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28.01.2016 | (rsn) - Thomas Campana sitzt bei rund 20 Grad auf dem Balkon im Hotel Barcelo Pueblo in Platja de Palma auf Mallorca. Es ist der zweite Tag des ersten gemeinsamen Trainingslagers von Cervélo-Bigla, als radsport-news.com den Team-Manager anruft. Dass dieses dreiwöchige Teamcamp erst am 23. Januar begann, ist angesichts der am 2. Februar beginnenden Katar-Rundfahrt erstaunlich. Doch Campana hatte das selbst auch anders geplant.
Herr Campana, eigentlich sollte am kommenden Sonntag der Flug nach Katar zum Saisonauftakt gehen. Doch die ASO hat Ihr Team trotz Weltranglistenplatz fünf nicht zur dortigen Rundfahrt eingeladen. Wie sehr schmerzt das?
Thomas Campana: "Sehr! Wir hatten das Rennen fest eingeplant. Die Regelung der UCI ist fragwürdig, denn es wird eine Regel aus dem Männer-Continental-Bereich herangezogen, so dass Rennveranstalter in einem Zeitfenster von sechs Wochen im November und Dezember unabhängig aller Ranglisten einladen können, wen sie wollen. Das muss die UCI sofort ändern, denn die Teams brauchen für ihre Sponsoren Planungssicherheit."
Welche konkreten Konsequenzen hatte die Ausbootung für Cervelo-Bigla?
Campana: "Viele. Für die Visa unserer Nordamerikanerinnen ist es zum Beispiel ein Unterschied, ob sie zwischendurch nach Katar gehen und bei der Wiedereinreise nach Europa das Visum erneuert wird, oder ob sie jetzt am Stück hier sind. Sie müssen jetzt möglicherweise mitten in der Frühjahrssaison nach Hause. Andere studieren und mussten Prüfungen verlegen, weil unser Teamtrainingslager nach hinten verlegt werden musste, um auf den um einen Monat späteren Saisonauftakt einzugehen. Auch entstehen erhebliche Mehrkosten, weil unser Partner Playitas Resorts uns auf Fuerteventura im Januar unterstützt hätte, jetzt für den späteren Zeitraum aber schon ausgebucht war. Und sportlich kommt dazu, dass es in Katar wichtig gewesen wäre, sich den Kurs fürs WM-Mannschaftszeitfahren anzuschauen, wie es sicher alle anderen tun werden. Ich behaupte, dass wir da zu den fünf oder sechs besten Teams der Welt gehören, und schon von daher ist es unanständig, uns diesen Wettbewerbsnachteil zu geben."
Gab es denn eine Erklärung der ASO, warum man sich Anfang Dezember für 15 andere Teams entschieden hat?
Campana: "Es gibt eine Aussage des Herrn Pescheux (Jean-Francois Pescheux ist Renndirektor der ASO, d. Red.), dass man die Auswahl nach bestem Gewissen und anhand der Qualität gemacht hat. Aber das sind völlig unzureichende Allgemeinformulierungen. Eine vernünftige Erklärung von der ASO an uns gibt es bis heute nicht. Das ist eine Grundhaltung, die Arroganz ausstrahlt. Die ASO ist sicher ein wichtiger Partner für den Weltradsport, aber es kann nicht sein, dass man in einer monarchischen Art und Weise den Daumen hoch oder runter hält. Und wenn man von sportlichen Gesichtspunkten spricht, muss ich sagen, dass man dort wohl keine Ahnung hat, wie sich die Teams qualitativ darstellen. Denn wir haben mit Stephi Pohl, Lisa Klein, Lotta Lepistö, Carmen Small und auch Joelle Numainville eine Mannschaft, die für den Gesamtsieg oder Etappensiege in Frage gekommen wäre. Die Rennfahrerinnen habe es persönlich genommen und sind entsprechend motiviert für die nächsten Rennen - es hat einen Ruck in der Mannschaft gegeben. Wir werden sportlich antworten!"
Ihr Team hat sich im Vergleich zu 2015 deutlich verkleinert - aus 14 Fahrerinnen sind neun geworden. Hat für mehr das Geld nicht gereicht?
Campana: "2015 sind wir zwei komplette Rennprogramme gefahren. Da braucht man 14 Athletinnen. Weil 2016 aber ein Olympia-Jahr ist, haben wir uns jetzt dafür entschieden, nur ein Rennprogramm zu fahren. Finanziell waren wir im letzten Jahr sicher etwas über dem Budget. Das ist im ersten Jahr normal. Im zweiten Jahr hat man eine bessere Planungsübersicht aus dem Vorjahr. Dies hat aber keine wesentliche Rolle gespielt. Unsere Planung für 2017 geht wieder auf 14 Fahrerinnen, um die WorldTour komplett fahren zu können. Wir haben langfristige Verträge mit unseren Partnern und beobachten den Markt schon jetzt genau."
Wie sehen Ihre Saisonziele aus?
Campana: "Wir haben zwei verschiedene Ausrichtungen, denn einige - wie Ashleigh Moolman oder Joelle Numainville - sind schon für Olympia qualifiziert und müssen bis 30. Mai nur gewisse Punkte halten, während sie sich auf die Spiele vorbereiten. Andere hingegen sind noch nicht qualifiziert und müssen ihren Nationaltrainern ein ganz anderes Performance-Bild zeigen - zum Beispiel Carmen Small oder Clara Koppenburg, die für diesen schweren Olympia-Kurs sehr gut geeignet ist. Entsprechend haben wir unser Programm ausgewählt und werden unterschiedliche Taktiken fahren. Sicher ist unser Ziel aber, einen Klassiker zu gewinnen, und bei Olympia eine Medaille zu holen."
Bislang war Ihr Team in der Schweiz lizenziert, wo auch der Hauptsponsor Bigla beheimatet ist. Gemäß des UCI-Reglements mussten Sie die Lizenz für 2016 in Deutschland ziehen, weil die Mehrzahl der Fahrerinnen jetzt deutsch ist. Ist es künftig gewollt, deutsch" zu bleiben?
Campana: "Ich besitze beide Nationalitäten - von daher ist es für mich okay das Team in Deutschland zu registrieren. Im Moment ist es sehr, sehr schwer, auf dem Niveau mit den aktuellen Regeln ein Top-10-Team mit Schweizer Lizenz zu haben, weil es das Fahrerinnen-Potenzial nicht gibt. Der Schweizer Verband hat da in den letzten Jahren sehr wenig unternommen das zu ändern, mit dem Ergebnis, dass im Herbst der Frauenbereich sogar geschlossen wurde - nach der Vogel-Strauß-Mentalität: Wenn nichts kommt, machen wir auch nichts. Der Verband muss sehen, dass er verantwortlich für die Förderung des Nachwuchses ist. Mit einem Top-10-Team hätte ein Verband natürlich mittelfristig die Möglichkeit, Talente unterzubringen und ausbilden zu lassen."
Was deutsche Talente betrifft, sind zwei recht vielversprechende bei Ihnen im Team: Lisa Klein und Clara Koppenburg. Was ist von ihnen in Zukunft zu erwarten?
Campana: "Lisa kannte ich aus dem Juniorenbereich und sie hat uns in ihrem ersten Elitejahr wirklich überrascht: Obwohl sie von der Entwicklung und den Umfängen her auf Junioren-Niveau war, hat sie sich einen Platz in den Klassikern erarbeitet und dort exzellente Arbeit gemacht. Sie hat noch einen Hang zur Bahn, aber das wird nach der Olympiade, denke ich, in eine andere Richtung gehen und sie wird in Zeitfahren und klassischen Eintagesrennen für Deutschland eine wesentliche Rolle spielen."
Und Koppenburg?
Campana: "Clara saß bis vor 18 Monaten nur freizeitmäßig auf dem Rad und sie kommt mit riesigem Talent von der Leichtathletik-Mittelstrecke. Sie hat sich unglaublich schnell entwickelt und an die Sportart angepasst, ist 2015 schon Giro und Thüringen-Rundfahrt gefahren. Es hört sich von außen vielleicht vermessen an, aber sie ist eine ernstzunehmende Kandidatin für den deutschen Kader in Rio, weil der Kurs so extrem schwer ist. Sie ist stark im Zeitfahren und am Berg, und wenn man dann auch einen Willen wie sie hat, kann man in zwei, drei Jahren eine wirkliche Leaderrolle bei den schweren Rennen übernehmen. Sie hat die Möglichkeiten, in Zukunft einen starken Giro zu fahren."
Die Tatsache an sich, dass Sie Ihr Team unter Umständen jedes Jahr woanders lizenzieren müssen, nur weil sich der Kader verändert, ist aber schon auch kurios, oder?
Campana: "Das ist ein Unding! Auch das ist eine Regelung, die aus dem Continental-Männerbereich stammt und einst für die Nachwuchsentwicklung aufgestellt wurde. Diese Regeln wurden für die Frauen einfach übernommen, aber wir stehen jetzt kurz vor dem Beginn der Frauen-WorldTour. Auf professionellem Niveau funktioniert dieses Regelwerk nicht mehr, und bei den Männern geht es ja auch anders: Da hat ein ProContinental-Team zum Beispiel zu 90 Prozent Fahrer aus Venezuela und Kolumbien, seinen Firmensitz in Dublin und fährt trotzdem mit italienischer Lizenz."
Eine der drei Schweizerinnen, die Ihr Team verlassen haben, ist Doris Schweizer. Sie hat sich im Kontext der Jahresrangliste auf radsport-news.com sehr kritisch über das Team geäußert. Haben Sie das gelesen?
Campana: "Ja. Ich war auf der einen Seite überrascht, auf der anderen aber auch nicht, weil sich Doris der Wirkung ihrer Worte oft nicht ganz bewusst ist. Sie ist sehr emotional, aber grundsätzlich ist es natürlich nicht in Ordnung, andere Teammitglieder im Nachgang durch nicht korrekte Aussagen zu diskreditieren. Dies ist auch nicht durch eine momentane Entäuschung zu rechtfertigen. Es wird eine wesentliche Aufgabe für uns Teams sein, den Atheltinnen einen professionellen Umgang mit den Medien zu vermitteln.
Der härteste Vorwurf richtete sich an die medizinische Abteilung. Nach Schweizers Sturz beim Giro seien Symptome einer Gehirnerschütterung "zuerst nicht ernst genommen und auf die Hitze geschoben" worden...
Campana: "Wir legen großen Wert darauf, die Gesundheit unserer Athletinnen zu schützen. Tendenziell entscheiden wir uns eher schneller, eine Fahrerin aus dem Rennen zu nehmen, als die klassische 'Nicht-Aufgeben'-Parole auszugeben. In dem von ihnen angesprochenen Fall war es eben die Athletin selber, welche die eindeutigen Symptome uns gegenüber verschwiegen hat, um weiter im Rennen zu bleiben. Dann wird es natürlich für alle Beteiligten schwer, geeignete Maßnahmen zu treffen. Trotz allem wurde sie dann nach der Etappe von unserem Teamarzt aus dem Rennen genommen, dies erst, nachdem uns ihre Treamkoleginnen von den Problemen berichtet haben."
Schweizer sprach auch über "Differenzen im Team", weshalb sie im Frühjahr bei der tschechischen Rundfahrt Gracia Orlova, wo sie Achte wurde, keine Unterstützung bekam. Was können Sie als Teamchef dazu sagen?
Campana: "Soweit ich weiß, konnte sie konnte sie als Leaderin des Teams starten. Von einer fehlenden Unterstützung ist mir nichts bekannt, da ich nicht selber anwesend war. Erstaunlich ist jedoch die Tatsache, dass diese Athletin nun in der Mannschaft fährt, bei der genau der Sportliche Leiter arbeitet, der ihr angeblich diese Unterstützung bei der Gracia versagt hat."
Herr Campana, vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen Ihnen eine ruhigere, vor allem aber eine erfolgreiche Saison 2016!
Der Kader von Cervelo-Bigla 2016: Nicole Hanselmann (Schweiz, 24), Lisa Klein (Deutschland, 19), Clara Koppenburg (Deutschland, 20), Lotta Lepistö (Finnland, 26), Ashleigh Moolman-Pasio (Südafrika, 30), Joelle Numainville (Kanada, 28), Gabrielle Pilote Fortin (Kanada, 22), Stephanie Pohl (Deutschland, 28), Carmen Small (USA, 35)
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