Gast-Kommentar zum Stunden-Weltrekordversuch

Voigt will zum Mount Everest

Von Klaus Angermann

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Die Moderatoren-Legende Klaus Angermann, der Autor dieser Zeilen, war Zeitzeuge für ZDF und Eurosport bei den Weltrekordversuchen von Merckx, Moser, Rominger und Boardman.

07.09.2014  |  (rsn) - Jens Voigt (Trek) will zum Abschied noch den Stunden-Weltrekord brechen. Der Radsportwelt blieb ob dieser Ankündigung aus heiterem Himmel die Spucke weg: Sein so knapp gescheitertes Colorado-Solo war also gar nicht der internationale Schlussakkord dieser langen erfolgreichen Karriere, sondern "nur" der Prolog für noch einen Weltrekordversuch.

Mit seinen 43 Lenzen wagt sich der "Terrier" an ein seit 121 Jahren existierendes Rad-Monument. Dieses schlummert zwar schon fast zehn Jahre lang vor sich hin; denn seit der 49,700 - Kilometer-Bestmarke neuer Zeitrechung des Tschechen Ondrej Sosenka (2005) hat sich kein Rennfahrer mehr dieser Herausforderung gestellt. Doch vielleicht holt Jens Voigt mit seinem kühnen Vorhaben dieses Denkmal nun aus der Versenkung zurück, poliert es auf; macht es wieder reizvoll auch für andere nach ihm.

Denn einst war der Besitz des Stunden-Weltrekords gleichzusetzen mit dem Prestige eines großen Klassikers. Warum sonst hätten die Coppi, Anquetil, Riviere, Moser, Merckx, Indurain, Rominger oder Boardman so sehr danach gestrebt und sich so gequält für diese Bestmarke? Oder vor ihnen noch die Oscar Egg, Alfred Ruegg, Ercole Baldini...?

Manche Weltklassefahrer, Bahnspezialisten wie Gregor Braun oder Roy Schuiten, bissen sich vergebens die Zähne aus. Der Niederländer scheiterte dreimal auf der Höhe von Mexiko City (2.400m); der Deutsche wurde zuerst in Mexiko, dann in Bolivien abgewiesen - auf 4.000m Höhe.

Teure Expeditionen zum Mount Everest des Radsports. Die Idee für diese Herausforderung hatte, zehn Jahre vor "seiner" Tour de France, der berühmte Henri Desgrange. Nicht nur ein visionärer Journalist, sondern auch ein Radrennfahrer von Klasse. Seine 35,325 km am 11.Mai 1893 auf der Pariser Buffalo-Piste waren einst der Anfang - die phänomenalen 56,375 km des Christopher Boardman im September 1996 in Manchester das vorläufige Ende.

Der UCI war der nach Merckx' Rekordfahrt (49, 432 km, Oktober 1972) einsetzende Wettlauf der Technik zu gigantisch geworden, der Anteil des Materials verglichen zur menschlichen Leistung zu groß. Deshalb verbannte der Weltverband die supermodernen Renn-"Maschinen" und fror alle n a c h Merckx erzielten Rekorde ein....

Die erste neue Marke, wieder auf einem "normalen" Bahnrennrad, setzte am 27.10. 2000 in Manchester erneut Chris Boardman: 49,441 km. Fast sieben (!) Kilometer langsamer als vier Jahre zuvor mit HighTech am gleichen Ort, und gerademal neun Meter besser als Merckx im Jahre 1972. Auch das zeigt, was für ein Ausnahmesportler der Belgier gewesen ist.

Nach Boardmans "Stundenweltrekord neuer Zeitrechnung" trumpfte - wie schon erwähnt - als zweiter und bisher letzter der Tscheche Sosenka auf. Manch anderer, der prädestiniert für den Rekord der Rekorde gewesen wäre, schreckte wohl ab, dass er vom modernen Porsche hätte auf ein Oldsmobile umsteigen müssen.

Nun, endlich, wird die Rekordmarke Sosenkas angegriffen, jene 49,700 km, dank Jens Voigt. Am Donnerstag, dem 18.September, 19 Uhr, fällt im erst ein Jahr alten "Velodrome Suisse" in Grenchen dafür der Startschuss. Es ist eine 250-Meter-Holz-Bahn. Sie soll sehr schnell sein...

Wenn es Jens Voigt schafft, sie in 60 Minuten genau 199mal zu umrunden, würde die neue Stunden-Weltrekord-Marke fortan bei 49,750 km stehen. Zwar nur winzige 50 Meter besser als die alte; aber es reicht ja auch schon ein Meter, damit sich Voigt auf dem Mount Everest des Radsports ins "Gipfelbuch" einträgt.

Kritik oder gar Spott an diesem Vorhaben - wie verschiedentlich zu lesen - könnten sich seine bald Ex-Kollegen eigentlich sparen. Auch das Mäkeln an Jens Voigts "langem Abschied". Den darf er nach 18 vorbildlichen Profijahren voll genießen.

Helfen, den Stunden-Weltrekord zu knacken, wird dem Evergreen ganz sicher eine seit Mai 2014 bestehende neue UCI-Regel. Sie besagt, dass bei einem Rekordversuch das gleiche Material gestattet ist wie bei allen anderen Bahn-Ausdauer-Wettbewerben. Also mit Scheibenrädern und anderen aerodynamischen Komponenten. Man hat gelernt im Weltverband.

Entscheidend aber ist nach wie vor der Rennfahrer. Besitzt Jens Voigt die physische wie auch die psychische Stärke, diese 60 Minuten im Alleingang zu meistern? Schafft er es, das Rad 199 Runden lang ruhig unten auf der schwarzen Messlinie zu führen? Und - schafft er es, die Geschwindigkeit permanent gleichmäßig zu halten? Bei Tempo 50. Gemäß der Marschtabelle.

Ein Solo auf Straßenasphalt fährt sich anders als auf einem Holzlattenoval. In Grenchen müssen die Beine "ticken" wie ein Schweizer Uhrwerk, bei allem Schmerz, den der Rennfahrer zunehmend in Sehnen, Gelenken und, vor allem, in seinem Gesäß spüren wird. Merckx konnte sich 1972 nach den 60 Rekord-Minuten ein paar Stunden lang nicht mehr hinsetzen und schwor: "nie wieder!" Chris Boardman klagte 1996 " Mein Hinterteil fühlt sich an wie ein rohes Steak".

Es darf sich zudem während des Rekordversuchs in der Halle kein Lüftchen regen, und sie sollte - das sagt die Erfahrung früherer Rekordversuche - nicht mehr als 19 Grad Celsius haben. Aber das wird der Hallen-Betriebsleiter, Peter Wirz, ganz sicher im Griff haben. Der "Hausherr" übrigens hat im Suisse Velodrome den ersten Stunden-Rekord überhaupt aufgestellt, für Hobbyfahrer, im Juni 2014, mit 36,812 km. Chapeau!

Auf diesen Haus-Rekord wird sich Jens Voigt gewiss nicht konzentrieren. Sein Ziel sind fast 14 Kilometer pro Stunde mehr. I c h traue sie ihm zu, weil er die Klasse hat für diesen Alleingang... die Wettkampfhärte und "den Kopf"; weil der positive Höheneffekt von Colorado bis zum 18.September anhalten wird; weil es die von uns Außenstehenden nicht geahnte "heimliche" lange Vorbereitung (sogar mit einem Test in Roubaix sogar) gegeben hat... dazu die Wettkampfsteuerung nach der Tour de France.

Amerika als Abschied aus dem Renngeschehen. Da haben sich Viele gewundert: warum nicht die deutschen Cyclassics in Hamburg? Jetzt wissen wir's!

Also, auf nach Grenchen! Um diesen großartigen Rennfahrer bei seinem kühnen letzten (???) Vorhaben zu unterstützen. Von Freiburg im Breisgau sind's runde 150 Kilometer, über Basel in Richtung Bern. Bei Solothurn abbiegen nach Grenchen. Die Eintrittskarten kosten 25 CHF.

Alles weiteren Informationen finden Sie auf der Homepage von "Velodrome Suisse".

Und mich unter den Schlachtenbummlern.

Grüezi


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