Giro d´Italia: Rennbericht 15. Etappe

High Noon am Fedaia-Pass

Foto zu dem Text "High Noon am Fedaia-Pass"

Emanuele Sella wird von den Zuschauern angefeuert.

25.05.2008  |  (rsn) – Die Königsetappe des 91. Giro d’Italia, bei der Gerolsteiner nach dem frühen Ausstieg von Matthias Russ zu einem Trio geschrumpft war, begann wie erwartet hektisch. Bei bewölktem Himmel, aber auf trockenen Straßen machte Emanuele Sella (CSF Group Navigare) sofort da weiter, wo er gestern aufgehört hatte. Der 27-jährige Italiener griff im 9,2km langen Kategorie 1-Anstieg hinauf zum Passo Pordoi (2.239m) bereits nach zwei Kilometern zusammen mit dem Spanier Joaquin Rodriguez (Caisse d’Epargne) an.

Daraus folgend bildete sich eine Führungsgruppe in wechselnder Besetzung, dahinter das Feld. Sella sicherte sich auf dem Gipfel die Bergwertung, gefolgt vom Venezolaner José Rujano (Caisse d’Epargne), dem Italiener Fortunato Baliani (CSF Group Navigare), dem Russen Vladimir Karpets (Caisse d’Epargne) und Jens Voigt (CSC). In der 28,6km langen Abfahrt entstand eine neue Spitzengruppe mit Karpets, Baliani, Sella, Rodriguez und Weltmeister Paolo Bettini (Quick Step). Früh in Nöte geriet das Rosa Trikot.

Schon nach 22km war der Italiener Gabriele Bosisio (LPR) rund 1:20 Minuten hinter die Spitze zurückgefallen. Zur Gruppe Sella schlossen schließlich der Kroate Vladimir Miholjevic (Liquigas), der Kolumbianer Felix Cardenas (Barloworld), der Russe Evgeny Petrov (Tinkoff) und Jens Voigt auf. Gemeinsam erarbeiteten sich die Ausreißer nach 31km einen Vorsprung von zwei Minuten auf das Hauptfeld und nahmen den zweiten Anstieg, den 11,8km langen, bis zu 14% steilen Paso di San Pellegrino (Kat. 1, 1.918m) in Angriff. Dahinter folgte das zu diesem Zeitpunkt nur noch rund 100 Fahrer starke Feld, angeführt von Danilo Di Lucas LPR-Team.

Auch den zweiten Berg überquerte Sella als Erster und baute damit seine Führung in der Bergwertung weiter aus. Das Feld folgte 1:54 Minuten dahinter. Nach der 12km langen Abfahrt war der Vorsprung der Neun zwischenzeitlich auf rund 1:20 Minuten geschrumpft. Schon im nächsten Anstieg, dem nur 4,3km langen Kategorie 3-Berg San Tomaso Agordino, war er wieder auf 2:22 Minuten angewachsen. Auch die dritte Bergwertung des Tages holte sich Kletterkönig Sella, gefolgt von Cardenas und Karpets.

Die einzige Sprintwertung des Tages sicherte sich Bettini vor Baliani und Miholjevic. Die Rennkonstellation war zu diesem Zeitpunkt stabil, der Vorsprung der Ausreißer hatte sich bei gut zwei Minuten eingependelt. Das Hauptfeld wurde weiter von LPR angeführt. Der im Schnitt 9,4% steile und 9,8km lange Passo Giau (Kat. I, 2.236m) sorgte für seine Selektion in der Spitzengruppe. Zuerst fiel Bettini zurück, dann Cardenas, Miholjevic und Voigt, und schließlich musste Petrov reißen lassen.

Im Feld hatte derweil Andreas Klöden (Astana) Probleme und fiel aus der Gruppe mit den Favoriten heraus – und das schon 59km vor dem Ziel. Während Klöden reißen lassen musste, attackierten die Italiener Franco Pellizotti (Liquigas) und Domenico Pozzovivo (CSF Group Navigare) aus der Favoritengruppe heraus und zogen an Voigt, Bettini & Co vorbei.

In der Abfahrt hinunter vom Passo Giau attackierten Nibali (Liquigas) und Perez Cuapio (CSF Navigare) und konnten sich recht schnell einen kleinen Vorsprung herausfahren. 40 Kilometer vor dem Ziel lag das Verfolgerduo nur noch 1:20 Minuten hinter der Spitzengruppe um Sella und 45 Sekunden vor der mittlerweile 18 Fahrer Favoriten-Gruppe, in der auch Jens Voigt dabei war. Auf dem Gipfel des 10,3 km langen Passo Falzarego (Kat. 2) holte sich erneut Sella die Punkte vor Baliani und Rodriguez, 58 Sekunden dahinter folgten Nibali und Perez Cuapio, eine weitere Minute dahinter die Favoritengruppe auf mittlerweile regennassen Straßen, was die Abfahrt gefährlich machte. Andreas Klöden befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Gruppe des Rosa Trikots bereits rund fünf Minuten hinter der Spitze.

Auf der rasenden und glatten Abfahrt ging Nibali volles Risiko und schloss schnell zur Spitze auf. Etwas später vergrößerte Perez Cuapio die Spitzengruppe, wodurch nicht weniger als drei CSF-Fahrer ganz vorne vertreten waren. Die Verfolgergruppe mit den Favoriten ging dagegen ungleich vorsichtiger zu Werke und nahm die Kurven der Abfahrt mit deutlich weniger Schwung. Der Sturz des Italieners Leonardo Piepoli (Saunier Duval) bewies, dass Vorsicht angebracht war. Der wichtigste Helfer von Riccardo Riccso musste das Rennen aufgeben.

Gleich im Einstieg zum letzten Berg des Tages, dem 13,3km langen Passo Fedaia (2.057m, 18 Prozent Maximalsteigung bei durchschnittlich acht Prozent), griff Sella an und setzte sich scheinbar mühelos ab. 5km vor dem Ziel hatte der Träger des Bergtrikots stolze 3:33 Minuten Vorsprung auf die Favoritengruppe.

Dort war es wieder Pellizotti, der die Initiative ergriff und den finalen Kampf um das Rosa Trikot eröffnete. Aber erst der Angriff Riccos kurz darauf, sorgte dafür, dass sich die Favoritengruppe auf fünf Fahrer verkleinerte: Contador, Mentschow, Pellizotti und Pozzovivo. Simoni dagegen versuchte zunächst vergeblich, zur Gruppe aufzuschließen, die nach und nach die ehemaligen Ausreißer Nibali, Baliani, Perez Cuapio und Rodriguez einfing.

Nach wiederholten Angriffen setze sich zunächst Pozzovivo, dann Ricco ab, verfolgt von Mentschow, Contador und Pellizotti. Nach großem Kampf schloss Simoni zu dem Trio wieder auf, Di Luca im Schlepptau. Es war dann Contador, der versuchte, die Gruppe auseinanderzufahren. Der Spanier konnte sich aber nicht entscheidend von seinen drei Kontrahenten absetzen. Erfolgreicher war Di Luca, der auf dem letzten Kilometer seinen schärfsten Kontrahenten davonfahren und einige Sekunden abnehmen konnte.

Vorne aber flog Sella förmlich den Berg hinauf und seinem zweiten Etappensieg in Folge entgegen. Im Ziel auf dem Fedaia-Pass hatte der 27-jährige Kletterspezialist gut zwei Minuten Vorsprung auf seinen Teamkollegen Pozzovivo, wodurch der Zweitdivisionär CSF Group Navigare, der seinen Sprinter Maximiliano Richeze noch vor Giro-Beginn wegen Dopings aus dem Aufgebot nehmen musste, seinen erstaunlichen Höhenflug fortsetzte.

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