Frankfurter gewinnt 106. Mailand-Sanremo

Degenkolb am Ziel seiner Träume

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Sieg bei Mailand-Sanremo: John Degenkolb (Giant-Alpecin) schlägt die Hände über den Kopf. | Foto: Cor Vos

22.03.2015  |  (rsn) – Im vergangenen Jahr wurde John Degenkolb (Giant-Alpecin) bei Mailand-Sanremo durch einen Vorderraddefekt vor dem Poggio gestoppt und aller Chancen auf den Sieg beim ersten großen Klassiker der Saison beraubt. Bei der 106. Auflage des mit 293 Kilometern längsten Eintagesrennens des UCI-Kalenders lief beim Frankfurter dafür alles wie am Schnürchen und nach fast sieben Stunden war Degenkolb am Ziel seiner Träume.

Nach einer taktischen Meisterleistung ließ der 26-Jährige in der Sprintentscheidung auf der Via Roma Titelverteidiger Alexander Kristoff (Katusha) aus Norwegen sowie den Australier Michael Matthews (Orica-GreenEdge) hinter sich und feierte den bisher größten Erfolg seiner Karriere.

„Letztes Jahr war das hier vielleicht die größte Enttäuschung meiner Karriere“, erinnerte der Mann des Tages im Ziel noch an das bittere Finale der „Classicissima“ 2014. „Umso schöner ist es, hier heute zu gewinnen. Ich kann das Gefühl nicht beschreiben. Das ist mein erster Sieg bei einem Monument, ich bin überglücklich. So viele große Namen haben hier auf der Via Roma gewonnen und nun habe auch ich es geschafft“, so Degenkolb, der lange Zeit unauffällig im Feld mitgerollt war, um erst auf den letzten Metern in Aktion zu treten. „Das Finale war sehr hektisch. Ich habe den richtigen Moment erwischt, um kurz vor dem Ziel loszufahren und das Rennen zu gewinnen.“

Dabei verwies er Vorjahressieger Kristoff deutlich auf den zweiten Platz. Der Katusha-Kapitän hatte den Sprint auf der Via Roma, die erstmals seit 2007 wieder die Zielankunft bildete, früh eröffnet. Degenkolb blieb dagegen bis zuletzt im Windschatten, um von dritter Position aus schließlich nach vorne zu stürmen. Er zog auf den letzten 50 Metern an Kristoff vorbei und setzte sich deutlich vor dem 27-Jährigen durch.

Dahinter behauptete Matthews - „Ich war im Finale vielleicht der Schnellste. Es ist eines der besten Resultate meiner Karriere, aber ich bin enttäuscht“ - knapp Rang drei vor dem Slowaken Peter Sagan (Tinkoff-Saxo), dem damit auch beim fünften Mailand-Sanremo-Start kein Sieg gelang. Niccolò Bonifazio (Lampre-Merida) war auf Rang fünf bester Italiener, gefolgt vom Franzosen Nacer Bouhanni (Cofidis) und dem Schweizer Fabian Cancellara (Trek), dessen Serie von vier Podiumsplätzen in Folge riss.

Platz acht ging an Bonifazios Landsmann und Teamkollegen Davide Cimolai, Neunter wurde der Franzose Tony Gallopin (Lotto Soudal), der sich im Kreis der Sprinter gut behauptete, wogegen sein Teamkollege André Greipel nicht mit der ersten Gruppe auf die Zielgerade kam. Die ersten Zehn komplettierte der Norweger Edvald Boasson Hagen, der bestplatzierter Fahrer des südafrikanischen Zweitdivisionärs MTN – Qhubeka war.

Großes Pech hatte dagegen sein Teamkollege Gerald Ciolek. Der Sanremo-Sieger von 2013 war in der Abfahrt vom Poggio in einen Sturz verwickelt, dem auch Philippe Gilbert (BMC) und Weltmeister Michal Kwiatkowski sowie Zdenek Stybar (Etixx-Quick-Step) zum Opfer fielen. Wutentbrannt schleuderte Ciolek seinen Helm auf die Straße, war doch die Chance auf eine dritte Spitzenplatzierung in Folge – 2014 war der Pulheimer Neunter geworden -dahin.

Doch die deutschen Fans hatten trotzdem allen Grund zum Jubel, war es doch Degenkolb, der sich schließlich als vierter deutscher Profi nach Rudi Altig, Erik Zabel und eben Ciolek in die Siegerliste des Klassikers eintragen konnte. Zum ersten Mal hatte der gebürtige Geraer in Sanremo 2012 als Fünfter aufhorchen lassen und damals bereits höchstes Lob vom vierfachen Sieger Zabel erhalten.

Vor dem Rennen hatte Degenkolb einen Erfolg auf der Via Roma über einen Tour-Etappensieg gestellt. Nun war er bei strahlendem Sonnenschein überwältigt. Sein Teamkollege Tom Dumoulin erklärte der Deutschen Presse-Agentur im Ziel: „John hat den Lohn geerntet für die harte Arbeit im Winter. Wir haben ihn lange aus dem Wind gehalten, die letzten Kilometer war er aber auf sich allein gestellt.“

Bei strömenden Regen und Temperaturen im einstelligen Bereich hatten sich am Morgen kurz nach dem Start elf Fahrer abgesetzt, die über die folgenden Stunden hin die Spitzengruppe bildeten. Jan Barta (Bora-Argon 18), Sebastian Molano (Colombia), Maarten Tjallingii (LottoNL-Jumbo), Andrea Peron (Novo Nordisk), Stefano Pirazzi (CSF-Bardiani), Adrian Kurek (CCC Sprandi Polkowice), Matteo Bono (Lampre-Merida), Serge Pauwels (MTN-Qhubeka), Julien Berard (Ag2r-La Mondiale), Tiziano Dall'Antonia und Marco Frapporti (beide Androni-Giocattoli) hatten in Windeseile bereits mehr als zehn Minuten Vorsprung und wurden vom Feld auf den ersten 140 Kilometern an der langen Leine gelassen.

Von MTN-Qhubeka abgesehen hatte keines der favorisierten Teams Helfer für die Ausreißergruppe abgestellt, so dass sich Tinkoff-Saxo, Trek, Giant-Alpecin, Katusha und Etixx-Quick-Step immer wieder an der Spitze des Feldes ablösten. Als es auf den letzten 50 Kilometern kurz hintereinander in den Capo Mele, den Capo Cervo und den Capo Berta ging, kam das Feld bei nachlassendem Regen in Schlagdistanz zu den Ausreißern. Die reagierten: Einer Tempoverschärfung von Pirazzi konnten allerdings nur Bon, Pauwels und Berard folgen.

Doch dem immer stärker werdenden Druck, für den vor allem Team Sky sorgte, konnte das Quartett nicht lange standhalten. Kurzzeitig bildeten dabei die drei Sky-Profis Luke Rowe, Geraint Thomas und Ben Swift eine kleine Verfolgergruppe, da nach einem Sturz unmittelbar hinter ihnen eine Lücke entstanden war.

Doch in der Cipressa, dem vorletzten und mit 5,6 Kilometern Länge und Steigungsgraden von durchschnittlich 4,1 Prozent schwersten Anstieg des Tages war alles wieder zusammengelaufen. Hier wurde Bono als letzter der Ausreißer gestellt und Sky, BMC und Trek schlugen ein horrendes Tempo ein, das zu einer deutlichen Verkleinerung des Feldes führte. Diverse Sprinter wie Mark Cavendish (Etixx-Quick-Step), Bouhanni, aber auch Kristoff gerieten hier in Schwierigkeiten, wogegen Degenkolb mit flüssigem Tritt mit der Favoritengruppe über den Gipfel 20 Kilometer vor dem Ziel jagte.

In der Abfahrt attackierte der Italiener Daniel Oss (BMC), zu dem schnell Thomas aufschloss. Im Feld war man sich kurzzeitig uneinig, wer die Verfolgung des Duos übernehmen sollte. Das war dann Kristoffs Team, das zur Jagd blies, nachdem die beiden Spitzenreiter immerhin 30 Sekunden an Vorsprung herausgefahren hatten und gemeinsam den Poggio erreichten.

Den 3,7 Kilometer langen, finalen Anstieg des Tages nutzte zunächst Thomas, um Oss abzuschütteln, doch das Feld saß dem Waliser im Nacken und stellte den Spitzenreiter kurz nach der Kuppe. In die Abfahrt hinunter nach Sanremo stürzte sich noch eine recht große Gruppe, die aber kurz darauf durch den Sturz, bei dem auch Ciolek in Mitleidenschaft gezogen wurde, auseinanderriss. Für das Tempo an der Spitze sorgte vor allem Greg Van Avermaet (BMC), dem es aber nicht gelang, seiner hinter ihm wie an einer Perlenschnur aufgereiht fahrenden Konkurrenten abzuschütteln.

Im Finale übernahm dann wieder Katusha das Kommando. Kristoffs bewährter Helfer Luca Paolini – der auch schon im Poggio die Verfolger angeführt hatte – bereitete seinem Kapitän wie im vergangenen Jahr auch den Sprint vor. Doch der Titelverteidiger war zu früh im Wind und hatte bei mittlerweile strahlendem Sonnenschein Degenkolbs Antritt auf den letzten Metern nichts mehr entgegenzusetzen.

„Luca Paolini hat großartig für mich gearbeitet. Am Poggio war er fantastisch und er hat mich praktisch allein auf die Via Roma gebracht. Er hat mir den Sprint wunderbar vorbereitet und ich habe alles gegeben“, lobte Kristoff den 38 Jahre alten Italiener, dessen Vorarbeit er allerdings nicht veredeln konnte. „Leider hat mich Degenkolb auf der leicht ansteigenden Zielgarden noch passiert. Diese letzten 50 Meter kamen mir vor, als ob sie nie vorbeigehen würden. Vielleicht bin ich zu früh losgesprintet…“

 

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