Unterkünft

09.04.2019Kulinarische Stadtbesichtigung mit drei Abendessen

(rsn) - Und täglich grüßt das Murmeltier aus Marokko. Geweckt wurden wir im Hotel von strahlendem Sonnenschein und einem sehr guten Frühstück mit frisch gepresstem Orangensaft. Der Morgen war äu

07.04.2019Nach der Fehlleitung ein äußerst chaotisches Finale

(rsn) - Zum zweiten Mal grüße ich von der Tour du Maroc. Leider kann ich auch heute keine sonnigen Grüße übersenden, da auch die 2. Etappe im Regen stattfand. Um dem vor dem Start zu entgehen, su

06.04.2019Den neutralisierten Start haben sie wohl abgeblasen

(rsn) - Einen wunderschönen guten Abend wünsche ich aus Marokko. Heute (Freitag) fand hier die 1. Etappe der Tour du Maroc (2.2) statt. Doch zunächst ein Stück zurück… Als ich mir beim Packen

Weitere Radsportnachrichten

26.07.2025Groves gewinnt vorletzte Tour-Etappe als Solist

(rsn) - Mit einem 17 Kilometer langen Solo hat Kaden Groves (Alpecin - Deceuninck) die 20. Etappe der Tour de France gewonnen. Über 182 Kilometer zwischen Nantua und Portalier, die weitestgehend im R

26.07.2025Zwei Millionen Euro Ablöse für Evenepoel? Nächstes Kapitel im Wechselpoker

(rsn) – Ob Remco Evenepoel diesen Winter von Soudal – Quick-Step zu Red Bull - Bora – hansgrohe wechseln wird, beschäftigt seit Wochen die Gemüter. Verschiedene Journalisten melden verschieden

26.07.2025Niewiadoma, Vollering & Co. über ihre Chancen bei der Tour de France Femmes

(rsn) – Die 4. Tour de France Femmes steht in den Startlöchern. Sobald die Männer ihre 20. Etappe hinter sich gebracht haben, machen sich die Frauen auf den Weg zu ihrer ersten Etappe. Der Ausgang

26.07.2025Liste der ausgeschiedenen Fahrer / 20. Etappe

(rsn) - 184 Profis aus 23 Teams sind am 5. Juli im nordfranzzösischen Lille zur 112. Tour de France (2.UWT) angetreten, darunter zehn Deutsche, drei Österreicher und fünf Schweizer. Hier listen

26.07.2025Onley nahm den Kampf ums Podium auf und verlor - vorerst

(rsn) - Oscar Onley (Picnic – PostNL) hatte vor dem Start der 19. Etappe der Tour de France hinauf in die Skistation La Plagne einen großen Kampf angekündigt, um Florian Lipowitz (Red Bull – Bor

26.07.2025Acht Monate auf Bewährung für den Flitzer von Valence

(rsn) – Für seinen kurzen Moment der in der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, den die französische Polizei im Ziel der 17. Etappe der Tour de France mit einem gut getimten Bodycheck schnell wied

26.07.2025Warum griff Roglic nach La Plagne an, statt Lipowitz zu helfen?

(rsn) - Als Primoz Roglic zu Beginn der 19. Etappe der Tour de France plötzlich attackierte, sah es nach einer guten Taktik aus, um Florian Lipowitz im Kampf um das Podium und dem Weißen Trikot zu u

26.07.2025Genau das Richtige für Puncheure und Klassikerjäger

(rsn) - Die 20. Etappe der Tour de France bietet eine letzte Chance für Ausreißer und Angreifer, bevor es nach Paris geht. Auf den 184 Kilometern von Nantua nach Pontarlier müssen immerhin 2.850 HÃ

26.07.2025Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir über die wic

25.07.2025Ausreißer Arensman foppt Pogacar zum zweiten Mal

(rsn) - Es war leider nicht herauszufinden, ob das Nordlicht aus der Provinz Gelderland mit dem größten Coup der Fangemeinde des FC St. Pauli aus Hamburg vertraut ist. Als der Bundesligaklub aus dem

25.07.2025Erst kurz hinter der Ziellinie geriet das Gelbe Trikot in Gefahr

(rsn) – Im Ziel der 19. Etappe der Tour de France wurde es für das Gelbe Trikot doch nochmal brenzlig. Ein übereifriger Ordner stürmte auf Tadej Pogacar (UAE – Emirates – XRG) zu und rannte d

25.07.2025Gall jagte mit nur einem Gedanken hinauf nach La Plagne

(rsn) – Dass Felix Gall (Decathlon – AG2R La Mondiale) einmal diese Worte sagen würde, hätte er sich wahrscheinlich auch nicht vorstellen können. “Vor dem Schlussanstieg haben meine Teamkolle

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Tour de France (2.UWT, FRA)
  • Radrennen Männer

  • Dookola Mazowsza (2.2, POL)
  • Ethias-Tour de Wallonie (2.Pro, BEL)
  • Radrennen Frauen

  • Kriterium Offenbach (BLF, GER)