Bikepacking-Marathon - 510 km, 2670 hm - noch bis 31. August - Rennbericht
Bremen - Brocken - Bremen: “Mit dem Weg vor Augen ist der Berg das Ziel“
Von Jannis Brandt

Halbzeit am Gipfel des Brocken | Foto: Jannis Brandt
06.08.2020 | Wir sind ein Rennrad-begeisterter Freundeskreis rund um den Buch- und Plattenladen "The Golden Shop" in Bremen. Wir sind Software-Entwickler, gehen auf die 30 (Jannis) bzw. auf die 40 (Karl) zu, und wollten dieses Jahr mit der Renngemeinschaft Bremen, einer wilden Mischung aus verschiedenen Bremer Radsport-Vereinen, bei Amateur-Rennen angreifen. Nach einer guten Vorbereitung im Winter sollte die Saison mit einem Trainingslager auf Mallorca Mitte März starten. Das fiel, wie die ganze Jahresplanung, dem Lock-Down zum Opfer.
Die Trainings-Motivation
war im Keller, irgendwo in der Ecke hinter der Kiste mit den Flachwitzen: Aus der Traum von
Wettkämpfen...
Also wieder zurück zu unserer alten Combo Team Golden Shop - übrigens "the worlds first and only book store cycling team". Der Laden brauchte in Zeiten von
Corona Unterstützung: Er war zu, Versandwege mussten aufgebaut werden. Das kam uns
als sinnstiftende Beschäftigung gerade recht: Das Team Golden Shop stieg für ein paar Wochen ins
Kurier-Geschäft ein.
Inzwischen können Bücher und Platten wieder im Laden gekauft
werden. Und wir waren auf der Suche nach neuen Herausforderungen. So wurden die Rennrad-Distanzen wieder länger und die Ideen, was als nächstes kommt, übermütiger - darunter der Plan, die Strecke Bremen - Brocken - Bremen an
einem Tag zu fahren, über 500 Kilometer.
Die Idee verbreitete sich wie ein Lauffeuer,
die Bremer Profi-Radsportlerin Carolin Schiff vermittelte uns Anfang Mai einen Kontakt zum Komponnenten-Hersteller BBB - auch dort stieß das Projekt auf offene Ohren. Nun wurde es ernst: Am 31. Mai würden wir unser Vorhaben in die Tat umsetzen - von Bremen auf den Brocken und zurück in weniger als 24 Stunden.
Bei allen Trainingsfahrten war Bremen - Brocken - Bremen seitdem ein Thema. Wir sponnen rum, sicherten uns spontan die Domain bremen-brocken-bremen.de, noch bevor wir genau wussten, was wir damit vorhaben. Ein Ziel vor Augen und
den Wind in der Nase - plötzlich konnten wir motivationstechnisch trotz Corona wieder aus dem
Vollen schöpfen. Das wollen wir mit anderen teilen...
Es sollte also ein Bike-Event werden -
nur eben unter
den Rahmenbedingungen einer Pandemie. So kamen nach und nach die Ideen zum Reglement ,
mit niederschwelligen und ambitionierten Wertungen, die Webseite füllte sich. Irgendwann
stand das Event so weit, dass wir mit dem Vorhaben mögliche Sponsoren ansprechen konnten, ob
sie nicht Preise beisteuern wollten.
Wir bekamen viel positives Feedback und hatten langsam den
Eindruck, dass das Projekt zur richtigen Zeit kommt. Am Tag vor unserem Versuch stand alles
so weit, wir mussten nur noch losfahren.
Dass die Distanz machbar ist, war klar - aber auch für uns? 12 bis 14 Stunden hatten wir schon auf dem
Rad gesessen, nun ging es aber um einiges mehr.
Wir waren gespannt, ob wir es schaffen -
und was die Strecke
mit uns macht. Sehen wir auch Figuren im Nebel, nah am Wahnsinn, wie es ein Freund beim Race
Across Germany erlebt hatte? Machen die Beine, der Nacken, das Material mit? Würden wir womöglich an unserer eigenen, mit großem Tamtam aufgelegten Messlatte scheitern?
Wir starteten am Samstagmorgen um 5/10 Uhr am Weserwehr. Die Dämmerung setzte gerade
ein, alles begann mit einem wunderschönen Sonnenaufgang, den wir entlang der Weser aus allen möglichen Perspektiven bewundern konnten. An das Gepäck am Rad gewöhnten wir uns schnell. Nach
rund 120 km gab es eine Frühstückspause mit Porridge, Brötchen und Cappucino.
Danach zog sich die Fahrt etwas,
so bis Werningerode. Auch Peine zu durchfahren war nicht wirklich hübsch, in Salzgitter waren die Radwege teilweise unverschämt schlecht. Aber die Landschaft wurde langsam hügeliger, und sie war schön anzuschauen; mental war das trotzdem der schwerste Teil.
Und immer noch waren um die 300 km zu fahren, es wollte nicht so richtig weniger werden; zudem: Die Zeit lief. Es half, dass es immer wieder Blickschneisen auf den Brocken gab und wir schon mal Maß nehmen konnten. Etliche belegte Brote
hielten uns am Treten.
Hinter Werningerode machten wir eine Pause, um unseren mittlerweile weit gereisten Nudelsalat zu verspeisen. Die Portionen hätten uns an anderen Tagen vor eine Herausforderung gestellt
- jetzt atmeten wir die Kohlenhydrate förmlich ein.
Schließlich ging es stetig bergauf,
bis in Schierke die Bergwertung des Events begann; wir beschlossen, es entspannt anzugehen. Nach zwölf Stunden und drei Minuten kamen wir oben am Brocken an: Berg-fest im doppelten Sinne. Wie meistens war es auf dem Gipfel windig und frisch, so dass wir nicht lange
trödelten. Nur ein paar obligatorische Beweisfotos, warm anziehen, und dann zwischen bierseligen Wanderern in die Abfahrt stürzen.
Endlich auf dem Rückweg!
Nun war greifbar, dass wir es in 24 Stunden schaffen können.
Nach der Brocken-Abfahrt ging es noch mal rauf nach Torfhaus, gefolgt von einer schnellen Abfahrt nach
Bad Harzburg. Bei Salzgitter machten wir die letzten Höhenmeter - und hatten nur noch 180 km vor uns. Bei verbleibenden 8,5 Stunden keine große Sache mehr.
Ein paar Regentropfen taten der Stimmung
keinen Abbruch, und der Sonnenuntergang, in den wir hineinfuhren, war
traumhaft. Gegen 21.30 Uhr setzte die Dämmerung ein, unsere Flaschen waren leer. Wir kamen in
Peine an einem Getränkemarkt vorbei, der uns auf dem Hinweg schon ins Auge gefallen war. Also:
Getränke holen, die letzte Stulle essen, Licht anbringen und warme Klamotten für die Nacht anziehen.
Es setzte Euphorie ein: Sechs Stunden 45 Minuten Zeit für 150 km Flachland.
Die Nacht war klar, es wurde mit um acht Grad frisch. Wir sind zu Haferriegeln und Veggie-Würsten übergegangen - und kamen gut voran. Anhalten mag man bei den Temperaturen eh nicht mehr. Aber so
langsam sitzt uns die Müdigkeit im Nacken: Ab und zu fallen die Augen zu.
85 Kilometer vor Bremen kommen wir
an einer Sparkasse vorbei und gönnen uns ein kurzes Nickerchen auf dem Teppich in der
schön beheizten (für jeden zugänglichen!) Schalterhalle. Danach sitzen wir aufgewärmt, wieder wach und mit gefüllten Flaschen auf den Rädern, um triumphierend durch immer bekannteres
Gelände nach Hause zu rollen.
Die Vorfreude aufs Bett ist riesig, die Wege werden immer vertrauter, irgendwann haben wir das Gefühl,
jedes Schotterkorn zu kennen - und rollen schließlich über die Schleuse auf das Weserwehr hinunter.
Es ist vier Uhr morgens, wir haben es geschafft! In 22 Stunden und 51 Minuten. Hammer! Müde
und lächelnd wird nach Hause gerollt, ab unter die Dusche und ins Bett. Ein Traum...
Allen Unterstützer/innen hier nochmal unser Dank, speziell an BBB, Golden Shop, Caro, Jasmin und Lea.
Und aufgrund der großen Nachfrage hier noch ein Rad-Flachwitz: Ich kenn' einen neuen Radler-Witz - aber den fahrrad ich dir nicht!