RSNplusFahrweise um Vollering wirft Fragen auf

Oranje-Debakel: Erstmals seit 10 Jahren ohne WM-Medaille

Von Felix Mattis aus Zürich

Foto zu dem Text "Oranje-Debakel: Erstmals seit 10 Jahren ohne WM-Medaille"
Die tiefe Enttäuschung über das WM-Debakel stand Demi Vollering ins Gesicht geschrieben. | Foto: Cor Vos

29.09.2024  |  (rsn) – Es war das große Gesprächsthema nach dem WM-Straßenrennen der Frauen in Zürich: Die kolossale Niederlage der Niederländerinnen. Zum ersten Mal seit Ponferrada 2014 und zum zweiten Mal seit Madrid 2005 sind die Oranje-Frauen ohne Medaille geblieben. Der fünfte Platz von Top-Favoritin Demi Vollering war ein Debakel für das Team von Nationaltrainerin Loes Gunnewijk.

Dabei waren drei Fahrerinnen eingangs der 26,8 Kilometer langen Schlussrunde in den Top 9 und eigentlich in der perfekten Position: Marianne Vos und Riejanne Markus saßen in der vierköpfigen Spitzengruppe mit Justine Ghekiere (Belgien) sowie Ruby Roseman-Gannon (Australien) und hatten knapp eine Minute Vorsprung auf das Feld mit den Favoritinnen um Vollering.

___STEADY_PAYWALL___

Am Ende aber wollte die 27-Jährige den Sieg und das Regenbogentrikot so sehr, dass sie den taktischen Vorteil der Niederländerinnen mit ihrer Fahrweise schließlich komplett zunichtemachte.

"Ob sie zu sehr gewinnen wollte? Vielleicht", gab Gunnewijk nach dem Rennen zu, nahm ihre Fahrerinnen aber auch in Schutz: "Natürlich sind wir enttäuscht. Wir sind für etwas anderes hergekommen. Man hätte sicher einiges anders machen können, aber im Nachhinein ist das immer leicht gesagt."

Top-Favoritin Demi Vollering versuchte es im WM-Straßenrennen der Frauen mehrmals mit der Brechstange, wurde aber ihre Konkurrentinnen nicht los. | Foto: Cor Vos

Während des Rennens war das mit dem 'Sagen' so eine Sache. Denn ohne Teamfunk, den es bei Weltmeisterschaften eben nicht gibt, konnte Gunnewijk kaum Einfluss nehmen. Lediglich in den beiden Verpflegungszonen – eine kurz vor der Zieldurchfahrt und eine oben am Ende des Anstiegs-Doppels am Ortsausgang von Witikon – konnten Betreuer Anweisungen an die Fahrerinnen weitergeben, die sie zuvor per Telefon von Gunnewijk bekommen hatten. Gleich mehrmals wurde deutlich, wie sehr dem niederländischen Team die taktische Steuerung per Funk fehlte.

Oranje hat das Heft in der Hand und macht das Rennen schwer

Im Rennverlauf dominierten Vollering & Co. das Geschehen, waren klar das stärkste Team und hatten stets das Heft in der Hand. Schon auf der ersten von vier Runden über den Ziel-Parcours von Zürich waren mit Markus und Mischa Bredewold zwei Niederländerinnen in der hier ebenfalls neunköpfigen Spitzengruppe. Als es dann aber zum zweiten Mal durch die steile Zürichbergstraße und anschließend weiter hinauf nach Witikon ging, führte Pauliena Rooijakkers das Feld mit so hohem Tempo an, dass die Spitzenreiterinnen zurückgeholt wurden.

Nach schweren 154 Kilometern musste sich die Niederländerin (li.) im Sprint am Sechseläutenplatz von Zürich mit dem fünften Platz begnügen. | Foto: Cor Vos

Schon das sah komisch aus, entsprach aber wohl noch dem Matchplan. "Der Plan war schon, dass wir aus dem Feld heraus auch ein schweres Rennen machen. Deshalb wussten wir, dass sie kommen würden und waren darauf vorbereitet", erklärte Markus radsport-news.com nach dem Rennen. Vollering war schließlich die klare Kapitänin und brauchte ein möglichst hartes Rennen im Feld, um Kontrahentinnen wie Weltmeisterin Lotte Kopecky (Belgien) auf Dauer in Bedrängnis zu bringen.

In der vorletzten Runde dann beschleunigte Vollering im Anstieg nach Witikon selbst und zunächst konnte nur Neve Bradbury (Australien) mitgehen. Über die Kuppe aber führten Elisa Longo Borghini, Liane Lippert & Co. mehrere Kontrahentinnen wieder heran, darunter auch Titelverteidigerin Kopecky. Einen Moment der Ruhe nutzte dann Markus zu ihrem zweiten Vorstoß. Ghekiere fuhr mit ihr mit und anschließend folgten auch Vos und Roseman-Gannon. Zu viert fuhren sie in Richtung Zürichsee hinunter, und wieder sah es komisch aus: Vorne fuhren Markus und Vos Tempo, im Feld 15 Sekunden dahinter ihre Landsfrauen Rooijakkers und Bredewold.

Erst als das Verfolgerfeld besagte Verpflegungszone am Seeufer erreichte und die nötige Anweisung aus der Box kam, nahmen die Niederländerinnen im Hauptfeld raus und der Vorsprung der vier Spitzenreiterinnen wuchs schlagartig auf knapp eine Minute an. Mit diesem Abstand ging es zum letzten Mal in die Anstiege in der Zürichbergstraße und nach Witikon. Dort attackierte Lippert und Vollering fuhr zunächst hinter der Deutschen sowie Kopecky, Longo Borghini und Dygert nur mit.

Mit ihren Attacken hatte Vollering (li.) auch ihre Teamkollegin Marianne Vos (re.) abgeschüttelt, die sprintstärkste Fahrerin des starken niederländischen Aufgebots, das am Ende mit leeren Händen dastand. | Foto: Cor Vos

Dort, wo sie laut Rennstrategie das Rennen schwer machen wollte, tat sie genau das erstmal nicht aktiv selbst und berief sich nach dem Rennen auf ihre beiden Teamkolleginnen an der Spitze. "Es war schade, dass ich in der letzten Runde am Berg nicht wirklich etwas tun konnte. Wir hatten Marianne und Riejanne vorne. Deshalb war es nicht an mir, dort anzugreifen. Das war schade, denn so war das Tempo etwas zu langsam am Berg", meinte Vollering.

Vollering wollte Kopecky loswerden und distanzierte Vos

Erst als Longo Borghini weiter oben in Witikon das Verfolgerquintett sprengte, Dygert sowie Kopecky abgehängt wurden und die Spitzenreiterinnen in Sichtweite waren, gab Vollering gemeinsam mit der Italienerin Vollgas. Sie fuhren aus Witikon heraus an die vier Spitzenreiterinnen mit Markus und Vos heran und Vollering zog sofort weiter voll durch, so dass ihre beiden Landsfrauen schließlich nicht mehr folgen konnten. Die Kapitänin war so erpicht darauf, Kopecky weiter zu distanzieren, dass ihr alles andere egal zu sein schien, denn sie drehte sich sogar mehrmals um und sah, wie Vos und Markus abreißen ließen. Es war das dritte Mal, dass die Fahrweise von Oranje in diesem Rennen komisch aussah.

"Es war immer der Plan, dass Demi dort am Berg angreift. Für sie musste das Rennen so schwer wie möglich sein. Deshalb war das, glaube ich, kein Fehler. Aber die ideale Situation wäre gewesen, dass wir auch dabei sind. Deshalb ist es einfach Mist, dass wir das dann nicht mehr waren", meinte Markus. Sie und Vos kamen dann zwar genau wie Dygert und Kopecky nochmal zurück, waren aber deutlich sichtbar angeschlagen.

Nun hätten die Niederländerinnen ihre Überzahl mit ins Finale nehmen und dort ausspielen können – mit Vos als der potenziell schnellsten Sprinterin der noch neun Spitzenreiterinnen als Gold-Kandidatin und noch einer Attacke von Vollering am letzten Anstieg fünf Kilometer vor Ziel in Zollikon als Ass im Ärmel. Doch Vollering gab bereits an den beiden steilen Gegenrampen auf dem Weg hinunter Richtung Zürich Vollgas. Dabei aber schüttelte sie nicht Kopecky, Lippert oder Longo Borghini ab, sondern nur wieder ihre gerade erst zurückgekommenen Teamkolleginnen sowie Ghekiere.

In der Abfahrt dann, und unten in Küsnacht angekommen, führte Vollering die Gruppe an, obwohl bergab von hinten Vos wieder näherkam. Komisches Bild Nummer vier. "Ich habe die ganze Zeit geschaut, ob ich Marianne sehe", erklärte sich Vollering und auch Vos warf ihr diese Situation nicht vor: "Sie konnte mich nicht sehen, also konnte sie auch nicht wissen, dass ich von hinten komme. Das weiß ich ganz sicher, weil ich selbst ja auch nichts wusste."

Kopecky hatte keine Angst zu verlieren

Als dann in Zollikon Longo Borghini attackierte, fuhr Vollering die Lücke zu – an einer Stelle, an der sie im Idealszenario mit Markus und Vos als Helferinnen in der Gruppe, selbst hätte angreifen können. "Ich musste Elisa Longo Borghini zurückholen, sonst wäre es vorbei gewesen", sagte Vollering und hatte damit wohl auch Recht. Denn Kopecky und Lippert pokerten.

"Es ist nicht so, dass ich nicht nochmal gewinnen wollte. Aber ich habe mir heute gesagt: Es wäre schön, das Trikot noch ein Jahr tragen zu dürfen, aber wenn es nicht so ist, dann ist es eben nicht so", sagte Kopecky RSN im Ziel, als sie wieder im Regenbogentrikot strahlte. "Ich habe versucht, so ruhig wie möglich zu bleiben in jeder Situation. Und vielleicht hat mir genau das heute den Sieg gebracht."

Genau so war es wohl gewesen: Kopecky hatte keine Angst zu verlieren und hat deshalb gewonnen, während Vollering unbedingt den Sieg wollte – und zwar nicht für ihr Team, sondern vor allem für sich selbst.

Mehr Informationen zu diesem Thema

08.11.2024Radsport-Gemeinde nimmt Abschied von Muriel Furrer

(rsn) – Sechs Wochen nach ihrem Tod ist der im Alter von 18 Jahren im WM-Straßenrennen der Juniorinnen bei den Weltmeisterschaften von Zürich verunglückten Muriel Furrer in einem Abschiedsgottesd

05.10.2024Starkregen: 5. Etappe des CRO Race wird verkürzt

(rsn) – In Folge von heftigen Regenfällen, die in Kroatien viele Straßen unter Wasser setzten, haben die Organisatoren des CRO Race (2.1) in Kroatien die 5. Etappe verkürzen und den Start verschi

03.10.2024Kommentar: Auf Technologie zu verzichten, ist grob fahrlässig

(rsn) – Eine Woche ist vergangen, seit Muriel Furrer im WM-Straßenrennen der Juniorinnen in der Abfahrt durch die Schmalzgruebstrasse im Wald hinunter nach Küsnacht gestürzt ist und sich dabei ei

02.10.2024Offener Brief: Letten beklagen sich über van der Poels Aktion

(rsn) – Nach einer großartigen Vorstellung musste sich der Lette Toms Skujins am Ende des WM-Straßenrennens von Zürich im Sprint um die Bronzemedaille dem Niederländer Mathieu van der Poel gesch

01.10.2024Staatsanwaltschaft bestätigt: Furrer “gewisse Zeit“ unentdeckt

(rsn) – Erstmals haben sich die Kantonspolizei Zürich und die zuständige Staatsanwaltschaft zum tödlichen Unfall der Schweizerin Muriel Furrer geäußert. Die 18-Jährige hatte sich im WM-Straße

30.09.2024Merckx: “Pogacar ist der Allerbeste“

(rsn) – Mit seinem Triumph im WM-Straßenrennen von Zürich hat Tadej Pogacar eine weitere Rekordmarke erreicht. Wie vor ihm nur Eddy Merckx (1974) und Stephen Roche (1987) ist es dem Slowenen gelun

30.09.2024Evenepoel verpasst in Zürich sein zweites Gold-Double

(rsn) – Nach Olympia-Gold im Zeitfahren und im Straßenrennen träumte Remco Evenepoel auch vom weltmeisterlichen Double. Der erste Teil seines Vorhabens gelang dem Belgier, als er im Zeitfahren von

30.09.2024Van der Poel: “Es gab nur einen Ausnahmefahrer“

(rsn) – Tadej Pogacar und Remco Evenepoel hießen die großen Favoriten für das WM-Straßenrennen von Zürich. Dagegen wurden Titelverteidiger Mathieu van der Poel angesichts des schweren Kurses mi

30.09.2024Hirschi fährt smart, hat aber nicht das nötige Glück fürs Podium

(rsn) – Marc Hirschi war der große Hoffnungsträger der Schweizer Fans bei den Heim-Weltmeisterschaften in Zürich. Der 26-Jährige galt nach seinem überragenden Spätsommer mit sechs Siegen in 15

30.09.2024Alaphilippe kugelt sich bei WM-Sturz die Schulter aus

(rsn) – Bei seinem Sturz im frühen Stadium des WM-Straßenrennens hat sich Julian Alaphilippe die Schulter ausgekugelt. Das teilte sein Team Soudal – Quick-Sep noch am Sonntag mit. Der zweimalige

29.09.2024Pogacars “dummer“ Angriff endete im Regenbogentrikot

(rsn) – Statistisch war es nur die drittlängste Solofahrt im Straßenrennen der Männer aller Zeiten, aber das Feuerwerk, das Tadej Pogacar bei den Weltmeisterschaften in Zürich über die letzten

29.09.2024Zimmermann träumt nach Platz 15 in Zürich von mehr

(rsn) – Die deutsche Nationalmannschaft hat das gesteckte Ziel einer Top-10-Platzierung im WM-Straßenrennen von Zürich verpasst, konnte mit dem 15. Rang von Georg Zimmermann und einem taktisch gen

Weitere Radsportnachrichten

03.12.2024Großbritannien in Nöten: Insel ohne Konti-Teams

(rsn) – Langsam aber sicher ist der Schwung, den die Olympischen Spiele 2012 in London dem britischen Straßenradsport gaben, aufgebraucht. Zwar stehen, Stand jetzt, 34 britische Profis im kommenden

03.12.2024Wiggins bekam Hilfsangebot von Armstrong

(rsn) – Lance Armstrong, selbst gefallener Radsport-Held, hat sich offenbar einmal mehr generös gegenüber seinesgleichen gezeigt. Nachdem er in den vergangenen Jahren bereits Jan Ullrich, seinem g

03.12.2024Vollering-Schwester vor Profi-Debüt

(rsn) – Bodine Vollering, Schwester von Demi Vollering, steht vor dem Sprung in den Profi-Radsport. Die 21-Jährige hat für zwei Jahre beim Kontinental-Team VolkerWessels unterschrieben. Teammanage

03.12.2024WorldTour-Budgets steigen weiter rasant

(rsn) – Die finanzielle Situation in der WorldTour wird sich auch 2025 weiter verbessern. So kontinuierlich wie stark steigen das Gesamtbudget der Teams insgesamt auch in der neuen Saison. Das geht

03.12.2024Bei der Deutschland Tour so gut wie nie

(rsn) – Rückschritt, Neuanfang, Flucht. All das sind Worte, von denen Florian Stork nichts wissen will. “Ich war sieben Jahre lang in den Strukturen von dsm, da war es jetzt einfach mal an der Ze

03.12.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste 2024

(rsn) - Auch diesmal starten wir am 1. November mit unserer Jahresrangliste. Wir haben alle UCI-Rennen der vergangenen zwölf Monate (1. November 2023 bis 31. Oktober 2024) ausgewertet - nach unserem

02.12.2024Offiziell: 80. Vuelta a Espana beginnt in Turin

(rsn) – Nachdem die Tour de France in diesem Jahr in Florenz gestartet war, wird 2025 auch die Spanien-Rundfahrt in Italien beginnen. Wie die Organisatoren der letzten Grand Tour des Jahren nun auch

02.12.2024Boros beendet in Dublin mit Querfeldeinlauf Nys´ Ambitionen

(rsn) – Die ersten beiden Weltcups der Cross-Saison 2024/25 hat sich Thibau Nys (Baloise – Trek Lions) sicher anders vorgestellt. Zum Auftakt am vergangenen Wochenende kam der Europameister beim S

02.12.2024Indiz für Sanremo-Start? Pogacar trainiert am Poggio

(rsn) – Mailand-Sanremo gehört zu den wenigen großen Rennen, die Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) noch nicht gewonnen hat. Noch ist unklar, ob der Weltmeister an der kommenden Ausgabe des italien

02.12.2024Van Aert hat für den Winter einen Plan

(rsn) – Mittlerweile steht fest, dass Wout van Aert (Visma – Lease a Bike) erst nach dem Ende des Team-Trainingslagers von Visma – Lease a Bike Ende Dezember in die Cross-Saison 2024/25 einsteig

02.12.2024Cummings neuer Sportdirektor bei Jayco – AlUla

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

02.12.2024Trotz Bestwerten hinter den Erwartungen zurückgeblieben

(rsn) – Im Frühsommer zeigte Jonas Rapp (Hrinkow Advarics) wieder einmal, dass er nach wie vor zur Riege der besten deutschen Kletterer gehört. Der 30-Jährige wurde Mitte Mai dank eines dritten P

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine