Kommentar zum Nominierung des WM-Kaders

Es kann nur einen geben? Papperlapapp! Doppelspitze, olé!

Von Felix Mattis

Foto zu dem Text "Es kann nur einen geben? Papperlapapp! Doppelspitze, olé!"
Gemeinsam nach Katar: Marcel Kittel (li.) und André Greipel | Foto: Cor Vos

27.09.2016  |  (rsn) - Eigentlich hätte an dieser Stelle ein anderer Text erscheinen sollen. Unter dem Arbeitstitel "Es kann nur einen geben! - Äh, warum das?" stand mein Kommentar für den Abend vor der für morgen angekündigten Veröffentlichung des deutschen WM-Kaders der Männer abschussbereit in den Startlöchern unseres Redaktionssystems. Um 20 Uhr wäre es online gegangen, das Plädoyer für eine Doppelspitze.

Nach allen Verlautbarungen der letzten Wochen und Monate aus sämtlichen Lagern war damit zu rechnen, dass nur eines der beiden deutschen Sprint-Asse André Greipel und Marcel Kittel mit in die Wüste genommen würde. Auch die meisten Experten waren sich einig, dass der Griff nach dem ersten WM-Gold seit Rudi Altig 1966 nur so funktioniere. Gerade wegen des kleinen Sechs-Mann-Kaders, der Deutschland auf Rang elf der Nationen-Weltrangliste nur zusteht. Und weil Greipel und Kittel ja angeblich ganz sicher überhaupt gar nicht an einem Strang ziehen werden!

Doch der Bund Deutscher Radfahrer hat heute, einen Tag früher als angekündigt, eine Überraschung aus der Kiste gelassen: Greipel als Kapitän und Kittel als Edeljoker - beide sollen nach Doha fliegen. Mein Plädoyer wurde erhört, bevor es überhaupt veröffentlicht werden konnte. Magie. Bravo!

Bravo auch, weil zu dieser Entscheidung gegen die Allgemeinmeinung Mut gehört, den Kritiker nun als Ignoranz, Inkompetenz oder sonstwie bezeichnen werden. Allerorts wird man lesen und hören, dass es duckmäuserisch sei, sich vor der Entscheidung für Greipel und gegen Kittel oder andersherum zu drücken. Und wenn am Ende in Doha nicht der WM-Titel oder wenigstens eine Medaille herausspringt, dann wird das Geschrei noch einmal laut sein: 'Wir haben es doch gesagt! Eine Doppelspitze konnte ja nicht funktionieren!'

Papperlapapp! Mit nur einem der beiden Sprint-Asse wäre die Medaillenchance deutlich kleiner als mit beiden. Wenn ich beim Poker zwei Asse auf der Hand habe, dann pfeffere ich nicht eines davon in den Papierkorb. Was, wenn es auf den sieben Schlussrunden rund um die künstliche Insel 'The Pearl' kracht und der alleinige Kapitän stürzt? Bei 168 Kreisverkehren (sieben Runden à 24)  ist das nicht unbedingt ein an den Haaren herbeigezogenes Szenario. Was, wenn sein Material im Finale streikt? Wüstensand war noch nie der beste Freund von Rennrädern. Das zweite Ass hätte dann in Erfurt oder Hürth im Papierkorb oder auf dem Sofa gelegen, anstatt in Doha die Kohlen aus dem Feuer holen zu können.

Sicher kann man am Ende des Rennens mit einem Sechs-Mann-Kader keine zwei Sprintzüge aufbauen. Aber muss ausgerechnet das kleine deutsche Team einen Sprintzug in klassischer Cipollini-Saeco-Manier aufziehen?! Wie oft hat in dieser WorldTour-Saison ein perfekt durchgezogenes Acht-Mann-Leadout seinen Sprinter an erster Stelle auf die Zielgerade gebracht und ihm den Sieg serviert?

Das Idealszenario wird im modernen Radsport seltener! Und auf dem kurvigen Pearl-Rundkurs wird das Bilden und vor allem das Zusammenhalten eines Zuges von mehr als drei Mann sehr, sehr schwer. Flexibilität wird da der Schlüssel zum Erfolg. Und die ist mit Kittel als Joker neben Kapitän Greipel für einen Wild-West-Sprint gegeben.

Klar: Wenn sich von sechs Mann zwei für den Sprint schonen, bleiben nur noch vier Arbeitsbienen für den Rest des Rennens. Aber glaubt denn jemand ernsthaft, dass diese vier 250 Kilometer lang das Rennen kontrollieren und dann auch noch das Peloton auf die Zielgerade führen müssen? Diese Vorstellung entspringt deutscher Hochnäsigkeit und Selbstüberschätzung.

In den letzten Wochen gewannen gefühlt 185 unterschiedliche Fahrer einen Massensprint auf Weltklasse-Niveau. Greipel und Kittel verloren beide gegen Caleb Ewan (Australien), Dylan Groenewgen (Niederlande) sowie mehrfach gegen Peter Sagan (Slowakei) - und wenn man bis zur Tour zurückblickt, auch gegenMark Cavendish (Großbritannien).

Dazu kommen die Franzosen mit Arnaud Démare und Nacer Bouhanni, die Italiener mit Elia Viviani, die Kolumbianer mit Fernando Gaviria und natürlich die Norweger mit Alexander Kristoff und Edvald Boasson Hagen: Fast jede derzeit große Radsportnation darf sich in einem Massensprint in Doha berechtigte Hoffnungen auf Gold machen.

Anhand der Sprintresultate dieser Saison ist nicht davon auszugehen, dass sie alle die Beine hochnehmen und sagen: "Gegen Greipel oder Kittel haben wir doch sowieso keine Chance! Ihr Deutschen müsst hier alles zusammenhalten. Und wenn ihr das nicht schafft, dann gibt's eben keinen Sprint!" Auch die Sportdirektoren der anderen Sprinter-Nationen wissen, dass dem deutschen Team mit einem Sechs-Mann-Kader die Hände gebunden sind und müssen darauf reagieren - egal ob vier oder fünf Deutsche Helferdienste leisten, deutlich weniger als acht sind es allemal.

Gerade die Sprint-Niederlagen Greipels und Kittels bei der Eneco Tour werden in Doha dafür sorgen, dass die Verfolgungsarbeit von Ausreißergruppen delegiert werden kann. Es dürften schließlich einige Kontrahenten Blut geleckt haben.

Die Entscheidung der BDR-Spitze um die Sportlichen Leiter Jan Schaffrath und Andreas Klier sowie BDR-Sportdirektor Patrick Moster und den Rest des Präsidiums, Greipel und Kittel mitzunehmen, ist richtig - auch wenn die Erklärung von BDR-Vize-Präsident Udo Sprenger, dass "diese Variante mehr taktischen Spielraum" lasse, so nicht sticht. Denn als echte taktische Alternativ-Variante ist ein Ersatzsprinter im Kader wohl weniger zu betrachten als der Sprung in eine späte Spitzengruppe, der durch die nun daheimgelassenen Marcus Burghardt oder Christian Knees möglich geworden wäre.

Nun ist es die Aufgabe der Protagonisten selbst, zu einem Team zusammenzuwachsen, das in Doha an einem Strang zieht. Ja, darin sehen viele das größte Problem. Doch, seien Sie versichert: Radprofis sind erwachsene Menschen! Gerade Greipel und Kittel haben das in den vergangenen Wochen und Monaten vorbildlich bewiesen, indem sie auf verbales Säbelrasseln völlig verzichteten.

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