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21.10.2014 | (rsn) - Heinrich Trumheller, 42 Jahre, ehemaliger Profi-Radrennfahrer, spricht wenig und nimmt sich viel Zeit zwischen den Worten. Er redet leise und man hört auch nach über 20 Jahren in Deutschland, dass seine Muttersprache Russisch ist. Er erinnert sich an seine Anfänge als Sportler in der UdSSR. Er ging nicht ins Sport-Internat, wie so viele andere Talente. Sein Vater hatte ihn zu Hause trainiert.
Zu Hause, das war Naltschick, eine Großstadt im Nordkaukasus. Peter Trumheller wollte, dass sein Sohn eine ordentliche Ausbildung macht und regelmäßig die Schule besucht. In den Internaten zu Sowjet-Zeiten sei aber zu viel trainiert und zu wenig gelernt worden.
Nachmittags fuhr Trumheller dann mit seinem Vater regelmäßig zwei bis drei Stunden Rad. Montag und Donnerstag hatte er frei. 13.000 Kilometer als Elfjähriger, ein Jahr später schon gut 18.000 Kilometer und alles auf einem Rad mit Diamant-Rahmen aus DDR-Produktion: „Sehr groß, sehr schwer, aber viel besser als alles, was es in der UdSSR gab.“
Insgesamt sei in Russland härter trainiert worden, alles sei professioneller organisiert, die Leistungsdichte der Fahrer beeindruckend gewesen.
Mit Vorsprung in den Westen
Und mit diesem Vorsprung kam Trumheller Mitte 1990 nach Deutschland. Sein Vater, selbst in der UdSSR erfolgreich in der russischen Nationalmannschaft gefahren, ist Wolga-Deutscher und zog mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen Heinrich und Harry nach Donaueschingen, weil die Familie dort Verwandte hatte.
Freunde und Verwandte blieben zurück, das war für den älteren Bruder Heinrich schwierig, sportlich allerdings sei der Wechsel kein Problem gewesen. Trumheller gewann 1991 die Slowakei-Rundfahrt und auch das Traditionsrennen Köln-Schuld-Frechen. Ein Jahr später, als Profi beim schweizer Helvetia-Team, belegte er bei der Tour de Suisse den sechsten Platz, nur 29 Sekunden hinter seinem großen Vorbild Greg LeMond, der damals Dritter wurde.
Nur knapp verpasste Trumheller auf der 7. Etappe den Sieg und musste sich in einem schweren Finale aufgrund eines taktischen Fehlers nur Sean Kelly geschlagen geben. Mit dieser bestechenden Form kam er zur Deutschen Meisterschaft am Sachsenring. Das Wetter war heiß, das kam ihm entgegen. So wurde Heinrich Trumheller 1992 Deutscher Straßenmeister der Berufsradrennfahrer.
Frostige Franzosen
Als sein Team sich Ende des Jahres auflöste, hatte der Deutsche Meister die freie Wahl, es gab viele Angebote. Trumheller ging zum französischen Castorama-Rennstall. Im Nachhinein wahrscheinlich nicht die richtige Entscheidung, wie er meinte: „In Italien hätte ich mich wohl besser entwickeln können.“
Erst jetzt merkte Trumheller, was er verloren hatte: Das Helvetia Team sei taktisch und organisatorisch sehr gut aufgestellt und es war für ihn schon eine Art Ersatzfamilie. Die Trainerlegende Paul Köchli, damals der Sportliche Leiter von Helvetia, war stets darauf bedacht, den einzelnen Rennfahrer in eine Situation zu bringen, in der dieser sich optimal entfalten konnte und versuchte so, die natürliche Entwicklung des Fahrers zu optimieren.
Bei Castorama dagegen fuhr jeder für sich, frostig sei das Klima bei den Franzosen gewesen. Das sei nicht zuletzt die Schuld von Cyrille Guimard, dem sportlichen Leiter, der diese egoistische Fahrweise auch noch forcierte und auf Trumheller oft gleichgültig und unmotiviert wirkte.
Nach zwei Jahren wechselte der dann 1995 zum Team Telekom. Neben ihm verpflichtete der deutsche Rennstall auch noch Jan Ullrich, Amateurweltmeister von 1993. Der sei in seinem ersten Profi-Jahr genauso oft bei den Rennen abgehängt worden wie er selbst, so Trumheller. Aber 1996 wurde Ullrich schon Zweiter bei der Tour de France und ein Jahr später gewann er überlegen das wichtigste und schwerste Radrennen der Welt. Da fuhr Trumheller schon im zweitklassigen Team Schauff – Öschelbronn.
Armstrong abgehängt und dann kamen die Aliens
Heinrich Trumheller hängte 1989 bei der Juniorenweltmeisterschaft in Moskau Lance Armstrong ab, vier Jahre später wurde der Amerikaner Weltmeister der Elite-Fahrer in Oslo. Zum Ende von Trumhellers Karriere trat der Texaner seinen Siegeszug bei der Frankreich-Rundfahrt an, um diese siebenmal zu gewinnen. Ullrich und Armstrong, das seien schon große Talente gewesen, komplette Rennfahrer. Genau wie Trumheller!
„Ich habe noch ein oder zwei Jahre in der guten alten Zeit fahren können“, sagt er etwas wehmütig. Da wurden bei den Profis die ersten 80 Kilometer eines Rennens langsam gefahren und erst dann ging es los.
Was aber dann passierte, lässt ihn noch heute den Kopf schütteln. Er habe gesehen, wie die anderen auf einmal fuhren. Wie Motorradfahrer seien die Konkurrenten teilweise an ihm vorbei gezogen. Ganze Mannschaften seien gerast, als kämen sie von einem anderen Planeten. Trumheller lacht leise, er lacht öfters, wenn er auf die unglaublichen Leistungsunterschiede zu sprechen kommt, es ist ein Lachen, das aus Resignation gespeist ist.
Es sei einfach völlig unmöglich gewesen, da mitzufahren. Ein guter Profi wolle er werden, so hat er es zu Beginn seiner Karriere formuliert. „Das ist mir nicht gelungen, gute Resultate habe ich nicht eingefahren“, sagt er heute selbstkritisch. „Meine größten Erfolge habe ich aber sauber errungen und ich bin lange Zeit nur mit Wasser und Brot gefahren.“
Er habe damals gewusst, wozu er in der Lage sei und dann seien unterdurchschnittliche Fahrer an ihm vorbei geflogen, die er früher nur am Start und beim Duschen gesehen habe, oder große, schwere Fahrer hätten ihn am Berg einfach stehen lassen, das sei deprimierend gewesen.
Dopingmittel zum Frühstück
Als er seinem Vater damals die großen Leistungsunterschiede im Fahrerfeld mit Doping erklären wollte, habe der ihm nicht geglaubt „Du trainierst zu wenig!“, habe der Vater gesagt, aber die Unterschiede seien so massiv gewesen, dass man so viel hätte trainieren können, wie man wollte.
In den Jahren 1998/99, am Ende seiner Laufbahn, habe er es dann selbst versucht, so Trumheller. Er habe Epo ausprobiert, aber von einem medizinisch begleiteten strukturierten Doping wie bei anderen Fahrern sei er meilenweit entfernt gewesen, dazu hätten ihm die Verbindungen gefehlt. Sein Vater habe ihn zur Fairness und Ehrlichkeit erzogen, aber er sei damals verzweifelt gewesen.
Mit 21 Jahren sah Trumheller, wie sich sein Zimmerkollege eine Epo-Spritze gesetzt habe. Später tauchte ein anderer Teamkollege, ein Helfer eines mehrmaligen Tour de France Siegers, zum Frühstück und Mittagessen mit jeweils zehn Tabletten auf. Für den sei die öffentliche Einnahme von Dopingmitteln gar kein Problem gewesen.
Der verheiratete Familienvater Trumheller fährt heute nur noch sporadisch Rad, in seiner alten Heimat war er seit zehn Jahren nicht mehr. Gegen seinen Vater, der in diesem Herbst Zeitfahrweltmeister der Senioren über 70 Jahre geworden ist, hat er keine Chance. Er verkauft heute in Nürnberg in seinem Einzelhandelsgeschäft Delikatessen aus Osteuropa. Den Radsport verfolgt er kaum noch, zu seinen ehemaligen Radfahrkollegen hat er keinen Kontakt mehr.
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