RSNplusPortrait des Tour-Dritten am zweiten Ruhetag

´Der Ingenieur´ aus Granada: Wer ist Carlos Rodriguez?

Von Tom Mustroph aus Saint-Gervais Mont Blanc

Foto zu dem Text "´Der Ingenieur´ aus Granada: Wer ist Carlos Rodriguez?"
Carlos Rodriguez (Ineos Grenadiers) liegt nach zwei Wochen auf dem dritten Rang der Tour de France. | Foto: Cor Vos

17.07.2023  |  (rsn) - Der Tour de France gehen die famosen Debütanten nicht aus. 2018 wurde der 21-jährige Egan Bernal bemerkenswerter 15., sicherte dabei seine beiden Kapitäne Geraint Thomas (Sieger) und Chris Froome (3.) ab und kam im Folgejahr mit 22 zurück, um die Frankreich-Rundfahrt zu gewinnen. 2020 wurde Tadej Pogacar bei seinem Debüt mit 22 Jahren gleich Toursieger, im Jahr darauf doppelte er nach. Jonas Vingegaard war schon erstaunliche 24 Jahre alt, als man ihn im Jumbo-Visma-Team das erste Mal nach Frankreich mitnahm. Die Geschichte dürfte noch bekannt sein: Er wurde Zweiter, und dann, mit 25, schoss er den Gelben Vogel beim zweiten Anlauf ab.

In diese illustre Reihe fügt sich nun der nächste ein: Carlos Rodriguez ist 22. Dass er in diesem Alter gleich die Tour gewinnen wird, wie zuvor Bernal und Pogacar, ist eher unwahrscheinlich. Zu groß ist der Rückstand des aktuellen Tour-Dritten auf die beiden Lichtgestalten in Gelb und Weiß. Es beeindruckte aber, wie lange er zuletzt an Pogacar und Vingegaard noch dran blieb. Erst recht überraschte sein famoser Abfahrtsritt vom Col de Joux Plane am Samstag, als er den Etappensieg holte und dem Slowenen wie dem Dänen eine Lektion in Sachen Linie finden auf dem Weg bergab erteilte.

___STEADY_PAYWALL___ Sein Teamchef Rod Ellingworth mochte nachher nicht verraten, ob das Frucht eines besonderen Abfahrtstrainings war oder ob sich Rodriguez ein paar Extraskills allein beim Zuschauen von Mountainbike-Olympiasieger Tom Pidcock geholt hat. Der Teamkollege gilt bereits als Abfahrcrack. Interessant ist wohl die Schlussfolgerung, dass man nicht früh genug mit Lust am Speed beginnen kann. In einem Promovideo des spanischen Radsportverbands erzählte Rodriguez, wie bei ihm der Funke für den Radsport überhaupt erst entzündet wurde:

Vom Vater früh aufs Rad gesetzt

"Mein Vater zeigte mir, als ich noch ein Kind war, zu Hause eine kleine Abfahrt und sagte: ‚Fahr runter.‘ Ich tat das auch, hatte dabei aber nicht bemerkt, dass er mir bereits die Stützräder an der Seite abgeschraubt hatte." Nun, der kleine Carlos fuhr und fuhr und hörte nicht mehr auf zu fahren.

Erst waren es lokale Rennen, in der Heimatregion rings um Granada. Dann wurde der Radius immer größer, bis die Kunde über das Talent zu Alberto Contador drang. Der Ex-Champion ist ja nicht nur immer wieder hübsch zerzauster Kommentator auf dem Motorrad für Eurosport. Er hat auch einer Radsportstiftung seinen Namen gegeben, die inzwischen drei Teams unterhält: eine Junioren-Mannschaft, eine für die U23 und das ProTeam Eolo Kometa, letzteres gemeinsam mit Ivan Basso.

Kann es kaum glauben: Carlos Rodriguez feiert in Morzine seinen ersten Tour-Etappensieg. | Foto: Cor Vos

Natürlich lässt sich fein lästern, was die überführten Doper der Jugend so beibringen. Und der Zweifel fährt immer mit. Zu Recht sogar, wie selbst Jonas Vingegaard kürzlich zugab. "Bei der Geschichte unseres Sports ist es richtig und wichtig, dass an den Leistungen auch gezweifelt wird", sagte er am Sonntag.

Contador und Basso sollte man aber auch nicht absprechen, dass sie von vielen anderen Dingen, die für den Radsport wichtig sind, auch eine ganze Menge verstehen. Contador jedenfalls schwört auf Rodriguez. Er hält ihn für einen, der eines Tages die Tour gewinnen kann. Und weil das die früheren Toursieger-Macher im Hause Ineos Grenadiers genauso sehen, verpflichteten sie ihn, als er noch das zarte Alter von 18 Jahren hatte. Warum auch nicht. Er schlug sich jedenfalls prächtig gegen Remco Evenepoel, der damals in den Nachwuchskategorien so gewaltig abräumte. Er überraschte auch die Älteren, als er im letzten Jahr spanischer Straßenmeister wurde.

"Er fährt schon wie ein Alter, bleibt entspannt und gelassen"

"Er ist einfach ein sehr kompletter Fahrer. Er ist auf allen Gebieten gut, kann gut klettern, gut Zeitfahren, verfügt über eine gute Radbeherrschung", sagte sein Mentor bei Ineos, Rod Ellingworth, radsport-news.com. Vor allem hob der Brite den klaren Kopf des Youngsters hervor. „Er fährt schon wie ein Alter, analysiert gut Rennsituationen und bleibt immer entspannt und gelassen“, sagte Ellingworth.

Mit Ruhe wurde auch Rodriguez aufgebaut. Zwar war der Druck aus der Heimat groß, ihn früh bei den Grand Tours zu sehen, besonders bei der heimischen Vuelta a Espana. Ineos hielt aber stur am eher traditionellen Aufbauplan fest. "Wir wollten ihn nicht zu früh in die Grand Tours schicken, ihn Schritt für Schritt darauf vorbereiten", erklärte Xabier Zandio, Landsmann und Sportlicher Leiter bei Ineos.

Die Tour-Favoriten am Puy de Dome und Carlos Rodriguez (3. von links) mittendrin. | Foto: Cor Vos

Erst im dritten Jahr bei Ineos kam die Vuelta als Lernrennen. Der Schüler schlug sich besser als erwartet, lieferte sich lange ein packendes Duell mit dem anderen spanischen Jungtalent, Juan Ayuso, um Platz 3, bevor ihn dann ein Sturz ausbremste. Dass er trotz Sturz noch Gesamtsiebter bei seiner ersten Grand Tour wurde, zeigt, dass er auch einstecken, leiden und vor allem sich überwinden kann.

Angehender Ingenieur

Außerdem ist noch über ihn bekannt, dass er in seiner Freizeit seriöse Dinge tut. Er studiert Ingenieurswissenschaften, Fachrichtung Elektromechanik. Vielleicht verschaffte ihm das auch ein paar Wissensvorteile in Sachen Aerodynamik und Gesetze der Mechanik in der Abfahrt. Der wissenschaftlich geschulte Kopf dürfte ihm bei einem komplexen Unterfangen wie einer Grand Tour auch nicht im Wege stehen. Wie er Erwartungen der traditionell leidenschaftlichen Fans gut herunterkühlt, ohne sie dabei aber zu zerstören, hat er auch schon raus:

"Ich lasse mich jetzt nicht von den Aussichten aufs Podium verrückt machen. Ich gehe es weiter Tag für Tag an", lautete seine Erwatungsbremse nach dem Etappensieg in Morzine. Er meinte aber auch, dass mit ihm und Ayuso wieder eine schöne Zukunft für Spaniens Radsport anbreche. Und dann sagte er auch noch mit größter Selbstverständlichkeit: "Es ist doch der Traum eines jeden Jungen, der Radsport liebt, dass er eines Tages die Tour France gewinnen will." Da hat er Recht. Für ihn gilt das auch. Und wenn das in den nächsten Jahren geschehen sollte, wird sich niemand wundern.

Künftig womöglich auch Kontrahenten um Gelb? Jonas Vingegaard (Jumbo – Visma, links) und Carlos Rodriguez (Ineos Grenadiers, rechts). | Foto: Cor Vos

Die einzige möglicherweise schlechte Entscheidung, die er vermutlich schon getroffen hat, ist die, ab nächstem Jahr für Movistar zu fahren. Ab 1. August dürfen die Transfers bekanntgegeben werden, das Gerücht seines Wechsels zum spanischen WorldTour-Rennstall hält sich aber bereits wacker. Das Problem: Bei Movistar ist leider in den letzten Jahren kaum ein Fahrer richtig besser geworden. Aber vielleicht hat 'der Ingenieur', wie sie ihn in Spanien bereits wegen des Studiums nennen, die richtigen Geräte für eine Umjustierung bereits dabei.

Er ist jedenfalls die Entdeckung dieser Tour, und auch ein guter Zeitfahrer. Mal sehen, was da noch geht.

Mehr Informationen zu diesem Thema

10.01.2024“Wir brauchen keine vier Soßen“: Wie Roglic Bora besser macht

(rsn) – Primoz Roglic macht Bora – hansgrohe besser. Das lässt sich schon sagen, bevor der Slowene überhaupt ein einziges Rennen gefahren ist. Während sich das erst Anfang März ändern und Rog

07.10.2023Thomas: “Ineos Grenadiers ist ein Team im Wandel“

(rsn) – Der letzte Tour-de-France-Sieg liegt schon vier Jahre zurück und vor allem daran lässt sich ablesen, dass Ineos Grenadiers längst nicht mehr das beste Grand-Tour-Team der Welt ist. Dennoc

30.07.2023Niewiadoma machte ihre Hausübungen für die Pyrenäen

(rsn) – Als am Col d‘Aspin auf der 7. Etappe der Tour de France Femmes die beiden Favoritinnen Demi Vollering (SD Worx) und Annemiek Van Vleuten (Movistar) erstmals in die Offensive gingen, konnte

27.07.202320 Sekunden Zeitstrafe: Vollering und SD Worx entsetzt

(rsn) – Der Kampf um den Gesamtsieg bei der Tour de France Femmes, er war bislang einer um Sekunden. Lediglich deren acht hatte Demi Vollering (SD Worx) an den ersten vier Tagen mit großem Aufwand

27.07.2023Cofidis erfolgreich, aber Geschke “nicht so gut drauf“

(rsn) – Am Sonntag erwartete Simon Geschke (Cofidis) seine Teamkollegen in Paris zum großen Finale der 110. Tour de France, die er auf der 18. Etappe aufgrund heftiger Magenprobleme verlassen musst

26.07.2023Vingegaard euphorisch in Kopenhagen empfangen

(rsn) – Der Sieger der Tour de France, der Däne Jonas Vingegaard (Jumbo – Visma), wurde am Mittwochnachmittag in Kopenhagen von mehreren 10000 Menschen empfangen. Eine große Menge versammelte si

25.07.2023Buchmann zweifelt an seinem Comeback als GC-Fahrer

(rsn) - Für einen Moment war die Hoffnung wieder da. Die Hoffnung darauf, einen Emanuel Buchmann zu sehen, wie er sich im Juli 2019 bei der Tour de France präsentiert und dabei einen sensationellen

24.07.2023Tour-Achter Gall derzeit kein Thema für Bora - hansgrohe

(rsn) – Auch wenn ab August wieder Wechsel verkündet werden dürfen: Bora – hansgrohe und Felix Gall (AG2R - Citroën) werden nicht in einem Satz auftauchen. Nach der starken Vorstellung des Öst

24.07.2023Auch ohne Etappensiege imponieren Bauhaus und Zimmermann

(rsn) – Wie im Vorjahr kein Etappensieg und kein Fahrer in den vordersten Regionen des Klassements: Die Bilanz der nur sieben deutschen Starter bei der 110. Tour de France liest sich auf den ersten

24.07.2023Rückblick: Die 110. Tour de France in Zahlen

(rsn) – Drei hart umkämpfte Wochen, 21 Etappen und insgesamt 3405 Kilometer liegen hinter den Teilnehmern der diesjährigen Tour de France. Radsport-news.com blickt auf die 110. Frankreich-Rundfah

24.07.2023Pogacar vs. Vingegaard: Wer ist der beste Rundfahrer?

(rsn) – Wer ist der beste Rundfahrer der Welt? Für diesen inoffiziellen Titel kommen derzeit nur zwei Profis in Betracht: Jonas Vingegaard (Jumbo – Visma) und Tadej Pogacar (UAE Team Emirates). D

24.07.2023Jumbo - Visma führt auch die Preisgeldliste der Tour an

(rsn) – Jumbo – Visma stellt mit Jonas Vingegaard nicht nur wie im vergangenen Jahr den Toursieger, sondern hat auch beim Preisgeld der 110. Ausgabe der Frankreich-Rundfahrt wieder abgeräumt. In

Weitere Radsportnachrichten

28.04.2024Dorn in der Türkei am Berg und beim Zwischensprint der Stärkste

(rsn) - Vor allem für die Teams Bike Aid und rad-net - Oßwald verlief die zurückliegende Woche erfolgreich. Santic - Wibatech, MYVELO und Rembe Sauerland konnten gegen WorldTour-Konkurrenz zuminde

28.04.2024Famenne Classic: De Lie feiert seinen ersten Saisonsieg

(rsn) - Arnaud De Lie (Lotto - Dstny) hat bei der Famenne Ardeche Classic (1.1) seinen ersten Saisonsieg eingefahren. Der Belgier setzte sich nach hügeligen 195 Kilometern rund um Marche-en-Famenne

28.04.2024Lidl - Trek gewinnt trotz Stürzen Auftakt der Vuelta Femenina

(rsn) – Trotz eines Sturzes in der letzten Kurve hat Lidl – Trek das Teamzeitfahren zum Auftakt der 10. Vuelta Femenina (2.WWT) für sich entscheiden können. Obwohl Ellen van Dijk und Eleanor Bac

28.04.2024Highlight-Video der 5. Etappe der Tour de Romandie

(rsn) – Dorian Godon (Decathlon – AG2R La Mondiale) hat zum Abschluss der 77. Tour de Romandie (2.UWT) seinen zweiten Tagessieg eingefahren. Der Franzose entschied bei regnerischem Wetter die 5. E

28.04.2024Zangerle verpasst für sein Team nur knapp den Heimsieg

(rsn) –Lukas Kubis (Elkov – Kasper) hat in Österreich das 62. Kirschblütenrennen gewonnen, das erstmals als UCI-Rennen der Kategorie 1.2 ausgetragen wurde und zugleich der zweite Stopp der Road

28.04.2024Carlos Rodriguez feiert Gesamtsieg vor Vlasov und Lipowitz

(rsn) – Beinahe noch eine Spur deutlicher als auf der 1. Etappe ging es im Sprint der Schlussetappe der Tour de Romandie (2.UWT) zu. Der Sieger war dabei derselbe: Dorian Godon (Decathlon – AG2R L

28.04.2024Lechner lässt in Tschechien nichts mehr anbrennen

(rsn) – Am letzten Tag der Gracia-Rundfahrt (2.2) hat Corinna Lechner (Wheel Divas) nichts mehr anbrennen lassen und sich den Gesamtsieg der tschechischen Rundfahrt gesichert. Auf der 5. Etappe, di

28.04.2024Van den Broek gewinnt als erster Niederländer Türkei-Rundfahrt

(rsn) – Wegen Regen und Wind musste die Schlussetappe der 59. Türkei-Rundfahrt (2.Pro) abgesagt werden. Frank van den Broeck (dsm-firmenich – PostNL) verteidigte so kampflos sein Führungstrikot

28.04.2024Lipowitz mit seiner Giro-Generalprobe mehr als happy

(rsn) – Auch wenn er im Vorjahr bei der Czech Tour die Gesamtwertung gewann, so ist die diesjährige Tour de Romandie als Durchbruch in der Karriere von Florian Lipowitz (Bora – hansgrohe) zu bewe

27.04.2024Reusser zurück im Feld und auf dem Weg zu Olympia

(rsn) - Knapp ein Monat ist seit dem schweren Sturz bei der Flandern-Rundfahrt vergangen, der für die 32-jährige Marlen Reusser (SD Worx - Protime) schwere Folgen hatte. Ober- und Unterkiefer, die

27.04.2024Huys saust im Zeitfahren allen davon

(rsn) – So schnell wie Tabea Huys (Maxx Solar Rose Women Racing) war noch nie eine Athletin auf dem 13,5 Kilometer langen Zeitfahrparcours der Gracia-Rundfahrt in der Tschechischen Republik. Seit 20

27.04.2024Highlight-Video der Königsetappe der Tour de Romandie

(rsn) - Florian Lipowitz (Bora – hansgrohe) hat eine glänzende Vorstellung auf der Königsetappe der Tour de Romandie abgeliefert. Der 23-jährige Deutsche attackierte im Schlussanstieg hinauf nach

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Tour de Romandie (2.UWT, SUI)
  • Radrennen Männer

  • Gracia Orlová (2.2, CZE)
  • Tour de Bretagne (2.2, FRA)
  • Tour of the Gila (2.2, USA)