RSNplusMaterial spielt eine Rolle – Radwechsel inklusive?

Das Zeitfahren kann der Scharfrichter der 110. Tour werden

Von Felix Mattis

Foto zu dem Text "Das Zeitfahren kann der Scharfrichter der 110. Tour werden"
Tadej Pogacar (UAE Team Emirates, links) und Jonas Vingegaard (Jumbo - Visma) machen diese Woche den Tour-Sieg wohl unter sich aus. | Foto: Cor Vos

18.07.2023  |  (rsn) – Als die Strecke der 110. Tour de France im vergangenen Oktober vorgestellt wurde, gab es einen klaren Verlierer: die Zeitfahrer. Mit nur 22,4 Kilometern im Kampf gegen die Uhr, und das auch noch auf einem sehr schweren Parcours mit einer sechs Kilometer langen Schlusssteigung hinauf nach Combloux, schien die Spezialdisziplin von der ASO arg stiefmütterlich behandelt worden zu sein.

Nun aber ist das Duell zwischen Titelverteidiger Jonas Vingegaard (Jumbo – Visma) im Gelben Trikot und Herausforderer Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) so eng – nur zehn Sekunden liegt das Duo auseinander – dass ausgerechnet dieses Einzelzeitfahren über den Ausgang der Tour 2023 entscheiden könnte.

Denn gerade weil sich die beiden Hauptdarsteller bislang ständig beschatteten und belauerten und niemand wirklich weiß, wer stärker ist, wird es extrem spannend, wie sich Vingegaard und Pogacar schlagen, wenn sie zwei Minuten getrennt voneinander unterwegs sind – jeder für sich allein, ohne den großen Gegner im Blick zu haben.

___STEADY_PAYWALL___ "Es liegen nur zehn Sekunden zwischen uns, also könnte das Zeitfahren sehr gut auch entscheidend werden", meinte Vingegaard am Montag in einem Video-Interview vom zweiten Ruhetag, das Sporza und der dänische Sender TV2 gemeinsam aufgezeichnet hatten und der einzige Medien-Kontakt des Gesamtführenden war. Wie schon in Clermont-Ferrand eine Woche zuvor, hielt 'der Gelbe' nicht die übliche Ruhetags-Pressekonferenz des Gesamtführenden ab.

"Das Zeitfahren wird sehr entscheidend"

"Natürlich stehen danach noch zwei harte Etappen an, auf denen man auch einen großen Unterschied machen kann. Aber ich denke, dass das Zeitfahren sehr entscheidend wird", sagte Vingegaard, gab aber auch zu bedenken: "Wir waren bisher sehr gleichstark, also wäre ich auch nicht überrascht, wenn wir das auch morgen sind."

Jonas Vingegaard (Jumbo – Visma) führte sein Zeitfahrrad am zweiten Tour-Ruhetag für eine Runde aus. | Foto: Cor Vos

Besichtigt haben den Kurs beide natürlich – und sie wissen daher genau, worauf es ankommt: Nach 2,5 flachen Auftaktkilometern in Passy, wartet bereits ein erster Anstieg zur Cote de la Cascade de Coeur bis Kilometer 4. Dann geht es leicht abschüssig nach Sallanches und anschließend flach am Fluss Arve entlang bis nach Domancy, wo nach 16,1 Kilometern die zweite Zwischenzeitnahme wartet und die Kletterpartie in Richtung Comboux beginnt.

Dabei sind die ersten 2,5 Anstiegskilometer bei 9,4 Prozent durchschnittlicher Steigung die schwersten. Wenn an der Cote de Domancy nach Messpunkt Nummer drei die Départements-Straße D1212 erreicht ist, folgt ein beinahe flacher Kilometer, bevor die letzten 2,5 Kilometer nochmal mit knapp 6 Prozent ansteigen.

2016 gab es an selber Stelle die wildesten Material-Kombinationen

Interessant ist: Bereits vor sieben Jahren fuhr das Peloton bei der Tour de France denselben Anstieg hinauf, stoppte dann aber nicht in Combloux, sondern musste noch 7,5 Kilometer weiter hinauf nach Megève. Dafür war die Anfahrt deutlich kürzer: Man startete flach in Sallanches und war nur vier Kilometer unterwegs, bevor in Domancy die Kletterpartie begann. Damals gewann Chris Froome (Sky) den Kampf gegen die Uhr 21 Sekunden vor Tom Dumoulin (Giant – Alpecin).

2016 gewann Chris Froome (Sky) das Zeitfahren über die Cote de Domancy auf seinem Zeitfahrrad – andere waren aber ganz anders unterwegs. | Foto: Cor Vos

Froome fuhr auf seinem normalen Zeitfahr-Setup, Dumoulin zumindest auf dem Zeitfahrrahmen, aber nicht mit Scheibenrad hinten. Doch die Materialkombinationen der Konkurrenz insgesamt waren sehr bunt gemischt: Bauke Mollema (Trek – Segafredo), zu diesem Zeitpunkt Gesamtzweiter der Tour, fuhr ein Trek-Straßenrad mit Scheibenrad hinten und Zeitfahraufsatz auf dem normalen Straßenlenker.

Richie Porte (BMC) und der zu diesem Zeitpunkt Gesamtdritte Adam Yates (Orica – BikeExchange) taten dasselbe, nur ohne Scheibenrad. Unter den Top-Fahrern im Gesamtklassement war der Spanier Joaquim Rodriguez (Katusha) der größte Exot: Er begann den Tag damals auf seiner Zeitfahrmaschine, um dann am Fuß des Berges auf sein leichtes Canyon Ultimate zu wechseln – und siehe da: Er wurde Etappenachter.

Wie fällt die Materialwahl diesmal aus?

Nun ist die Steigung diesmal aber kürzer, und auch wenn der steilste Teil derselbe ist und vor sieben Jahren die letzten zwei Kilometer sogar nochmal leicht bergab führten, so ist in Combloux nun mit weniger Materialpoker zu rechnen. Entscheidend ist: Das Rad muss leicht genug für die Cote de Domancy sein und die Fahrer müssen sich darauf gut bewegen können, gleichzeitig aber spielt auf einem Großteil der Strecke die Aerodynamik die Hauptrolle – selbst auf den letzten drei Kilometern des Tages.

Felix Gall (AG2R – Citroen) klettert bei dieser Tour hervorragend, Zeitfahren sind aber seine Schwäche. | Foto: Cor Vos

Für Fahrer, die auf ihrer Zeitfahrmaschine nicht gut zurechtkommen, wie etwa der Österreicher Felix Gall (AG2R – Citroen), dürfte ein Radwechsel vor dem Schlussanstieg in Frage kommen – so wie damals bei Rodriguez. Das bestätigte auch der Österreicher selbst am Ruhetag. In den meisten Teams aber, so der Eindruck von radsport-news.com nach einigen Nachfragen, setzt man voraussichtlich wohl auf das normale Zeitfahr-Setup für die Top-Fahrer – auch wenn das natürlich niemand ganz offen bestätigen wollte. "Wir haben für uns eine ganz klare und eindeutige Entscheidung getroffen", meinte etwa Bora – hansgrohes Head of Performance Rolf Aldag ohne diese Entscheidung der Öffentlichkeit am Morgen schon mitteilen zu wollen.

Pogacar auf dem Papier der bessere Zeitfahrer, aber…

Zwischen Vingegaard und Pogacar würde es daher sehr überraschen, wenn im Kampf um den Tour-Sieg eine Materialentscheidung auf der 16. Etappe den Ausschlag gäbe. Im direkten Zeitfahrduell der Beiden steht es bei zwölf Aufeinandertreffen übrigens 9:3 für Pogacar. Bei der Tour de France aber gibt es ein 2:2: Sowohl 2021 als auch 2022 setzte sich der Slowene im ersten Zeitfahren in der Auftaktwoche durch, im zweiten Zeitfahren in der Schlusswoche aber war jeweils Vingegaard stärker. 2021 muss man dabei allerdings bedenken, dass Pogacar den Gesamtsieg an diesem Tag bereits kaum mehr zu nehmen war, während Vingegaard noch gegen Richard Carapaz um Gesamtrang zwei kämpfte.

2021 unterlag Tadej Pogacar im Zeitfahren auf der 20. Etappe der Tour de France gegen Jonas Vingegaard, brachte seinen Gesamtsieg mit 5:20 Minuten Vorsprung auf den Dänen aber trotzdem höchst souverän nach Hause. | Foto: Cor Vos

"Unabhängig von der Tagesform nach zwei Wochen bei der Tour ist Pogacar ein besserer Zeitfahrer als Jonas. Es würde mich nicht schockieren, wenn wir ein paar Sekunden verlieren. Das Zeitfahren hat viele flache Abschnitte, auf denen mehr absolute Kraft ausgeübt werden kann, was für einen leichteren Fahrer nicht von Vorteil ist – und Jonas ist viel leichter als Pogacar", meinte Jumbo-Vismas Sportdirektor Merijn Zeeman, er sagte aber auch: "Allerdings ist Jonas auch kein durchschnittlicher leichter Fahrer. Er ist unglaublich aerodynamisch und kann so viel ausgleichen."

Der Kampf um Gelb, er geht an diesem Dienstag zwischen Passy und Combloux auf jeden Fall in die nächste hochspannende Runde – und der Ausgang ist völlig offen.

Mehr Informationen zu diesem Thema

10.01.2024“Wir brauchen keine vier Soßen“: Wie Roglic Bora besser macht

(rsn) – Primoz Roglic macht Bora – hansgrohe besser. Das lässt sich schon sagen, bevor der Slowene überhaupt ein einziges Rennen gefahren ist. Während sich das erst Anfang März ändern und Rog

07.10.2023Thomas: “Ineos Grenadiers ist ein Team im Wandel“

(rsn) – Der letzte Tour-de-France-Sieg liegt schon vier Jahre zurück und vor allem daran lässt sich ablesen, dass Ineos Grenadiers längst nicht mehr das beste Grand-Tour-Team der Welt ist. Dennoc

30.07.2023Niewiadoma machte ihre Hausübungen für die Pyrenäen

(rsn) – Als am Col d‘Aspin auf der 7. Etappe der Tour de France Femmes die beiden Favoritinnen Demi Vollering (SD Worx) und Annemiek Van Vleuten (Movistar) erstmals in die Offensive gingen, konnte

27.07.202320 Sekunden Zeitstrafe: Vollering und SD Worx entsetzt

(rsn) – Der Kampf um den Gesamtsieg bei der Tour de France Femmes, er war bislang einer um Sekunden. Lediglich deren acht hatte Demi Vollering (SD Worx) an den ersten vier Tagen mit großem Aufwand

27.07.2023Cofidis erfolgreich, aber Geschke “nicht so gut drauf“

(rsn) – Am Sonntag erwartete Simon Geschke (Cofidis) seine Teamkollegen in Paris zum großen Finale der 110. Tour de France, die er auf der 18. Etappe aufgrund heftiger Magenprobleme verlassen musst

26.07.2023Vingegaard euphorisch in Kopenhagen empfangen

(rsn) – Der Sieger der Tour de France, der Däne Jonas Vingegaard (Jumbo – Visma), wurde am Mittwochnachmittag in Kopenhagen von mehreren 10000 Menschen empfangen. Eine große Menge versammelte si

25.07.2023Buchmann zweifelt an seinem Comeback als GC-Fahrer

(rsn) - Für einen Moment war die Hoffnung wieder da. Die Hoffnung darauf, einen Emanuel Buchmann zu sehen, wie er sich im Juli 2019 bei der Tour de France präsentiert und dabei einen sensationellen

24.07.2023Tour-Achter Gall derzeit kein Thema für Bora - hansgrohe

(rsn) – Auch wenn ab August wieder Wechsel verkündet werden dürfen: Bora – hansgrohe und Felix Gall (AG2R - Citroën) werden nicht in einem Satz auftauchen. Nach der starken Vorstellung des Öst

24.07.2023Auch ohne Etappensiege imponieren Bauhaus und Zimmermann

(rsn) – Wie im Vorjahr kein Etappensieg und kein Fahrer in den vordersten Regionen des Klassements: Die Bilanz der nur sieben deutschen Starter bei der 110. Tour de France liest sich auf den ersten

24.07.2023Rückblick: Die 110. Tour de France in Zahlen

(rsn) – Drei hart umkämpfte Wochen, 21 Etappen und insgesamt 3405 Kilometer liegen hinter den Teilnehmern der diesjährigen Tour de France. Radsport-news.com blickt auf die 110. Frankreich-Rundfah

24.07.2023Pogacar vs. Vingegaard: Wer ist der beste Rundfahrer?

(rsn) – Wer ist der beste Rundfahrer der Welt? Für diesen inoffiziellen Titel kommen derzeit nur zwei Profis in Betracht: Jonas Vingegaard (Jumbo – Visma) und Tadej Pogacar (UAE Team Emirates). D

24.07.2023Jumbo - Visma führt auch die Preisgeldliste der Tour an

(rsn) – Jumbo – Visma stellt mit Jonas Vingegaard nicht nur wie im vergangenen Jahr den Toursieger, sondern hat auch beim Preisgeld der 110. Ausgabe der Frankreich-Rundfahrt wieder abgeräumt. In

Weitere Radsportnachrichten

27.04.2024Huys saust im Zeitfahren allen davon

(rsn) – So schnell wie Tabea Huys (Maxx Solar Rose Women Racing) war noch nie eine Athletin auf dem 13,5 Kilometer langen Zeitfahrparcours der Gracia-Rundfahrt in der Tschechischen Republik. Seit 20

27.04.2024Königsetappe in der Romandie geht an Carapaz

(rsn) – Lange blieb es auf der Königsetappe der Tour de Romandie (2.UWT) ruhig, doch das letzte Drittel des Schlussanstieges reichte aus, um die Gesamtwertung nochmal ordentlich durchzuwirbeln. Und

27.04.2024“Alles in trockenen Tüchern“: Dorn hat Rot und Weiß sicher

(rsn) - Einen Tag vor Rundfahrtende hat Vinzent Dorn (Bike Aid) freudige Gewissheit. Nach dem Bergtrikot ist dem Freiburger bei der Tour of Turkiye (2.Pro) auch das Weiße Trikot der Zwischensprintwe

27.04.2024Andresen sprintet zum Tageserfolg in Izmir

(rsn) - Der Däne Tobias Lund Andresen feiert auf der 7. Etappe der 59. Tour of Türkiye seinen zweiten Sieg in wenigen Tagen und gleich den fünften für sein Team DSM Firmenich - PostNL bei der aktu

27.04.2024Reusser zurück im Feld und am Weg zu Olympia

(rsn) - Knapp ein Monat ist seit dem schweren Sturz bei der Flandern-Rundfahrt vergangen, der für die 32-jährige Marlen Reusser (SD Worx - Protime) schwere Folgen hatte. Ober- und Unterkiefer, die

27.04.2024Ein Klassikerfrühjahr 2025 mit Evenepoel?

(rsn) – Mit Lüttich-Bastogne-Lüttich hat Remco Evenepoel (Soudal – Quick Step) schon eines der fünf Monumente abgehakt, auch die Lombardei-Rundfahrt liegt dem jungen Belgier gut. Im nächsten J

26.04.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morg

26.04.2024Highlight-Video der 3. Etappe der Tour de Romandie

(rsn) – Brandon McNulty (UAE Team Emirates) hat das Einzelzeitfahren der 77. Tour de Romandie gewonnen. Der US-Meister in dieser Disziplin benötigte für den 15,5 Kilometer langen Parcours rund um

26.04.2024Helferrolle bei der Vuelta: Vorjahresfünfte Bauernfeind kränkelt

(rsn) – Im vergangenen Jahr hat eine Deutsche bei der Vuelta Espana Femenina die Weltspitze überrascht und ist bei den Bergankünften am Mirador de Penas Llanas und an den Lagos de Covadonga mit de

26.04.2024Teutenberg büßt Führung ein, peilt nun aber Gesamtwertung an

(rsn) - Auf der 2. Etappe der Tour de Bretagne (2.2) hat Tim Torn Teutenberg (Lidl - Trek Future Racing) das hellgrüne Trikot des Gesamtführenden abgeben müssen. Der 21-Jährige aus Mettmann, der

26.04.2024Bike Aid nach Türkei-Königsetappe “etwas enttäuscht“

(rsn) - Aufgrund der starken Leistungen an den ersten fünf Tagen und der guten Ausgangssituation für die Kletterer im Team ging Bike Aid optimistisch in die Königsetappe der Türkei-Rundfahrt (2.P

26.04.2024McNulty gewinnt Zeitfahren, Teamkollege Ayuso holt Gelb

(rsn) – 142 Fahrer lang musste Brandon McNulty (UAE Team Emirates) warten, ehe er endgültige Gewissheit darüber hatte, dass ihm seine 20:06 Minuten für das 15,5 Kilometer lange Zeitfahren auf der

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Tour de Romandie (2.UWT, SUI)
  • Radrennen Männer

  • Gracia Orlová (2.2, CZE)
  • Tour de Bretagne (2.2, FRA)
  • Tour of the Gila (2.2, USA)